Wim Wenders

Als Fotograf bin ich überhaupt nicht überzeugt von der digitalen Technik.

Regisseur Wim Wenders über „Palermo Shooting“, das Havanna Europas, seine Ablehnung der Digitalfotografie und den schmerzlichen Verzicht auf Originalsprache

Wim Wenders

© Donata Wenders/Senator

Herr Wenders, in Ihrem Film „Palermo Shooting“ gibt es eine Szene, die ich fast nicht ausgehalten habe.
Wenders: War sie lang oder kurz?

Eher lang. In dieser Szene spaziert der Fotograf Finn, gespielt von Campino, zum ersten Mal durch die Altstadt von Palermo. Man sieht Menschen auf den Straßen, eine Ziege in einer Tür verschwinden, aber die Geräusche der Stadt werden einem vorenthalten….
Wenders: Weil der Zuschauer nur das hört, was Finn hört: die Musik aus seinem Ipod.

Das hat mich fast wahnsinnig gemacht.
Wenders: Es dauert halt eine Weile, bis Finn ohne Kopfhörer durch die Stadt geht und wirklich alles hört. Der zockelt am Anfang noch wie ein Zombie herum, mit seinem eigenen Soundtrack im Ohr. Er ist noch nicht richtig da, weder bei sich, noch in Palermo. Es war unsere „böse Absicht“, dem Zuschauer die Geräusche erst vorzuenthalten.

Gehen Sie selbst manchmal mit dem Kopfhörer durch die Stadt?
Wenders: Lange Zeit habe ich das gern gemacht, auch jetzt manchmal noch, in der S-Bahn oder so. Aber man hat dann eine völlig andere Wahrnehmung, lebt auf einem anderen Planeten. Finn braucht eine ganze Weile, bis er das loslassen kann, bis er dann gegen Ende der Geschichte am frühen Morgen durch die Stadt geht, sie erwachen sieht und zum ersten Mal wirklich hört, wie Palermo klingt.

Wie hört sich Palermo an?
Wenders: Chaotisch, laut, überhaupt nicht gemütlich. Ich habe noch nie so viele Autos so oft hupen hören; auch die Vespas fahren da praktisch permanent quäkend durch diese alte, auch sehr arme Stadt. Andererseits ist Palermo aber nicht nur ein Kracher als Stadt, sondern hat auch ganz viele stille Gassen, in denen man die erstaunlichsten Funde machen kann. Vor allem unglaublich viele kleine Handwerkerläden, meist zur Straße hin offen, so dass die noch halb draußen arbeiten.

Was waren Ihre ersten Eindrücke von Palermo, als Sie 1969 zum ersten Mal da waren?
Wenders: Da kamen meine eigenen Kindheitserinnerungen hoch. Ich bin ja in einer zerstörten Stadt aufgewachsen. Nach Kriegsende 1945 war Düsseldorf zu 80 Prozent flach. Und Palermo hatte noch alle Wunden der Bombardierung durch die Amerikaner. Die hatten Palermo 1943 in Schutt und Asche gelegt, weil sich die Deutschen und die italienischen Faschisten dorthin zurückgezogen hatten. Und da sah es Ende der 60er eigentlich noch genauso aus wie nach dem Krieg.

Warum haben Sie Palermo zum Haupthandlungsort Ihres neuen Films gemacht?
Wenders: Ich hatte Palermo ursprünglich nur als Gegenstück zu Finns Wohnort Düsseldorf konzipiert, als eine Art „Havanna in Europa“. Aber als ich dann hingefahren bin, um an der ersten Drehbuchfassung zu arbeiten und die Stadt dabei erst richtig entdeckt habe, wurde mir klar, dass Palermo nicht nur zufällig eine gute Wahl als Drehort war, sondern mehr mit dieser Geschichte zu tun hatte, als ich ahnte. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es dort „Il Trionfo della Morte“ gibt, jenes Fresko aus dem 15 Jahrhundert, das nun im Film eine zentrale Rolle spielt. Auch die Kapuzinergruft, in der Tausende von mumifizierten Leichen hängen zeigte mir, was die Stadt über den Tod weiß, welche Geschichten sich in dieser Stadt mit dem Tod verbinden.

