Underworld

Unser Frontmann ist der Groove.

Karl Hyde von Underworld über die Anfänge der Band, seine Texte und dass ein Song seine Länge selbst bestimmen sollte

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Karl, es ist für dich kein Problem, so früh aufzustehen und Interviews zu geben?
Hyde: Nein, vor allem nicht, seitdem ich Kinder habe, die machen dir das früh aufstehen sehr einfach. Auf Tour ist das natürlich etwas anderes, wenn ein Gig erst um Mitternacht oder später beginnt …

… musst du danach mit fünf Stunden Schlaf auskommen?
Hyde: Nein, das geht auf keinen Fall. Ich muss mich dann manchmal nachmittags wieder hinlegen – obwohl ich mittags eigentlich gar nicht so gut einschlafen kann. Aber meistens hilft es auch, wenn ich einfach nur für eine Stunde still liege, danach bin ich dann wieder ok.

Ihr habt in den letzten 10 Jahren mit Underworld fünf Alben tanzbare Musik produziert. Nun las ich in einem Interview mit Darren Emerson, der 2000 die Band verließ, er hätte dir und Rick Smith sehr viel zum Thema Techno beigebracht. Wie sehr hat Darren den Underworld-Sound beeinflusst?
Hyde: Als Rick sich damals entschied, Musik für den Dancefloor zu machen, musste er mit einem DJ zusammenarbeiten, der ihm zu verstehen half, was auf dem Dancefloor funktioniert und was nicht. Und Darren hat dann seine eigene Vorstellung von Dance-Musik eingebracht, Musik, wie sie im Set eines DJs funktioniert. Sowieso war es sehr interessant für uns, mit einem 17-jährigen Jungen zu arbeiten, der eine ganz klare Vorstellung hatte, der voll war von Ideen. Das war auch sehr erfrischend für uns.

Zu welchem Zeitpunkt in den letzten 10 Jahren, würdest du sagen, war Underworld dem Techno am nächsten?
Hyde: Ich weiß nicht, ob es da überhaupt so einen Punkt gab. Darren Emerson war selbst eine sehr eklektische Natur, sehr retro – er hatte zum Beispiel ein Poster von John Lennon an der Wand. Er mochte alle Arten von Musik, nicht nur Techno.

Was hattest du früher für Poster an der Wand?
Hyde: Ich glaube, ganz früher mal ein Pink-Floyd-Poster, obwohl ich deren Musik nie richtig mochte. Aber das Poster hatte ich von einem süßen Mädchen geschenkt bekommen, weshalb ich es aufgehängt habe.
Aber noch mal zu Techno, ich denke, wir waren dem nie richtig nah, weil wir alle drei so eklektische Personen waren, wir wollten auch nichts so machen, wie andere Bands. Es gab damals schon gute, großartige Techno-Musiker, aber es hätte keinen Sinn gemacht, von denen etwas zu kopieren. Wir wollten mit Elementen arbeiten, die ganz unserem Geschmack entsprachen und die waren neu für den Dancefloor. Darren hat uns zum Beispiel ermutigt, Gitarren zu spielen, die Rick und ich sozusagen schon längst verbrennen wollten. Und es sollte die menschliche Stimme zusammenkommen mit den maschinellen Beats. Wir mochten Maschinen schon immer, schon als wir uns in den frühen 80ern das erste Mal trafen. Wir mochten Dub, wir mochten Kraftwerk – und die menschliche Stimme zusammen mit den Maschinen, das war für uns so eine magische Kombination von Gegensätzen. Die Perfektion der Maschinen gegenüber der Unvollkommenheit der menschlichen Stimme.

Mittlerweile sind deine Stimme und deine Texte so etwas wie ein Markenzeichen für Underworld geworden.
Hyde: Ja, angefangen hat das mit den Singles, die wir veröffentlicht haben. Wir wollten nie ganze Alben produzieren, sondern immer nur 12"-Singles für den Dancefloor, für die DJs. Und da haben wir auf den B-Seiten angefangen mit der menschlichen Stimme zu experimentieren. DJs wie Sven Väth spielten dann auch die B-Seiten, und aus irgendeinem Grund gefiel das den Leuten – was eigentlich nicht erwartet hatten.

Siehst du dich denn ein wenig als MC, ähnlich wie im HipHop oder Drum’n’Bass?
Hyde: Überhaupt nicht, ich sehe mich auch nicht als Sänger, geschweige denn Frontmann. Der Frontmann bei Underworld ist immer der Groove gewesen, die menschliche Stimme hat nur eine unterstützende Funktion. Das war am Anfang auch das Aufregende, das Spezielle an unserem Sound. Alles was ich sang, sollte den Groove verstärken, verbessern. Ich wollte nicht einfach nur über die Beats singen, was viele andere Leute es damals versucht haben.

