Wladimir Kaminer

Eine andere Form von Demokratie

Wladimir Kaminer über Wahllosigkeit in Russland, Medwedews Lieblingsband, Meinungsfreiheit und die Unschuld des Kreml

Wladimir Kaminer

© Maika Gregori

Herr Kaminer, wann waren Sie zuletzt in Russland?
Kaminer: Ich bin gerade erst diese Woche aus Moskau zurück gekommen.

Und was war Ihr letzter bleibender Eindruck von Russland?
Kaminer: Als wir auf dem Weg zum Flughafen Demodedowa waren hat uns kurz vor dem Flughafen plötzlich ein Schneesturm erwischt.

Stürmischer Wahlkampf ist in Russland ja derzeit nicht, oder?
Kaminer: Nein, ich war mit einem ZDF-Team in Moskau, um eine Vor-Wahl-Sendung zu drehen. Und die ZDF-Leute haben nach Wahlkampf-Plakaten gesucht – aber sie haben keine gefunden. Das war sehr lustig.

Haben Sie denn in den letzten Tagen mal russisches Fernsehen geguckt?
Kaminer: Ich habe im Moskauer Hotel russisches Fernsehen geguckt, zwei Abende hintereinander und das war eigentlich viel unterhaltsamer als deutsches Fernsehen. Die haben „French Connection“ gebracht, viele alte Filme…

Und Wahlkampf?
Kaminer: Von Wahlkampf ist nicht wirklich viel zu sehen. Viel mehr wird gerade das Jubiläum von Gasprom besprochen, zu dem der Präsidenten-Kandidat Medwedew seine Lieblingsband Deep Purple eingeladen hat. Er hat in einem Interview sogar gesagt, dass er alle Platten von Deep Purple auf Vinyl hat. Also, wenn er tatsächlich Präsident wird, dann muss man lange nach einem anderen Land suchen, wo der Präsident im Besitz von allen Deep Purple-Platten ist.

Ist das jetzt gut oder schlecht für Russland?
Kaminer: Ich glaube, dass ist eine ganz deutliche pro-westliche Entwicklung (lacht).

Das Fehlen eines Wahlkampfes in Russland, ärgert Sie das nicht?
Kaminer: Sie haben vollkommen Recht, es steht in Russland tatsächlich sehr wenig zur Wahl. Das bedeutet für mich aber nicht, dass Russland keine Demokratie ist. Das ist eine andere Form von Demokratie. Ich glaube, es gibt sowieso keine allgemeine Form von Demokratie, die zu allen Ländern gleichermaßen passen würde. Und man muss auch sagen, dass die großen ideologischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts inzwischen ausgekämpft wurden. In vielen Ländern steht sehr wenig zur Wahl. In Deutschland tut man immer so als würden hier die zwei großen bürgerlichen Parteien zwei völlig unterschiedliche politische Programme an den Tag legen…

Sie meinen in Deutschland herrschen ähnliche politische Zustände wie in Russland?
Kaminer: Ich möchte nur sagen, dass sich die Richtung der politischen Entwicklung in allen Ländern ein bisschen ähnelt. Es geht nicht mehr um die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus. In Russland wird die kommunistische Partei, auch wenn sie sich noch so anstrengt, niemals ernstgenommen von einer nennenswerten Anzahl von Bürgern. Weil die diese Erfahrung schon hinter sich haben – und man darf eben nicht zwei Mal auf die gleiche Harke treten.

Denken Sie, Putin verfolgt eine langfristige Strategie?
Kaminer: Putin hatte in vielen Sachen Erfolg. Ich kann nicht behaupten, dass er tatsächlich eine Strategie hat. Aber ich glaube dass sich die Regierung natürlich kurzfristige und langfristige Ziele gesetzt hat. Viele kurzfristige Ziele hat Putin auch erreicht in diesen acht Jahren. Sein Hauptziel aber wahrscheinlich nicht, was die Bekämpfung von Korruption betrifft. Das ist besonders draußen in der russischen Provinz nicht besser sondern eher schlechter geworden. Das weiß ich aus erster Hand weil meine Frau und ich da viele Verwandte haben, die kleine Geschäfte besitzen.
Aber vielleicht ist es gar keine so schlechte Entwicklung, wenn jetzt ein Jurist in den Kreml zieht. Wie ich gehört habe, hat Medwedew sehr viel vor, was Gesetzesbildung betrifft. Er will einen Gesetzes-TV-Sender einführen, einen extra Fernsehkanal, in dem die Bürger alles über ihre Rechte und Pflichten erfahren.

