Wotan Wilke Möhring

Die Pyramide ist sehr steil da oben

Wotan Wilke Möhring über seine Schauspielkarriere, den Film „Man tut was man kann“, wichtige Nebenrollen, geheimes „Tatort“-Gucken und das Fernsehniveau in den USA

Wotan Wilke Möhring

© NFP/Warner Bros/Jürgen Olczyk

Herr Möhring, wie hat Ihnen „Mann tut was Mann kann“ gefallen?
Möhring: Für Schauspieler findet beim ersten Sehen des dann noch ungemischten Films eine Art Abgleich statt. Du siehst nicht nur deine eigenen Szenen, sondern auch die deiner Kollegen. Da waren einige lustige Momente dabei, die durch den Schnitt viel besser funktioniert haben, als beim Dreh. Ich finde ihn gelungen, der smoothe Charakter der Figur Paul, der Dinge ganz anders macht, als Wotan die machen würde, hat mir Spaß gemacht.

Entwickeln Sie schon beim Drehen ein Gefühl dafür, ob der Film etwas wird oder er vielleicht nicht ganz den eigenen Vorstellungen entsprechen wird?
Möhring: Es ist schwer nur Filme zu drehen, die man selbst sehen will. Du machst ja bestimmte Filme aus einer Haltung heraus, für ein bestimmtes Publikum. Manchmal zähle ich da mehr dazu und manchmal weniger. Der Film war von vorne herein so angelegt, dass er für jeden etwas parat haben sollte. Nach den ganzen Dramen, wie zum Beispiel „Der letzte schöne Tag“ war mir wichtig, mich in einer Leichtigkeit auszuprobieren, die ich lange nicht mehr hatte.

Die Frauen in „Mann tut was Mann kann“ verfolgen alle das Ziel irgendwie zu heiraten. Wie haben Sie das Frauenbild im Film wahrgenommen?
Möhring: Das war ein Element der Figur Paul: Er mutierte vom Jäger zum Gejagten. Männer reklamieren in der Regel dieses Jägerdasein für sich. Vielleicht sind Männer aber nur eine Karte im Spiel der Frauen. Du bist nicht der große Hengst, sondern wirst benutzt, um den anderen eifersüchtig zu machen. Wie Frauen die Männer benutzen, die selbst glauben, sie würden die Frau erobern, war mir neu. Paul merkt irgendwann, dass die Frauen die Regisseure seines Lebens sind.

Sie drehen sehr viel und decken eine große Bandbreite ab, die von anspruchsvollen Arthouse-Filmen bis zur leichten Komödie reicht. 2009 haben Sie in einem SZ-Interview einen mangelnden Marktwert beklagt. Hat sich das in den letzten drei Jahren verändert?
Möhring: Die Wahrnehmung hat sich verändert. Gerade seit das große Fass „Tatort“ geöffnet ist. Aber insgesamt zahlen sich all die Rollen aus, die ich gespielt habe. Ich werde als Charakterdarsteller wahrgenommen, weil ich Geschichten erzählen will, die mir wichtig sind. Ich übernehme Verantwortung für die Figuren, die ich spiele.
Letztlich bleibt aber alles bei einer Außenwahrnehmung: Dein Marktwert zeigt sich darin, dass du Filmschaffenden zu bestimmten Figuren einfällst, dein Stellenwert erhöht sich, wenn du etwas vorzeigen kannst, dass du geleistet hast. Aber die Pyramide ist sehr steil da oben,. du wirst auch kritischer beobachtet. Der Marktwert ist eine zweischneidige Angelegenheit, da du viele Freiheiten vermisst. Ich drehe immer noch Studentenfilme ohne Geld, denn du willst ja nicht nur die Masse befriedigen, sondern auch dich selbst. Herausforderungen müssen bleiben, sonst musst du zwei Jahre Pause machen. Herausforderungen sind mein Job.

Kürzlich sorgte der künftige „Tator“-Kommissar Til Schweiger für Schlagzeilen, als er den berühmten Vorspann kritisierte. Würden Sie den Vorspann auch abschaffen wollen?
Möhring: Ich will den Vorspann nicht abschaffen. Der „Tatort“ ist ein lebendiges Produkt, der viele soziale Themen visualisiert. Sein Inhalt wächst und verändert sich mit. Der „Tatort“ ist unser Lagerfeuer und der Vorspann die Fanfare, die uns zusammenruft.

