Herr Gietinger, wie sind Sie heute nach Dresden gekommen?
Mit der Bahn. Ich fahre sehr gerne Zug, ich bin auch ein richtiger Bahn-Fan, ich habe gar kein Auto.
Mit "Heinrich der Säger" kommt erstmals ein Film in die deutschen Kinos, der die Deutsche Bahn kritisiert. Welche Auflagen hat die Bahn gegenüber Ihrem Film gemacht?
Der Film ist eigentlich gar nicht gegen die Deutsche Bahn, er ist sogar pro Bahn. Er richtet sich nur gegen eine bestimmte Bahn-Politik, die die Deutsche Bahn zur Zeit betreibt, was auch die offizielle Verkehrspolitik ist. Wir konnten aber natürlich nicht ohne die Hilfe der Deutschen Bahn drehen, schließlich ist sie ja immer noch Monopolist. Und als die Leute von der Bahn das Drehbuch gelesen haben, waren die überhaupt nicht begeistert. Einerseits weil sie Angst hatten, dass es Nachahmer vom Säger geben könnte und andererseits weil ihre Politik kritisiert wird. Und von daher wollten die nicht, dass Deutsche Bahn draufsteht, weshalb wir den fiktiven Namen "Kommerzbahn" vorgeschlagen haben. Damit war dann auch die Bahn – etwas widerwillig – einverstanden. Außerdem verlangte die Bahn, das zeitliche Umfeld des Film verschwimmen zu lassen.
So richtig hat sich der Bürger in Deutschland noch nicht gewehrt gegen die Politik der Bahn. Sollte man gegen die Bahn demonstrieren?
Man müsste auf jeden Fall gegen den Kahlschlag bei der Bahn demonstrieren. Aber ich will auch ein Vorurteil aufräumen: Bahnfahren ist nicht teurer als Autofahren, zumindest, wenn man alleine Auto fährt. Man unterschätzt immer, was ein Kilometer mit dem Auto kostet, die meisten Leute rechnen das nicht so genau nach. Aber es müsste natürlich ganz andere Bahnpolitik gefahren werden. Die Bahn müsste attraktive Angebote machen, sie müsste als Konkurrent vom Auto so auftreten, dass man mit der Bahn genauso schnell von einem Ort zum anderen kommt wie mit dem Auto, vor allem natürlich auf dem Land. Und dann könnte sie sicher auch die jungen Leute in die Züge kriegen.
Der Film spielt in der Provinz, hat aber gewisse sehr skurrile Eckpunkte, wie beispielsweise die schräge Polizei-Assistentin Braun. Sind das Dinge, die Sie selbst auf dem Land erlebt haben?
Ja, ich baue natürlich ab und zu Selbsterlebtes, Autobiographisches ein. Viel wichtiger ist mir aber immer die Geschichte. Nur versuche ich, die Geschichte nicht bierernst, teutonisch zu erzählen, sondern immer mit Witz und Skurrilem. Das ist in Deutschland ungewohnt, aber das Publikum mag es. Es gibt manchen Kritiker, der ist etwas verwirrt. Aber mir ist es wichtig, dass die Leute aus meinen Filmen mit einer gewissen Beschwingtheit rauskommen und nicht todtraurig sind.
Meret Becker spielt die erzkatholische Tochter des Sägers auch sehr skurril, wie ich finde.
Ich habe eine katholische Ader, ich wurde katholisch erzogen. Ich komme aus Bayern, aus dem Allgäu, wo es halt zu meiner Zeit noch sehr katholisch war. Und insofern kommt der Katholizismus auch bei mir im Film vor.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Vater-Tochter-Gespann Rolf und Meret Becker?
Das war sehr professionell. Da hat diese familiäre Konstellation eigentlich keine Rolle gespielt, auch wenn die beiden das erste Mal zusammen gespielt haben. Das sind beides Profis und beides Superschauspieler. Für mich war das wirklich eine Ehre mit den beiden zu drehen und ich würde mit beiden gerne wieder arbeiten.
"Heinrich der Säger" ist Ihr erster Kinofilm nach zwölf Jahren. In den letzten 12 Jahren hat sich die deutsche Kinolandschaft enorm entwickelt. Was hatten Sie für ein Gefühl bei der Arbeit nach so langer Zeit?
