Hans-Joachim Klein

Ich würde nicht mehr zur Waffe greifen.

Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein über seine Abkehr vom bewaffneten Kampf, die 68er-Generation und sein Leben in Frankreich

Hans-Joachim Klein

© vpro.nl

Herr Klein, wie schwer hatte es Alexander Oey, der Regisseur von „My Life as a terrorist“, Sie vor die Kamera zu bekommen?
Klein: Gar nicht. Ich hatte schon im Gefängnis viele Interviewanfragen, selbst aus Amerika und Israel. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich Interviews gebe, um meine Haft verkürzt zu bekommen. Nur deshalb habe ich damals alle Interviews verweigert.

Mich interessiert eine Zeit, die im Film nur sehr kurz behandelt wird: die Monate zwischen dem Anschlag in Wien und Ihrem Untertauchen in Frankreich…
Klein: Ich nenne das ja nicht „Untertauchen“ sondern Exil. Die Deutschen und Franzosen wussten immer, wo ich bin, aber festgenommen wurde ich am 8. September 1998. Am 28.9. war die Bundestagswahl. Die wollten durch meine Festnahme die Sponti-Vergangenheit von Joschka Fischer zum öffentlichen Thema machen und ihn so verhindern. Denn ohne Fischer wäre Schröder nicht Kanzler geworden. Es ging nicht um Vergangenheitsbewältigung. Ich hätte ein bisschen Geld gekriegt und hätte irgendwohin verschwinden können. Sowas läuft aber mit mir nicht. Mich kann weder die eine, noch die andere Seite kaufen.

Hat Ihre Abkehr vom bewaffneten Kampf dann direkt nach Wien stattgefunden?
Klein: Vor Wien habe ich nur begrenzt Sachen erzählt bekommen, aber nachdem es in Wien drei Tote und Verletzte gegeben hatte hieß es: Jetzt kann er in den inneren Kreis. Das Problem in diesen Gruppen ist, dass man nicht darüber reden kann, wenn man selbst Zweifel an Aktionen hat. Es war unmöglich zu sagen: was ihr da in Wien gemacht habt, war schlecht. Im Februar wurde dann ein Kommando aus Palästinensern und Deutschen vermisst, das in Nairobi von der Mossad verhaftet worden war. Die hatten geplant, ein El Al-Flugzeug abzuschießen, aus einem einzigen Grund: da saßen Juden drin. Als mir das klar wurde, habe ich mir gesagt: da musst du raus. Wenn man sich morgens im Spiegel noch angucken will muss man da raus. Und mir war klar, wenn ich da raus will, habe ich ein Problem – nicht nur mit der Polizei. Ich wusste schon zu viel über die Gruppen.

Wie verläuft so ein Ausstieg praktisch?
Klein: Es hat fast ein Jahr gedauert, bis ich mich nach Paris absetzen konnte. Ich kannte jemanden in Rom, der wieder jemanden in Deutschland kannte. Aber am Anfang hat man mir erstmal keiner geglaubt, dass ich da raus will. In dieser Zeit war ich bei der Gruppe in Bagdad, in den arabischen Ländern; ich musste mitmachen. In der Zeit haben die Leute in Frankfurt sich bemüht, für mich ein Asyl zu finden.

Sie mussten sich eine zweite Identität aufbauen.
Klein: Ich hatte einen großen Vorteil: Ich hatte die schwere Schussverletzung, auf die konnte ich mich berufen, wenn die gesagt haben, ich muss wieder was machen. Der Chef von den Palästinensern, von der PFLP war Kinderarzt und hat gesagt: logisch, mit seiner Verletzung kann der nicht mitmachen. Das hat mir sehr geholfen. Ein Problem war aber auch, in der Frankfurter Szene wussten einige Leute, dass ich aussteigen wollte, und die Frankfurter Szene war berühmt für ihre Geschwätzigkeit. Ich hatte eine Höllenangst, denn es gab ja einige von der RZ in Frankfurt, hätten die von meinem Plan erfahren, wäre ich tot gewesen.

