Grandhotel Cosmopolis

Haben Menschen nicht auch das Recht, Träume zu haben?

Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg beherbergt Künstler, Hotelgäste und Asylsuchende unter einem Dach. Elke Eckert sprach mit den Initiatoren Sebastian Kochs und Pfarrer Fritz Graßmann über ein Hotel der besonderen Art, anfängliche Proteste und notwendige Reformen in der deutschen Zuwanderungsspolitik.

Grandhotel Cosmopolis

Sebastian Kochs (l.) und Fritz Graßmann © Elke Eckert

Herr Kochs, warum heißt Ihr Projekt, das Asylbewerberheim, Hotel und Kulturraum vereint, „Grandhotel Cosmopolis“?

Sebastian Kochs: Das kommt aus der Anfangsphase. Da haben wir in einer lauen Sommernacht rumgesponnen und überlegt, wie das Haus werden soll. Und wie man die Internationalität, die Flüchtlinge mitbringen, in einen anderen Kontext setzen kann, damit sie von einer Belastung zu etwas Spannendem wird. So kam es zu der Idee eines Grandhotels des ausgehenden 19., beginnenden 20. Jahrhunderts, in dem internationale Gäste sind, aber in das auch Leute aus dem Umfeld, aus der Stadt reingehen, und wo eine Begegnung auf einer ganz niederschwelligen Ebene stattfinden kann. Daraus ließ sich auch ableiten, dass es in diesem Hotel Gäste mit und ohne Asyl gibt.

Herr Graßmann, ursprünglich kam die Regierung von Schwaben auf Sie zu, weil sie Unterkünfte für Asylbewerber suchte…

Fritz Graßmann: Ja, es war ja schon länger bekannt, dass es ein leerstehendes Gebäude bei der Diakonie gibt. Und die Regierung brauchte dringend Flüchtlingsunterkünfte, weil nach einem massiven Rückgang die Flüchtlingszahlen ab 2010 plötzlich wieder gestiegen sind.

Herr Kochs, Sie und Ihre Mitstreiter hatten etwa zur gleichen Zeit die Idee, in dem Gebäude ein Kulturhotel zu errichten…

Kochs: Genau, wir wussten, da gibt’s ein leerstehendes Haus, und wir müssen uns jetzt was einfallen lassen, was wir da machen könnten. Als wir erfuhren, dass dort Flüchtlinge einziehen sollen, haben wir uns überlegt, wie wir damit umgehen, wenn ein Teil des Hauses für Flüchtlinge vergeben wird. So entstand dann diese Grandhotel-Idee, die auch die Diakonie überzeugte und die wir im September 2011 der Regierung von Schwaben vorstellten.

Wie haben die Anwohner auf den Plan, hier Flüchtlinge unterzubringen, reagiert?

Graßmann: Die Nachbarn waren am Anfang sehr skeptisch. Da gab es schon viele Bedenken, manche dachten, diese Künstlergruppe sei nur ein Alibi, das die Regierung und die Diakonie nutzen, um das hier durchzuziehen. Aber im Großen und Ganzen muss man sagen, dass es nach ersten, großen Protesten in der Nachbarschaft im November 2011, ab 2012 deutlich ruhiger geworden ist.

Wie äußerte sich der Protest damals?

Graßmann: Die Information, dass hier Asylbewerber angesiedelt werden sollen, ist leider anders publik geworden, als wir das wollten.

Kochs: Als wir mit der Konzeption etwa halb fertig waren, gab es hier im Umfeld zwei Treffen, bei denen rund hundert Leute anwesend waren, wo das richtig hochkochte. Die Regierung von Schwaben hatte ursprünglich nur eine direkte Anwohnerin informiert, weil nur ihr Haus direkt an das Grundstück der Diakonie grenzt. Daraus entstanden dann viele Gerüchte.

Wie haben Sie die Situation in den Griff bekommen?

Graßmann: Ich musste mich mit der zuständigen Sachgebietsleiterin von der Regierung den Anwohnern stellen. Damals prallten die Meinungen sehr hart aufeinander. Wenig später kam es dann zu einer Veranstaltung, die der Verein organisiert hat. Da hat die Luft auch ganz schön geknistert, und es gab ein paar ganz heftige Äußerungen. Manche sind auch wutentbrannt gegangen. Aber die meisten sind geblieben, und dann ist die Stimmung ins Positive gekippt und es haben sich kleine Gespräche entwickelt, Schritt für Schritt. Letztlich war das vielleicht die Wende, diese Veranstaltung.

© Elke Eckert

© Elke Eckert

Was waren denn die Befürchtungen der Nachbarn?

