Herr Nava, wie ist Ihr Film „Bordertown“ entstanden?
Gregory Nava: Das war ein sehr langer Weg. Ich selbst stamme von der mexikanisch-amerikanischen Grenze, ich bin entlang der Grenze aufgewachsen. Ich komme aus San Diego (California) was sozusagen gegenüber von Tijuana liegt, ich bin Mexican-American, zweisprachig aufgewachsen, in zwei Kulturen. Ich komme also genau aus der Gegend, wo sich Mexiko und die USA ‚treffen’.
Diese Grenze ist die einzige in der Welt, wo sich die „Erste“ und die „Dritte“ Welt treffen. Das Aufeinanderprallen der Kulturen ist hier extrem. Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen Wohlstand und Armut, gewaltige soziale Probleme und kulturelle Konflikte in diesem Teil der Welt. Ich wusste also Bescheid über das NAFTA-Abkommen (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen), die Entstehung der Billiglohnfabriken („Maquiladoras“) und die Mordserie, die wenig später begann. Und ich dachte, als Mensch, als Filmemacher kann ich nicht diese Situation ansehen, ohne etwas zu tun. Du kannst nicht einfach nur sagen „wie schrecklich, wie furchtbar“ – und dann deine nächste Komödie drehen.
Weil diese Frauen, die dort umgebracht wurden, haben in unserer Welt keinen Wert. Sie sind wertlos, deswegen werden sie umgebracht. Doch das ist falsch, das sind Menschen, mit Würde, mit Leben, mit Hoffnung, Träumen. Aber in unserer ‚großartigen’ globalen Wirtschaft bedeuten ein paar Hundert junge Frauen, die getötet werden, nichts: „Ach, macht doch nichts, lasst uns das vertuschen“ sagen die Verantwortlichen. Das ist so herzlos, so kaltherzig. Jeder, der eine Frau umbringen will, kann einfach nach Juárez gehen und es machen, ohne bestraft zu werden.
Also, was konnte ich dagegen tun? Ich bin ein Geschichtenerzähler, das was ich am besten kann ist eine Geschichte zu erzählen, eine menschliche Tragödie, die die Leute berühren kann und auf diese Situation aufmerksam macht und aufklärt. So kam ich auf die Idee, diesen Film zu machen, 1997. Mit dieser Idee bin ich 1998 dann zu Jennifer Lopez gegangen und es hat all die ganze Zeit gebraucht, über acht Jahre, diese Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Und in all diesen Jahren wurde nichts gegen diese Verbrechen unternommen. Als wir am Drehbuch arbeiteten habe ich immer wieder die Zahl der getöteten Frauen aufwärts korrigieren müssen. Von 100 auf 150 auf 200 .. 300, 350 – heute sind es über 400. Und weitere 400 gelten als vermisst.
Das war ein harter Weg, diesen Film zu machen und ich bin jedem dankbar, der uns dabei geholfen hat. Auch Jennifer, weil wenn sie nicht dabei gewesen wäre, wäre dieser Film nie zustande gekommen.
Wird mit dem Geld, welches der Film nun einspielt auch den Frauen und den Opferfamilien in Juárez geholfen?
Gregory Nava: „Bordertown“ ist ein unabhängig und selbstständig produzierter Film, das ist also kein großes kommerzielles Unternehmen wie „Herr der Ringe“ oder „Star Wars“. Wir hoffen, dass wir mit dem Film am Ende plusminus Null herauskommen und schon dafür ist ein gewisser Erfolg notwendig.
Wir möchten aber tatsächlich Geld sammeln für die Frauen von Juárez. Dazu gibt es auch eine Spendenwebsite, www.amnestyusa.org/bordertown .
Barbara Martinez Jitner: Auf der Website gibt es auch einen Link zu der Organisation „Nuestra Hijas“, mit der wir zusammengearbeitet haben. Und zusammen mit Amnesty International versuchen wir alle Frauen, also nicht nur die Mütter, in Juárez zu unterstützen.
