Tom Bohn

Der Meinungskorridor ist zu schmal.

Regisseur Tom Bohn liebt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und kritisiert ihn deutlich. Gerade lief sein zwanzigster "Tatort", für den er im rechtsradikalen Milieu recherchierte. Ein Gespräch über "Hetzjagd", Political Correctness, Corona-Auflagen, "regierungslastige" Berichterstattung und warum er dafür plädiert, das ZDF zu privatisieren.

Tom Bohn

© Bernd Brundert

Herr Bohn, Sie sprechen im Presseheft zum neuen Tatort „Hetzjagd“ von einer „zunehmenden Entfremdung und Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft“. Woran machen Sie diese fest?
Tom Bohn: Das beste Beispiel ist im Moment die Corona-Politik der Bundesregierung: Die Maßnahmen sind umstritten, die Gräben zwischen Lockdown-Befürwortern und denjenigen, die sagen, „wir müssen wieder aufmachen“ werden größer, gegenseitige Beschimpfungen nehmen zu…
Ähnliches konnte man auch 2015 bei der der Migrationsfrage beobachten, wo es auch diverse Lager gab.

…was ja aber an sich noch nichts Neues ist. Hat sich am Austragen der Meinungsverschiedenenheiten etwas geändert?
Bohn: Ja, man ist nicht mehr so gesprächsbereit. Früher hat man sich, wenn man unterschiedlicher Meinung war, zusammengesetzt, ausgetauscht, gegenseitig zugehört. Das passiert heute nicht mehr, man ist in Blasen unterwegs, trifft sich bevorzugt mit Leuten, die die gleiche Meinung haben. Doch es nützt ja nichts, immer nur das zu hören, was man selbst denkt, sondern man muss sich auch mit anderen Blickwinkeln konfrontieren, um die eigene Sichtweise zu überprüfen.
Manche Menschen haben inzwischen Angst, wegen einer anderen Haltung – etwa zum Corona-Virus – Freunde zu verlieren oder sich beim Arbeitgeber unbeliebt zu machen. Diese Entwicklung beobachte ich und sie beunruhigt mich sehr.

Wenn ich Ihren jüngsten Artikel in der „Welt“ richtig verstanden habe, lasten Sie es auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, dass er seiner Aufgabe nicht gerecht wird, weil er das vorhandene Meinungsspektrum nicht ausreichend abbildet.
Bohn: Richtig, ich denke, der Meinungskorridor in den Öffentlich-Rechtlichen ist zu schmal, auf beiden Seiten, nach links wie rechts. Sowohl im Feature- als auch im Nachrichtenbereich gibt es zu viel Political Correctness. Kontroverse Themen anpacken, auch mal auf politisch unkorrekte Weise, das passiert im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) viel zu selten.

Dabei wurde erst vor wenigen Tagen der WDR kritisiert, für eine sehr konservative Talkrunde. Jan Fleischauer ist häufiger bei Sandra Maischberger zu Gast…
Bohn: Es geht mir ja nicht um das Konservative an sich, oder das Linke, sondern darum, dass es früher viel härtere Beiträge gab, kontroverse Geschichten. Es gab auch viel mehr Spielfilme, die sich auf eine besondere Art und Weise hervortaten, die nicht im Mainstream-Sektor angesiedelt waren.
Es hat sich ein System eingeschlichen, dass man sagt „bitte alles nur so, dass wir möglichst nirgendwo anecken“, um auf keinen Fall für rechts, links, homophob, fremdenfeindlich oder sonstwas gehalten zu werden. Es gibt eine Mainstream-Fahrspur und wenn man die verlässt, wird man angegangen: Von Kollegen, von der Presse usw. – Das ist nicht korrekt. Für mich gehört es sehr wohl zur kreativen Arbeit, ebenso zur politischen Berichterstattung, dass auch mal kontroverse Thesen geäußert werden können. Denn sonst entwickeln wir uns nicht weiter. Sonst bleiben wir immer nur im Status Quo stecken und das wäre schlecht.

Mir würden schon ein paar Beispiele einfallen für kontroverse Beiträge, Sie erinnern sich vermutlich an das „Umweltsau“-Lied des WDR…
Bohn: Ja, als Kritik laut wurde, haben die Verantwortlichen es sehr schnell zurückgezogen. – Ich merke es ja auch selbst in der Zusammenarbeit mit den Redaktionen: Wenn ich ein Thema aufgreife, was nicht so ganz im Mainstream-Bereich liegt, heißt es oftmals: „Machen wir doch lieber etwas Anderes!“
Ich halte es für alle Seiten für wichtig, über die Stränge schlagen zu können. So etwas muss unsere Gesellschaft aushalten und sich darüber austauschen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der das nicht mitträgt, macht einen Fehler.

