Thees Uhlmann

Etwas rumpelt in meinem Herzen.

Tomte-Sänger Thees Uhlmann über sein erstes Soloalbum, Emotionen auf dem Dorf und die menschenverändernde Wirkung von Rock’n’Roll

Thees Uhlmann

© pertramer.at

Herr Uhlmann, man kennt Sie vor allem als Frontmann der Band Tomte, nun steht erstmals in großen Lettern lediglich „Thees Uhlmann“ auf einer Platte. Haben Sie das Gefühl, dass es darauf auch viel mehr Thees Uhlmann zu hören gibt, als auf den vorherigen fünf Tomte-Alben?
Uhlmann: Irgendwie schon, ja. Ich bin von der Öffentlichkeit ja nie bloß als Thees Uhlmann, sondern immer als Thees Uhlmann von Tomte wahrgenommen worden. Und das war auch okay, schließlich war es immer mein Traum, in einer Rockband zu sein. Dafür habe ich wirklich alles Menschenmögliche getan: ich habe mit jeder Schülerzeitung und mit jedem Feuilleton gesprochen, habe jeden Club und jedes Jugendzentrum bespielt – das war die reinste Energieleistung.

Und damit ist jetzt Schluss?
Uhlmann: Nein, um Gottes Willen. Aber ich habe irgendwann gemerkt, dass der Thees Uhlmann von Tomte mittlerweile alles erreicht hat, wovon er damals geträumt hat. Er hat das Hurricane gespielt, er war bei Rock am Ring und hat drei Mal hintereinander die Große Freiheit in Hamburg ausverkauft. Aber so wollte ich jetzt nicht mehr weitermachen, dazu hätte mir die Kraft gefehlt. Es war einfach an der Zeit, etwas Anderes zu machen, etwas Simpleres. Etwas, das mehr Thees Uhlmann ist.

Worin liegt die Veränderung konkret?
Uhlmann: Wenn man in einer Band spielt, macht man instinktiv die Musik, von der man glaubt, dass sie auch den anderen Bandmitgliedern gefällt. Man schickt sie durch einen unbewussten Filter, und diesen Filter habe ich bei dieser Platte gekappt. Ich führe jetzt nur noch Dialoge mit mir selbst – das ist die große Veränderung.

Wie hat es sich denn für Sie angefühlt, keine Kompromisse mehr machen zu müssen?
Uhlmann: Das war eine regelrechte Befreiung – zumal ich keinerlei Erfolgsdruck verspüre. Ich meine: deutschsprachiger US-Rock mit starkem 70er- und 90er-Einfluss – das ist nicht gerade das Erfolgsrezept, um an eine goldene Schallplatte zu kommen. Aber ich habe bereits all das erreicht, was ich immer erreichen wollte. Deshalb ist es mir auf eine romantische Art und Weise egal, was nun mit diesem Album passiert. Ich kann mittlerweile damit leben, wenn jemandem die Platte nicht gefällt.

Das klingt aber nicht sonderlich selbstbewusst.
Uhlmann: Ich persönlich bin unheimlich stolz auf das Album, aber ich glaube nicht, dass es allen Leuten gefallen wird.

Wie kommen Sie darauf?
Uhlmann: Erfahrung. Dem einen gefällt mein Gesang nicht, der andere findet es nicht mehr ‚in’, was ich mache. Außerdem bewegt sich der journalistische Schreibprozess in Zyklen. Man findet das gut, was man entdeckt, aber wenn Erna Kleinschmidt aus Bielefeld das plötzlich auch gut findet, findet der Musikredakteur das natürlich nicht mehr gut, weil er eben anders sein will als Erna Kleinschmidt. Und das ist ja auch okay so.

Es macht Ihnen also nichts aus, wenn eine Platte nicht an ihrer musikalischen Qualität gemessen wird, sondern daran, was für ein Name darauf steht oder wem die Platte sonst noch gefällt?
Uhlmann: Ja, das ist mir mittlerweile egal. Früher hat es mich auch gewurmt, wenn die Leute kein komplettes Interview mit mir führen, sondern lediglich einen kleinen Beitrag für eine bestimmte Rubrik haben wollten. Ich hatte damals Angst, irgendwann nur noch für alle der Rubriken-Hoschi zu sein. Im Zuge dessen hatte ich auch Angst um die Band, aber diese Verantwortung habe ich als Solokünstler nun nicht mehr zu tragen.

Musikalisch orientiert sich die Platte ein bisschen mehr an Amerika und an ‚alter Musik’. Haben Sie sich zurückbegeben an Ihre musikalischen Wurzeln – oder sind Sie einfach viel über Flohmärkte gelaufen?
Uhlmann: Ich habe zuhause meine alten Platten herausgekramt: Bruce Springsteen, Billy Joel, The Grass Roots, Albert Hammond. Gleichzeitig kamen aber auch neue Sachen dazu wie das letzte Moderat-Album oder die aktuelle Platte von Kanye West. All diese Einflüsse haben mich zu den neuen Songs geführt.

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Ich führe jetzt nur noch Dialoge mit mir selbst – das ist die große Veränderung.

Thees Uhlmann

Auf dem Opener Ihres neuen Albums fällt die Zeile: „Ich werde nicht müde, die Dinge, die ich liebe, zu preisen.“ Das haben Sie in Bezug auf Rap-Musik auch auf Tomte-Konzerten häufig getan. Wann und wie haben Sie HipHop für sich entdeckt?
Mein Bruder kam irgendwann aus Amerika zurück und hatte das Public-Enemy-Album „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ im Gepäck. Das war ein Erweckungserlebnis – allerdings nicht für Rap im Speziellen, sondern für gute Musik allgemein. Wir haben japanischen Grindcore genauso gehört wie Rap. Das war für uns vor allem ein Gegensatz zur Popmusik: Real, politisch, neu und cool.

