Jacques Loussier

Der erste Jazz-Musiker auf der Welt war Bach.

Der Jazz-Pianist Jacques Loussier über seinen Weg zum Jazz, seine Bach-Arrangements, das Maß der Improvisation und die Arbeit mit seinem Trio

Jacques Loussier

© Telarc / Szuszanna Papp

Herr Loussier, Sie sind in erster Linie als Jazz-Pianist weltbekannt geworden. Aber haben Sie zu Beginn Ihrer Laufbahn eigentlich eine rein klassische Klavier-Ausbildung absolviert?
Loussier: Ja, natürlich, vollkommen klassisch. Ich war auf dem Pariser Konservatorium, welches ja bis heute die Nummer Eins ist unter den Musikhochschulen in Frankreich. Mein Lehrer war Yves Nat und bei ihm habe ich nur klassische Musik gelernt. Beethoven, Schubert, Brahms, Chopin, Bach… – alles, was wichtig war.

Und nach Ihrem Abschluss am Konservatorium…
Loussier: … bin ich sehr viel in der Welt unterwegs gewesen. Ich habe versucht, mir mein Geld zu verdienen, das ich zum Leben brauchte. Ich habe in Nachtclubs gespielt, Zigeuner-Musik und auch ein bisschen Jazz, ich war nun vor allem an nicht-klassischer Musik interessiert.

Insofern war Ihr Studien-Abschluss auch ein musikalischer Wendepunkt?
Loussier: Nein, den gab es schon früher. Auf dem Konservatorium habe ich die klassischen Stücke zwar noch auf die normale Art und Weise gespielt, aber ich habe damals auch schon angefangen, mit den Stücken zu experimentieren. Ich wollte sowieso nicht die Laufbahn eines klassischen Musikers einschlagen, dafür war ich viel zu sehr an Improvisation und am Jazz interessiert.

Und was haben Ihre Lehrer dazu gesagt?
Loussier: Gar nichts. Weil denen habe ich meine Variationen ja nie vorgespielt. Improvisation ist auch keine Sache, die man am Pariser Konservatorium lernt. Wobei ich glaube, mein Lehrer Yves Nat hätte nichts gegen solche Experimente gehabt.

Was war denn ursprünglich der Auslöser für Ihr Interesse am Jazz, können Sie sich noch an Ihre erste Jazz-Schallplatte erinnern?
Loussier: Ja, sicher. Meine erste Platte war von dem großen Jazz-Pianisten George Shearing und gleich danach kam für mich das Modern Jazz Quartet.. Das waren meine Lieblingsmusiker damals, John Lewis vom Modern Jazz Quartet war ein fantastischer Jazz-Pianist, der wunderbar improvisieren konnte, den ich sehr bewundert habe und der mich auch beeinflusst hat. Nur war sein Problem, dass er die klassische Technik nicht beherrschte und wenn er Bach spielte, klang das für mich etwas sonderbar.

Aber Sie als klassisch trainierter Pianist, wie brachten Sie Bach ganz am Anfang mit Jazz in Verbindung?
Loussier: Die Musik von Johann Sebastian Bach hat auf mich schon immer einen großen Reiz ausgeübt, mit ihr zu spielen. Einfach aus Spaß an dieser Musik. Bachs Musik eignet sich ja auch sehr gut zur Improvisation.

Weil es gewisse Parallelen gibt zwischen Barockmusik und Jazz?
Loussier: Ja, es gibt diese Ähnlichkeit zwischen dem Generalbass in der Barockmusik und den Basslinien im Jazz. Auch, was die Struktur der Werke anbelangt: bei Bach ist ein Thema meistens exakt 8, 16 oder 32 Takte lang, das ist beim Grundmodell der Jazz-Improvisation sehr ähnlich. Sowieso habe ich schon immer gesagt: der erste Jazz-Musiker auf der Welt ist Bach gewesen.