Gregory Nava: Natürlich ist Geld wichtig. Aber noch wichtiger ist es, dass man die Leute für diese Situation sensibilisiert. Wir brauchen Menschen, die endlich mal Druck ausüben auf die Regierung von Mexiko, auf die Behörden Juárez, auf die Konzerne, die dort tätig sind und auf die amerikanische Regierung. Es muss Ermittlungen geben und es müssen Schritte unternommen werden, damit diese scheußlichen Verbrechen endlich aufhören. Auch deswegen haben wir den Film produziert. Um auf diese Situation, auf diese Tragödie aufmerksam zu machen. Viele in der Welt wissen ja nicht von diesen schrecklichen Vorkommnissen.
Frau Lopez, Sie haben Mütter der ermordeten Frauen und Mädchen getroffen – wie waren diese Begegnungen für Sie?
Jennifer Lopez: Ich werde jedes Mal an das Leid erinnert, an den Schmerz, der dort verursacht wurde. Für mich ist das eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich lebe ja in den USA, in der Nähe von Mexiko und ich wusste nichts davon. Ich hatte nie davon gehört, was dort passiert. Und als Gregory Nava mir dieses Projekt vorstellte, hat mich das sofort gefangen genommen und ich habe sofort zugesagt und habe ihm versprochen zu helfen, diesen Film zu realisieren.
Das war für mich der erste Moment, wo ich realisiert habe, dass dort etwas so ungerechtes passiert und so viele Menschen leiden. Das hat mich dazu bewegt, diesen Film zu machen, um Aufmerksamkeit für die Sache zu bekommen, auch eine Art Aktivismus zu inspirieren – und um am Ende eine Veränderung zu erreichen.
Als Sie das Drehbuch lasen, wie haben Sie reagiert? Und wie haben Sie sich auf Ihre Rolle vorbereitet?
Jennifer Lopez: Ich konnte es am Anfang gar nicht glauben, dass die Geschichte auf Fakten beruhte. Und je mehr ich herausgefunden habe, je mehr ich mit Leuten gesprochen habe, die direkt betroffen waren, dachte ich: Oh mein Gott. Ich fühlte dann die Verantwortung, etwas dagegen zu tun, alles, was ich tun könnte. Ich habe dann eng mit Gregory zusammengearbeitet, wir haben versucht das Drehbuch so zu optimieren, damit am Ende das rauskommt, was wir sagen wollten. Ich habe auch mit Barbara Martinez Jitner gearbeitet und von ihr viel erfahren. Ein großer Teil meiner Rolle basiert auch auf Ihrer Person. Weil Sie ist wirklich in diesen „Maquiladoras“ gewesen, sie hat sich da sozusagen eingeschlichen. Von ihr bekam ich Wissen aus erster Hand, wie es für diese Frauen dort ist. Davon habe ich viel für die Vorbereitung meiner Rolle verwendet.
Im Film wird gezeigt, wie sowohl die mexikanischen als auch die amerikanischen Behörden versuchen, diese Verbrechen zu vertuschen. Haben Sie selbst Probleme bekommen, diesen Film zu drehen?
Gregory Nava: Wir hatten große Schwierigkeiten, diesen Film finanziert zu bekommen und am Ende mussten wir es unabhängig machen. Der Film ist komplett unabhängig finanziert, da steckt also kein Geld aus Hollywood oder von den großen Studios drin.
Ich selbst habe Morddrohungen erhalten, als ich versucht habe, das Projekt auf die Beine zu stellen. Aber ich habe auch eine Vielzahl von Leuten gefunden, die bereit waren, sich zu beteiligen, die an dieses Projekt geglaubt haben. Sowohl in New Mexiko, wo wir gedreht haben, als auch in Mexiko. Die mexikanische Crew, die Stadtregierungen von Nogales und Sonora, die Leitung einer Fabrik in Mexicali, wo Mitsubishi große Bildschirme herstellt – die haben uns dort filmen lassen und uns mit offenen Armen empfangen. Weil sie daran geglaubt haben, was wir mit diesem Film sagen wollten und auch sie wollten den Frauen von Juárez helfen.
