Wolfgang Stumph

Das Erfolgreiche nur kommerziell auszubauen, bringt mich nicht weiter – und den Zuschauer auch nicht.

Wolfgang Stumph über eigene Maßstäbe, seinen Werdegang, Kabarett zu Ostzeiten, Stasi 2.0 und die eigene Akte

Wolfgang Stumph

© Manju Sawhney/ZDF

Herr Stumph, Sie managen sich selbst, ist das nicht auf die Dauer ziemlich anstrengend?
Stumph: Ja, sehr anstrengend. Weil man jedem erklären muss, warum man so tickt. Ich habe keinen Manager, der für mich spricht, sondern ich muss den Gesprächspartnern – den anfragenden Journalisten, Produzenten, Autoren – immer selbst erklären, warum ich etwas mache oder nicht. Und das dauert immer länger. Man will ja höflich sein will, auch richtig erklären, warum man manchen Filmstoff nicht annehmen will, warum man zu bestimmten Zeitpunkten keine Interviews machen will…

Der Verzicht auf ein Management hat aber offenbar genügend Vorteile.
Stumph: Ich möchte einfach Dinge nicht mit mir machen lassen, weder von Journalisten, Pressesprechern, Agenturen noch von Produzenten – sondern ich will mitmachen.
Das hat auch riesige Vorteile in der eigenen Arbeitsbewertung, dass man weiß: Hier hast du einen Fehler gemacht, den Weg nicht voll ausgeschritten, dein Ziel nicht erreicht – du bist dran schuld. Anstatt dass man einen Misserfolg immer gleich auf das Buch, den Regisseur, die PR oder den Sendeplatz schiebt.

Was für Angebote lehnen Sie generell ab?
Stumph: Man kann mich nicht verführen mit Dingen, wo ich mir meine Lebenszeit bloß klaue, um Geld zu verdienen und aus einem 16:9 Rahmen rauszugucken. Wo ich auch das Gefühl habe, ich klaue den Menschen Lebenszeit, weil es keine Unterhaltung mit Haltung ist, sondern einfach nur auf Quote gemacht und von den wesentlichen Dingen des Lebens ablenkt.
Nach „Go Trabi Go“ kamen damals natürlich immer die Klischee-Angebote, a la „wir bräuchten mal so einen aus dem Osten, der so staunt und guckt, und so ein bissl naiv ist“ – das habe ich mit Absicht abgelehnt. Das Erfolgreiche einfach nur kommerziell auszubauen, das bringt mich nicht weiter – und den Zuschauer auch nicht.

Wäre doch aber gut vorstellbar, dass die Zuschauer Sie heute gerne nochmal in einer Fortsetzung von „Go Trabi Go“ sehen würden.
Stumph: Nee, nüschte. Lieber werde ich tausend mal gefragt, wann „Go Trabi Go 3“ kommt, als dass ich hundert mal gesagt kriege: „Och, der dritte Teil war dann auch nix mehr…“

Den Trabi selbst soll es ja möglicherweise bald wieder geben …
Stumph: Als Elektro-Auto, ja, hab ich gesehen. Ist doch schön, wie sich so eine Marke behauptet. Wer weiß, vielleicht habe ich ja auch einen kleinen Teil dazu beigetragen, wäre ja nicht schlecht. Und wenn das jetzt mit Elektro-Motor der Umwelt nutzt – wunderbar. Aber auch da muss man natürlich tiefer gehen. Es ist ja wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Produktion der Energie dafür am Ende mehr Schaden durch Kohlendioxid verursacht, als ein Dieselmotor im Auto. Solche Themen sind dann oft ’ne Katze, die sich in den Schwanz beißt.