Graßmann: Das waren die Befürchtungen, die sie so oder ähnlich wahrscheinlich überall finden: Was bedeutet das für die Immobilienpreise? Ist es hier nicht zu eng für so viele Flüchtlinge? Und die dritte Befürchtung war in meinen Augen die wichtigste und die richtigste: Hier fehlt sowieso schon der Raum für Kinder, es gibt keine Spielplätze. Wo sollen sich die Flüchtlingsfamilien eigentlich aufhalten?

Der Grund für die anfängliche Ablehnung war also nicht Fremdenfeindlichkeit?

Graßmann: Nein, das war es nie. Grundsätzlich wohnen hier im Domviertel ja auch Leute, die eine bunte Stadt wollen und von denen die wenigsten Berührungsängste mit anderen Kulturen haben. Aber da und dort gab’s mit Sicherheit Angst vor dem, was kommt.

Die Reaktionen waren aber nicht mit denen in Berlin-Hellersdorf vergleichbar?

Graßmann: Nein, überhaupt nicht.

Womit konnten Sie die Anwohner bei Ihren Veranstaltungen beruhigen?

Kochs: Ich glaube, ganz wichtig ist – und das ist z. B. in Hellersdorf falsch gelaufen – dass die Ängste, die Unsicherheit und die Wut von Anwohnern ernst genommen werden. Wenn sie zu spät, unzureichend oder gar nicht informiert werden, dann führt das zu einer Konfrontation. Man muss erstmal die Ängste zulassen, und sagen: Wir können euch verstehen. Das war, glaube ich, der Schlüssel. Wir haben gesagt, seht uns doch nicht als Feinde, wir sind genauso wie ihr der Meinung, dass es nicht richtig ist, wenn alles weitgehend heimlich vorbereitet wird und es erst, wenn alles fast fertig ist, heißt, da kommen übrigens jetzt dann Flüchtlinge. Dass man da sauer ist, ist verständlich. Wir haben uns aber auch gegen den Vorwurf gewehrt, nur das Deckmäntelchen zu sein, das von der Regierung missbraucht wird. Wir sind genauso Bürger, aber wir haben eben beschlossen, unsere Bürgerpflicht in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden.

Das hat die Anwohner überzeugt?

Kochs: Ja, ich glaube schon. Wir haben sie auch noch aufgefordert, uns ihre Anregungen dazulassen, damit wir sie in unsere Planungen einbeziehen können. Außerdem haben wir immer wieder das Haus geöffnet, in unserem Lobby-Café Kaffee und Kuchen angeboten, Führungen durchs Haus gemacht und den Leuten erklärt, wie alles mal werden soll.

Graßmann: Das hat auf jeden Fall dazu geführt, dass das Vertrauen in den Verein und in das Projekt gewachsen ist, und es hat gezeigt, dass da wirklich Leute sind, die sich verlässlich um die Flüchtlinge kümmern. Die Künstler werden hier durchaus als Bereicherung erlebt. Sowohl von den Nachbarn als auch von den Mitarbeitern der Diakonie.

Kochs: Ich glaube, da kommt dann auch wieder diese Hotelidee zum Tragen. Dass es in unserer Lobby immer jemanden gibt, dem man seine Sorgen und Wünsche mitteilen kann, unterscheidet das Grandhotel natürlich massiv von jeder anderen Asylbewerber-Unterkunft.

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Hier soll ein Ort entstehen, der eine Heimat auf Zeit ist für alle Menschen, egal, woher sie kommen.

Grandhotel Cosmopolis

Wieviele Ehrenamtliche waren bislang an dem Projekt beteiligt?

Kochs: Das ist ganz schwer zu sagen, weil es ja immer wieder mal Leute gab, die nur für einen Tag oder ein paar Stunden geholfen haben. So über den Daumen gepeilt, müssten es um die 500 sein. Augsburger, aber auch Menschen aus anderen Nationen, aus Japan, aus Italien, aus Spanien oder aus Israel.

Wieviele Flüchtlinge können Sie aufnehmen?

Graßmann: Genau 58. Mitte Juli 2013 sind die ersten eingezogen und innerhalb von vier Wochen waren unsere Zimmer voll belegt. Und das ist seitdem auch durchgehend so geblieben. Im Moment sind es ausschließlich Familien, 30 der 58 Hotelgäste mit Asyl sind Kinder. Die meisten von ihnen sind in Zweibettzimmern untergebracht, wobei wir Ausnahmen machen, wenn Eltern ihre kleinen Kinder bei sich haben möchten.

Wie gestaltet sich denn das Miteinander von Hotelgästen und Flüchtlingen?