Nun wird das russische Fernsehen heute vom Kreml weitestgehend kontrolliert – sehen Sie das nicht kritisch?
Kaminer: Sicherlich sehe ich das kritisch. Aber ich habe auch sehr gut in Erinnerung, was davor war, welche Leute davor diese Sender kontrolliert haben. Die Sender waren nie Volkseigentum, die haben nie unabhängig arbeiten können. Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren sie fest in den Händen von Menschen die ihre eigenen Interessen verfolgt haben. Und das waren nicht die Menschen, die man gern als Meinungsherrscher hat.

Auch wenn die 90er Jahre ihre Probleme hatten, so konnte man damals doch mehr von Demokratie sprechen als heute.
Kaminer: Man kann es aber auch so sehen, dass die wilden Kapitalisten entwaffnet wurden, von den Offizieren der Staatssicherheit. Die sahen die Sicherheit in Gefahr und mussten in dieser Situation eingreifen. Allerdings, wenn man sich Russland heute anschaut: wir haben gar nicht weniger Oligarchen als früher, nicht weniger Multimilliardäre sondern mehr. D.h., dass diese staatliche Kontrolle, wie auch immer sie ausfällt, den Kapitalismus in Russland nicht bremst sondern sogar begünstigt.

Zitiert

Sie haben Recht, es steht in Russland tatsächlich sehr wenig zur Wahl.

Wladimir Kaminer

Kritiker bringen das mit Korruption in Verbindung.
Kaminer: Da haben Sie gar nicht so Unrecht. Ich möchte aber noch etwas zur Meinungsfreiheit sagen: Während der zwei Tage, die ich in Moskau war, habe ich dort auch sehr viel kritisches Material gelesen, in verschiedenen Zeitungen. Das ist nicht zu vergleichen mit der Atmosphäre in der Sowjetunion. Damals hat das Dissidententum tatsächlich für große Aufregung gesorgt. Damals gehörte wirklich sehr viel Haltung und eine gewisse Heldenhaftigkeit dazu, um sich gegen das Regime zu stellen. Heute dagegen werden die Oppositionellen von der Bevölkerung oft verspottet.

Ihr Schriftstellerkollege Wladimir Sorokin vergleicht das heutige Russland in seinem Buch „Der Tag des Opritschniks“ mit der Zeit Iwan des Schrecklichen…
Kaminer: Ach, als Schriftsteller kann man mit ein wenig Phantasie jede Phase in der russischen Geschichte mit der Zeit von Iwan des Schrecklichen vergleichen. Man kann mit ein wenig Phantasie natürlich immer sagen, dass sich nichts, gar nichts verändert hat seit der damaligen Zeit – und dabei auch Recht haben. Dass es immer in diesem großen Land nur mit Gewalt zu regieren galt, dass überhaupt keine andere Möglichkeit jemals bestand, der Bevölkerung mehr Freiheit zu geben, weil das Land sofort in anarchistischen Umständen versank… Ich persönlich halte nichts von solchen Spekulationen und Vergleichen. Ich bin in die Zukunft gerichtet. Ich bin noch gar nicht so alt, ich bin 1967 geboren, ich kann mich an die 70er neblig erinnern, ich kenne die 80er, die 90er sind mir gut in Erinnerung geblieben, die heutige Situation kann ich auch mehr oder weniger nachvollziehen – ich sehe da eine positive Entwicklung. Ich sehe, dass die Grenzen weggefallen sind, viel mehr Ausländer heute in Russland leben als jemals zuvor, auf jeder Straße, nicht nur in Moskau, auch in der Provinz, hört man immer mehr ausländische Sprachen, die Menschen erfahren mehr voneinander…

Aber das Vorgehen der Regierung gegen die Opposition und kritische Presse ist unter Putin sehr brutal geworden, 13 Journalisten sind in seiner Amtszeit getötet worden.
Kaminer: Ich glaube, dass vor Putin viel mehr getötet worden sind.