Bleiben wir nochmal beim Film. Gibt es genügend Regisseure mit Haltung?
Stumph: Ja, es gibt viele, die eine Haltung haben, und wirklich brennende Themen, künstlerisch wertvoll auf den Bildschirm oder die Leinwand bringen wollen – aber es gibt, zumindest im Fernsehen, nur einen sehr kleinen Markt dafür. Die Sender begründen das mit Geldknappheit, auch mit der aktuellen Wirtschaftskrise.
Ich denke, die Ursache ist vor allem, dass man sich zu lange in der Vergangenheit daran gewöhnt hat, billige Formate zu machen. Talk-Shows, Doku-Soaps, Recycling-Sendungen in denen man nur mit Archiv-Material arbeitet, und sagt: das schafft auch Sendezeit, in dem wir „Die besten 70er“, „Die größten Pannen“, „Die reichsten Blöden“ aneinander reihen. Oder diese Casting-Shows, die in 90 Minuten viel weniger kosten als ein 90Minuten-Film – damit hat man das Publikum an Formate gewöhnt und zu Erwartungshaltungen erzogen, wo man es schwer hat, es wieder ein anderes Niveau und andere Formate heranzubringen. Man wird auch ungeduldiger mit neuen Formaten, was nicht gleich die erwartenden Einschaltquoten bringt, wird abgesetzt. Weil sich heute eben alles rechnen muss.

Ist die Quote denn für Sie ein Maßstab?
Stumph: Nein, ich denke, dass man sich dadurch immer mehr einem scheinbaren Bedürfnis des Zuschauers anpasst und nur einen bestimmten Durchschnitt an Zuschauern reflektiert. Es klingt natürlich toll, wenn es heißt: Marktanteil von 16 Prozent. Das können aber manchmal 5,5 Millionen sein. Wir sind 80 Millionen Deutsche, ob die 5,5 Millionen dann die künstlerische, ästhetische, moralische Widerspiegelung des deutschen Kultur- und Unterhaltungsbedürfnisses sind – wer weiß das? Trotzdem klammert man sich an diese Zahlen.
Ich denke, es ist viel wichtiger, einen eigenen Maßstab zu haben. Meinen Film „Bis zum Horizont und weiter“ haben nur wenige gesehen, aber es ist für mich künstlerisch und inhaltlich einer meiner wertvollsten Filme. Und da muss man für sch entscheiden: Soll es sich nur für deine Popularität rechnen – oder für deine Moral, für deinen Anspruch gegenüber deinen Kindern Freunden und Lebenserfahrungen?

Am Anfang Ihrer Laufbahn stehen viele Jahre Kabarett. Hat Sie die Moral dorthin getrieben?
Stumph: Das war ein langer Weg. Das fing an damit, dass ich ein vaterloser Junge war, der immer versuchen musste, die Welt zu analysieren und seine Meinung jemandem aufzudrängeln. Es war niemand da, keine Geschwister, kein Vater, die Mutter war arbeiten – also suchte ich immer  Kommunikationsmöglichkeiten – als Ministrant, beim Sport, dann als Pionier, es gab die Laienarbeit im Pionierkabarett, Lehrlingskabarett, Arbeiter-Theater. Es kam auch hinzu, dass ich in einem Umfeld aufgewachsen bin, wo viele Kinder Väter hatten, die gute, berühmte Schauspieler in Dresden waren. Außerdem war man durch die Schulbildung in der DDR sehr viel im Theater, mindestens drei Mal pro Jahr. Und dann gab es einen Lehrer der mit uns in der 5. Klasse zur Schiller-Gedenkfeier „Wilhelm Tell“ und „Kabale und Liebe“ einstudiert hat. So ist das dann in mir gewachsen. Und die Haltung als Kabarettist, ja die ist ja eigentlich eine Lebenshaltung.

Wie meinen Sie das?
Stumph: Kabarett lässt sich eigentlich nicht spielen, sonst würde man es ja wie ein Schauspieler machen. Also, oben Wasser predigen, aber hinter der Bühne einen Wein stehen haben – das kann man schizophren als Kabarettist oder Satiriker nicht durchstehen. Man ist dann auch im Leben so kantig, eckig, doppelbödig in der Ironie. Kabarett ist eine Lebenshaltung, so wie Sächsisch fast eine Weltanschauung ist.