Kochs: Das ist total unkompliziert. Erstens wissen ja alle Hotelgäste, in was für ein Hotel sie sich einquartiert haben. Und zweitens ist es spannend und faszinierend zu sehen, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Hotelgästen nicht besonders groß sind. Nur, dass die Hotelgäste mit Asyl halt relativ viele Kinder haben und diese natürlich ein bisschen mehr Alarm machen als Erwachsene. Aber deswegen hat sich bisher noch niemand beschwert.

Kommt es auch zu Kontakten untereinander?

Kochs: Am meisten passiert das bei Veranstaltungen, da mischt sich das. Ansonsten bekommen wir in einem so großen Haus mit sechs Stockwerken oft einfach nicht mit, wenn sich die Hotelgäste miteinander unterhalten. Aber am leichtesten und häufigsten entsteht der Kontakt über die Kinder.

Bekommen Sie Reaktionen von den Hotelgästen ohne Asyl?

Kochs: Ja, die sind generell begeistert. Wir haben ja ein Gästebuch, in das sich alle eintragen können. Und wir haben auch schon Post bekommen, wo sich jemand im Nachhinein bedankt hat, weil er es hier so toll fand. Es kam auch schon öfter das Feedback, dass sich ein Urlaub im Grandhotel anfühlt, als wäre man nicht in Augsburg, sondern viel weiter weg.

Wie ist der Hotelteil ohne Asyl ausgelastet?

Kochs: Momentan liegen wir genau im Schnitt, den Augsburg allgemein hat, zwischen 40 und 50 Prozent. Und die Nachfrage hält an. Wochenweise ist das Hotel komplett ausgebucht.

Woher stammen die ganzen Möbel?

Kochs: Wir haben über die lokale Presse nach gebrauchten Möbeln gesucht und sind dann wirklich überrannt worden. Das war phänomenal, viel besser als wir das erwartet hätten. Auf diese Weise und durch Haushaltsauflösungen sind wir letztendlich an die ganze Ausstattung gekommen. Die Zimmer haben wir individuell eingerichtet, wobei wir alle erstmal ganz weiß gestrichen haben. Denn ursprünglich war die Idee, dass die Flüchtlinge selber entscheiden sollten, wie und mit welcher Farbe sie ihr Zimmer streichen wollen.

Ist jetzt schon alles schön bunt?

Kochs: Nein, dazu ist es bis jetzt leider nicht gekommen, weil die Abschiebungsfristen inzwischen so kurz geworden sind, dass die erste Abschiebung für eine der drei Flüchtlingsfamilien, die am 18. Juli 2013 eingezogen sind, bereits einen Tag später ausgestellt worden ist. Bis der Abschiebebescheid hier war, hat es dann noch etwa eine Woche gedauert. Wir hatten gerade mit den Beschäftigungsangeboten für die Flüchtlinge angefangen, damit ihre Tage nicht so lang sind. Die Stimmung hat dadurch natürlich einen deutlichen Dämpfer bekommen.

Sind in der Zwischenzeit noch weitere Abschiebebescheide angekommen?

Kochs: Ja, innerhalb dieser ersten Monate gab es relativ schnell ziemlich viele Bescheide. Inzwischen sind sieben Familien davon betroffen, über die Hälfte der Flüchtlinge, die bei uns wohnen. Und bei ein paar anderen steht’s mehr oder weniger ins Haus. Es gelingt uns deshalb immer nur teilweise, die betroffenen Familien aus ihrer Lethargie und Angst rauszuholen. Wir versuchen, sie aufzubauen und schauen, was man tun kann, wenn Leute z. B. nach Polen abgeschoben werden sollen.

Was tun Sie da ganz konkret?

Kochs: Wir haben z. B. eine Petition im Bayerischen Landtag gestellt, dass keine Rückführungen mehr nach Polen stattfinden dürfen. Damit haben wir uns auch explizit gegen das Verfahren innerhalb der EU, die sogenannte Dublin-II-Verordnung, ausgesprochen, die besagt, dass man als Flüchtling nur einen Asylantrag stellen darf, und zwar nur in dem Land, in dem man europäischen Boden betreten hat, dem sogenannten Erstland.

Ist aus dem Engagement für das Hotel somit auch ein politisches geworden?

