Thomas Flierl

Wenn man selbstbestimmt agieren kann, dann macht es auch Spaß.

Der Berliner Kultursenator Thomas Flierl über den Bundestagswahlkampf 2005, den Zusammenschluss von WASG und PDS, das Spannungsfeld Kultur-Politik, Einsparungsmaßnahmen in der Hauptstadt und seine kulturpolitische Arbeit in der DDR

Thomas Flierl

© pds-berlin.de

Herr Flierl, haben Sie eigentlich kürzlich Zeit gehabt, sich das TV-Duell Schröder-Merkel anzuschauen?
Thomas Flierl: Ja, das habe ich.

Nun, Sie lachen: fanden Sie es sehr amüsant? Wer war Ihnen sympathischer?
Flierl: Nun, erst mal ist das ja eine obskure Inszenierung. Schon die Auseinandersetzung, wie viel Duelle stattfinden, nach welchem Reglement usw. Ich habe das natürlich vor allem als ein mediales Ereignis angesehen – und da es meine Wahlentscheidung nicht maßgeblich beeinflusst hat, war ich relativ neutral in der Betrachtung. Ich fand aber die Zuschauermeinung sehr zutreffend, dass kommunikativ – nicht inhaltlich – der Kanzler mehr überzeugt hat als Frau Merkel.
Aber es ist ja erstaunlich, wie sehr solche Veranstaltungen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben.

Sollte sich denn Ihrer Ansicht nach ein unentschlossener Wähler von so einem TV-Duell beeinflussen lassen? Scheinbar tun das ja sehr viele Menschen.
Flierl: Man muss davon ausgehen, dass viele Menschen ihre Weltkenntnis und auch ihre politischen Einschätzungen wesentlich den Massenmedien entnehmen und dass da – anders als früher – keine längerfristigen, politischen oder gar kulturellen Bindungen an Parteien und deren Kulturen mehr bestehen. Deshalb werden solche Ereignisse immer maßgeblicher.
Als jemand, der den inszenatorischen Charakter solcher Veranstaltungen durchschaut, der auch weiß, wie Politik entwickelt wird und der auch aus den Kräfte-Konstellationen heraus einschätzen kann, was für mein Fachgebiet, was für die Förderung von Kunst und Kultur maßgeblich wäre, bedaure ich natürlich, dass hier der Medienwahlkampf immer wichtiger wird.

Ihnen wäre ein weniger medial geführter Wahlkampf lieber?
Flierl: Ich wünschte mir einfach, dass mehr Partizipation, mehr Anteilnahme, mehr kontinuierliche Beschäftigung mit den Problemen vor Ort, in der Gesellschaft, in der Welt, existiert. Und natürlich wünschte ich mir auch einen Journalismus, der sich nicht nur als Agentur des Kampfes der großen Parteien und der Demoskopie versteht.

Aber auch ein TV-Duell geht letztendlich ja nicht nur auf den Wunsch der Medien zurück, sondern ist zu einem großen Teil auch Ergebnis der Bestrebungen von Politikern, möglichst öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.
Flierl: Ja, es nutzt auch keine kulturpessimistische, kulturkritische Position, zu sagen: wir wünschten uns eine Wahlkampf zu Zeiten von Straßenwahlkämpfen oder gar Straßenschlachten. Wir brauchen gesellschaftliche Informationssysteme, die sind heute universell und insofern wird man hinter den heutigen Mediengebrauch nicht zurückgehen können. Die Frage ist nur: wie pluralistisch sind die Medien tatsächlich, wie viel Artikulationsmöglichkeiten haben wir in den Medien und wie permanent werden auch gesellschaftlich relevante Probleme diskutiert – wann werden welche Themen akut, wann kommen sie hoch, wann gehen sie wieder unter. Es ist ja erstaunlich, dass wir einen Wahlkampf führen, in dem zum Beispiel die Fragen einer Umweltpolitik und einer nachhaltigen Entwicklung eigentlich gar keine Rolle spielen, wobei weltweit Naturkatastrophen geschehen, die ganz offenbar menschengemacht sind. Stattdessen wird eine völlig auf Deutschland reduzierte Debatte um die Sicherung der Sozialsysteme geführt. Da sehe ich auch Defizite der Medienberichterstattung, möglicherweise auch der Parteien. Es findet eine enorme Reduzierung der Komplexität statt, so, dass dann die wirklichen Herausforderungen meist verpasst werden und dann für vier Jahre die großen Fragen auch wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein rücken.