„Palermo Shooting“ handelt von einem Mann, der vor dem Tod und der Angst vor dem Tod wegläuft. Dafür hätte man also einen besseren Schauplatz nicht einmal erfinden können?
Wenders: Absolut. Ich finde es auch immer ganz wichtig, dass die Orte sich miterzählen und dann auch eine Rolle als Hauptakteure spielen. So war auch lange Zeit nicht klar, wo wir die Szene gegen Ende drehen werden, wenn sich Finn und der Tod gegenüberstehen. Dann haben wir von einem Insider den Tipp für dieses Stadtarchiv bekommen, das auch viele Palermitaner nicht kannten. Plötzlich standen wir in diesem Wahnsinnsraum, in einer gewaltigen Kathedrale aus Akten, fast 2000 Jahre zurückführend. Für den „Namen der Rose“ hat man damals so eine Bibliothek gebaut; wir hätten uns das gar nicht leisten können. Wir haben diesen Wahnsinnsort buchstäblich in letzter Sekunde gefunden. Dennis Hopper, der den Tod spielt, war schon zum Drehen in der Stadt…

Als Auflehnung gegen die Vergänglichkeit könnte man auch den Beruf des Fotografen verstehen, um den es in „Palermo Shooting“ geht. Zwei berühmte Fotografen haben auch kurze Gastauftritte…
Wenders: Es taucht auch noch ein dritter Fotograf auf, als Unsichtbarer. Das ist Andreas Gursky. Dem hat Campino in der Vorbereitung auf seine Rolle über die Schulter gucken dürfen. Die beiden kannten sich schon vorher ganz gut, Gursky hat für zwei Platten-Cover der Toten Hosen die Fotos gemacht und auch ein berühmtes Bild bei einem Hosen-Konzert. Im Film sieht man gleich zu Beginn zwei Fotos in Finns Atelier an der Wand lehnen: das eine ist von Peter Lindbergh und das andere von Gursky. Der Film ist aber alles andere als eine Biografie der beiden, auch wenn Campino sich auf vieles bezogen hat, was er denen abgeguckt hat. So wie Finn da Milla Jovovich fotografiert, das könnte auch eine Fotostrecke für Vanity Fair von Peter Lindbergh sein, der in dieser Szene auch selbst einen kurzen Auftritt als Statist und Amateurfotograf hat. Und so wie Finn seine Fotos am Rechner digital bearbeitet, das bezieht sich schon sehr auf Andreas Gursky.

Campino spielt im Film einen Modefotografen, er arbeitet mit Digitalkamera, seine Fotos bearbeitet er später am Computer. Dann begegnet er der italienischen Fotografin Letizia Battaglia…
Wenders: … die mit ihrer Leica herumzieht wie eh und je und eine ganz andere Art von Fotografie betreibt. Letizia hatte in Berlin in diesem Frühjahr eine Ausstellung. Ihre  Bilder haben noch mal auf eine andere, ganz explizite Art mit dem Tod zu tun, als die Fotografie selber. Sie hat zwanzig Jahre ihres Lebens damit verbracht, die Mafia zu dokumentieren, durch Bilder von den Opfern.

Zitiert

Ich finde es wichtig, dass die Orte sich miterzählen und auch eine Rolle als Hauptakteure spielen.

Wim Wenders

Wenn Sie die Wahl haben zwischen einer Digital- oder einer analogen Fotokamera, wofür entscheiden Sie sich?
Wenders: So sehr ich gerne und seit eh und je mit den digitalen Möglichkeiten im Kino gespielt habe, so bin ich als Fotograf überhaupt nicht überzeugt von der digitalen Technik und fotografiere auch selber strikt analog, mit großen Negativen. Digital kommt man an diese Auflösung sowieso noch nicht richtig ran.

