Wladimir Kaminer

Die Sorge um die Zukunft ist in Deutschland etwas übertrieben.

Wladimir Kaminer über die Verfilmung seines Bestsellers „Russendisko“, seinen Tanzstil, deutsch-russische Ehen und Salzgurken

Wladimir Kaminer

© Paramount Pictures

Herr Kaminer, Sie sollen von der Verfilmung von Russendisko positiv überrascht gewesen sein und gesagt haben: „Der Film ist deutlich besser geworden, als ich gedacht habe.“ Haben Sie mit dem Schlimmsten gerechnet?
Kaminer: (lacht) Nein, aber so groß sind meine Erfahrungen mit dem deutschem Film nicht gewesen. Was ich bis jetzt gesehen hatte, ging oft ins Klamaukhafte oder es hatte eine übertriebene Bedeutungsschwangerschaft. Deswegen war ich misstrauisch, was die Verfilmung meines Buches betraf. Aber nachdem wir mit der ganzen Familie den Film gesehen hatten, sind wir große Fans von ihm geworden. Ich glaube, dass diesem jungen Team etwas gelungen ist, was ganz selten auf der deutschen Leinwand gelingt. Ein leichter, schneller Film, eine Hymne auf die Jugend, in der Kulisse von Berlin Anfang der neunziger Jahre, mit toller Musik. Ich glaube, wenn der Film raus ist, tanzt ganz Deutschland zu unserer Musik.

Ihr Buch „Russendisko“ besteht aus mehreren Kurzgeschichten, der Film dagegen aus einer Handlung. Haben Sie am Drehbuch mitgeschrieben?
Kaminer: Nein, ich habe mich von Anfang an aus dieser Arbeit rausgehalten. Ich wollte die Kreativität der Filmleute nicht in Frage stellen. Das ist eine kollektive Arbeit, die auf einen kurzfristigen Erfolg angewiesen ist. Die Arbeit eines Schriftstellers findet im Stillen statt. Er hat viel Zeit nachzudenken und muss nicht einem Dutzend Geldgeber gefallen. Und wenn er fertig ist, kann sein Buch langsam seine Wirkung entfalten. Beim Film ist das anders. Deswegen haben sie in meine komischen Geschichten diese Liebesgeschichte reingeschrieben, weil ein Film ohne Liebesgeschichte eben nicht bestehen kann. Ein Film muss wie ein Feuerwerk funktionieren, es muss knallen und bunt sein. Und das alles auf einmal und am besten die ganze Zeit über.

Während der Dreharbeiten übernahm Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg zusätzlich auch die Regie…
Kaminer: Ja, und das war die richtige Entscheidung, finde ich. Wer sonst soll ein Drehbuch verfilmen, wenn nicht der Autor selbst? Der weiß ja am besten, was er da geschrieben hat.

Und dass Ziegenbalg vorher noch nie Regie geführt hatte war kein Problem?
Kaminer: Nein, es ist doch oft so, dass die ersten Projekte eines Menschen auch die besten sind. Besser ein erster Film von einem aufstrebenden Regisseur als ein 120. von einem Woody Allen.

Sie spielen in der Verfilmung einen polnischen Händler, der die Russen übers Ohr hauen will. Außerdem leihen Sie Ihre Stimme einem russischen Radiodoktor, dem Sie auch in der Buchvorlage ein Kapitel gewidmet haben.
Kaminer: Der Radiodoktor aus „Russendisko“ ist mir so ans Herz gewachsen, dass ich ein ganzes Buch mit Empfehlungen von ihm schreiben könnte. Was meine Rolle betrifft, so haben wir einmal mit der Familie den Drehort besucht, und um nicht nur herumzustehen, habe ich mir diese Rolle des polnischen Händlers ausgedacht, der gefälschte Mauersteine gleich eimerweise an die Russen verkauft. Die Texte für den Radiodoktor haben wir am gleichen Tag aufgenommen.