Zitiert

Das ZDF zu privatisieren, wäre kein großer Einschnitt.

Tom Bohn

„Hetzjagd“ ist zum Teil im rechtsextremen Milieu angesiedelt. War es schwierig, dieses Thema in einem „Tatort“ zu verhandeln?
Bohn: Es war nicht unumstritten. Es gab Bedenken, dass man sich zu sehr in die tolerante Ecke begeben würde, dass wir den Rechten zu viel Platz geben, sie zu nett zeigen. Das haben wir aber gemeinsam mit der Redaktion des SWR geklärt. Ich kenne allerdings andere Redaktionen, wo dieser Film sicherlich nicht zustande gekommen wäre.

Wo haben Sie für diesen Tatort recherchiert?
Bohn: Ich war auf zwei Rechtsrock-Konzerten und habe mich auch mit Rechtsradikalen getroffen und mit ihnen längere Gespräche geführt. Es war teilweise sehr erschreckend, was da für Meinungen und Weltanschauungen vorherrschen. Die Dokumentation von Thilo Mischke „Rechts. Deutsch. Radikal.“ hat das meiner Meinung nach sehr gut erfasst. Wenn ich solchen Menschen begegne bin ich oft sprachlos. Ich halte deren Weltbild für sehr gefährlich.

Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Dieses müssen Sie mit der Redaktion aber auch nochmal ‚abklopfen‘, oder?
Bohn: Ja, natürlich. Ich habe beim SWR eine sehr gesunde, fruchtbare Zusammenarbeit mit Ulrich Herrmann, da fliegen auch manchmal heftig die Fetzen – und das ist gut so. Gleiches gilt für meinen Produzenten Nils Reinhardt. Bei der Arbeit an „Hetzjagd“ haben wir drei uns wirklich die Köpfe eingeschlagen und hart miteinander gerungen, um Sätze oder bestimmte Szenen.

Im Film sagt Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) den Satz: „Wenn wir was ändern wollen, müssen wir darüber reden und dabei klare Kante zeigen, bevor es zu spät ist“. Was ist hier mit „zu spät“ gemeint?
Bohn: Zunächst: Dieser Satz kommt nicht von mir, sondern ist ins Drehbuch reingesetzt worden. Mir persönlich ist er zu viel Erklärung, ich glaube dass der Film auch so den Inhalt dieses Satzes auf den Punkt bringt.
Ich bin Liberaler und verstehe das Liberal-Sein so, dass man in der Lage ist, andere Meinungen neben der eigenen stehen zu lassen. Wenn jemand eine andere politische Meinung hat als ich, egal ob rechts oder links, verteufele ich die nicht, sondern lasse ihm diese Meinung.
Und auch wenn Leute sich auf eine radikale Ebene begeben, besteht immer noch eine Möglichkeit, sich mit ihnen auseinander zu setzen und zu versuchen, sie wieder zurückzuholen – so lange sie keine Gewalt anwenden.
Im Film sehen wir, wie sich ein Nazi-Mädchen und eine Linke treffen, in einer Notlage, sozusagen ohne ihre politische Meinung. Sie sind aufeinander angewiesen und in so einem Moment kann Verständnis füreinander entstehen.

Ein etwas romantischer Gedanke…
Bohn: Ja, sicher. Aber den habe ich als Demokrat. Ich denke, dass man Leute nicht einfach aufgeben darf, wenn sie sich aus der Gemeinschaft der Demokraten entfernen, sondern immer versuchen sollte, sie wieder zurück zu holen. Bekämpfen muss man sie in dem Moment, wo sie Gewalt anwenden, davon bin ich felsenfest überzeugt und das ist in diesem Tatort auch deutlich zu sehen.