Was hinderte Sie daran, in einem günstigen Moment auf eigene Faust zu verschwinden?
Klein: Ich saß an Orten, da hätte ich nicht weg gekonnt, selbst wenn ich gewollt hätte, im Jemen oder im Irak zum Beispiel. In den Irak rein zu kommen wäre kein Problem gewesen. Wenn ich da am Flughafen war, habe ich jemandem vom Geheimdienst kommen lassen, dem mein Codewort durchgegeben, dann konnte ich rein. Das Problem war raus zu kommen. Das ging nur über den Chef, Abu Ali.

Wie sah die Flucht dann konkret aus?
Klein: Ich war eine Woche vor meinem geplanten Rendezvous in Paris. Paris war damals ja auch ein Treffpunkt der internationalen Terrorismusszene. Dort habe ich dann eine Woche im Hotel gesessen, was sehr schlecht ist. Ich wurde ja auch von der Polizei gesucht. Ich bin dann eine Woche in Paris herumgelaufen, weil es ja auch auffällig gewesen wäre, den ganzen Tag im Hotel zu bleiben. Ich war da nicht sehr glücklich in dieser einen Woche. Als mein Kontakt dann kam, war ich heilfroh und verschwand in der Normandie und habe angefangen zu schreiben und Interviews zu geben.

Waren das Wege, mit der Angst vor der Entdeckung umzugehen?
Klein: Nein, die habe ich gegeben, damit die Leute wissen, warum ich aussteigen will. Damit man erfährt, wie es in diesen Gruppen aussieht. Denn was sie schreiben und veröffentlichen unterscheidet sich radikal von ihren Handlungen. Das habe ich klar gemacht, ohne sie zu verraten. Ich habe deren Ideale verraten, habe gesagt wie sie sind nämlich mörderisch, antisemitisch etc. Ich habe keine Namen genannt, auch in meinem Buch nicht.

Aber Ihre revolutionäre Grundhaltung ist doch sicher geblieben?
Klein: Ich bin auch jetzt nicht mit allem einverstanden aber ich würde nicht mehr zur Waffe greifen. In meiner Nachbarschaft in der Normandie sind alle Jäger. Nachdem ich im Januar 2004 aus dem Knast zurückkam, hatten die Angst um meine Sicherheit. Die haben mir dann eine Waffe angeboten, die du in Frankreich so leicht kaufen kannst, wie ein Baguette. Aber die habe ich abgelehnt.

Im Film erwähnen Sie Ihre Entdeckung der klassischen Musik und dass Sie in der Wüste Beethoven gehört haben. Wie kam es dazu?
Klein: Ich hatte in Frankfurt eine Freundin gehabt, die war begeisterte klassische Musikhörerin. Ich hasste das Zeug wie die Pest, da war was für alte Opas. Eines Tages hatte sie einen Termin und ich hörte mir „Die kleine Nachtmusik“ von Mozart an. Plötzlich stand sie vor meiner Tür, ihr Termin war geplatzt. Ich sagte schnell, dass ich aus Versehen die falsche Platte aufgelegt hätte und sie meinte: Und zwar schon seit fünf Minuten… In der jemenitischen Wüste hatte mir jemand die Neunte Symphonie von Beethoven mitgebracht. Da sind 50 Grad im Schatten. Aber ich hatte Langeweile, bin raus in die Wüste und habe die Neunte gesungen. Die Palästinenser haben geglaubt, ich bin verrückt geworden. .

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Enttarnung in Ihrem neuen Umfeld?
Klein: Drei Leute in dem Dorf hatten gewusst, wer ich bin, der Rest nicht. Wie ich zurückkam, wussten alle: ich habe nichts mehr, nicht mal ein Handtuch. Die sind zu mir gekommen und haben mich gefragt was ich brauche. Der eine hat im nächsten Dorf ein Bistro, von dem bekam ich so viel Geschirr, ich hätte das ganze Dorf einladen können. Die haben mir nagelneues Bett geschenkt, Massen von Zeug. Das irre daran: mein Dorf hat 248 Einwohner davon dürfen 120 wählen von denen wählen gute 90% die legale rechte UNP und ungefähr 35 Leute FN (Front National). Einer von denen war damals der Präsident des Festkomitees. Die haben ne Sondersitzung abgehalten und einstimmig beschlossen, mir 5000 Franc in den Knast zu schicken, obwohl ich deren Plakate immer abreiße. Immer, wenn die FN Plakate klebt, ruft mich der Bürgermeister an, der ist von der PS. Das ist auch so merkwürdig: die wählen alle rechts, aber der Bürgermeister ist in der Sozialistischen Partei; die wählen den Mann und nicht die Politik. Dann ruft er mich an, und sagt, die haben die Plakate geklebt, dann gehe ich hin und reiß die ab. Er selber darf das ja nicht. Ich habe auch mir denen geredet: Hört mal, ich war extremer Linker, ihr seid alles Le Pen-Lumpen und trotzdem helft ihr mir: und die haben gesagt, was du früher gemacht hast, interessiert uns nicht.