Sie haben in den 80er Jahren in der Dresdner „Herkuleskeule“ Kabarett gespielt. Wie machte man sich da über den Westen lustig?
Stumph: Wir haben zum Beispiel sehr gerne ein Zitat von Hermann Kant benutzt. Da erzählte der eine, „Du, mein Opa war jetzt im Westen. – Und was hat er gesagt? – Der Kapitalismus liegt im Sterben. – Und was hat er noch gesagt? – Es ist ein schöner Tod.“ Auf dem Niveau haben wir unsere Anspielungen schon gemacht. Aber wir haben nicht das Agitprop-Kabarett gemacht, das es noch in den 60er Jahren gab.

Sie mussten keine Äußerungen machen, die sie privat nicht vertreten konnten?
Stumph: Nein. Weil der Kabarettist und der Sachse im Allgemeinen ja ein Schlitzohr ist. Selbst wenn er zu etwas genötigt würde, würde er versuchen, das trickreich zu umgehen, damit er vor sich wieder gerade stehen kann.

Und das ist immer gelungen?
Stumph: Ja. Als Kabarettist und als Sachse ist mir das gelungen. Da war ich schon ein bissl schweijkisch.

Aber trotzdem muss es doch in gewissem Maße schizophren gewesen sein, wenn man auf der einen Seite den Staat vertreten sollte, ihn aber andererseits kritisieren wollte?
Stumph: Wir wollten mit dem Kabarett zwar anecken, an der vorherrschenden Realisierung dieser scheinbaren Utopie des Sozialismus – aber wir wollten den Sozialismus nicht stürzen. Sonst hätten wir Kabarett tatsächlich nicht spielen können.
Trotzdem sind wir sind die Grenzen sehr weit ausgeschritten in unserer Kritik, dass es so nicht geht, vor allem nach er nach 1985, nach der Perestroika sind wir immer mutiger auf dem Gebiet geworden.

Zitiert

Oben Wasser predigen, aber hinter der Bühne einen Wein stehen haben - das kann man schizophren als Kabarettist oder Satiriker nicht durchstehen.

Wolfgang Stumph

Aber doch immer unter staatlicher Kontrolle.
Stumph: Es gab Kulturfunktionäre von Stadt und Bezirk, denen die Theater und Kultureinrichtungen unterstanden, die verantwortlich waren für die Spielpläne und die Inhalte die dort gespielt worden sind. Und die haben – man kann das auch Zensur nennen – die Programme abgenommen, in einem Streitgespräch, einer Diskussion.

Sie mussten also erstmal den Funktionären vorspielen?
Stumph: Richtig. Wobei wir uns in Dresden immer eine Patenbrigade dazugenommen haben, Arbeiter aus dem VEB Elektromat, die bei der Stückentwicklung sozusagen mit dran waren, von uns befragt worden sind. Die saßen dann dabei und wir bekamen deren Reaktionen.
Natürlich wusste man selber, wie weit man gehen kann, wir hatten eine Schere im Kopf, sowohl die Autoren als auch die Macher. Aber wir haben die Grenzen immer weit ausgeschritten, dass sie immer korrigiert werden mussten.

War das nicht Ein Balance-Akt auf Messers Schneide?
Stumph: Ich denke, der Staat hat Kritik im geschlossenen Raum des Kabaretts, vor 150-200 Leuten, mehr geduldet als im öffentlichen Raum, in der Straßenbahn, in der Kaufhalle, in der Brigadeversammlung oder der Kneipe. Das Kabarett und die Satire sind – dem waren wir uns vielleicht auch irgendwo bewusst – ein bisschen benutzt worden, als Ventil für den Überdruck, der in der Bevölkerung auch da war.