Der Zusammenschluss von WASG und die PDS als „Linkspartei“ hat in letzten Wochen auch sehr profitiert vom Medienapparat: nur selten hat es eine neue Partei in so kurzer Zeit auf einen so hohen – möglichen – Stimmenanteil geschafft.
Flierl: Also, die Medien können eigentlich nur verstärken, aufgreifen, mitunter vielleicht auch verzerren, was in der Gesellschaft selbst existiert. Nun gibt es seit der deutschen Wiedervereinigung das Problem, wie eine sozialistische Linke in Deutschland zueinander finden kann, wobei ich glaube, das dies ein längerfristiges Problem ist. Und die PDS hat sich ja als Volkspartei im Osten behauptet, in Ost-Berlin mit bis zu 40 Prozent Stimmenanteil und in einigen Bundesländern mit stabilen 20 Prozent. Das heißt, die PDS ist im Ostteil des Landes eine stabile politische Kraft, hat es aber offenbar nicht vermocht, diese Art von kultureller Fremdheit im Westen zu überwinden. Sie erschien immer als eine Partei aus einem anderen Land, eben „von drüben“. Und viele Linke aus dem Westen haben sicherlich Unbehagen an der SPD und deren Politik verspürt, konnten aber mit den dogmatischen Linken und den vielen Splittergruppen aus den 70er und 80er Jahren, oder auch den orthodoxen Kommunisten, DKP usw. nicht viel anfangen und hatten nie eine rechte Beziehung zur PDS. Aufgrund der stark neoliberalen Orientierung der rot-grünen Regierung, gibt es jetzt offenbar eine größere Anzahl von Leuten, die ein Interesse haben, sich auch selbstbewusst, als eigenständige Formation und als Teil der PDS, mit einer eigenständigen Plattform einzubringen. Dafür gibt es offenbar ein breiteres Bedürfnis und ich würde das nun nicht als ein medial erzeugtes, sondern als ein medial ausgedrücktes Bedürfnis ansehen: dass nun also bis zu 10 Prozent der Wähler in diesem Land jenseits der Sozialdemokratie eine stabile politische Kraft formieren wollen. Am Ende hängt natürlich alles davon ab, ob diese Parteienfusion gelingt, ob man da zusammenfindet, ob man da arbeitsfähige Strukturen entwickelt, ob man dann auch dauerhaft diesen Vertrauensvorschuss, der sich bereits abzeichnet, auch einlösen kann. Und dann wäre das eine interessante Veränderung, eigentlich eine nachgeholte Vereinigung der Linken…

…die bei der deutschen Einigung nicht zustande kam.
Flierl: Ja, denn damals wurde ja bis auf die PDS das westdeutsche Parteiensystem komplett auf den Osten übertragen. Und insofern kommt nun – nicht mit der PDS – aber mit der Linkspartei etwas Neues in ganz Deutschland. Das ist schon eine interessante Entwicklung.

Hat dieses Bündnis vollständig Ihre Zustimmung?
Flierl: Das ist ein komplizierter Prozess. Offen gestanden kenne ich noch nicht viele Akteure der WASG, außer Mitglieder in Berlin, die teilweise aus der PDS stammen und besonders kritische Positionen zur Regierungsbeteiligung der PDS eingenommen haben. Das wird noch eine interessante Auseinandersetzung sein, wie man dem bundespolitischen Anspruch, sich zu vereinen, in Berlin mit der Regierungsbeteiligung verbindet. Zunächst ist das eine bundespolitische Option und die scheint auch aufzugehen.

Dass Politiker, die zuvor in Berlin die PDS aufgrund bestimmter politischer Entscheidungen verlassen haben und zur WASG wechselten – dass die sich nun mit dem alten Gegner wieder verbünden wollen, widerspricht sich das nicht?
Flierl: Ach, mitunter haben es auch Leute, die sich politisch nah sind, besonders schwer miteinander. Und wenn man sich zerstritten hat, dann trifft man sich auch wieder. Ich würde das gar nicht ausschließen, ich bin da auch offen. Ich hoffe, dass die Verbindung mit der WASG auch andere, außerhalb der WASG interessierte Linke in Ost und West zu diesem gemeinsamen Projekt einlädt. Das ist eine organisatorische Plattform dafür, dass es wieder ein breites linkes Bündnis gibt. Der Erfolg hängt natürlich davon ab, wie man sich aufstellt, ob es eine gute Ausstrahlung hat, ob Inhalte da sind, ob man eine gute Medienarbeit leistet … wobei letzteres natürlich nicht die Inhalte ersetzen können wird.