Wann haben Sie dann eigentlich Französisch gelernt? Im Film erklären Sie, nicht gerade eine große Affinität zu Fremdsprachen zu haben.
Klein: Ich hatte keine 1977 keine Lust, Französisch zu lernen, das war zu schwierig, für mich eigentlich unmöglich. Aber dann hatte ich zwei Jahre später eine Freundin. Das war normalerweise kein Problem, die konnten alle englisch oder auch ein bisschen deutsch. Aber eines Tages hat mir meine Freundin gesagt: Hör zu, wenn Du kein Französisch lernst, bumsen wir nicht mehr. Und da musste ich anfangen, die Sprache zu lernen. Stimmt wirklich. Die war Lehrerin, nicht nur bildhübsch, sondern auch eine sehr gute Pädagogin (lacht). Schade, dass ich das vergessen habe, das hätte man gut im Film verwenden können.

Ist vieles aus dem Film geschnitten worden, was zum Beispiel zu brisant oder für Sie selbst zu gefährlich wäre?
Klein: Nein. Ich weiß schon noch ein paar Sachen, aber das musste nicht geschnitten werden, weil ich es nie erzählen würde. In Frankfurt laufen einem ehemalige RZ-Leute über den Weg, die mittlerweile Parvenü geworden sind, Massen von Kohle haben, aber das ist nicht mein Problem, solange die mir nicht auf die Füße treten.

Und Sie haben ihre Liebe zur französischen Lebensart entdeckt?
Klein: Ich lebe da von gut 300 Euro Sozialhilfe. Mittlerweile habe ich manchmal Probleme, deutsch zu reden. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich die letzte deutsche Tageszeitung gelesen habe. Wenn irgendwas wichtig ist, kommt es auch in der „Le Monde“. Selbst hier in München schaue ich mir den französischen Sender an. In Deutschland hätte ich bei dieser Blockwartmentalität nicht 25 Jahre so leben können. Die hätten von morgens bis abends gefragt: Was macht der eigentlich? In Frankreich ist das nicht so.

Spätestens seit dem Ende der Rot-Grünen Regierung scheinen die alten 68er nur noch als Sündenböcke herzuhalten, die für schlechte PISA-Ergebnisse ebenso die Verantwortung tragen, wie für gescheiterte Integrationen. Fühlen Sie sich davon betroffen?
Klein: In Frankreich ist es dasselbe Phänomen. Da ist die Rechte dabei, die 68er Generation kaputt zu machen. Aber das wird ihnen nicht gelingen. Es war nicht alles schlecht. Und man darf die 68er nicht mit den Terroristen verwechseln. Die RAF und RZ – das waren Ausnahmen. Die anderen haben solche „Dummheiten“, um kein schlimmeres Wort zu benutzen, nicht gemacht.

Andererseits gehört der 68er-Protest zur Jugendfolklore. Nicht selten hört man am Berliner Alexanderplatz minderjährige Punks, die Songs von „Ton Steine Scherben“, wie den Rauch-Haus-Song singen.
Klein: Das ist doch sehr schön. Bei den Scherben denke ich an schöne Zeiten. Damit meine ich die Straßenschlachten, die bereue ich auch heute noch nicht. Als sie damals in Frankfurt die Bockenheimer Straße 113 abreißen wollten, hatten wir den Spruch: Jeder Stein, der abgerissen, wird von uns zurück geschmissen! Das haben wir auch gemacht. Ich bin nicht der Herr Fischer, der sagt: Das war Schlimm, es tut mir leid das ich eine Polizisten verprügelt habe. Der hat nicht nur einen verprügelt, der hat viele verprügelt – genau wie ich. Nur ich schäme mich nicht – im Gegenteil. Und wenn der Fischer sich hinstellt und sagt: „Das war alles entsetzlich,“ dann bin ich damit nicht einverstanden.