Schauspielerinnen Anna Herrmann und Anna-Maria Lux in „Hetzjagd“ © SWR/Patricia Neligan

Nun wendet zum Beispiel die AfD keine Gewalt an, doch wird immer wieder die Frage diskutiert, ob Medien ihr eine Plattform geben sollten.
Bohn: Ich mag die AfD nicht, für mich ist vor allem der rechte Flügel um Björn Höcke eine Zumutung. Das Völkische widert mich regelrecht an. Dementsprechend kann ich auch nicht verstehen, dass jemand Mitglied in so einer Partei ist.
Es kommt aber trotzdem vor, etwa als wir hier in Bayern im Kommunalwahlkampf auf der Straße standen, dass ich mit AfD-Wählern und Funktionären ins Gespräch komme. Oft sind es Menschen, die früher die etablierten Parteien gewählt haben. Und natürlich redet man mit denen, man versucht, irgendwie einen Weg zu finden.

Würden Sie einen AfD-Politiker in eine Talkshow einladen?
Bohn: Ein Gespräch zu führen mit einem AfD-Funktionär, der das Parteiprogramm so auslegt, wie es vor allem der „Flügel“ tut, darauf hätte ich keine Lust. Aber ich bin kein Talkshow-Macher, ich entscheide so etwas nicht. Ich bin übrigens auch kein Freund von Talkshows, sondern finde das persönliche Gespräch wesentlich interessanter. In dem Moment wo Kameras laufen, verstellen sich viele, da findet man wenige, die so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Ich denke, wir sollten uns von allem Rechtsradikalen und Völkischem distanzieren, gleichzeitig aber AfD-Wähler – und auch Funktionäre, die in der Partei einen gemässigten Kurs vertreten – nicht automatisch von Diskussionen ausschliessen.

Ist dieser Tatort Ihr politischster?
Bohn: Nein. Ich habe schon einige andere gedreht, die genauso politisch waren, zum Beispiel „Exil!“ (2001) oder „Feuerkämpfer“ (2006).

Ist der Tatort ein gutes Medium, um politische Inhalte oder auch bestimmte Wertevorstellungen zu vermitteln?
Bohn: Auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen, dass es kein Fernsehspielformat gibt, das sich besser dazu eignet. Ich kenne natürlich den Vorwurf, der Tatort wäre oft zu sozialkritisch, die Kritiker nennen es dann gerne „Erziehungsfernsehen“. Allerdings vermute ich, dass sich meist nur diejenigen „erzogen“ fühlen, die eine im Tatort vertretene Meinung nicht teilen. Jemand, der dort seine politische Meinung wiederfindet, wird es nicht als „Erziehungsfernsehen“ betrachten. Deswegen ist es aber auch wichtig, dass man die Themen und Meinungen im Tatort weit fächert – damit man sich diesem Vorwurf nicht aussetzt.

Einige Drehtage von „Hetzjagd“ wurden unter Corona-Auflagen absolviert. Hat das für Sie viel verändert?
Bohn: Nein. Wir mussten hinter der Kamera FFP2-Masken tragen, aber daran hat man sich schnell gewöhnt. Ich habe schon an so vielen extremen Orten gedreht, in einem Kernkraftwerk, in Kohlegruben oder im CERN, im Vergleich zu den dortigen Auflagen waren die Corona-Schutzmaßnahmen am Set kein Problem.

Dass Regie und Drehbuch in einer Hand liegen, wie bei Ihnen, kommt beim Tatort nicht so oft vor. Warum?
Bohn: Das müssen Sie die Redaktionen fragen. Der Begriff des „Filmemachers“ erfreut sich zur Zeit nicht sehr großer Beliebtheit. Das hat aber nichts mit dem ÖRR zu tun, sondern damit, dass man es nicht mehr gewohnt ist, dass jemand, der inszeniert, auch schreibt. Beides zusammen traut man den wenigsten zu, auch mir nicht immer.
Ich habe allerdings kein Problem mit anderen Drehbuchautoren und schreibe auch gerne ein Buch, wenn andere Regie führen.

Noch einmal zurück zum Thema ÖRR. Wenn man Sie auf Twitter verfolgt, merkt man schnell, dass Sie mit der Corona-Berichterstattung unzufrieden sind.
Bohn: Ich fand die Berichterstattung vor allem zu Beginn der Pandemie sehr regierungslastig. Da teile ich die Kritik, die mein Parteifreund Wolfgang Kubicki kürzlich geäußert hat und wie sie auch in der Studie von Dennis Gräf und Martin Hennig enthalten ist („Die Verengung der Welt“, Universität Passau).
Über das, was ich in den ersten 3-4 Monaten gesehen habe, war ich entsetzt. Ich bin ja selbst gelernter TV-Journalist, habe beim ZDF in Washington hospitiert und auch unter Hanns Joachim Friedrichs gearbeitet, der nun wirklich die Ansicht vertrat, dass man sich mit einer Sache nicht gemein machen, sondern immer versuchen sollte, neutral zu berichten. Ich halte vom heutigen Haltungsjournalismus der öffentlich-rechtlichen Sender sehr wenig. Und ich bin wirklich erschrocken gewesen, was dort passiert ist in den ersten Monaten der Pandemie. Ich bin es immer noch, merke aber inzwischen, dass sich etwas bewegt. Bei „Berlin Direkt“ (ZDF) wird hervorragender Journalismus gemacht, das baut mich im Moment sehr auf.