Nun, Oskar Lafontaines und Gregor Gysis urplötzlich wieder erstarkte Medienpräsenz lässt da aber auch eine andere Schlussfolgerung zu. Für das einstige Zugpferd Gysi hatte man nach dessen Rücktritt aus dem Berliner Senat keinen Nachfolger gefunden – also musste er wieder her, um der PDS wieder mehr Prozente zu holen.
Flierl: Das mit der Nachfolge war ein riesiges Problem, das stimmt. Aber, warum soll die Linke eigentlich auf die Medienwirksamkeit verzichten? Da muss man schon politisch relativ klar denken können: medial heißt ja nicht manipulativ, sondern heißt, auf einem anderen Verbreitungswege, heißt auch: eine anders zubereitete Information. Diesem Trend wird man sich auch nicht entziehen können.

Kommen wir zur Kulturpolitik auf Bundesebene: Was glauben Sie, welche Bedeutung hätte ein möglicher Regierungswechsel für die Kulturpolitik in Deutschland – und in Berlin?
Flierl: Also, manche Äußerungen von konservativer Seite lassen da nichts Gutes ahnen. Schon seit längerem wird da eine kulturpolitische Attacke auf den Hauptstadtkulturfonds geritten. Aber so kontrovers und streitbar das ein oder andere Projekt auch gewesen sein mag, das dadurch gefördert wurde, so ist es doch sehr wichtig, dass es diesen Hauptstadtkulturfonds gibt: dass nicht nur die großen Institutionen gefördert werden, dass viele innovative Projekte gefördert werden, dass die Hauptstadt sich durch eine lebendige, nicht-institutionelle, projektbezogene Kulturszene auszeichnet.

Und generell: was unterscheidet denn christdemokratische von sozialdemokratischer Kulturpolitik?
Flierl: Streng parteipolitisch kann man das glaube ich nicht festmachen, aber die Kulturpolitik der bisherigen Bundesregierung hat es immerhin geschafft, selbstbewusst und offensiv eigene kulturpolitische Aufgaben des Bundes in Berlin zu formulieren.

Gängige Klischees sind ja, dass die CDU eher eine Massenkultur fördern möchte und Parteien wie die PDS/Linkspartei oder die SPD eher viele verschiedene Nischenprojekte fördern möchte – würden Sie die dem in gewisser Weise zustimmen?
Flierl: Solche Zuschreibungen gibt es natürlich, die können vielleicht auch manches erklären, aber sie sind nicht mehr so scharf wahrnehmbar. Sicherlich ist ein konservatives Kulturverständnis eher auf die großen Institutionen, auf das kulturelle Erbe, auf gesamtstaatliche Repräsentation gerichtet und ein linkes Kulturverständnis wird sicherlich eher für die Thematisierung des Neuen, des Ungewöhnlichen, des Widerständigen, des Widersprüchlichen gerichtet sein. Aber ich glaube, dass man das nicht so einfach festmachen kann – obwohl die Angriffe auf den Hauptstadtkulturfonds von Seiten der CDU und der FDP solche Zuschreibungen durchaus bestätigen.

Als Kultursenator beschäftigen Sie sich einerseits mit Politik und andererseits mit Kunst. Wie versuchen Sie diese beiden, in vielen Aspekten sehr unterschiedlichen Bereiche unter einen Hut zu bekommen?
Flierl: Es ist ein Spannungsfeld. Die Politik soll Voraussetzungen schaffen, dafür, dass Künstlerinnen und Künstler arbeiten können, sie muss Institutionen fördern, muss Konzepte umsetzen, muss sie moderieren, muss sie entwickeln. Und sie darf als staatliche Politik die Kunstfreiheit nicht einschränken.
Aber natürlich geht das alles nur in Kenntnis von künstlerischen Prozessen und insofern ist die ständige Begegnung mit Kunst, mit kulturellen Auseinandersetzungen natürlich weltbildend. Und das nimmt auch Einfluss in einem bestimmten Typ von Politik, der sozusagen den Künsten und der öffentlichen Verständigung von Kunst dienen will.