Die Kennenlerngeschichte zwischen Ihnen und Ihrer Frau und die Freundschaft zu zwei jungen Russen, die mit Ihnen nach Deutschland ausgewandert sind, dienen als Rahmenhandlung für den Film. Sind beide Geschichten frei erfunden oder ist etwas Wahres dran?
Kaminer: Die wahre Kennenlerngeschichte zwischen mir und meiner Frau war sicher nicht ganz so bildhaft. Meine Frau hat in einer Kneipe am Tresen gearbeitet und ich hab im gleichen Haus Theaterproben gehabt. Nach der Probe bin ich immer runtergegangen in die Kneipe, und so haben wir uns kennengelernt. Durch sehr viele alkoholische Getränke eben.

Und die Freundschaft zu den zwei Jungs?
Kaminer: Die gab es, volle Pulle. Der eine ist inzwischen in Amerika, der ist vor Jahren nach L.A. ausgewandert, weil er eine Green Card gewonnen hat. Und von dem anderen habe ich die Mutter vor kurzem auf der Straße getroffen. Sie meinte, sie hat die Kinoplakate gesehen, und sagte: „Das soll Mischa sein? – Der sieht aber doch ganz anders aus.“

Die Russendisko ist ja auch eine Partyreihe, die Sie seit 1996 veranstalten. Ist die immer noch erfolgreich?
Kaminer: Wir konnten uns nie beschweren wegen mangelndem Publikum. Und jetzt, in Folge dieser Werbemaßnahmen für den Film, haben wir riesige Schlangen vor der Tür. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was bei uns in der Russendisko los ist, wenn der Film erstmal raus ist.

Nur wenige Partyreihen in Berlin sind von so langer Dauer. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Russendisko?
Kaminer: Der Hauptgrund sind wir, glaube ich. Nicht die Musik. Weil wir das so menschenfreundlich gestalten und weil wir, trotz der vielen Jahre auf dem Buckel, Spaß daran haben. Auch an dieser Musik und an dieser Gesellschaft. Das schwappt über auf die Menschen, deswegen kommen sie gerne zu uns.

Können Sie gut tanzen?
Kaminer: Früher konnte ich nicht so gut tanzen. Und auch nicht singen. Aber inzwischen, glaube ich, habe ich das ein bisschen gelernt. Ich denke schon, dass ich gut tanzen kann. Ich habe ja eine gute Schule, ich tanze fast jede Woche hinter dem DJ-Pult, sechs bis sieben Stunden. Da würde sogar ein Kaninchen tanzen lernen.

Zitiert

Besser ein erster Film von einem aufstrebenden Regisseur als ein 120. von einem Woody Allen.

Wladimir Kaminer

Wie würden Sie denn Ihren Tanzstil beschreiben?
Kaminer (fragt seine Frau im Hintergrund): Wie würdest du meinen Tanzstil beschreiben, Olga? … – Ich würde sagen, das ist ein Tanzstil mit Courage.

Also ohne jede Hemmung?
Kaminer: Ja, genau.

Bei den Russendisko-Abenden haben Deutsche und Russen ja die Gelegenheit, sich besser kennenzulernen.
Kaminer: Ja, grundsätzlich dient diese Veranstaltung der Kommunikation und Völkerverständigung. Aber es ist dort so laut und so dunkel, dass man eigentlich gar nicht feststellen kann, wer von wo kommt.

Gibt es ein Stammpublikum?
Kaminer: Berlin ist zu einer Touristenmetropole geworden. Und so hat sich auch unser Stammpublikum in den Massen von Spaniern und Italienern aufgelöst, die Berlin als eine Art „Paris für Arme“ für sich entdeckt haben.

Wissen Sie, wie viele Ehen zwischen Deutschen und Russen Sie schon gestiftet haben?
Kaminer: Jedes Jahr bekomme ich Fotos von Kindern zugeschickt, die aus Bekanntschaften hervorgegangen sind, die bei der Russendisko entstanden sind. Manche von diesen Kindern gehen bereits aufs Gymnasium. Ja, da sind schon sehr viele Partnerschaften entstanden. Sehr viele sind aber auch wieder zu Bruch gegangen. Was will man machen, das Leben geht weiter.