Wusste das Publikum von der Zensur?
Stumph: Es gab natürlich Zuschauer – ob nun unsere oder westdeutsche, die zu Besuch waren – die sich manchmal gewundert haben, wie weit wir mit unserer Kritik gegangen sind, dass das „durchgegangen“ ist. Daraus resultiert schon, dass die von der Kontrolle wussten. Aber das Publikum hat trotzdem befreiend lachen können. Mehr, als wenn jemand den gleichen Gag in der Versammlung gemacht hätte, da hätte man nur hinter vorgehaltener Hand gelacht. Im Kabarett war man ja unter Gleichgesinnten. Und wir Schauspieler kriegten von den Zuschauern dann auch manchmal nach der Vorstellung auf die Schulter geklopft: „Genau, einwandfrei, da habt ihr aber ganz schön reingehauen.“ – Und das fehlt mir heute. Jetzt weiß ich, dass ich nur noch unterhalte, zum Ablachen.

Die Funktion des Kabaretts ist heute eine andere.
Stumph: Natürlich kann man immer noch so ein Kabarett machen, wie es die „Schieße“ (Münchner Lach und Schießgesellschaft) in den 80er Jahren gemacht hat. Aber ob dir jemand zuhört? Das hat sich doch alles anders verändert durch die Comedy-Welle. Natürlich ist Comedy manchmal auch politisiert. Aber es ist populistisch, holzhammermäßig. Es gibt kein Florett mehr, sondern es wird mit einem riesigen Schwert zugeschlagen. Und wenn Mainzer Karneval ist, da sind die Politiker im Saal eingeschnappt, wenn sie oben nicht durch den Kakao gezogen werden.

Und deswegen haben Sie vor drei Jahren dem Kabarett den Rücken gekehrt?
Stumph: Ich habe einfach gemerkt – und da spielt auch die Entwicklung zur Spaßgesellschaft eine Rolle – dass immer mehr mit einem Schwert zugeschlagen wird, dass keiner mehr die zweite, dritte Ebene eines ironisierten Bildes nutzt, Metapher sind gar nicht mehr verwendbar, sondern man muss alles direkt haben. Diese Abgeschliffenheit hat bei mir dazu geführt, dass ich mir gesagt habe: Da erreiche ich nichts mehr mit dem Kabarett. Wenn ich mich jetzt auf die Kabarett oder Comedy-Bühne stelle, denken die Leute, ich will auch bloß unterhalten. Aber ich will euch meine Moral, meine Sicht der Dingte mitgeben. Ich bin nicht bloß Clown, Hauptsache die Leute schreien. Nüschte. Da fand ich es geiler, meine Moral in ernste komödiantische satirische Stoffe im Kino oder im Fernsehen zu verpacken, und damit an einen Zuschauerkreis ranzukommen, der sowieso nie ins Kabarett gekommen wäre. Dem meine Moral zu zeigen, mit künstlerischen Mitteln, das erschien mir für meine Seele und für meinen Anspruch wertvoller.

Sie haben viele Filme gemacht, in denen die DDR Thema war, Ende 2009 „Romeo & Jutta“. Worauf achten Sie, wenn filmisch mit dieser Vergangenheit umgegangen wird?
Stumph: Also, die dämonisierende Darstellung unseres Lebens, das ständige Entschuldigen dafür, dass wir dort gelebt, geatmet, gelernt, studiert haben, das hängt mir ein bisschen zum Hals raus. Wir müssen einfach mal ein bisschen aus den Erfahrungen, aus unserem Leben, das wir auf der anderen Seite gelebt haben, schöpfen. Anstatt uns dafür zu schämen, sollten wir auch mal sagen: Wir sind dem Westen eigentlich etwas voraus, weil wir etwas anderes erlebt haben. Wir haben eine größere Erfahrungswelt. Wir bringen etwas mit ein, an Erfahrungen und Vergleich, wie es geht und wie es nicht gegangen ist.
Im Westen hattet ihr euer Frankreich, euer Ibiza, Schweiz, Luxemburg und eure BRD, euer Wirtschaftswunder und das Wissen, dass ihr auf der richtigen Seite dieser Systeme und dieses Landes lebt. Und ihr wusstet über Straßburg mehr als über Strausberg.