Ist das jetzt eine Legitimation?
Kaminer: Nein, natürlich nicht. Aber schauen Sie, Deutschland unterhält ständig Kontakte mit Ländern in denen Menschenrechte viel schlimmer mit Füßen getreten werden und noch viel mehr Journalisten sterben, aber damit hat man hier nie ein Problem. Nur wenn es um Russland geht ist das auf einmal sehr wichtig.
Ich glaube außerdem nicht, dass diese 13 Journalisten in irgendeiner Weise eine Gefahr darstellten für die Regierung im Kreml. Genau wie dieser tragische Mord an Politkowskaja, der dem politischen Ansehen Russlands viel mehr geschadet hat als man sich überhaupt vorstellen kann.

Warum werden die Journalisten dann gegängelt und bedroht? Nehmen wir Natalia Morar von „Nowoje Wremja“, der seit ihrem Artikel über schwarze Kassen im Kreml die Wiedereinreise nach Russland verweigert wird, mit der Begründung sie stelle „eine Bedrohung der nationalen Sicherheit“ dar.
Kaminer: Ich verfolge auch diese Geschichten in der Presse und im Internet. Und es ist tatsächlich… also, dieser Kampf gegen freie Meinungsäußerung, den in Russland manche Behörden betreiben, ist ziemlich unsinnig. Aber ich glaube auch nicht, dass das die offizielle Kreml-Politik ist. Ich glaube, dass sich da bestimmte Leute einfach überanstrengen.

Ach so. All das ist von Putin also gar nicht gewollt.
Kaminer: Nein, das glaube ich nicht.

Und dass der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat Michail Kasjanow von der Wahl ausgeschlossen wurde, das die OSZE die Wahl boykottiert, das europäische Institutionen wie das British Council oder die Europa-Universität in St.Petersburg kürzlich geschlossen wurden – das hat alles nichts mit der Politik des Kreml zu tun?
Kaminer: (lange Pause) Keine Ahnung. Ich kann es mir nicht vorstellen. Warum sollte dahinter der Kreml stecken? Hinter all den großen Skandalen aus der jüngsten Vergangenheit, der mit Polonium vergiftete Agent, die getöteten Journalisten – ich kann mir eine solche Politik nicht vorstellen. Ich kenne diese Kreml-Leute als Pragmatiker ersten Grades. Und solche Dinge würden denen doch nur schaden. Warum sollen die sich selbst schaden? Und auch wenn das schreckliche Dinge sind, die Sie genannt haben, ich denke immer noch es ist besser als diese ultimative Abneigung des Westens, die es früher in der Sowjetunion gab.

Während die außenpolitischen Beziehungen Russlands teils schwierig sind, scheint sich das Land wirtschaftlich immer mehr nach Europa hin zu öffnen…
Kaminer: Aber das geht nicht ohne politische Öffnung. Das ist auch das, was alle von diesen Wahlen erwarten: Dass mit der wirtschaftlichen Liberalisierung eine politische Liberalisierung einhergeht. Und da ich auch Verwandte und Freunde in Russland habe, bin ich daran interessiert, dass dieses Land sich in Richtung Europa, in Richtung europäische Kultur öffnet und entwickelt.

Ist Putin denn gut für diese Entwicklung? Sie haben Ihn ja mal als den „neuen Lenin“ bezeichnet.
Kaminer: Ich bin überhaupt kein Fan von Putin. Er war halt die Alternative zu dem was vorher war. Aber alle Menschen, die ich jetzt in Moskau getroffen habe, schimpfen auf Putin, ich habe keinen einzigen Anhänger gesehen – und ich habe wirklich mit vielen gesprochen. Wir waren in verschiedenen alternativen Clubs, haben mit älteren Leuten gesprochen, mit jüngeren… Alle finden das zum Kotzen, sie wollen das Gesicht nicht verlieren in den Augen des Westens, weil es so wenig Gegen-Kandidaten gibt und weil diese Kandidaten keine gute Figur abgeben. Die finden das alles total doof. Außer die Deep Purple-Fans. Es gibt wirklich sehr viele Deep Purple Fans in Russland. Aber allein auf Deep Purple-Fans kann man ja keine ernste Politik aufbauen Ja, es gibt zur Zeit eine gewisse Wahllosigkeit. Ich bin aber nicht der Meinung, dass sich das in der Zukunft Russlands negativ widerspiegeln wird.