Sie leben jetzt seit über 20 Jahren in Deutschland – fast die Hälfte Ihres Lebens. Finden Sie, dass russische Einwanderer gut integriert sind?
Kaminer: Ich denke, dass sich in diesen 20 Jahren Deutschland stark verändert hat. Und ich glaube, dass die Integration ein fortwährender Prozess ist, an dem alle beteiligt sind. Nicht nur die Russen oder die Ausländer, sondern auch die Einheimischen.

Funktioniert dieser Prozess Ihrer Meinung nach in Berlin?
Kaminer: Ich finde, dass es eine Herausforderung ist. Jede Stadt, die nicht als Provinznest untergehen will, muss sich regelmäßig durchdringen lassen von neuen Menschen. Und nur so flexible Konstruktionen wie Berlin können langfristig auch bestehen, glaube ich, wo jedes Jahr ein anderer Bezirk als Zentrum gelobt und gefeiert wird, wo große Mengen von Menschen hin- und herziehen, wo viele Freischaffende leben, Menschen, die auf ihre eigene Kreativität angewiesen sind und keinen allgemeinen Arbeitgeber haben. Das ist ein perfektes Pflaster für das, was Sie als Integration bezeichnen.

Doch hat man in Berlin als Russe auch die Möglichkeit, ausschließlich auf russische Dienstleistungen und Anbieter zurückzugreifen – vom Friseur bis zum Supermarkt. Kaufen Sie lieber im deutschen oder im russischen Supermarkt ein?
Kaminer: Ich gehe ab und zu mal in den russischen Supermarkt. Da sprechen die Kassiererinnen genauso gut deutsch wie russisch und wenn sie die Nationalität nicht gleich erkennen, reden sie zur Sicherheit immer deutsch. Übrigens gehen auch sehr viele Vietnamesen russisch einkaufen. Warum, weiß ich nicht. Wahrscheinlich weil sie früher viele russische Lebensmittel bekommen haben, noch zu sozialistischen Zeiten.

Gibt es russische Lebensmittel, die Sie so lecker finden, dass sie jeder Deutsche mal probieren sollte?
Kaminer: Da gibt es sehr viele! Das Wichtigste sind die Gurken, die Salzgurken. Die Deutschen können kein Gemüse richtig einlegen, die bringen ihre Gurken mit Essig um. Russische Gurken sind unschlagbar!

Womit haben Sie auch nach 20 Jahren in Ihrer Wahlheimat noch Probleme, worüber können Sie sich richtig aufregen?
Kaminer: Über diese immer wieder aufflackernde Diskussion über das Deutschland, das sich abschafft. Diese panische Angst, etwas zu verlieren, was dann nie wiederkommt. Sicher ist das Leben eines Landes auch immer im Fluss, ein Deutschland schafft sich ab, aber dafür entsteht auch ein neues. Wir verlieren ständig in unserem Leben etwas Gutes, aber wir finden auch viel neues Gutes dafür. Die Angst vor der Zukunft, die Sorge um die Zukunft ist hier, glaube ich, etwas übertrieben. Und man verliert dann oft den Blick für die Gegenwart. Das habe ich auch in meinem letzten Buch, „Liebesgrüße aus Deutschland“, versucht klar zu machen.

Sie sind so etwas wie der Lieblingsrusse der Deutschen. Wie hoch ist Ihr Bekanntheitsgrad in Russland?
Kaminer: In Russland bin ich nicht so bekannt. Wenn ich mal russische Fernsehreporter bei mir zu Hause habe, dann nicht wegen meiner Literatur, sondern weil die Landsleute zeigen wollen, die in anderen Ländern etwas erreicht haben. „Unsere Menschen im Ausland“ ist ein wichtiges Thema in Russland. Da finden sie dann jemanden in Argentinien, der Rinder züchtet, in Frankreich einen russischen Winzer und in Deutschland einen Russen, der deutscher Schriftsteller geworden ist.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.