Gibt es bei Ihnen ein „Tatort“-Ritual aus der Kindheit?
Möhring: Nein. Bei uns wurde der Fernseher immer nur für ausgewählte Sendungen aufgebaut. Von daher habe ich meinen ersten „Tatort“ bei meiner Tante in Bremen geschaut. Das war ausgerechnet „Reifezeugnis“ von Wolfgang Petersen. Das durfte ich aber meinen Eltern nicht sagen, die hatten es mir nämlich verboten. Dieser Realismus hat mir als phantasievolles Kind zu Schaffen gemacht und Albträume beschert.

Tritt Ihr „Tatort“ in Konkurrenz zu Til Schweiger?
Möhring: Nein. Das ist durch die NDR-Situation so interpretiert worden, aber nun richtig sortiert: Er ist für Hamburg und ich bin für den Norden zuständig – wobei Hamburg im Norden liegt. Ich habe mich absichtlich für Hamburg entschieden, weil ich Großstadtthemen darstellen wollte, organisierte Kriminalität und brennende Autos.
Das Format ist die Stärke. Die Leute schalten um 20.15 Uhr in erster Linie den „Tatort“ ein, nicht dich. Vielleicht später auch mal dich, und Til ist sicher ein Zuschauermagnet, eine Institution, was die Bekanntheit angeht. Ich fühle mich auch in kleineren Produktionen sehr wohl und konnte an einigen Fernseh-Perlen teilhaben, wie „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, „Der letzte schöne Tag“ oder „Kuckuckszeit“. Das sind alles Filme, die mir persönlich sehr viel bedeutet haben. Die Herausforderung ist da eine andere, als die Masse zu erreichen, was Tils Spezialität ist.

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Ich übernehme Verantwortung für die Figuren, die ich spiele.

Wotan Wilke Möhring

Beim „Tatort“ arbeitet von Redaktion bis Produktion ein großes Team. Inwiefern können Sie da Einfluss nehmen?
Möhring: Von Wüste-Film, die meinen ersten Tatort produzieren, wurde ich stark in die Entwicklung eingebunden. Das ist sehr zeitaufwendig, aber: Wir wollen den Grundstein für eine Reihe legen, im Film werden Fährten für die Figur gelegt, du bahnst Geschichten an. Das ist anders und ist auch neu für mich. Bisher habe ich Reihen immer abgesagt, jetzt bin ich aber an einem Punkt, an dem ich einen Charakter entwickeln und über viele Episoden erzählen will, nicht alles auf einmal, sondern nach und nach. Und ich möchte die Fälle in den Vordergrund stellen. Das liebe ich zum Beispiel an skandinavischen Krimis: Es gibt Dunkelheit da draußen! Das finde ich interessanter, als die Rotwein-Vorliebe des Kommissars.

Wenn man Ihnen Drehbücher schickt, wie entscheiden Sie sich dann für eine Nebenrolle oder gegen eine Hauptrolle?
Möhring: Finanzielle Reize haben mich noch nie interessiert – und ich habe sehr gute Erfahrungen mit Nebenrollen. „Lammbock“ waren für mich zwei Drehtage, die mir in Form von Zitaten bis heute entgegenschlagen, „Ey, ihr Fotzen, Limbo“ dürfte immer noch vielen bekannt sein.
Es gibt keine kleinen Rollen. Es gibt Rollen, die einen Beitrag zum Film haben, der echt wichtig sein kann. Im Englischen heißten Nebendarsteller ja „Supporting Characters“, sie haben eine Aufgabe im Film, sie bringen die Hauptfigur zur Geltung. In „Mann tut was Mann kann“ haben Jan Josef Liefers und Oliver Korittke eindeutige Aufgaben, in denen sie sich austoben können. Der Film „Antikörper“ war da zum Beispiel eine große Ausnahme für mich: In der Hauptfigur treffen sich Gut und Böse und reiben sich. Du musst dir überlegen, ob du der sein willst, der als Hauptdarsteller in den Augen der Zuschauer durch die Geschichte führt oder ob du dich als Sidekick austoben willst. Beides kann toll sein.

Werden Nebenrollen also unterschätzt?
Möhring: Ich unterschätze sie auf keinen Fall. Und es gibt sogar einen Oscar dafür! Beim „Tatort“ kann ich natürlich keinen Bösewicht mehr spielen, keinen fiesen Psycho – das ist jetzt weg. Der Ermittler wird ja nicht zum Psycho, sondern im Auge des Betrachters sollen sich viele hinter ihm versammeln können. Du bist der, der die Frage stellt: Wo waren Sie zur Tatzeit? Die Faszination des Bösen gibt man auf, wenn auch vielleicht nicht ganz.

