Sven Regener

Das war schon eine seltsame Sache mit der DDR.

Sven Regener über über seine Zeit als Tippse, ein Element of Crime-Konzert in Ost-Berlin, Erinnerungen an die 70er und einen Lottogewinn im Literarischen Quartett

Sven Regener

© Golterman/ Wulf

Berlin, August 2003. Zu spät zu einem vereinbarten Interview-Termin zu kommen, ist für einen Journalisten meist eine sehr peinliche Angelegenheit. Deswegen öffne ich an einem äußert trüben August-Morgen schon um zehn vor 9 Uhr die Tür der „Markthalle“ in Berlin-Kreuzberg. Um 9 Uhr bin ich hier mit Sven Regener vereinbart, einerseits Frontmann der Band „Element of Crime“, andererseits Autor des höchst erfolgreichen Romans „Herr Lehmann“. Doch Regener ist ebenfalls zu früh, sitzt zeitunglesend schon am Ende der Kneipe, die durch sein Buch weit über Berlins Grenzen hinaus bekannt geworden ist – die Romanfigur Frank Lehmann ist hier Stammgast.

Herr Regener, bevor Sie eigene Texte für Ihre Band Element of Crime aufschrieben und später das Buch „Herr Lehmann“, haben Sie ja lange Zeit die Texte anderer Leute verschriftlicht.
Sven Regener: Ja, ich habe als Tippse gearbeitet, die ganzen Achtziger Jahre bis ’89. Zuerst war das bei einem Wissenschaftszentrum und später bei der Berliner „Zweiten Hand“. Ich habe also viele Forschungsberichte getippt und später dann die Kleinanzeigen.

Wie viel Anschläge pro Minute hatten Sie so drauf?
Regener: Ich war ganz gut, über 300 pro Minute waren schon drin, wenn ich in Form war. Das waren aber eben alles nur Texte, die ins eine Ohr rein gingen und durch die Finger wieder raus, da blieb nicht viel hängen. Ich kann tippen seit ich 14 bin, für mich war das auch nie eine große Schwierigkeit, obwohl man auch die Rechtschreibung ganz gut beherrschen musste. Es war aber ein Job wie jeder andere, da gibt es zu meinen heutigen Aktivitäten eigentlich keinen Zusammenhang.

Schreiben Sie Ihre Songtexte per Hand?
Regener: Teils, teils. In der Regel ist es bei Songtexten ja so, dass man viel mit Worten jongliert, für einen Song ist ja jedes einzelne Wort sehr entscheidend – da ist man dann schon schneller per Hand mit dem durchstreichen, neu schreiben etc. Aber sowieso schreibe ich Songtexte mehr im Kopf als auf dem Papier. Wenn man sich dann hinsetzt und die niederschreibt, dann hat man bestimmte Worte schon sehr lange im Kopf mit sich rumgetragen. Ich kann aber eigentlich nicht so gut mit der Hand schreiben, auch nicht besonders leserlich.

Hatten Sie denn im Verlauf der zehn Band-Alben mal so etwas wie eine Schreibblockade?
Regener: Nein, eigentlich nicht. Ich bin aber auch nicht derjenige, der etwas einfach planlos raushaut. Meistens waren es immer Songtexte zu bereits existierender Musik, da ist dann jedes Lied eine neue Aufgabe und Herausforderung. Es gibt Songs, da drängen sich die Texte regelrecht  auf, bei anderen ist es wiederum schwieriger. Und man will natürlich vermeiden, dass man sich wiederholt.

Prüfen Sie das nach?
Regener: Nein, das muss man nicht nachprüfen, das merkt man automatisch. Man stellt dann manchmal fest, dass man eine bestimmte Art von Songtext schon zu oft geschrieben hat. Letztendlich hat ja jeder im Glücksfall drei oder vier Songs, die er immer wieder schreibt. Es gibt auch Leute, die haben nur einen Song, den sie immer wieder schreiben, das reicht dann vielleicht für drei Platten. Wenn man zwei Songs hat, kommt man schon länger hin und ab drei Songs kommt man damit eigentlich schön durchs ganze Leben – soweit meine Theorie dazu.
Letztendlich singt man gewissermaßen immer wieder dieselben Lieder, nur eben anders in der   Form, das ist die Idee bei der ganzen Geschichte. Alle Rocksongs dieser Welt sind letzten Endes Variationen von zwei Themen, die immer wiederkehren: entweder, sie hat mich verlassen, oder es geht wieder von vorne los. Es sind doch immer die selben wichtigen Momente, die man beschreibt, man tut es nur mit neuen Worten. Man muss das Pulver nicht ständig neu erfinden, aber man sollte schon seinen eigenen Stil haben und dann aufpassen, dass man sich nicht zu stumpf selbst kopiert.