Können Sie dieses „regierungslastig“ etwas genauer benennen?
Bohn: Es wurden unkritisch sehr viele Maßnahmen einfach mitgetragen und nicht hinterfragt. Eine Recherche der „Welt am Sonntag“ hat ja inzwischen belegt, dass das Innenministerium im März 2020 Forscher darum bat, ein Modell auszuarbeiten, das dazu dienen sollte „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ zu planen. Die Wissenschaftler wurden aufgefordert, ein Katastrophenszenario zu entwerfen. Dass dieses Szenario dann auch so konsequent und ohne Hinterfragen von den Journalisten mitgetragen wurde, insbesondere von den öffentlich-rechtlichen Sendern, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich war ein leidenschaftlicher „Tagesschau“-Gucker, ich habe sie jeden Tag geguckt. Das tue ich jetzt nicht mehr.

Ist es aber nicht trotzdem übertrieben, wenn Sie auf Twitter von einem „Manipulationsquotienten“ schreiben?
Bohn: Ja, das ist übertrieben. Ich habe auch lange überlegt, ob ich das so schreibe.
Es ist mir aber schlicht und einfach noch nicht klar geworden, warum das passiert ist, warum in dieser Anfangsphase so einseitig berichtet wurde, warum auf einmal jedes Medium in Deutschland genau in dieses Horn gestoßen hat. Das würde mich wirklich interessieren, auch weil es ganz massiv meine Arbeit als Rechercheur und politisch denkender Mensch infrage stellt. Für mich wäre es ein Traumprojekt, das einmal filmisch aufzuarbeiten, sich zum Beispiel anzuschauen, wie ein Hendrik Streeck, der zu vielen Dingen andere Theorien vertreten hat, derart ins öffentliche Kreuzfeuer geraten ist.

Besteht für Sie denn gar nicht die Möglichkeit, dass Journalisten den Regierungskurs mitgetragen haben, weil es ihnen um den Schutz menschlichen Lebens ging?
Bohn: Das dürfen sie nicht. Sie müssen bei der Wahrheit bleiben, sie dürfen sich nicht mit einer politischen Linie einer Regierung gemein machen. Sie dürfen nicht Fakten übernehmen, die sie nicht geprüft haben – was sie getan haben. Sie dürfen nicht Sachen übernehmen, die von der Regierung einfach behauptet werden.
Man hat den Journalisten erzählt, das Virus sei hochgefährlich, aber keiner von ihnen hat sich um die alternativen Meinungen gekümmert, obwohl die von Anfang an da waren, auch von Herrn Streeck. Diese Einheit von Medien und Politik, die da bestanden hat, aus was für Gründen auch immer, darf in einer Demokratie nicht bestehen. Man darf sich, davon bin ich felsenfest überzeugt, als engagierter und ehrlicher Journalist, nicht mit einer Sache gemein machen. Sondern man muss immer die Distanz bewahren, immer die Ohren offen halten, immer genau gucken: Was ist passiert? Den ersten kritischen Artikel zu den Maßnahmen las ich damals in der „Welt“, von Matthias Döpfner, der schrieb „Ich habe Zweifel“. Es hat mich erstaunt, dass diese kritische Auseinandersetzung zuerst bei einem Privatunternehmen stattfand und nicht beim ÖRR. Jeder, der genau hingeguckt und recherchiert hat, hätte seine Zweifel haben müssen und diese auch äußern müssen.

Nun ist es ein harter Vorwurf, dass Journalisten Fakten ungeprüft übernommen haben…
Bohn: Es gab immer alternative Meinungen, es gab immer die Möglichkeit, sich auch in anderen Bereichen zu informieren. Ich glaube, dass zur Gefährlichkeit des Virus nicht genügend recherchiert wurde und stattdessen zu viel von dem übernommen wurde, was die Regierung sagte. Das von der Regierung mit Wissenschaftlern abgesprochene Katastrophenszenario wurde unkritisch von Journalisten übernommen und das halte ich für sehr bedenklich. Es ging dabei ja um nichts Geringeres als die Einschränkung unserer Grundrechte. Dass diese Einschränkung so schnell möglich war und die Journalisten es mit getragen haben, hat mich sehr nachdenklich gemacht.