Wann würden Sie sagen, ist Ihnen das besser geglückt, gute Vorraussetzungen für die Kunst zu schaffen – Sie haben ja bereits vor der Wende in Ost-Berlin Kulturpolitik gemacht.
Flierl: In bestimmter Hinsicht versucht man das unter allen gesellschaftlichen Bedingungen. Also auch unter Bedingungen, die einschränkend sind, kann man versuchen, neue Spielräume zu erschließen. Und wenn die Spielräume größer sind, dann hat man vielleicht nicht gegen staatliche Obrigkeiten und deren Aufsicht zu kämpfen, dann muss man möglicherweise gegen Finanzzwänge kämpfen, oder man muss um Konzeptionen ringen im demokratischen Wettstreit, auch in den mitunter nicht ganz feinen Auseinandersetzungen im Parlament. Das ist von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Aber im Grunde kommt es darauf an, Spielräume zu erweitern und Kunst als unersetzlichen Teil des Lebens für sich selbst und natürlich auch für andere zu erschließen.

Wenn Sie Ihre heutige Arbeit betrachten: gelingt es Ihnen, die Spielräume zu erweitern?
Flierl: Das ist extrem schwer. Die Tatsache, dass Berlin ein Haushaltsnotlageland ist, das wiederum eine extreme Verschuldung übernommen hat, dass wir zur Zeit ca. 60 Milliarden Euro Schulden haben, also zwei ganze Jahreshaushalte, zeigt, dass alle Ideen, die man haben könnte, bestimmte Strukturen effizienter zu gestalten, dass die im Grunde sehr schnell und sofort und immer wieder der Konsolidierung geopfert werden. Alle bisherigen Kulturpolitikmodelle waren ja traditionell darauf ausgerichtet, dass man wachsende staatliche Kulturausgaben neuen Aufgaben zugedacht hat. Es gab ein neues Problembewusstsein in der Gesellschaft, wenn ich daran erinnere, wie Kunst am Bau als öffentliche Aufgabe begriffen wurde in den 60er und 70er Jahren, wie die soziokulturellen Zentren entstanden sind, in Ost und West, wie Geschichtsarbeit in den 70er und 80er Jahren eine große Rolle spielte usw. Alle diese Initiativen konnten damals noch mit wachsenden öffentlichen Haushalten begleitet werden. Aber jetzt besteht die Schwierigkeit, bei gleichbleibenden oder sinkenden Haushalten, dennoch zu versuchen, Substanz zu erhalten, also die Arbeitsmöglichkeiten der Institutionen und der Künstlerinnen und Künstler zu sichern. Man versucht die Strukturen so umzubauen, so dass man möglichst viel Geld für die Kunst und möglichst wenig Geld für die Verwaltung ausgibt. Und dann möglicherweise auch noch Schwerpunkte setzen, das ist extrem schwierig. Man muss mitunter gewisse Raffinessen entwickeln, um die Reservoirs, die man erschließt, auch tatsächlich kulturellen Aufgaben zuleiten kann und nicht nur der abstrakten Haushaltskonsolidierung.

Inwiefern hat sich Ihre Arbeit im Kulturministerium der DDR von Ihrer heutigen Arbeit unterschieden?
Flierl: Das ist sehr schwer zu vergleichen. Formell gab es Gemeinsamkeiten, in der Administration, der Bürokratie und was das Initiieren von Projekten angeht. Aber natürlich sind die politischen Bedingungen ganz andere gewesen. Und mein Aufbrucherlebnis für die Verbindung von Kulturarbeit und Politik kam eigentlich erst nach der Wende: jene 6 Jahre, die ich von 1990 an Leiter des Kulturamtes Prenzlauer Berg war. Die kommunale Selbstdefinition und das Entdecken von kommunaler Kulturpolitik, das Aufkommen einer Vielfalt von Trägern, private, freie, kommunale Träger – die Pluralität von kulturellem Leben, waren für mich der zentrale Erfahrungsbereich. Ohne diese Erfahrung im Prenzlauer Berg hätte ich es weder gewollt noch gekonnt, das Amt eines Kultursenators zu übernehmen.
Die Erfahrungen aus der Zeit im DDR-Kulturministerium sind hier und heute unmittelbar nicht anwendbar. Obwohl es aus der Zeit natürlich auch interessante Erfahrungen gibt und eine gewisse Kenntnis auch der Berliner Situation, weil ich damals auch im Bereich des Kulturaustausches zwischen dem Westteil der Stadt und der DDR beschäftigt war und seitdem auch eine Menge Institutionen und Akteure kenne, die mich auch aus dieser Zeit kennen, und da bereits ein vertrauensvolles Verhältnis existiert.