Ist das der Einzige Grund?
Wenders: Mich stört an der digitalen Fotografie auch, wie mit ihr umgegangen wird, wie der Akt des Fotografierens selbst so entwertet wird. Da hänge ich noch, ganz schön altmodisch, an diesem fast „heiligen“ Moment, in dem etwas Einmaliges festgehalten wird. Wenn dieses Einmalige durch das Drücken der Delete-Taste ungeschehen gemacht werden kann, das widerstrebt mir im Tiefsten. Und dass man schließlich nicht nur den Akt selbst, sondern dann auch das Original-Bild als solches widerrufen kann, es in jedes Atom auseinander- und wieder neu zusammensetzen, dann steht man in einem Widerspruch zu dem, was mit der Fotografie einmal angefangen hat und was ich nach wie vor schätze: diesen „Wahrheitsanspruch“. Aber gut, vielleicht ist die Geschichte der Fotografie auch tatsächlich zu Ende. Das behaupten ja einige, wie mein Freund Jim Rakete zum Beispiel. Vielleicht hat er das auch etwas überspitzt formuliert. Auf jeden Fall: Was jetzt gemacht wird, ist etwas anderes. Die meisten Fotografen von heute sind eher „Bildermacher“, eine neue Art von Maler.

Im Film wird Finn von seinem Galeristen ermahnt, er möge doch mit den Mode-Shootings aufhören, weil die seinen Ruf bei den Museen gefährden würde. Ist Ihnen das auch schon gesagt worden, nachdem Sie zum Beispiel Werbung für die Deutsche Bahn gedreht hatten?
Wenders: (Lacht) Ich kenne solche Sätze in der Kunstwelt schon, obwohl sich das alles längst verschliffen hat. Zwischen den Sprachen der Werbung und der Kunst gibt es heutzutage viel mehr Verschränkungen, als jemals zuvor. Damien Hirst ist eigentlich ein sehr großer Werber. Sein Diamantenkopf ist eigentlich eine Wahnsinns Promo-Aktion. Seit der Deutschen Bahn habe ich noch sehr viele andere Werbespots gemacht, da haben die Berührungsängste nachgelassen. Es ist ein etwas altmodischer Rat, den Finns Galerist da gibt.

Ist das Auflösen der Grenzen von Werbung und Kunst auch befreiend, oder vor allem eine Gefahr?
Wenders: Da bin ich voll mit Finn einer Meinung, der sagt: Man soll doch machen, was einem gefällt, oder?

Apropos: eigentlich wird in dem „Palermo Shooting“ Englisch, Deutsch und Italienisch gesprochen, was einige Male zu humorvollen Wortspielen führt. Diese Ebene geht in der deutschen Fassung fast ganz verloren. Kann es sein, dass Ihre Filme in Deutschland in der Originalfassung besser laufen würden, weil sich in ihnen oft auch ein publikumsfreundlicher Humor äußert?
Wenders: Da reißen Sie schwere Wunden auf. So eine Originalfassung ist in Deutschland einfach nicht durchzusetzen. In Frankreich hat es die umgekehrte Entwicklung gegeben. Von den Kopien von „Paris Texas“ waren damals etwa 70 Prozent französisch synchronisiert und 30 Prozent waren Originalfassungen mit Untertiteln. Bei „Himmel über Berlin“ war das Verhältnis schon 50/50 und bei „Don’t Come Knocking“ waren es zuletzt 20 Prozent synchronisiert und 80 Prozent original. In Frankreich hat sich das verschoben, in Deutschland hat sich nichts getan. Hier muss man schon darum kämpfen, überhaupt ein paar untertitelte Originalfassungen laufen lassen zu können.

Was passiert mit einem Film, wenn er neu übersetzt wird?
Wenders: Wenn man, wie ich, an der Übersetzung und an der Synchronisation mitarbeitet, merkt man, dass das Deutsche im wahrsten Sinne des Wortes eine „schwere“ Sprache ist. Deswegen singt man in der Popmusik auch mehr auf Englisch und kann sich dann eher trauen, manche Sachen zu sagen. Auf Englisch kann man sich einiges erlauben. Wenn Dennis Hopper in „Palermo Shooting“ Englisch redet, gehen da schwierige Passagen runter wie Butter, wenn er das gleiche in der deutschen Synchronisation sagt, wird das „schwerer“. So sind wir.