Sie meinen, es fehlt eine Akzeptanz gegenüber der DDR als Heimatraum?
Stumph: Ja, ich will mich nicht ständig rechtfertigen müssen, warum ich dort gelernt habe, warum ich dort studiert habe, warum ich dort Kabarett gespielt habe, warum ich dieses System zwar durchschaut habe, dass es nicht funktionieren wird, wenn es so weiter geht – aber nicht die Chance genutzt habe, abzuhauen. Das habe ich auch versucht, mit einem Film wie „Heimweh nach drüben“ zu erklären, dass es so was wie kulturelle Wurzeln, Freundeskreis, Tradition, Sprache, Umgebung und Heimat gibt – sonst müsste ja die ganze Welt ständig hin und her fahren und sagen: ich will woanders hin.

Aber ein Stückweit haben Sie sich in “Romeo und Jutta“, wo Sie als Stasi-Spitzel im Westen eine Ministeriums-Mitarbeiterin verführten, doch schon lustig gemacht über das System der DDR.
Stumph: Über den Apparat ja, den wollte ich einfach mit einer Souveränität und mit einer kraftgebenden Heiterkeit auslachen. Es ist aber auch das Thema drin, dass generell in Deutschland eine Uniform oder ein Namensschildchen schon etwas bewirkt, ohne, dass du es hinterfragst – dieser deutsche Untertanengeist. Dazu kommt dann noch der Umzug Bonn-Berlin, was das so alles gekostet hat, oder auch diese Überamerikanisierung.
Klar, den Apparat Stasi, den habe ich am bösesten im Film drin, dass der so primitiv dienstgehörig und so phrasenhaft durchgeführt wurde. Aber das verpacken wir in einer komödiantischen Liebesgeschichte, über einen Zeitrahmen von ’83 bis 2000 in Ost und West. Und ich denke, die Leute verstehen das auch als ein Gesamtbild, wie wir zusammengewachsen sind.

Am Schluss werden einem Ex-Stasi-Offizier bei einer vorgetäuschten Ordensverleihung Handschellen angelegt. Wie standen Sie zu dieser Szene?
Stumph: Das ist ein etwas sensibles Thema, weil es da um die Frage geht: Inwieweit verletze ich damit gelebtes Leben von mir? Mit dieser plakativen Darstellung…. da habe ich auch sehr mit gekämpft. Das war ja auf blanke Rache gebaut – und dazu kann ich eigentlich nicht stehen. Rache war noch nie mein Prinzip. Ich wollte es eigentlich menschlich wärmer verletzend haben.

Sie wollen nicht der lachende Sieger sein?
Stumph: Nein. Man ist es nämlich nie. Man ist nicht nur gut, klug, und richtig. Man ist auch falsch und macht Fehler. Wenn ich merke, dass ich der Sieger über jemanden bin, will ich mich mit ihm lieber sofort vertragen. Ab dem Augenblick, wo ich beim anderen spüre, dass das ein Schmerz war, sein Fehler, kann ich mich nicht mehr draufstellen, da fängt es bei mir an, weh zu tun, da tut er mir leid. Das ist so mein Harmoniebedürfnis – was mir auch manchmal im Weg steht, bei ganz klaren, harten Geschichten.

Eine große Boulevard-Zeitung hat Ihnen 10 Jahre nach der Wende Ihre Stasi-Unterlagen zugeschickt. Warum haben Sie die vorher nicht selbst eingesehen, waren Sie nicht neugierig?
Stumph: Nein, ich wusste ja aus meiner eigenen Biographie, wo ich angeeckt bin, wo ich Ärger gekriegt habe. Wie ich schlitzohrig drum rum gekommen bin, auf die Schnauze zu fliegen, und wie dumm dieser Apparat war. Wie er die Kapazität an Arbeitsleistung, an Geist und Zeit und Geld dieses Landes verschwendet hat. Ich wusste, wie dieses Kontrollsystem und dieses Halten an Macht in der DDR funktioniert hat. Ich wusste wie die Abnahmen beim  Kabarett sind, ich wusste, dass Horch und Guck überall war.
Gut, von manchen wusste ich es nicht….