Wie war das mit den finanziellen Mitteln in der DDR? Könnte man die damalige Situation als luxuriöser bezeichnen?
Flierl: In gewisser Weise schon. Bei der politischen Schwerpunktsetzung ging es vor allem darum, einen Kulturaustausch zu entwickeln, zwischen der DDR und Westberlin. Und wenn etwas scheiterte, lag das nicht an finanziellen Restriktionen, sondern eher an politischen Bedenklichkeiten. Heute dagegen, bei der hohen Verschuldung Berlins und dem Rückgang von öffentlichen Einnahmen, besteht natürlich vor allem das Problem, die Finanzmittel aufzubringen, für die bestehenden Kulturaufgaben oder auch für die Entwicklung neuer Bereiche, die in Berlin zweifellos auch notwendig sind.

Eine etwas andere Frage noch zu Ihrer Arbeit in der DDR: der Autor und Sänger Sven Regener hat in einem Interview mal ein Konzert seiner Band „Element of Crime“ erwähnt, das vor der Wende in Ost-Berlin stattfand, wo auch eine Ost-Punk-Band auftrat, die – wie sich später herausstellte – aus getarnten „IMs“ (Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi) bestand. Gab es so etwas tatsächlich?
Flierl: Ich weiß darüber nicht wirklich viel… die konspirative Durchsetzung der Kulturszene durch den Geheimdienst – die war eben konspirativ. Irgendwie hat man natürlich geahnt, dass es da dunkle Mächte gibt, von denen man sich möglichst fernhält und dessen Anwerbungsversuchen man aus dem Weg zu gehen hat. Aber das konnte man auch.
Man musste halt davon ausgehen, dass manche subversiven, alternativen Kulturszenen, die sehr starken Kontakt nach dem Westen suchten oder hatten, dass die entweder durchsetzt oder zumindest kontrolliert waren. Das hatte natürlich einen gewissen Abschreckungseffekt, weil man nicht wusste, mit wem man es eigentlich zu tun hat – das machte die Sache dann eher ungemütlich.

Sie müssen heute eine Menge von Verhandlungen führen, vor allem darüber, welche finanziellen Mittel wohin kommen usw. Macht Ihnen das immer Spaß, erfüllt Sie diese Arbeit?
Flierl: Es macht mir immer dann Spaß, fordert mich und schafft einen Moment der Befriedigung, wenn man durch eine gute Idee scheinbare Sachzwänge in Bewegung bringt und neue Horizonte eröffnet. Zum Beispiel diese ziemlich schwierige Frage, ob Berlin es sich leisten kann und will, drei Opernhäuser zu erhalten, oder ob man vielleicht eins der Opernhäuser schließen muss. Dieser Debatte habe ich mich gestellt und habe versucht mit dem Modell der Opernstiftung, also einer anderen Steuerung der drei Opernhäuser, entgegenzuwirken. Und durch die Unterstützung auf Bundesebene ist es auch gelungen, eine Lösung zu finden, in der die Opernstiftung mit den Opernhäusern und dem Ballett zwar sehr viel sparen muss – und das ist schlimm und hart und schwierig – aber so sind alle drei Häuser erhalten geblieben und gleichzeitig hat der Bund einige Einrichtungen fortgeführt, die sich möglicherweise alleine so nicht hätten halten können.
Wenn man die Sache hinreichend komplex betrachtet, hat es, wenn sie so wollen, auch einen spielerischen Aspekt bei Problemlösungen. Dann macht es auch Spaß. Wenn man es schafft, einen Diskurs zu bestimmen, oder zumindest mitzubestimmen und nicht Getriebener ist von Entscheidungen, die andere treffen, sondern, indem man auch selbst Ideen äußert, selbst zum Faktor der Auseinandersetzung wird. Man erlebt sich also nicht nur als Objekt fremder Mächte. Wenn man selbstbestimmt agieren kann, im Interesse eines Projektes, von dem man auch überzeugt ist, dann macht es auch Spaß. Da gibt es natürlich immer wieder Rückschläge und da gibt es Leute mit anderen Strategien, die einem das nicht gönnen, da spielen dann auch Missgunst und Neid eine Rolle.