Wie kam dieses öffentliche Bekenntnis zur Rap-Musik denn bei den Tomte-Fans an?
Ehrlich gesagt habe ich nie darüber nachgedacht. Ich habe bei unseren Konzerten darüber gesprochen, weil ich dieses HipHop-Prinzip des Props-Gebens mag. Jemand wie Eminem hat einfach geile Sachen gezündet, und darauf möchte ich Leute gerne aufmerksam machen. Menschen, an denen das bisher vorbeigegangen ist. Ich empfinde auch eine ehrliche Dankbarkeit gegenüber solchen Artists wie Kanye West, weil er mich mit seiner Kunst inspiriert. Ich musste mir schon oft anhören, dass ich mich in meiner Musik angreifbar mache, aber wenn Kanye auf einem Song wie „All Of The Lights“ die Hosen herunterlässt und rappt, „Can’t see my daughter/her mother, brother, grandmother hate me in that order“, dann macht mir diese Offenheit Mut.

Bei Tomte haben Sie die Songs vorwiegend auf der Gitarre geschrieben, für Ihr Soloalbum auf dem Klavier. Inwiefern hat sich dieser Umstand auf die einzelnen Stücke ausgewirkt?
Uhlmann: Die Idee stammt von meinem Produzenten, und zuerst dachte ich: der spinnt! Ich spiele nämlich ungefähr so gut Klavier wie die Ramones Gitarre, das war also eine vollkommen ungewohnte Herangehensweise. Man singt plötzlich anders, man spielt anders – das war eine interessante Erfahrung und eine fast schon geniale Idee. Eine Idee, die beweist, dass ein guter Produzent sein Geld wert ist.

Sie haben mal gesagt, dass Sie an die menschenverändernde Wirkung von Rock’n’Roll glauben. Inwieweit hat Sie der Rock’n’Roll während der Arbeit an Ihrem ersten Soloalbum verändert?
Uhlmann: Mir war von Anfang an klar, dass ich etwas anders machen wollte, wusste allerdings nicht so genau, was. Irgendwann habe ich dann ein Video von einem Bruce-Springsteen-Auftritt auf Youtube gesehen, in dem er anlässlich des Abrisses des Giants-Stadiums in New Jersey einen Song performt. Darin singt er: „My home is here in the middle lands/where mosquitos grow bigger than aeroplanes“ – und das ist mir unheimlich nah gegangen, weil er den Leuten damit aus dem Herzen gesprochen hat. New Jersey ist eben nicht New York. Alle kennen New Jersey bloß wegen der Sopranos, die Mücken dort sind groß wie Flugzeuge, aber trotzdem sind die alle dort zusammengekommen und haben sich gefeiert. Dieses Gefühl wollte ich für meine Platte adaptieren.

Deshalb auch die Liebeserklärung an Ihren Heimatort Hemmoor?
Uhlmann: Genau. Denn seit ich meine Tochter habe und daher nun regelmäßig nach Hause fahre, ist mir aufgefallen, dass ich mich da total wohl fühle. Das ist zwar bloß eine poplige Kleinstadt an einer Bundesstraße, aber trotzdem bedeutet es mir etwas, dort rumzuhängen.

Vielleicht aber bloß deshalb, weil Sie wissen, dass Ihre Aufenthaltszeit dort begrenzt ist.
Uhlmann: Ja, mag sein. Natürlich will man da als 20-Jähriger weg. Aber nun, mit 37, habe ich immer häufiger Lust, nach Hemmoor zu fahren, und das thematisiere ich dann auch. Das ist der Deal zwischen mir und den Leuten, die meine Musik hören: wenn etwas rumpelt in meinem Herzen, dann wird auch darüber gesungen.

Wie viel Prozent Provinz steckt in Ihrem Album?
Uhlmann: Es gibt einen Neukölln-Song auf der Platte. Auch ein anderes Stück hätte es ohne Berlin nicht gegeben. Aber das ganze Klavier habe ich in Hemmoor komponiert – insofern liegt der Provinz-Anteil bei mir bestimmt bei 80%.

Worin liegt denn plötzlich der Reiz, solche „Kleinstadt-Platten“ zu machen?
Uhlmann: Das ermöglicht einem, andere Geschichten zu erzählen. Auf dem Casper-Album gibt es zum Beispiel das Stück „Michael X“ über den Selbstmord eines Jugendlichen. In Berlin passiert so etwas ständig, aber in Bösingfeld erinnert man sich auch Jahre später noch an diesen Typen. Diese kleinstädtischen Ordnungseinheiten, die durch solche Ereignisse durchbrochen werden, braucht man für solche Songs – so sehr man die ansonsten auch hassen mag.

In der Presseinfo steht, dass Sie ein Mann der Superlative seien – zumindest, wenn Sie schreiben und singen …
Uhlmann: Mein Leben und das meines Umfeldes ist nicht besonders glamourös. Wir müssen alle arbeiten gehen, Sie müssen mich jetzt interviewen – und dabei haben wir noch einigermaßen glamouröse Jobs im Gegensatz zum ‚Mädchen von Kasse 2’, das für 400 Euro im Monat bei Schlecker sitzt. Mein Anspruch ist es, zu sagen: ich weiß, es nervt alles, aber heute Abend wird der beste Abend, den wir je hatten – zumindest könnte er das werden. Denn so habe ich immer Rock’n’Roll gehört und verstanden.

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