Aber Sie würden sich selbst schon einen Humor der rheinischen Färbung zuschreiben, der in Ihren Filmen nur kaum wahrgenommen wird?
Wenders: An den Sets meiner Filme wird in der Tat mehr gelacht als später im Kino. (lacht). Aber wenn Dennis Hopper als der Tod jetzt sagt: „Ich habe es satt, immer den Bösewicht zu spielen,“ dann ist das schon mit einem Schmunzeln wahrzunehmen, auch in der deutschen Fassung.

Eine Szene, die den Fotografen Finn erschüttert, ist eine Lehrveranstaltung, bei der ihm eine Studentin Bequemlichkeit und mangelnde Tiefe vorwirft. Kennen Sie Ähnliches auch aus Ihrer eigenen Lehrtätigkeit an Filmhochschulen?
Wenders: Klar, da kriegt man manchmal einen vor den Latz. Das war eine schwierige Szene, die war mal viel länger. Jana hatte da wirklich Einiges vom Stapel gelassen. Sie hat das auch super gemacht und Finns Arbeit regelrecht zerpflückt. Aber weil es in dieser Kritik auch um Finns Wahrnehmung ging, haben wir beim Schneiden gemerkt, daß die Szene in ihrer ursprünglichen Länge zu viel von dem vorweggenommen hat, was der Film dann ohnehin nach und nach entwickelt. Aber der Grundvorwurf der Studentin: „Bilder können doch nicht nur Oberfläche sein, es muss doch noch etwas dahinter geben!“ der ist stehen geblieben.

Was Ihren Einfluss auf die jüngeren Generationen von Filmemachern angeht, bekommt man zu weilen den Eindruck, dass sich eher Regisseure aus dem asiatischen Raum, wie Lav Diaz von den Philippinen oder Apichatpong Weerasethakul aus Thailand auf Sie und andere Regisseure des neuen deutschen Film beziehen.
Wenders: Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass Wenders, Fassbinder und Kluge gerade in Südostasien eine ganze Generation von Filmemachern beeinflußt und vielleicht überhaupt erst hervorgebracht haben. Das Goethe-Institut, über das unsere Filme dort verbreitet wurden, war die einzige Pforte, durch die eine andere Art Film zu ihnen gekommen ist. Ich habe einige Regisseure getroffen, die ganz klar gesagt haben: Ich habe mit dem Filmemachen angefangen, nachdem ich deine Filme gesehen habe. Das liegt natürlich auch an deren eigener Kulturgeschichte.

Und nun erklären jüngere deutsche Filmemacher weniger Wim Wenders-Filme zu ihren Vorbilden, sondern dieses südostasiatischen Kino.
Wenders: Ob das in diesem Bogen so zurückkommt, das wage ich ein bisschen zu bezweifeln. Aber Christian Petzold hat sich mit seinem wunderschönen Film „Yella“ zu „Alice in den Städten“ als Einfluss bekannt und auch der gute Lars von Trier hat erklärt, dass er seine „Dogma-Regeln“ entwickelt hat, nachdem er eben jene „Alice“ gesehen hatte. Wenn überhaupt, wäre ich allerdings keine Vaterfigur von vielen jungen Leuten, die jetzt hierzulande Filme machen, sondern inzwischen fast schon deren Großvater. Und dass man sich nur ungern von dem beeinflussen lassen will, was sozusagen bei einem zuhause passiert, das habe ich an mir selbst am deutlichsten gesehen. Meine direkten Einflüsse kamen ja auch aus Japan oder den USA. Obwohl ich jetzt, wenn ich mir Filme von Fritz Lang oder Helmut Käutner ansehe, sagen muss: da liegt auch schon alles drin! Aber als ich angefangen habe, über Filme zu schreiben und dann selber welche zu machen, gab es für mich nur die Amerikaner, Yasujiro Ozu und den asiatischen Film. Diese Umwege muss man verstehen. 

Also ist die Globalisierung der Filmkunstsprache keine Entwicklung der Gegenwart?
Wenders: Die war schon immer ein Teil der Kinogeschichte. Das war auch bei der Nouvelle Vague so. Das kommt alles zyklisch immer wieder.

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