Welche Einschätzung haben Sie denn persönlich zur Gefährlichkeit des Virus?
Bohn: Ich glaube, dass das Virus für vulnerable Gruppen sehr gefährlich ist, ich vergleiche es nicht mit der Grippe, es ist kein ungefährliches Ding und Menschen über 80 sind besonders gefährdet. Meine Linie ist 1:1 die Linie der FDP, bei der ich mich deswegen gerade sehr wohl fühle, die gesagt hat: Wir müssen die vulnerablen Gruppen schützen, wir müssen viel mehr für den Schutz derjenigen tun, für die dieses Virus lebensgefährlich ist. Meine Mutter ist 88, sie wohnt in einem Stift, dort wurde von Anfang an getestet, das empfand ich als Besucher im ersten Moment als etwas heftig – aber sie haben dort bis heute nicht einen einzigen Corona-Fall gehabt. Das wäre, flächendeckend, eine wichtige Maßnahme gewesen. Dadurch hätte man die Belastung der Intensivstationen verringern können und vermutlich wären nicht alle Einschränkungen, die man vorgenommen hat, notwendig gewesen.
Mir geht es vor allem um die Kultur, das Offenhalten von Kinos, Theatern, Kleinkunstbühnen, die alle ihre Konzepte hatten, die für viel Geld Lüftungen eingebaut haben und bei denen es ganz wenig Fälle gegeben hat. Aber sie wurden geschlossen, aufgrund einer völlig verfehlten Politik, was die vulnerablen Gruppen angeht. Das mache ich der Politik zum Vorwurf.

Sie haben Ihr Filmfestival „Snowdance“ vom Januar in den März verlegt. Wie kann es stattfinden?
Bohn: Das wissen wir noch nicht. Wir streben eine Hybrid-Lösung an, denn ein vollständiges Präsenz-Festival können wir uns wahrscheinlich abschminken. Falls auch hybrid nicht möglich ist, haben wir bereits ein Backup für eine Online-Durchführung. Im Moment glaube ich tatsächlich nicht, dass die Kinos vor April wieder aufmachen werden.

Im Mai 2020 sagten Sie in einem Interview: „Wer als Künstler auf öffentliche Zuwendungen hofft, wird wohl in den nächsten drei bis vier Jahren noch häufiger enttäuscht werden, als es schon in der Vergangenheit der Fall war.“ Nun habe ich die FDP nicht als Partei in Erinnerung, die sich besonders für Kulturförderung einsetzt…
Bohn: Die FDP ist da leider auch nicht engagiert. Bei der FDP kommt zuerst Wirtschaft und dann die Kultur. Das ist leider so, aber ich bin auch in der FDP, um daran etwas zu ändern. Ich klopfe immer wieder auf den Tisch und sage: ‚Wir müssen auch an die Kultur denken.‘ Hier, in der Lokalpolitik gibt es bereits positive Entwicklungen, die Bundes-FDP ist beim Thema Kultur abernoch schwach auf der Brust.

Was sollte, müsste, parteiübergreifend gesprochen, in puncto Kulturförderung passieren?
Bohn: Zuerst müsste ein anderes Bewusstsein her: Es hat mich schockiert, dass die Bevölkerung sich überhaupt nicht darüber aufgeregt hat, dass all die Kulturstätten geschlossen sind. Da kam nichts. Alle sitzen vorm Fernseher, gucken sich an, was sich Kreative für sie ausgedacht haben, man hört Musik, liest Bücher – aber dass die gleichen Kreativen schon ein Dreivierteljahr so viele Härten ertragen mussten, interessiert niemanden. Sprich, wir müssen erst mal daran arbeiten, dass die Menschen begreifen, was Kultur eigentlich heißt.