Deutschland hat den „Tatort“, die USA glänzen im Fernsehen vor allem mit HBO-Serien. Beneiden Sie die USA manchmal um deren Fernsehprogramm?
Möhring: Bei der Vielzahl amerikanischer Topserien stehen wir tatsächlich schlecht da. Doch das ist dort kein öffentlich-rechtliches Fernsehen, sondern Pay-TV. Das vergessen hier viele. Ansonsten: Ich habe zwei Jahre drüben gelebt und kann sagen, das ist das schlechteste Fernsehen, dagegen sehen wir mit Formaten wie dem „Kleinen Fernsehspiel“ ziemlich gut aus. Der Unterschied ist allerdings: Die Amerikaner wollen was machen, was noch keiner gemacht hat – und sie machen das einfach. Wir machen eher Dinge, die es schon gibt. Dem deutschen Film und dem Fernsehen fehlt es nach wie vor an Mut, bis auf ein paar Ausnahmen. Filme wie „Der letzte schöne Tag“ erfordern Mut, und den gilt es zu unterstützen.

Wovon träumen Sie als Schauspieler?
Möhring: Natürlich träume ich von Figuren, gerade auf dem internationalen Markt, die mich noch mehr herausfordern, bei denen du Gas geben kannst. Im Ausland gibt es andere Möglichkeiten als bei uns. Wenn ein Regisseur wie Ken Loach anrufen würde, wäre ich sofort da, die müssen nicht aus den USA sein. Lars von Trier macht auch sein Ding und ist erfolgreich.

Lars von Trier ist jemand, der in seinen Film sehr weit geht, wenn man zum Beispiel an „Antichrist“ denkt. Gibt es für Sie Grenzen?
Möhring: Ich mag keine Schauspieler, die ein Drehbuch lesen, zusagen und dann plötzlich keinen Bock haben, sich nackt zu zeigen – denn das stand im verdammten Drehbuch. Also: Klär’ das vorher oder sag’ nicht zu. Du weißt, worauf du dich einlässt, wenn du das Drehbuch liest.
Mir fällt es schwer, zu sagen, was ich nicht machen würde. Bei mir sind das eher Dinge, die ich mir nicht glauben würde, das fällt mir schwerer als Abgründe auszuloten. Ich habe zum Beispiel in „Das letzte Schweigen“ einen Pädophilen gespielt, der selbst zwei Kinder hat. Moralische Bewertung hat an der Stelle nichts verloren. Es geht um Demut dem Charakter gegenüber, dessen Bewertung oder Verurteilung wäre anmaßend. Es gilt zu zeigen: Wie kommt der Mensch dahin und wie kommt er da wieder raus. Das ist Teil unseres Berufes, solche Dinge auszuprobieren. Daher fällt mir keine Grenze ein.

Waren Sie eigentlich auf einer Schauspielschule?
Möhring: Nein, der Beruf Schauspielerei hat sich für mich ergeben. Viele denken, ich käme von der Komödie, aber mein erster großer Kinofilm war „Das Experiment“. Ich bin an die richtigen Menschen geraten und habe mich wohl gefühlt. So kann ich in Welten schlüpfen, die mir sonst verschlossen bleiben würden, ich kann Charaktere auszuprobieren und mehrere Leben in einem Jahr leben. Diese intensive Erfahrung gibt es nur in diesem Beruf.

In Ihrer Biografie finden sich Widersprüche. Sie waren Punk und später Zeitsoldat. Hilft Ihnen die Schauspielerei beim Ausleben dieser Widersprüche?
Möhring: Ich habe das nie als eine „Zickzack-Biografie“ empfunden, für mich hat es sich immer nach dem geradesten Weg angefühlt. Ich mache immer Alles volle Pulle, ich fälle Entscheidungen nicht strategisch, sondern aus dem Bauch. Damit liege ich für mich immer halbwegs richtig, da stehe ich hinter. Mich hat es zum Beispiel herausgefordert, als Punk zur Bundeswehr zu gehen. Alle haben darüber genörgelt, aber keiner von denen ist selber hingegangen. Ich wollte mir das verdammt noch mal ansehen, worüber wird da genörgelt? Mich machte das damals stutzig. Anfangs wollte ich natürlich auch verweigern, aber das erschien mir zu einfach.

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