Und ihr wolltet eigentlich keine Alben produzieren?
Hyde: Nein, zu Beginn waren es immer nur einzelne Tracks. Irgendwann haben die sich dann gestapelt und auf einmal war der Stapel ein Album. Wir hatten bereits mehr Material produziert, als der Dancefloor vertragen konnte und so kam es schließlich zu "Dubnobasswithmyheadman".

Deine Texte sind oft sehr fragmentarisch, viele Textfetzen aneinandergereiht – was hat das für einen Hintergrund?
Hyde: Ich habe in den 80ern bereits bei anderen Projekten versucht, Texte zu schreiben, aber es ist mir überhaupt nicht gelungen. Eine Zeit lang habe ich Texte immer geschrieben, wenn ich im Tourbus saß und aus dem Fenster guckte. Das waren sehr viele Texte, die ich dann aber nie verwendet habe, die waren einfach zu schwach. Irgendwann habe ich dann mal die "Motel Chronicles" von Sam Shepard gelesen, der in vielen kleinen Fragmenten schrieb, wundervolle Momentaufnahmen machte. Und ich merkte, so schreibe ich auch, ohne Anfang, ohne Ende, nichts komplettes. Ich kann nur erzählen, was heute passiert ist, was ich gesehen und erfahren habe. Und in dem Moment, wo ich mit Rick zusammenkam, fing es an, Sinn zu machen. Wir nahmen die Texte zu unserer Musik auf und auf einmal wurde aus diesen kleinen Fragmenten eine Art Vollständigkeit, die mich selbst heute noch verwundert.

Hat Rick denn auch schon Texte für Underworld geschrieben?
Hyde: Nein, aber er ist so etwas wie eine dauerhafte Inspiration für mich. Wir unterhalten uns sehr viel, manche Auseinandersetzungen gehen bei uns jahrelang. Zum Beispiel haben wir uns in den 80ern Jahren viel darüber unterhalten, das meine Texte Schwachsinn sind. Aber erst Anfang der 90er stand fest, dass es mit meinen Texten nicht so weitergehen konnte.

Zitiert

Ein guter Song legt selber fest, wie lang er sein muss.

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Ich habe einige Underworld-Interviews gelesen und festgestellt, dass ihr sie meistens getrennt gibt.
Hyde: Ja, meistens schon, aber das hängt nur damit zusammen, dass wir einfach viel zu tun haben. Ich mag es auch, wenn Rick bei Interviews dabei ist, da habe ich zwischendurch dann auch mal eine Pause. Außerdem fallen ihm manchmal Dinge ein, die ich schon lange vergessen habe. Er hat auch einen eigenen, festen Standpunkt. Er ist ein Kelte, er kommt aus Wales. Die haben dort ihre ganz eigene Meinung von den Engländern, was mir gut gefällt.

Spricht er denn auch Walisisch?
Hyde: Ein bisschen schon, allerdings nicht sehr gut.

Es würde nicht reichen für einen Underworld-Song?
Hyde: Nein, aber man kann auf unserer DVD "Everything, Everything" das gesamte Menü auch in Walisisch aufrufen – sozusagen als eine Art Hommage an den Ort, wo Rick und ich uns das erste mal getroffen haben, Cardiff in Wales.

Ihr habt gerade eure Werkschau "1992-2002" mit 16 eurer besten Tracks veröffentlicht. Die Originalversionen sind alle enorm lang, die meisten zwischen 9 und 12 Minuten. Was bestimmt die Länge eines guten Songs deiner Meinung nach?
Hyde: Der Song selbst, ein guter Song legt selber fest, wie lang er sein muss. Natürlich gibt es auch diese sinnlosen Zeitbeschränkungen für Musiker, was Radio und Musikfernsehen anbelangt. Aber diese Einschränkungen berücksichtigen wir eigentlich nur dann, wenn es uns passt. Wenn ein Track auf Werbeformat gekürzt werden kann – eine Single ist ja nichts anderes, als ein Werbeclip für dein Album – und dann immer noch funktioniert, dann haben wir damit kein Problem. Es wäre natürlich schön, wenn die Leute im Radio 15-Minuten-Tracks spielen würden, manchmal tun sie das ja auch, meistens allerdings nur im Nachtprogramm. Andererseits musst du natürlich auch Werbung in Form einer Single machen, wenn du am Musikgeschehen teilnehmen willst.