Nämlich?
Bohn: Kultur ist die Seele einer Gesellschaft. Wenn die Seele einer Gesellschaft nicht mehr funktioniert, dann funktioniert irgendwann die Gesellschaft nicht mehr. Die Kultur ist das verbindende Element zwischen vielen Gruppen, zwischen vielen Menschen. Man geht zusammen ins Kino, schaut sich etwas an, was einen weiterbringt, was man gut oder schlecht findet, redet drüber… Die kulturelle Verständigung ist ein wesentliches Element in unserer Gesellschaft – und dieses Element fehlt gerade. Ich denke, dass muss die Politik und dass müssen große Teile der Bevölkerung erst noch begreifen, welche unglaubliche Relevanz Kultur hat.
Und dann müssen sich die Kulturschaffenden viel besser organisieren. Wir brauchen eine Kulturgewerkschaft, die auch sehr massiv auftritt, damit solche Sachen wie jetzt in Zukunft nicht mehr passieren.

Wie stehen Sie als Liberaler eigentlich zur Einschaltquote?
Bohn: Ich befürworte ja eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen, nach der die Sender werbefrei wären. Und in dem Moment sehe ich keinen Grund mehr, die Einschaltquote zu ermitteln. Schließlich ist die Quote ursprünglich entstanden, um Preise für Werbezeiten festlegen zu können. Leider wurde sie dann in den Sendern ein immer wichtigerer Gradmesser, was auch mit Druck seitens der Politik, etwa von Edmund Stoiber, zu tun hat.
Ich weiß noch, wie ich 1995 bei meinem ersten Tatort „Kampagne“ zu meinem damaligen Fernsehfilm-Chef Dr. Dietrich Mack sagte: Ich hoffe, wir haben eine gute Quote. Worauf er antwortete: „Wir denken nicht an die Quote, wichtig ist, dass der Film gut ist.“

Würden Sie zu dieser Quotenunabhängikeit wieder hinwollen?
Bohn: Ich fände das nicht schlecht. Es interessiert mich nicht, ob ein „Tatort“ von mir sieben oder zehn Millionen Zuschauer hat. Hauptsache, er ist gut geworden und bewirkt etwas bei den Menschen, die ihn sehen. Das ist glaube ich das Wichtigste, was ein Filmemacher erreichen kann.

Nun klingt das nicht gerade nach dem Motto „Der Markt regelt alles“, welches man der FDP gerne vorhält…
Bohn: Für mich ist der Markt zwar wichtig, ich bekenne mich auch dazu, dass ein Markt funktionieren sollte und dass der Staat sich aus vielen Sachen raushalten soll, die ihn nichts angehen. Aber ich bin kein Marktradikaler sondern Sozialliberaler, ich gehöre zur linken Seite der FDP. Dementsprechend orientiere ich mich auch mehr an einer SPD-Zusammenarbeit. Im Landsberger Stadtrat arbeite ich mit der SPD-Fraktion sehr erfolgreich zusammen.

In Ihrem „Welt“-Artikel haben Sie allerdings vorgeschlagen, das ZDF zu privatisieren. Das erscheint mir in der Tat radikal.
Bohn: Das ZDF zu privatisieren, wäre kein großer Einschnitt. Denn das ZDF ist nichts Anderes als die ARD und umgekehrt gilt das gleiche. Ich sehe zwischen den beiden Sendern keinen großen Unterschied. Sie?

Ich sehe tatsächlich viele Dopplungen, andererseits gibt es meiner Beobachtung nach durch die zwei Anstalten und ihre Spartenkanäle bzw. Dritten Programme ein breiteres Meinungsspektrum. Diese Unterschiede bestehen aber möglicherweise auch schon innerhalb der ARD mit ihren neun Rundfunkanstalten.
Außer Frage steht, dass der TV-Krimi-Markt in Deutschland fast komplett in der Hand von ARD und ZDF liegt. Dazu sagte uns 2018 Regisseur Friedemann Fromm („Weissensee“, Tatort), man könnte im ÖRR „gut auf 30 bis 40 Prozent der Krimis verzichten.“ Stimmen Sie ihm zu?
Tom Bohn: Ja, absolut, da hat Herr Fromm völlig recht. Ich wäre auch dafür, dass man einmal versucht, Genre-Filme zu drehen. Es gibt Redaktionen, die vermutlich gar nicht mehr wissen, wie man Science-Fiction buchstabiert (lacht).
Ich glaube, es ist wichtig, die Diskussion über ARD und ZDF anzustoßen und zu führen. Ich liebe den ÖRR, ich bin damit groß geworden, habe da Heimatgefühle und ich bin in Sorge, dass er irgendwann so dick und unbeweglich ist, dass er, wie die Titanic, auf Eis läuft und sinkt. Deswegen sage ich: Verschlanken. Damit man in der Zukunft Gefahren kreativer und schneller begegnen kann.

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