Kochs: Wir versuchen, nicht nur etwas für die Leute zu tun, die bei uns sind. Dadurch, dass das Grandhotel mehr Aufmerksamkeit bekommt als jede andere Flüchtlingsunterkunft erwächst auch eine Verantwortung. Das heißt, wenn man schon das Ohr der Politiker oder der Presse hat, muss man auch versuchen, grundsätzlich etwas zu verändern. Wir sehen zum Beispiel, dass es gerade mit Polen ein Riesenproblem gibt, das aber wenig Aufmerksamkeit erfährt. Unserer Meinung nach verstoßen die Verfahren in Polen gegen geltendes Völkerrecht. Die Flüchtlinge werden dort in ehemaligen Gefängnissen untergebracht und sind dann 23 Stunden am Tag eingesperrt. Das ist jetzt keine Verteufelung der Polen, das ist ja vor allem ein Ausdruck von deren Hilflosigkeit. Aber da muss etwas passieren.

Seit Januar 2014 gilt die Nachfolge-Verordnung Dublin III, in der der Erstland-Passus beibehalten wird, und damit auch weiterhin den südlichen und ärmeren EU-Staaten eine größere Verpflichtung und Belastung auferlegt wird als den reicheren nördlichen Staaten…

Kochs: Ja, und das halte ich ganz persönlich für ein Verbrechen, vor allen Dingen, weil diese Vereinigung von Ländern, um die es hier geht, die Europäische Union, aus ganz anderen Gedanken heraus gegründet wurde. Da ging es ja eigentlich um Dinge wie Friedfertigkeit unter den Völkern, dafür hat die EU sogar einen Friedensnobelpreis bekommen. Ein Friedensnobelpreisträger hat meiner Meinung nach die Verpflichtung, sich moralisch anders zu verhalten.

Warum gibt es trotzdem im Kern keine Änderung dieser Verordnung?

Kochs: Weil die mächtigen EU-Staaten kein wirkliches Interesse daran haben, das zu ändern. Die Dublin-Verordnung ist nur auf Initiative von Frankreich und Deutschland entstanden, die sehr großen Druck auf die anderen Staaten ausgeübt haben. Weil sie mitten in Europa liegen, haben sie wenig Außengrenzen und sind somit keine sogenannten Erstländer. Was auch bedeutet, dass nach Frankreich oder Deutschland niemand auf legalem Weg direkt einreisen kann.

Dadurch verschärft sich die Situation in den Anrainerländern immer mehr…

Kochs: Klar, ursprünglich war im Dublin-II-Abkommen festgelegt worden, dass die Länder, die davon profitieren, also Deutschland und Frankreich, große Ausgleichszahlungen erstatten müssen. Davon sind bisher aber nur Teilbeträge gezahlt worden. Und die südeuropäischen Länder, und auch Polen, sind ja nicht gerade wohlhabend und haben im Moment genügend andere Probleme. Da gibt es tatsächlich ein großes Solidaritätsproblem innerhalb von Europa.

Kurioserweise fordert aber ausgerechnet die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag mehr Solidarität unter den EU-Staaten. Sind solche Forderungen nicht bestenfalls blauäugig, wenn man sich die prekären Zustände anschaut, die zurzeit in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland herrschen?

Kochs: Natürlich, es gibt sogar schon Gerichtsbeschlüsse, dass man nach Griechenland nicht mehr abschieben darf, weil es kein sicheres Drittland mehr ist. Weil man gesagt hat, die Zustände in Griechenland sind so schlecht, dass Flüchtlinge, die aus Griechenland weitergewandert sind, nicht mehr dorthin zurückgeschickt werden dürfen. In dem Fall ist Dublin II schon außer Kraft gesetzt. Aber auch Italien und Spanien haben massive Schlagseite. Und das Ganze wird auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, die geflohen sind, weil es ihnen sowieso schon schlecht geht.

Graßmann: Man müsste in Deutschland auf alle Fälle eine ganz klare Zuwanderungspolitik entwickeln. Die Leute, die kommen – und das erleben wir ja hier im Grandhotel – sind in der Mehrzahl jung, motiviert und einige gut ausgebildet. Solche Leute brauchen wir ja eigentlich. Man könnte mit Sicherheit manches besser steuern, wenn man es nicht gleich mit diesem Tabu belegen würde, „das sind alles Asylbewerber, die wollen wir hier nicht – und außerdem können wir ja nicht alle aufnehmen“.

Von politischer Seite heißt es oft: Flüchtlinge aus Krisengebieten ja, Wirtschaftsflüchtlinge nein…

Graßmann: Aber haben Menschen nicht auch das Recht zu sagen, ich fliehe vor allergrößter wirtschaftlicher Not? Und haben Menschen nicht auch das Recht, Träume zu haben? Wenn man das einfach mal so sieht, dann könnte man, glaube ich, zu einer viel vernünftigeren Politik kommen und würde nicht mehr anfangen zu überlegen, ob jetzt Italien 10.000 mehr oder 10.000 weniger aufnimmt als wir. Und dass die Situation in Griechenland katastrophal ist, das müsste mittlerweile jeder sehen.

Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge schlägt vor, sich erst einmal die berufliche Qualifikation der Zuwanderer anzuschauen und sie gegebenenfalls in Arbeit zu bringen, bevor sie in ein Asylverfahren gedrängt werden. Wäre das ein guter Reformansatz?

Graßmann: Ja, natürlich. Ich denke, die Leute möglichst schnell arbeiten zu lassen, ist ganz wichtig. Aber dann sollte man nicht sagen, die gut Ausgebildeten, die wollen wir behalten und die anderen nicht. Ich glaube, dass die meisten, auch wenn sie nicht so hoch qualifiziert sind, sehr schnell einsetzbar wären.

Mit dem Hotel tragen Sie nun direkt zur Integration der Ankömmlinge bei…

Kochs: Für uns war bei der Konzeption sehr wichtig, dass eine gelungene Willkommenskultur bei den Leuten anfängt, die hier leben. Hier soll ein Ort entstehen, der eine Heimat auf Zeit ist für alle Menschen, egal, woher sie kommen. Nur so kann eine ganz niederschwellige Interaktion ohne Barrieren funktionieren. Und deswegen ist auch der Bereich, der dezidiert keine Flüchtlingsarbeit ist, für dieses Haus und den Erfolg dieses Hauses maßgeblich entscheidend.

Wie sieht die Finanzierung des Grandhotels aus?

Graßmann: Das ist relativ leicht erklärt. Alles, was an Baukosten anfällt oder angefallen ist, trägt die Diakonie. Das muss dann natürlich über Miete wieder reinkommen, wobei es den Mieter „Regierung“ gibt, der die Flüchtlingsunterkünfte gemietet hat, und den Mieter „Verein“. Letzterer zahlt eine sehr viel niedrigere Miete, was damit zusammenhängt, dass ganz viel Arbeitszeit der Vereinsmitglieder in dieses Projekt reingeflossen ist, für die wir – von kleinen Ausnahmen abgesehen – keine Personalkosten investieren mussten. Es ist ja sehr viel über ehrenamtliches Engagement gelaufen.

Glauben Sie, dass sich das Grandhotel eines Tages rechnet?

Graßmann: Ich denke, dass es für die Diakonie schon ein Zuschussprojekt ist, aber es muss in einem überschaubaren Rahmen bleiben, und davon gehen wir auch aus.

Wie finanziert sich der Verein, Herr Kochs?

Kochs: Das ist nicht so einfach. Es gibt zwar Einnahmen aus den Vermietungen für die Hotelräume, aus dem Konsum der Kaffeebar und aus dem Umsatz, den die Bürgergaststätte hoffentlich bald erwirtschaften wird. Aber dieses Projekt wird auf Dauer nur zu halten sein, wenn es in der Lage ist, diesen Siebentagebetrieb in zwei oder drei Schichten zu tragen, zumindest für diejenigen, die hauptsächlich hier sind. Denen wollen wir irgendwann zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes finanzieren können. Wenn es so weitergeht wie bisher, wird es das Projekt nicht lange geben, weil einige Leute, die sich wirklich konsequent dem Projekt verschrieben haben, ihre Finanzen aufgebraucht haben. Entweder gehen die dem Projekt dann verloren, oder man kann sie halten, indem es zumindest eine Grundsicherung für ihr Engagement gibt.

Graßmann: Ich glaube auch, dass wir uns als Gesellschaft überlegen müssen, ob wir uns das nicht auch was kosten lassen müssen. Weil hier Menschen bereit sind, sich an einem sehr vorgeschobenen Posten unserer Gesellschaft zu engagieren und dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge, von denen ja vermutlich etwa die Hälfte in Deutschland bleiben wird – dazu gibt’s entsprechende Untersuchungen – relativ schnell in unsere Gesellschaft und auch in den Arbeitsmarkt reinfinden. Das hat ja alles durchaus auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen. Und es wäre eine ganz wichtige Investition in die Zukunft.

Würden Sie Ihr Modell auch anderen engagierten Bürgern empfehlen?

Kochs: Das machen wir bereits. Wir sind nach Hamburg eingeladen worden, um unser Konzept vorzustellen. Es gab auch schon Gespräche in Berlin, mit einem Initiatorenkreis, der gesagt hat, wir müssen das in Hellersdorf irgendwie in den Griff kriegen. Und es gibt auch Kontakte nach Wien wegen eines Gebäudes, in dem vielleicht etwas Ähnliches entstehen soll.

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