Wie muss man sich die Verhandlungen mit den sicher auch mal extravaganten Vertretern der Kultur-Szene vorstellen?
Flierl: Es gibt da ganz unterschiedliche Charaktere. Ich glaube, dass es grundsätzlich naheliegend ist, dass ein Kultursenator mit den Vertretern der kulturellen Einrichtungen einen offenen, vertrauensvollen und guten Dialog führt. Letztlich ist der Senator ja für die Institutionen da, für die Kultur in dieser Stadt und für die Menschen, die an Kultur Interesse haben. Von daher gibt es ein gewisses allgemeines Einverständnis. Aber natürlich sind die Vertreter der Kulturszene sich untereinander nicht immer grün. Es gibt da Profilierungszwänge, Neurosen und Konkurrenz, es gibt auch viele politische Strategien aus den Institutionen in den politischen Raum hinein. Nur, die eigentlichen Auseinandersetzungen habe ich ja weniger mit den Kulturinstitutionen, sondern mit dem Finanzsenator, mit dem Koalitionspartner, da muss man Verhandlungen auf politischer Ebene führen.

Es gibt leider immer wieder Fälle, in denen Berliner Kultur-Institutionen aufgrund von Einsparungsmaßnahmen geschlossen werden müssen, jüngste Beispiele sind die „Tribüne“ und das „Kleine Theater“. Inwiefern trifft Sie so eine Entscheidung auch persönlich?
Flierl: Es trifft mich sehr. Weil das alles traditionsreiche Einrichtungen sind und weil das ja auch ein Abschiednehmen von Traditionen und von einem Teil gelebten Lebens ist. Gleichzeitig muss ich davon abstrahieren, wenn es nur begrenzte Ressourcen gibt und es ist meine Aufgabe, mit der Öffentlichkeit zusammen Kriterien und Möglichkeiten zu entwickeln, so dass die Ressourcen nicht nur den bestehenden, sondern auch neuen Einrichtungen zukommen können. Und so hat sich dieses Land Berlin nun mal entschieden, zu sagen, wir wollen für den Bereich der kleinen, freien und mittleren Theater ein Finanzierungssystem einführen, in dem Jurys über die Mittel entscheiden, welche dann befristet vergeben werden. Und wenn die Mittel gleich bleiben oder gar sinken, dann wird es die schwere Entscheidung geben, sich von bestimmten Institutionen zu verabschieden. Es muss aber immer die Möglichkeit geben, auch Neues aufzunehmen. Ich finde es schade, dass momentan nur von der Schließung der Tribüne und des Kleinen Theaters gesprochen wird, aber nicht von den Theatern, die von der Jury für die öffentliche Förderung vorgeschlagen wurden, die das auch verdient haben. Das Dilemma ist natürlich, dass wir keine wachsenden, öffentlichen Haushalte haben.
Nun bin ich ja aus meiner DDR-Erfahrung heraus der festen Überzeugung, dass Kulturentscheidungen möglichst staatsfern gefällt werden sollten, zum Beispiel über jene Jurys. Aber der Staat muss die öffentliche Finanzierung sichern.
Im Fall der beiden erwähnten Theater waren das Jury-Entscheidungen. Und ich bin vehement der Meinung, dass man diese Jurys sehr ernst nehmen sollte. Man sollte natürlich auch hinterfragen, ob die Jurys korrekt und plausibel argumentieren, ob die Entscheidungen auf richtigen Annahmen beruhen. Aber die Exekutive und die Legislative sollten sich möglichst enthalten.

Wer sitzt eigentlich in so einer Jury?
Flierl: In diesem fall war es so, dass der Bühnenverein und die Akademie der Künste Vorschläge machen konnten und daraufhin wurden drei Personen berufen, die diese Aufgabe übernommen haben.

Von Ihnen kommt diese Entscheidung also nur indirekt?
Flierl: Das ist ein politischer Mechanismus. Das Parlament hat 1998 fraktionsübergreifend das Theaterfinanzierungskonzept verabschiedet, seitdem arbeiten meine Vorgängerregierung und ich nach diesem Modell, Jurys evaluieren die Theater und geben Empfehlungen. Und natürlich ist das Parlament mit seinem Haushaltsrecht auch berechtigt, zu sagen, es will den Jury-Empfehlungen nicht folgen. Diese Jurys gibt es in allen Förderbereichen, bei Stipendienprogrammen, Künstlerförderungen, Förderung im Bereich der multikulturellen Arbeit usw., um sicher zu stellen, dass hier wechselnde und durch Sachverstand ausgezeichnete Leute Empfehlungen geben. Hier hat sich eigentlich eine gute Praxis entwickelt, so dass die Politik den Empfehlungen auch folgt.