Sie meinen Kollegen?
Stumph: Als ich meine Akte bekam, waren darin ein paar Namen geschwärzt.  Nun, mit einem bisschen logischen Denken – und wenn man 38 Stubbe gemacht hat, dann hat man als Amateur auch etwas kriminalistisches Feeling – habe ich mir natürlich zusammenreinem können, wer die sind.  Aber da muss man dann im Einzelfall immer wieder entscheiden:  Warum hat er das gemacht, in welcher Position hat er das gemacht… Und was habe ich davon, wenn ich mich jetzt über ihn erhebe, über den, der eigentlich moralisch schon unten ist, der weiß, dass es falsch war? – Ich habe diese Namen nie bekannt gegeben.

War „Romeo und Jutta“ aber dann zumindest eine kleine, symbolische Abrechnung mit dem Überwachungsapparat?
Stumph: Vielleicht ist das eine Rache, dass man sagt: Ich will euch eurer Lächerlichkeit preisgeben, ihr Schlappsäcke. Aber mit einer Souveränität, dass ich nicht nachtrete, oder überheblich bin.
Andererseits sehe ich natürlich, dass diese Apparate in allen Gesellschaftsordnungen und Ländern ähnlich funktionieren. Machtstrukturen funktionieren immer ähnlich. Nur ist die Ausnutzung in der Demokratie Gott sei dank nicht so stark möglich, wie es in einer Diktatur des Proletariats passieren kann.

Trotzdem macht heute das Schlagwort Stasi 2.0 die Runde, viele warnen vor den Gefahren des Überwachungsstaats.
Stumph: Das Potential, die technischen Möglichkeiten sind heute sicher hochqualifizierter als damals, aber ich halte den jetzigen Zustand nicht vergleichbar mit der Überwachung in der DDR.
Auf der einen Seite beginnt bei mir schon die Angst, wenn ich weiß: Meine Emails können mitgelesen werden. Auf der anderen Seite sage ich mir: Dass man das kann, ist für die Vermeidung von Verbrechen wie Kindesmissbrauch oder der Verbreitung von rechtem Gedankengut hilfreich. Also, mich stört es nicht, wenn ich überwacht werde, um kriminelle Dinge zu vermeiden.

Und den Missbrauch der Technologie fürchten Sie nicht?
Stumph: So wie wir diese Technik erfunden haben, und Gesetze machen, die etwas Gutes wollen, genauso gibt es natürlich Menschen, die das zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzen wollen.
Das ist schon ein Fluch, den man beherrschen muss mit Intelligenz und Humanismus. Aber ich denke, dafür ist eine Demokratie da. Ich hoffe einfach, dass immer auch progressive Kräfte vorhanden sind, die sich dafür engagieren, dass der Missbrauch verhindert wird.

Sie haben 2007 ein Lexikon über die größten „sächsischen, populären Irrtümer“ geschrieben. Allerdings findet man unter „S“ lediglich eine nach Ihnen benannte Orchideenart. Was ist der größte populäre Irrtum über Wolfgang Stumph?
Stumph: Dass er ein Vorzeige-Ossi ist. Ich wäre auch ohne all dem genauso wie ich bin. Ich brauche dieses plakative Zeichen nicht. Ich bin in erster Linie ein Sachse, denkender, politischer Schauspieler, mit Irrtümern – irren ist menschlich. Das ist auch gut so, dass der Weg nie gerade ist. Man muss über viele Steine stolpern und sich wunden holen. Wenn man nicht weiß, was heiß und was kalt ist, weiß man nicht, was lauwarm ist.

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