Wir konnten allerdings nicht mit Jennifer Lopez und Antonio Banderas in Juárez drehen, weil das zu gefährlich gewesen wäre. Deshalb wurde der Film mit einer zweiten Besetzung in Juárez gedreht, wo wir mit Doublen gearbeitet haben – später haben wir das dann mit den anderen Aufnahmen zusammengeschnitten.
Als wir den Film dann den Frauen von Juárez gezeigt haben, dachten die, wir hätten den ganzen Film in Juárez gedreht. Dabei war es Jennifer, Antonio und mir nicht möglich, nach Juárez zu gehen.
Wir haben auf der einen Seite gemerkt, dass es Leute gibt, die nicht wollen, dass dieser Film gemacht wird, aber dann gab es auch viele, die uns dabei unterstützt haben. Barbara hatte jedenfalls große Schwierigkeiten, in Juárez zu drehen.
Barbara Martinez Jitner: Wir sind mit einer sehr kleinen Crew nach Juárez gegangen, weil wir nicht wollten, dass jemand von unserer Anwesenheit erfährt. Wir waren fünf Personen und hatten eine Videokamera dabei. Und wir taten so, als wenn wir einen Dokumentarfilm drehen würden. Aber man wusste, dass wir da waren, vom ersten Tag an. Wir hatten einen Produktionsassistenten, der aus Juárez kam und die Gegend kannte und uns sagte, wo wir hingehen könnten. Er wurde sofort von der Polizei in Juárez aufgeschnappt, er wurde geschlagen und hat ihnen sagen müssen, dass wir an diesem Film arbeiten und in welchem Hotel wir uns aufhalten. Dann wurde in mein Hotelzimmer eingebrochen, Aufnahmen wurden geklaut. Danach hat uns die Polizei von Juárez verfolgt und wir mussten schließlich einen Bodyguard für engagieren, der neben dem Kameramann stand, damit wir unsere Aufnahmen machen konnten. Als sie dann merkten, dass wir nicht ausreisen sondern weiter drehen würden wurde unsere Kamera gestohlen und wir mussten die Dreharbeiten beenden. Mir war danach sehr klar, dass zumindest die Polizei von Juárez nicht wollte, dass dieser Film gedreht wird und dass diese Bilder gezeigt werden.
Die Frauen, die uns bei diesem Film geholfen haben, wurden auch weiterhin bedroht, und es war sehr mutig von ihnen, uns bei der Arbeit zu helfen. Weil ich als Produzentin, Gregory als Regisseur, wir wussten, dass wir Juárez eines Tages wieder verlassen. Aber diese Frauen werden in Juárez weiterleben, wo sie belästigt und verfolgt werden.
Frau Lopez, Sie haben selbst ein Klamottenlabel – verfolgen Sie mit Ihrer Firma eine spezielle Politik in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen?
Jennifer Lopez: Ja, darüber haben wir von Anfang an gesprochen, dass wir sicher gehen wollen, dass es in den Fabriken, mit denen wir zusammenarbeiten, keine Kinderarbeit gibt und dass dort keine schlechten Arbeitsbedingungen herrschen – das war eine Sache um die wir uns gleich zu Beginn gekümmert haben.
Unfassbar.
Ich arbeite gerade an einem Referat über diese Morde und diese Stadt.
Ich beschäftige mich seit einer Woche damit sehr intensiv und sitze täglich stundenlang am Computer und recherchiere.
Es fesselt mich so unglaublich und ich kann manchmal kaum glauben,was ich da lese.
Ich bin sehr betroffen,was diese Situation in Ju?rez angeht,
und habe „Bordertown“ auch schon zweimal angeschaut – einmal im Kino.
Ein sehr guter Film.