Das war ein sehr gutes Gefühl, es ist es sehr toll einen Kinofilm zu machen, das ist eben doch noch etwas anderes, als fürs Fernsehen zu arbeiten, was ich auch gerne tue. Aber das Herzblut hängt an so einem Kinofilm, das ist wie ein Trip. Man steht ständig unter Strom unter Anspannung, man kommt eigentlich gar nicht zur Ruhe, man kann auch nicht richtig schlafen, man ist sozusagen immer auf Sendung. Das ist ein irrsinniges Erlebnis.
Ist es innerhalb dieser letzten 12 Jahre schwieriger geworden in Deutschland einen Kinofilm zu machen?
Ja, für mich schon, weil ich halt konsequent meinen Stil weiterentwickle und meinen Stil radikalisiere. Das ist nicht unbedingt das was sich mancher Kritiker oder mancher Feuilletonist vorstellt, aber ich habe das Gefühl, beim Publikum kommt es an.
Welche deutschen Kinoproduktionen der letzen Jahre haben Ihnen gefallen?
Ich fand "Die innere Sicherheit" sehr gut, als Dokumentarfilm den "Blackbox BRD", ich fand auch "Das Experiment" nicht schlecht. Bei den Komödien fand ich den "Viktor Vogel" eigentlich auch nicht schlecht, schade nur, dass der nicht so toll gelaufen ist
Komödien müssen in Deutschland immer noch ein bisschen mehr kämpfen…
Ja, der Humor, der Witz hat in Deutschland keine richtige Tradition, das ist sehr schwer. Dieses Genre wird nicht ernst genommen, aber man muss Komödien ernst nehmen, vor allem, wenn man sie selbst macht. Ich finde auch schade, dass die Kritiker sich immer nur zwei Extreme wählen. Das eine ist die Klamotte, das andere ist die Beziehungskomödie. Was anderes gibt es in deren Köpfen nicht.
In welchem Alter kam bei Ihnen der Wunsch, auf dem Regie-Stuhl zu sitzen?
Mit 15, da habe ich versucht mein erstes Drehbuch zu schreiben, was mir aber nicht gelungen ist. Mit 18 habe ich dann das erste Mal ein Drehbuch durchgeschrieben, ich war damals sehr angeregt von einem Musikstück, Stravinskys "Le sacre du printemps", ein Klassiker der Moderne. Darauf wollte ich einen Film machen, der allerdings nie gedreht worden ist. Dann habe ich angefangen mit Super-8 Kurzfilme zu machen, so ein bisschen trashig eben. Das hat sich immer weiterentwickelt, Freunde kamen dazu und irgendwann haben wir einen langen Spielfilm gemacht, historisch mit Kostümen. Mit dem Film sind wir über Land gefahren und es sind viele Leute gekommen und so kamen wir ins kleine Fernsehspiel beim ZDF rein. Da haben wir dann ziemlich kleine, dreckige Filme gemacht, die aber auch ganz gut ankamen.
Was wollen Sie in den nächsten Jahren für Projekte verwirklichen?
Da gibt es ein Projekt, was aber sehr aufwendig ist. Eine Komödie, die die ganze Zeit nur auf einem Flughafen spielt, wo sich mehrere Leute nicht mehr wiederfinden, woraus sich sehr absurde Situationen entwickeln. Es gibt auch eine Verfolgung, es gibt Böse und Gute und am Ende geht der ganze Flughafen zu Bruch – sehr skurril und extrem, aber mal schau’n, was draus wird.
Wie erleben Sie die aktuelle Situation der Filmfinanzierung in Deutschland, wird einem heutzutage schnell unter die Arme gegriffen?
Nein, für "Heinrich der Säger" habe ich sechs Jahre gebraucht, bis ich ihn finanziert hatte. Und wenn der Co-Produzent Ralf Kukula nicht gewesen wäre, hätte ich den Film wahrscheinlich gar nicht gemacht. Ich hatte den Film eigentlich schon aufgegeben. Es ist sehr schwer einen Film zu finanzieren, was nicht damit zu tun hat, dass in Deutschland zu wenig Geld für den Film da wäre. Das hat mehr mit dieser Zersplitterung zu tun. Es gibt viele verschiedene Länderförderungen, wo ich sagen muss, das ist deutsche Kleinstädterei, auch wenn die Förderungen das nicht gerne hören. Ich finde das müsste zentraler organisiert sein, damit man gleich weiß woran man ist. Denn bei diesem Geldzusammenschlauchen geht sehr viel Energie drauf.
Das Leben ist ein Comic – welche Comic-Figur sind Sie?
Homer Simpson. Ich mag die Simpsons sehr gerne. Mein Sohn ist auch ein Fan davon und ich gucke dann gerne mit, wenn ich Zeit hab‘.