Vor Ihrem Amtsantritt wurde bereits gemutmaßt, dass man es Ihnen als Ostdeutscher besonders übel nehmen würde, wenn Sie eine Kultureinrichtung im Westen Berlins schließen würden. Haben Sie das selbst auch so zu spüren bekommen?
Flierl: Ja klar, heftigst, als wenn jetzt hier ein Ostrevanchismus eintreten würde usw. Es hatten natürlich viele mit dem Eintritt der PDS in die Berliner Landesregierung und der Tatsache, dass ein Kultursenator aus dem Osten für die ganze Stadt zuständig ist, ein extremes Problem. Und vor dem Hintergrund solcher Entscheidungen wie der Jury-Empfehlungen zur Schließung des Schoßparktheaters oder des Hansatheaters, hat man das so auf mich projiziert, als würde ich jetzt Rache nehmen am Westen. Aber ich kann nur sagen: das waren Jury-Entscheidungen.
Generell betrachtet, glaube ich, dass eher umgekehrt ein Schuh daraus wird. Ich habe, gerade aufgrund meiner ostdeutschen Erfahrungen mit Abwicklungen – auch solchen, die sachlich nicht gerechtfertigt und primär politisch motiviert waren – eine gutes Gespür für und eine tiefe Abneigung gegen solche Haltungen. Und das nicht aus Vorsicht oder Taktik, weil mich manche unter eine solchen „Generalverdacht“ stellen, oder anfangs gestellt haben , sondern weil mir jeder Gedanke an eine „Reconquista Ost“ politisch und kulturell völlig fremd ist.

Kannten Sie denn diese nun geschlossenen Einrichtungen auch persönlich, sprich von innen?
Flierl: In dem begrenzten Maße wie mir das zeitlich möglich ist, kann ich das nicht immer machen. Ich habe nicht alle dieser Einrichtungen gesehen und in gewisser Weise muss ich sie auch nicht gesehen haben, weil ich eben nicht der Oberevaluator und nicht Jury-Mitglied bin. Natürlich guckt man, ob die Empfehlungen einer Jury nicht einseitig orientiert sind. Aber insgesamt finde ich es gut, dass die Politiker da wenig Einfluss nehmen. Wobei ich mich schon auch persönlich eingesetzt habe, für den Erhalt des Benjamin-Franklin-Krankenhauses, des Studentendorfes in Schlachtensee oder auch der Deutschen Oper beispielsweise.

Haben Sie denn für Berlin kulturpolitisch noch Visionen? Oder bleibt dafür aufgrund der finanziellen Grenzen gar kein Raum?
Flierl: Es gibt Rhythmen, das ist nicht immer gleich. Wir haben glücklicherweise in Berlin die Praxis der Doppelhaushalte, dass heißt, dass alle zwei Jahre Haushaltsverhandlungen stattfinden. Und in Zeiten solcher Verhandlungen ist für Visionen eher wenig Raum.
Zeit für Visionen gab es aber zum Beispiel im letzten Sommer, als ich ein Konzept-Papier vorgestellt habe, das nannte sich „Perspektiven durch Kultur“ und beschäftigte sich mit der Frage, wie aus der aktuellen Problemanalyse heraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.
Der Anteil von Visionen wird auch wieder wachsen, wenn wir im nächsten Jahr unsere Regierungstätigkeit bilanzieren, Wahlkampf machen, neue Projekte entwickeln, die uns wählbar machen mögen, für zukünftige politische Verantwortung.

Herr Flierl, wir haben eine Schlussfrage, die lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Flierl: Ich muss eingestehen, dass meine Comic-Erfahrung doch recht rudimentär ist, und außerdem schon lange zurückliegt. Es gab bei uns im Osten die „Digedags“ und den „Ritter Runkel“… Aber ich kann das nicht wirklich ernsthaft beantworten. Dafür habe ich keinen ausreichenden Kosmos zur Verfügung, ich wüsste keine Figur, in der ich mich jetzt wiedererkennen würde.

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