Wie lang war denn euer bestes Live-Set?
Hyde: Das kommt drauf an, wir haben mal ein Live-Set gespielt, für das wir nur eine Stunde Zeit zur Verfügung hatten. Wir haben alles wahnsinnig schnell hintereinanderweg gespielt, als hätte man uns vor eine Dampflok geschnallt. Das Gegenteil war mal ein legendäres Set über 18 Stunden in Glastonbury – allerdings haben wir dort auch mit anderen Musikern zusammengearbeitet, wir waren also nicht die ganze Zeit allein auf der Bühne.

Woher nimmt man Energie für 18 Stunden?
Hyde: Das kann man jetzt vielleicht schwer glauben, aber es ist die Musik, die verpasst dir eine Menge Adrenalin. Vor einem Publikum zu stehen ist der eine Adrenalin-Schub, der andere ist einfach der Groove. Wenn Rick mit seinen Beats und Samples beginnt, dann will, dann muss ich einfach darauf antworten.

Und wie ist es euch nach 18 Stunden ergangen?
Hyde: Nach 18 Stunden erscheint alles um dich herum sehr pur und klar. Als wir damals in Glastonbury fertig waren nach den 18 Stunden habe ich mich an ein Lagerfeuer gesetzt, jemand gab mir eine Tasse Tee und ich guckte die ganze Zeit in das Lagerfeuer. Es fühlte sich so an, als wenn ich meinen Körper von innen geduscht hätte. Das war eine einzigartige Erfahrung und das Gefühl hat sogar eine Woche danach noch angehalten.

Inwiefern würdest du Underworld als urbane Musik bezeichnen, Musik die in der Stadt entsteht, in die Großstadt passt?
Hyde: Also, ich lebe momentan in dem kleinen Ort Romford am Rand von London. Ich würde vielleicht sogar gerne am Meer leben. Aufwachen, den Ozean sehen – ich habe bereits längere Zeit am Meer gelebt, das mochte ich sehr. Ich muss aber in die Stadt gehen, um zu schreiben, das brauche ich als Antrieb. Bei Rick ist das anders, er könnte sein Studio mitten in einem Feld aufstellen und trotzdem noch seine Maschinen-Musik produzieren. Aber ich bin zum Beispiel während der Arbeit am letzten Album in eine andere Stadt gegangen, wo ich mir ein Hotelzimmer genommen habe und nachts durch die Straße gelaufen bin.

Und warum Hotel? Ein Hotel hat doch meistens mit der Stadt an sich nicht viel zu tun, es ist viel mehr eine eigene Welt für sich.
Hyde: Ja, ein Hotel ist eine sonderbare Umgebung, ich fühle mich auch nicht richtig wohl in einem Hotel. Aber ich muss genau dorthin gehen, wo ich mich nicht wohl fühle, ich muss in eine Stadt gehen, die ich noch nicht kenne, an die ich nicht gewöhnt bin. Dort irre ich dann durch die Straßen, sitze in irgendwelchen Cafes rum, höre irgendwelchen Leuten bei ihren Unterhaltungen zu. Und es sind überall die ganz einfachen Dinge, die mich interessieren nd über die ich schreibe, zum Beispiel, wie mir die Kellnerin einen Orangensaft gibt. Ich habe in den letzten Jahren eine Sprache entwickelt, die meinen persönlichen Blick auf die Welt beschreibt und dabei sind es immer die ganz normalen Dinge des Alltags, die mich inspirieren.

Und gesellschaftliche, politische Ereignisse, haben die dich auch hin und wieder beeinflusst?
Hyde: Also, wenn ich versuche, bewusst etwas zu schreiben, dann wird das meistens nichts. Wenn ich also schreiben will, dass ich mir Sorgen mache über das politische Klima in meinem Land und auf der Welt – und ich mache mir wirklich Sorgen – wenn ich das versuche, sofort zu artikulieren auf eine typische Art und Weise, das funktioniert bei mir nicht.

Zum Schluss noch die Frage nach deinen derzeitigen außermusikalischen Aktivitäten – du hast mit Rick vor vielen Jahren die Design-Agentur Tomato mitgegründet, was steht im Moment an?
Hyde: Rick und ich haben vor kurzem einen Verlag namens "Underworld Print" gegründet. Genialer Name, oder? – Das erste Buch heißt "In the Belly of Saint Paul" und beinhaltet alles, was ich zwischen 1992 und 1998 geschrieben habe, als ich in einer schwierigen Lebensphase war und sehr oft nachts durch die Straßen von London gegangen bin. Als nächstes wollen wir dann ein Sofa-Buch herausbringen. 365 Sofa-Fotos, eins für jeden Tag des Jahres. Ich habe während unseren ganzen Tourneen so oft so schlechte Sofas gesehen, dass ich irgendwann angefangen habe, sie zu fotografieren. Daraus ist eine Sammlung von vielen hundert Bildern geworden – und die sollen nun in Buchform veröffentlicht werden.

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