Was sollte ein Musiker, der Stücke von Bach arrangiert, Ihrer Meinung nach beachten?
Loussier: Respekt ist sehr wichtig. Es gibt Musiker, die mit Bach-Stücken improvisieren, aber letzten Endes den Originalkompositionen von Bach keinen sehr hilfreichen Dienst erweisen. Eben weil sie den Komponisten Bach nicht genug respektieren. Ich selbst habe großen Respekt vor den Komponisten, die ich spiele, denn das waren großartige Menschen, das waren Genies.

Aber wenn Sie Ihre Arrangements schreiben, sehen Sie da auch die Gefahr, dass Sie ‚zu weit‘ gehen könnten?
Loussier: Nein. "Zu weit" gibt es nicht. Es gibt keine Begrenzungen in der Musik. Im Gegenteil, ich finde, wir sollten alles ausprobieren. Und was gut ist, behalten wir bei, was schlecht ist, verwerfen wir. Nur, wie gesagt, man sollte die Komponisten respektieren, man sollte versuchen, die Qualität der Originalmusik nicht zu mindern.

Nach den ersten großen Erfolgen mit Ihren Bach-Arrangements Ende der 50er Jahre haben Sie sich allerdings lange Zeit geweigert, Werke anderer Komponisten zu arrangieren. War da Ihr Respekt zu groß?
Loussier: Ich fühlte mich einfach noch nicht bereit für andere Komponisten. Wenn man Bach und Jazz zusammenbringen kann, heißt das ja noch nicht, dass das auch bei anderen Komponisten so funktioniert. Ich musste erst den richtigen Weg finden, andere klassische Werke in meine Jazz-Sprache zu übersetzen, das hat bei mir viele Jahre gedauert. Und als ich soweit war, habe ich mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten" angefangen, da hatte ich dann den Schlüssel gefunden, mit dem ich diese Musik zum Swingen bringen konnte.

Wie viel von dem, was Sie mit dem Jacques Loussier Trio im Konzert spielen, ist denn Improvisation und wie viel ist genau so einstudiert?
Loussier: Jedes Stück ist genau vorbereitet, ein richtig notiertes Arrangement. Innerhalb der Arrangements haben wir allerdings sehr viele Möglichkeiten, zu improvisieren, ein musikalisches Thema zu variieren usw. Wir wissen aber immer alle genau, an welcher Stelle im Arrangement wir uns gerade befinden, wie lange wir ein Solo spielen können und wann wir wieder zusammen spielen. Durch die Improvisation klingt am Ende jedes Konzert von uns anders, auch wenn genau die gleichen Stücke auf dem Programm stehen.

Wie würden Sie das Zusammenspiel in Ihrem Trio beschreiben?
Loussier: Ich hatte ja zwei Trios und in der heutigen Besetzung musizieren wir nun schon 20 Jahre zusammen. Wir kennen uns gegenseitig sehr gut und musikalisch haben wir so ein gemeinsames Gefühl entwickelt. Jeder weiß genau, wie der andere auf eine bestimmte Art von Improvisation reagiert, wir atmen zusammen… das ist wie, wenn drei Personen nur einen einzigen Kopf haben.

Und wie lange hat es gedauert, bis Sie sich musikalisch so gut aufeinander abgestimmt haben?
Loussier: Dieser Prozess hält bis heute an. Weil jeden Tag, den wir zusammen Musik machen, finden wir wieder neue Farben, neue Dinge in der Musik – dieser Prozess wird auch nie abgeschlossen sein. Ich selbst entwickle meine Art zu improvisieren auch immer weiter und ich bin froh, dass ich heute besser improvisieren kann als früher.

Ihre ersten Konzerte mit dem Bach-Programm liegen nun schon über vier Jahrzehnte zurück. Was für ein Verhältnis haben Sie nach all den Jahren zu Bach?
Loussier: Bach ist durch diese Arbeit zu meinem engsten Freund geworden. Und er ist immer noch eine großartige Inspirationsquelle für meine Improvisationen, Bach bringt mich immer wieder auf neue Ideen.