Ironischerweise scheint heute das einzige unumstrittene Verdienst der 68er zu sein, mit Hausbesetzungen der Immobilienbranche ihre teuren Altbauten von heute erhalten zu haben…
Klein: Die Glasbranche hatte uns schon damals viel zu verdanken, wenn wir durch die Innenstadt gezogen waren, hatten die anschließend Arbeit. (lacht) Wir haben das erste Haus in Deutschland besetzt. Der ehemalige Polizeipräsident von Frankfurt wohnt jetzt übrigens auch da. Der hat vor ein paar Jahren meinen ehemaligen Hausbesetzerkollegen Til besucht und sich bedankt: „Ihr habt das Westend gerettet!“ Aber zu seiner Amtszeit hat er uns furchtbar verprügeln lassen.

Sehen Sie eigentlich Parallelen zwischen den immer wieder aufflammenden Unruhen in den Pariser Vororten und der 68er-Revolte?
Klein: Von den französischen Zuständen kann ich nur sagen: die Jungen interessieren sich immer weniger für Politik. Meine eigenen Kinder und auch deren Freunde haben mit Politik nichts am Hut. Als Le Pen bei der letzten Präsidentschaftswahl in die Stichwahl kam, war das ein Schock und die Jugend ist auf die Straße gegangen. Das war schön zu sehen. Aber das sind immer nur ad-hoc-Aktionen. Auch als vor ein paar Monaten der Kündigungsschutz aufgehoben wurde, waren sofort Tausende wochenlang auf der Straße, bis das Gesetz zurückgezogen wurde. Aber wirklich für Politik interessiert sich kaum jemand. Allen ist klar, dass es denen nur um die besten Plätze an den Fleischtöpfen geht. Vor der Wahl hat Chirac den Leuten 33% Steuerermäßigung versprochen, ich verstehe nichts von Ökonomie, aber da war selbst mir klar, dass kann nicht funktionieren. Chirac lügt von morgens bis abends. Die Leute glauben ihm kein Wort mehr. Das Einzige, was in Frankreich bestens organisiert ist, ist die Sicherheit. Überall werden Kameras angeschraubt.

Was gibt es noch für Alternativen, abgesehen davon, sich total ins Privatleben zurückzuziehen?
Klein: Der Individualismus wird immer größer. Aber es gab jetzt den Fall, dass ein Schüler, nachdem er seinen Abschluss nicht geschafft hatte, abgeschoben werden sollte. Schüler werden von der Polizei aus der Schule geholt, ins Flugzeug gesteckt und abgeschoben. Das sind doch die Methoden des Vichy-Regimes, das hat man früher mit den Juden gemacht oder passiert jetzt, wenn afrikanische Flüchtlinge einfach in der Wüste ausgesetzt werden. Da gibt es jetzt eine Bewegung in Frankreich, dass Lehrer ihre Schüler vor der Polizei verstecken.

Wenn Wahlen nichts mehr nützen scheinen, ist es Zeit für den zivilen Ungehorsam?
Klein: Ja, und die Lehrer, die da Kinder verstecken sind immerhin Beamte…

Haben Sie eigentlich zur WM die Renaissance des deutschen Fahnenschwenkens mit bekommen?
Klein: Ich finde das entsetzlich. Als ich hier nach München kam: Fahnen überall! Ich dachte: Was ist jetzt los? Haben sie den Hitler ausgegraben? (lacht). Aber so geht es mir auch, wenn sie das in Frankreich machen. Dieses Nationalistische ist mir ein Ekel. Wenn die am 14.Juli ihre Fahnen wackeln, bleibe ich zu Hause. Mich haben sie aus meiner Kneipe rausgeschmissen, weil ich beim Endspiel rein kam und „Viva Italia!“ rief. Das ist wohl meine provokative Ader.

Ein Kommentar zu “Ich würde nicht mehr zur Waffe greifen.”

  1. Lee aus Korea |

    Umm…

    Interresant !!

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