„Katze im Sack“ erzählt von der Kellnerin Doris, ihrer Affäre zu dem alternden Sicherheitsfachmann Brockmann und ihrer seltsamen Reisebekanntschaft Karl. Herr Schwarz, Sie sagen, es sei „ein Film für alle, die keine Liebesfilme mögen.“ Was haben Sie gegen Liebesfilme?
Florian Schwarz: Gar nichts, „Katze im Sack“ ist ein Liebesfilm. Es ist so eine Spielerei, weil Liebe nicht direkt stattfindet im Film. Aber die Leute sind alle auf der Suche und getrieben von der Sehnsucht nach Liebe, die sie nicht erleben.
Ist diese Sehnsucht auch im realen Leben der Antrieb für alles, was uns vorwärts bringt?
Florian Schwarz: Doch, ich glaube schon. Ich bin auch von Sehnsucht beseelt und mag sehnsuchtsvolle Filme. Sehnsucht ist immer eine starke Triebfeder für Geschichten, für Figuren, Charaktere.
Warum der Titel „Katze im Sack“?
Michael Proehl: Da gibt es die Bedeutung auf der Meta-Ebene: Die Katze im Sack kaufen. Das heißt, man lässt sich auf etwas ein, ohne zu wissen, was man bekommt. So funktionieren die Liebesbeziehungen im Film: die Figuren lassen sich aufeinander ein, wissen nicht genau, was passiert und stoßen sich schnell wieder ab.
Die Figuren irren scheinbar ziellos durch das nächtliche Leipzig. Man weiß nicht, woher sie kommen und was sie in ihrem bisherigen Leben getan haben.
Jule Böwe: Aber die Figuren haben natürlich alle Biographien. Sie werden im Film nur nicht erklärt.
Aber welche Ziele haben diese Personen? Wo wollen sie hin?
Florian Schwarz: Das Spannende an den Figuren ist, dass sie das selbst nicht genau wissen. Deshalb sind sie ja auch so getrieben in der Nacht. Und die meisten von ihnen erleben in dem Film eine Art Kontrollverlust. Das ist beängstigend. Ich finde der Film hat fast schon Horrorfilmqualitäten – in dem Sinne, dass er auch die Angst vor sich selber thematisiert.
Die Figuren von „Katze im Sack“ führen ziemlich gestörte Beziehungen. Ist es ein Ausdruck der gegenwärtigen Gesellschaft, das man immer weniger bereit ist, sich zu öffnen und Beziehungen einzugehen?
Jule Böwe: Der Film ist auf jeden Fall kein Statement dafür, auch wenn es natürlich in der Gesellschaft verbreitet ist.
Florian Schwarz: Genau. So was legt sich dann auch in eine Geschichte hinein, wenn man sie schreibt. Es war nicht das erklärte Ziel, aber sicher zeigt der Film eine gewisse Sprachlosigkeit in Beziehungen. Zunächst mal verweisen die Figuren und die Geschichte allerdings auf sich selbst.
Michael Proehl: Ich meine, das ist natürlich auch ein Phänomen in der westlichen Industriegesellschaft (alle lachen) – ganz groß, ja!(lacht) Hier gibt es vielleicht so eine neue Armut. Wenn wir Filme aus dem Ausland sehen, die in Kriegsgebieten spielen, dann sind die Konflikte da natürlich sehr äußerlich: Überlebe ich oder überlebe ich nicht? Kriege ich heute mein Brot oder nicht? In unserer Gesellschaft bekomme ich mein Brot und leben kann ich irgendwie – egal, ob ich reich oder arm bin. Probleme verlagern sich, bekommen eine andere Fokussierung. Da tauchen dann Figuren auf in der Großstadt, die plötzlich merken, dass sie ein Leben führen, von dem sie nicht genau wissen, ob sie es überhaupt wollen. Erwarten sie eigentlich mehr vom Leben? Was bringen sie aus ihrer Vergangenheit mit? Diese Zerrissenheit findet sich auch in unserem Film wieder.
Welche Bedeutung hat Sex für die Charaktere?
Florian Schwarz: Beim Sex können sich die Figuren entladen, aber eigentlich steht Sex stellvertretend für etwas Anderes: für Suche, auch für Verzweiflung. Und da es in dem Film auch stark um Begehren, Lust und Flirt geht, ist Erotik immanent.
Michael Proehl: Heutzutage wird Sex gar nicht mehr so stark als intimes Erlebnis empfunden. Ich kenne Frauen, für die Küssen intimer ist als Geschlechtsverkehr. Heute ist es leichter sexuellen Verkehr zu haben, denn es bedeutet nicht, dass man danach eine gemeinsame Beziehung führen muss. Und der Sex im Film hat insofern keine Bedeutung, denn eigentlich suchen die Figuren ja eine Beziehung.
Insgesamt sind die Figuren ziemlich verkorkste Existenzen. Gibt es trotzdem noch Hoffnung, dass sie irgendwann mal ein glückliches Leben führen werden?
Florian Schwarz: Ich finde die eigentlich gar nicht so verkorkst. Ihre Probleme sind im Film mit einer gewissen Lust an der Übertreibung zwar etwas übersteigert, aber eigentlich handelt sich um sehr alte Probleme, Bindungs- und Verlustängste. Ich sehe auf jeden Fall Hoffnung – gerade am Ende. Da geht es weniger darum, ob die beiden wie in der klassischen Liebesgeschichte schließlich zusammen kommen. Viel wichtiger ist, was jede Figur für sich gelernt oder mitgenommen hat aus dieser schicksalhaften Nacht. Und da sehe ich durchaus Hoffung, wohin auch immer die Reise führt und der Zug fährt – es geht weiter.
Michael Proehl: Da wo noch Leben ist, ist auch noch Hoffung. (lacht) Die Figuren haben sich ja schon innerhalb des Films geändert. Und wir sind Optimisten, das heißt, wir glauben auch an das Gute, selbst wenn es verkorkste Existenzen sind. Und wir wünschen ihnen alles Gute. (alle lachen) Irgendwo wird es ein Licht im Tunnel geben, das hoffen wir ganz inständig. Daumen drücken. (lacht)
Florian Schwarz: Diesen Optimismus versuchen wir auch im Film auszudrücken. Es gibt durchaus komische Momente, nicht nur düstere und depressive Bilder. Michael Proehl: Genau, eigentlich ist es auch ein sehr emotionaler Film. Die Figuren haben Gefühle, sie sind nicht kalt. In ihnen steckt viel Wärme und Sehnsucht.
"Katze im Sack" war Ihr Abschlußfilm an der Filmakademie Ludwigsburg, Ihr Spielfilmdebüt – und gleich so unheimlich erfolgreich. Da ist man gespannt, wie es weitergeht.
Florian Schwarz: Wir arbeiten jetzt an neuen Projekten, haben viele Ideen und auch die Aussicht, sie umsetzen zu können. Das gibt einem einfach nur das Gefühl von einer guten Perspektive. Mal sehen, wie das in einem Jahr aussieht.
Können Sie schon etwas zu dem Projekt sagen, an dem Sie gerade arbeiten?
Florian Schwarz: Es gibt einen schönen Titel: "Der Weg allen Fleisches". Es hat auch etwas mit Liebe zu tun, aber etwas existentialistischer erzählt. Belassen wir es mal dabei.