Würden Sie denn sagen, Bach hat Sie berühmt gemacht? Oder war es umgekehrt, dass Sie Bach zu neuer Berühmtheit verholfen haben?
Loussier (lacht): Oh, das müssen Sie entscheiden, ich habe darauf keine Antwort. Es könnte schon sein, dass ich bei manchen Leuten die Aufmerksamkeit ein bisschen mehr auf Bach gelenkt habe. Vor allem im Jazz-Publikum gab es früher viele Leute, die noch nie Bach gehört haben. Und es gab auch immer wieder Leute, die nach den Konzerten zu mir gekommen sind, die sich dafür bedankt haben, dass ich ihnen die Musik von Bach nahegebracht habe. Umgekehrt gibt es glaube ich auch einige klassische Musiker, die aufgrund unserer Konzerte und CDs angefangen haben, sich mit Jazz zu beschäftigen.

Hören Sie sich selbst eigentlich auch Original-Interpretationen von Bachs Musik an?
Loussier: Ja, nicht jeden Tag, aber schon regelmäßig. Ich höre vor allem Aufnahmen von Glenn Gould. Das war für mich einer der besten Pianisten überhaupt. Er hatte diese große Individualität, ein sehr starkes Ego und er hat fantastische Aufnahmen produziert, seine Perfektion war historisch. Solche Pianisten haben mich schon immer fasziniert.

Wenn Sie heute von Konzerthäusern eingeladen werden, wünschen sich dann immer noch die meisten Ihr Bach-Programm?
Loussier: Ja, sie wollen alle immer etwas von Bach. Das finde ich auch normal. Deshalb spielen wir meistens eine Konzerthälfte Bach und die andere Hälfte Arrangements von ‚jüngeren‘, späteren Komponisten, sei es Satie, Ravel oder Debussy. Oft ist es auch so, dass wir ein bestimmtes Programm ankündigen, aber im Konzert dann etwas ganz anderes spielen. Das hängt ganz davon ab, in was für einer Stimmung wir gerade sind.

Sie sind letztes Jahr 70 Jahre alt geworden. Fällt es Ihnen aber immer noch leicht, jedes Jahr auf Tournee zu gehen?
Loussier: Also, ehrlich gesagt hasse ich das Reisen. Vor allem das Fliegen ist anstrengend und nervt mittlerweile unglaublich, es lässt sich aber leider kaum vermeiden. Wir reisen jedes Jahr so viel, Australien, Neuseeland, Japan, Südamerika, Europa, China… Ich hasse es einfach, jedes Mal wieder in ein Flugzeug zu steigen, für 15 Stunden oder mehr. In den letzten 40 Jahren habe ich im Flugzeug wahrscheinlich schon das zehnfache der Entfernung von der Erde zum Mond zurückgelegt.

Dabei las ich gerade in einer Biografie, Sie hätten selbst einen Pilotenschein.
Loussier: Ja, das hatte ich tatsächlich mal. Aber da war ich noch jung. Und um das richtig zu können, muss man jede Woche bestimmt zwei, drei Stunden fliegen. Das konnte ich aber nicht, weil ich viel zu beschäftigt war und deshalb habe ich irgendwann damit aufgehört. Wenn man, wie ich, so viel Musik macht, Konzerte gibt, CDs produziert – dann muss man erst mal genug Zeit zum Schlafen finden.

Und wie sieht momentan, abseits der Konzerte und Tourneen, Ihr Arbeitsalltag aus?
Loussier: Im Moment arbeite ich jeden Tag am Klavier, bereite die nächsten Konzerte vor und schreibe neue Arrangements für meine nächste CD. Ich spiele vormittags ein, zwei Stunden, oft auch zusammen mit meiner Frau – wir haben zwei Klaviere zuhause und das gemeinsame Musizieren macht uns sehr viel Spaß. Nachmittags setze ich mich dann hin und notiere die neuen Arrangements… – mein Leben ist jedenfalls immer noch voller Musik.

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