Wir sind Helden

Je erfolgreicher man wird, desto unwirklicher wird die Umgebung.

Judith Holofernes von Wir sind Helden über Erschöpfung, das Geschichtenerzählen, Selbstzensur und das Problem, sexsüchtig zu singen

Wir sind Helden

© Billy & Hells

Judith, nach eigenem Bekunden geht es auf eurem Album um „Verlaufensein und Verlorenheit“. Ist „Bring mich nach Hause“ eine traurige Platte geworden?
Holofernes: Nein, eigentlich nicht – obwohl es darauf auch melancholische Lieder gibt, die ein sehr dunkles Herz haben. Die Platte hat vielmehr etwas Traumhaftes und Fantastisches, weil wir darauf sehr viele Geschichten erzählen. Im Rückblick habe ich fast das Gefühl, unbeabsichtigt ein Konzeptalbum gemacht zu haben, das im Grunde genommen bloß eine einzige Geschichte erzählt. Aber ich weiß nicht, ob sich das von außen auch so darstellt.

Aber wieso ist das Geschichtenerzählen auf dieser Platte so präsent? Liegt das daran, dass du zuhause permanent Kinderbücher vorlesen musstest?
Holofernes: Ja, genau. Ich erzähle den Kindern vorm Einschlafen lauter seltsame Geschichten aus den Sümpfen der menschlichen Existenz. Vielleicht habe ich auch einfach zu viel Grüffelo gelesen (lacht). Es war beim Schreiben diesmal so, dass ich so ein wohltuendes Gefühl verspürt habe, eigentlich bereits alles gesagt zu haben. Dieses Album ist daher mehr aus der Lust am Schreiben und weniger aus einem inneren Mitteilungsdrang entstanden.

Du bist also mit dir im Reinen. Das kann in künstlerischer Hinsicht für manch einen Musiker auch zum Problem werden.
Holofernes: Wer ist schon komplett mit sich im Reinen? Das Schreiben hat natürlich immer auch etwas Selbsttherapeutisches. Und ich bin auf jeden Fall jemand, der übers Schreiben durchaus innere Konflikte aufdröselt – teilweise auch ohne Rücksicht auf Verluste. Ich denke dann nicht darüber nach, ob ich bestimmte Dinge wirklich der Welt mitteilen möchte, sondern schreibe einfach drauflos. Und am Ende finde ich es dann meistens zu schön, um es für mich zu behalten.

Es gibt demnach keinerlei Selbstzensur, bevor ein Text von dir auf einer Platte landet?
Holofernes: Eigentlich nicht. Aber beim Stück „Meine Freundin lag im Koma und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T-Shirt“ war es dieses Mal sehr schwierig, weil das inhaltlich sehr nah an mir dran war. Ich hatte durchaus den Eindruck, dass das eventuell zu hart sein könnte. Ich habe das dann Pola vorgelegt, und der hat das genauso gesehen. Dann habe ich es jedoch der Freundin gezeigt, um die es in dem Stück geht, und die fand es total toll und meinte, dass man das sogar unbedingt machen müsse.

Welche Umstände haben denn die Punkte „Verlaufensein“ und „Verlorenheit“ zu den zentralen Themen dieses Albums gemacht? Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass du mittlerweile Mutter bist, hätte man eher vermutet, dass du dich nun gefunden hast anstatt verloren gegangen zu sein.
Holofernes: Ich glaube, ich bin irgendwo zwischen den Kindern und dieser Band verloren gegangen. Das darf man allerdings nicht falsch verstehen: Ich habe großes Glück auf beiden Seiten, bin wahnsinnig happy mit meiner Familie und auch mit der Band. Aber zusammen addiert sich das leider zu 250% – und das ist jenseits von anstrengend. Die letzte Tour hat Pola und mich tatsächlich ein wenig über den Rand gedrängelt. Das war zu viel. Wir sind jedoch beide sehr loyal und wollen, dass alles läuft. Daher haben wir uns beim letzten Mal vor allem darauf ausgerichtet, dass es für unseren Sohn Friedrich funktioniert. Wir haben in sämtlichen Interviews auch immer voller Überzeugung gesagt, wie toll das alles klappt – und für Friedrich war das auch so.

Und für euch selbst?
Holofernes: Wir haben überhaupt nicht darauf geachtet, ob es für uns funktioniert. Und das hat es nicht. Bloß fünf Stunden schlafen, dann Interviews geben, Soundcheck machen, Konzert spielen und eine Plattenfirma zu haben, die einem unterm Arsch kollabiert – das ist in der Summe dann doch ein bisschen zu viel gewesen.

Zitiert

Ich habe mich nach der letzten Platte nach Auslöschung gefühlt und hätte mich am liebsten in Kryptonit eingefroren.