Halten Sie das Russland-Bild in deutschen Medien für zu wenig differenziert?
Kaminer: Für mich ist das eindeutig eine Verteufelung der Lage. Ganz sicher. Es wird mystifiziert bis zum Getno, unglaublich. Jede Differenzierung wird vermieden und der einfache Bürger in Deutschland stellt sich sofort vor, dass Putin eigenhändig Journalisten umbringt von irgendwelchen kleinen Zeitungen und irgendwelche Agenten mit Gift im Ausland tötet, die eigentlich nie Agenten waren usw. Das ist schon eine sehr schwarz-weiße Berichterstattung die hierzulande im Fall Russlands vorherrscht.

In Russland selbst ist sehr viel von Stabilität die Rede, vom Wiedererstarken des Kreml und für Putins Politik gab zuletzt überwiegende Zustimmung…
Kaminer: Ich glaube, dass die Menschen in Russland verängstigt sind. Und da ist es in Russland wie überall auf der Welt: aus diesen Ängsten schnüren Politiker oft ihre politischen Doktrinen. Und dort, wo die Ängste am größten sind, haben die Politiker die Möglichkeit, am stärksten ihre Macht aufzubauen. Die Ängste der Russen sind verständlich, nach 70 Jahren sozialistischer Diktatur. Und nach allem, was danach passierte, haben sie das Gefühl: Nichts auf dieser Welt ist sicher. Für viele Leute gilt diese Regel: starker Staat schütze mich. In Deutschland ist das genau dasselbe. Hier schnürt der Staat auch Ängste vor kriminellen Ausländern, hier werden auch Wahlen gewonnen mit großen Plakaten mit Handschellen drauf. Das ist auch nicht wirklich demokratisch.

Sind Sie denn eher für einen starken Staat in Russland, der die Macht im Kreml bündelt, oder eher für ein demokratisches System?
Kaminer: Das wird ein demokratisches System. Ich weiß, dass es nicht danach aussieht, aus dem Blickwinkel der Deutschen. Mit diesen ganzen Offizieren und Gasprom-Leuten, der Korruption und dem komischen Geld. Aber das ist ein demokratisches System. Das ist kein totalitäres System wie früher, sondern ein demokratisches. Kein demokratisches, das reibungslos funktioniert, wo alle Parteien die Primetime im Fernsehen bekommen, wo alle Parteien auf gleiche Art und Weise Werbung machen können. Natürlich ist alles viel mieser als in einer reibungslosen Demokratie. Nur glaube ich auch: es gibt keine reibungslose Demokratie. Demokratie ist eine lebendige Form die eine Gesellschaft nicht stagnieren lässt, es entwickelt sich. Geben sie Russland doch noch ein paar Jahre.

Aber viele Leute verlieren die Hoffnung, wenn sie sehen, wie den NGOs das Leben schwer gemacht wird, wie immer schärfere Mediengesetze verabschiedet werden…
Kaminer: Waren die Medien in Russland jemals besser gestellt als heute? Natürlich ist das heute zum Kotzen, aber das was früher war – also, kein Medienmensch würde zu Ihnen sagen, dass die Sendungen heute wieder so werden sollten wie 1998. Damals war es eben ein anderes Extrem. Es ist… ich weiß auch nicht. Ich bin kein Politiker. Ich bin ein Beobachter. Ich sehe auch die Dinge, die Sie mir schildern und ich hoffe auf das Bessere.
Ich glaube sowieso dass keine Regierung Russlands die Bevölkerung tatsächlich repräsentiert. Es sind letzten Endes immer die Menschen, die zu einem politischen Ereignis führen. Das sind die Massen.

Würden Sie eigentlich in Ihre Heimat zurückkehren wollen?
Kaminer: Nein, natürlich nicht. Ich habe hier in Deutschland eine sehr nette Ecke gefunden. Außerdem habe ich kleine Kinder, und zurückkehren in meine Heimatstadt Moskau? Moskau hat sich sehr stark verändert, das ist nichts für Kinder, glaube ich.

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