Wir sind Helden

Das Vokabular auf „Bring mich nach Hause“ ist zum Teil ungewohnt, im Titelsong tauchen Wörter wie „Gift“, „Schmerz“, „Dunkelheit“ oder „verbluten“ auf…
Holofernes: Ja, bei dem Lied habe ich tatsächlich versucht, Worte für tiefste körperliche und seelische Erschöpfung zu finden. Aber wo geht man da hin mit seinem Vokabular? Im Prinzip ist das Lied ein bisschen wie eine Meditation. Ich habe Sachen aufgeschrieben, für die ich mich sonst in den mentalen Schutzraum der Meditation zurückziehe, um dort meine Speicher aufzufüllen. Aber wenn ich mich jetzt zum Meditieren irgendwo hinsetzen würde, würde ich wahrscheinlich sofort einschlafen und vornüber knallen – das geht also nicht. Also habe ich diesen Text geschrieben.

Nach „Speicher aufladen“ klingt das Stück aber nicht.
Holofernes: Ich weiß, Textzeilen wie „schlag mich nieder, ich bin nicht still genug“ vermitteln auf den ersten Blick natürlich nur wenig Erfreuliches. Aber das fußt tatsächlich auf der Sehnsucht nach Ruhe und Stille – und in diesem Lied ist es eben mal die etwas dunklere Seite davon. Ich habe mich nach der letzten Platte nach Auslöschung gefühlt und hätte mich am liebsten in Kryptonit eingefroren. Komplett auf Null gesetzt, um dann ganz langsam wieder hochzufahren.

Ist das auch der Grund dafür, warum das Zuhause jetzt so ein großes Thema in den Texten ist?
Holofernes: Ja, klar. Zumal das physische Zuhause in unserem Leben lange Zeit kaum existent war. Wenn ich zuhause in Berlin bin, fühle ich mich daher oft wie im Urlaub. Wenn wir raus gehen mit einer neuen Platte im Arm, hoffe ich daher, mir ein Stück Zuhause mitnehmen zu können. Denn das ist das einzige, was einem den Arsch rettet, wenn man ein Leben hat, das so viel im Draußen stattfindet wie unseres.
Wenn man seine Tage in neonbeleuchteten Backstageräumen zubringen muss, dann zerrt das mit der Zeit auf jeden Fall am Nervenkostüm. Hinzu kommt: Je erfolgreicher man wird, desto unwirklicher wird die Umgebung. Deswegen verstehe ich inzwischen auch all diese Diven, die sich ihre eigenen Wohnzimmer im LKW mitnehmen. Ich muss wirklich nicht im Hilton leben, aber so ein gemütliches Wohnzimmer wäre manchmal schon ganz schön.

Das Album wurde von Ian Davenport produziert, der kaum Deutsch spricht. Musstet ihr ihm immer die jeweiligen Inhalte der Songs erklären?
Holofernes: Ja, er meinte, dass es ihm total wichtig wäre, auch den Texten gerecht werden zu können. Und da kamen wir dann plötzlich ins Grübeln, ob das wirklich funktionieren kann. Aber ich habe ihm dann mit einem Freund zusammen die Texte übersetzt, ganz viele kleine Fußnoten gemacht und viel mit ihm darüber gesprochen; und das hat wunderbar geklappt. Ich habe mit Ian am Ende sogar mehr über die Texte gesprochen als mit sonst irgendjemandem – Pola mal ausgenommen. In der Band existiert da teilweise eine regelrechte Scheu.

Tatsächlich?
Holofernes: Ja, da kommen dann solche Sätze wie „Nur, damit ich es nicht falsch verstehe, geht es dir da um…“. Das ist immer ganz vage, als wolle man einen gewissen Zauber nicht brechen. Und Ian war plötzlich jemand, mit dem ich da total in die Tiefe gegangen bin, mit dem es auch darum ging, was ich überhaupt in der Stimme ausdrücken möchte. Der hat sich da wahnsinnig gut eingefügt und reingefühlt, und bei den Aufnahmen dann auch sehr präzise Anweisungen gegeben. Der hat zum Beispiel auch gesagt, dass er es hört, wenn ich ablese und mich dann mal eine Stunde rausgeschickt, um einen Text auswendig zu lernen.

Er soll dich ja auch dazu aufgefordert haben, „sexsüchtig“ zu singen…
Holofernes: Allerdings (lacht). Das hatte bei un­se­rer ers­ten ge­mein­sa­men Auf­nah­me für ziemliche Ver­wir­rung ge­sorgt. Bis sich dann nach 20 Mi­nu­ten De­bat­te, einer Du­el­lauf­for­de­rung von Polas Seite und der schlich­ten­den Be­fra­gung eines Über­set­zungs­pro­gramms raus­ge­stellt hat, dass er sich ei­gent­lich eine „sehn­süch­ti­ge“ Dar­bie­tung ge­wünscht hatt

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