Wo kommen Ihnen die meisten Ideen?
Regener: Wenn man das wüsste. Die Frage ist mir eigentlich auch ein wenig zu abstrakt, ich kann nicht sagen: die meisten Ideen kommen mir in der Badewanne. So funktioniert das nicht. Die Frage ist: warum will ich überhaupt einen Songtext? Weil ich eine musikalische Idee habe, aus der  ein gutes Lied werden könnte. Für jedes Lied braucht man aber eine Idee und so trägt man eine Melodie so lange mit sich rum, bis irgendwann die Idee kommt. Das hat aber nichts damit zu tun, wo man sich befindet, sondern damit, wie lange man schon mit dieser Musik im Kopf rumläuft. Und wo die Idee dann letztendlich herkommt, weiß man sowieso nicht.

Sie mit haben mit Element of Crime bereits vor dem Mauerfall in Ost-Berlin Konzerte gegeben. Können Sie erzählen, wie es dazu kam?
Regener: Das war so eine halb geheime Sache. Organisiert hat das einer aus dem Osten, Silvio Maier, dessen Bruder im Westen wohnte, im selben Haus wie unser Bassist – so kam der Kontakt zustande. Wir haben 1987 zweimal in der Zionskirche gespielt, das war der einzige Ort in Ost-Berlin, wo man spielen konnte, ohne dass die Künstleragentur der DDR eingeschaltet wurde. Wir mussten allerdings als Touristen einreisen, ohne Instrumente, denn sonst hätten die uns wohl nicht reingelassen..

Ihre Band war also schon bekannt im Osten?
Regener: Sicher, wir haben 1987 die Platte „Try to be Mensch“ rausgebracht und die war eigentlich auch im Osten recht populär, durch die Sender SFB und RIAS, wo die Songs hin und wieder gespielt wurden. Dann kam aber noch dazu, dass eine Band aus dem Westen spielte, unzensiert und eben im Halb-Untergrund. Das wurde auch mitorganisiert von einer Umweltbibliothek an der Zionskirche, die dann auch quasi unser Backstage-Bereich war, wo man vor dem Konzert noch Rotwein trank. Nach dem zweiten Konzert gab es allerdings einen Überfall von Skinheads, bei dem ein Mensch sogar ein Auge verloren hat.

Skinheads?
Regener: Ja, warum die auf einmal da waren, weiß niemand genau. Man müsste das eigentlich mal bei der Gauck-Behörde erforschen. Ein paar von denen haben sie damals wohl festgenommen, aber gleichzeitig stand die Volkspolizei am Zionskirchplatz und guckte tatenlos zu, wie die rumliefen und „Sieg Heil!“ riefen. Das war schon eine sehr rätselhafte Angelegenheit, ich nehme auch an, dass die Stasi da irgendwie mit dringehangen hat. Und der Silvio Maier wurde kurz nach der Wende von ein paar Nazi-Skins erstochen.

Welchen Eindruck hatten Sie damals von der Musik-Szene in Ost-Berlin?
Regener: Es war beeindruckend, was dieser Halb-Untergrund so am Laufen hatte. Die kannten sich ja alle untereinander und es war toll, wie die das alles organisiert haben. Wir bekamen die Instrumente von allen möglichen Musikern zusammengepumpt, und die Verstärkeranlage hatte extra einer für das Konzert zusammengebastelt. Der hat später auch einen PA-Verleih aufgemacht – hat aber mittlerweile ein Sonnenstudio in Potsdam.
Als Vorgruppe bei unserem ersten Gig spielte außerdem eine Band, die hieß „Die Firma“. Die hatten keine Spielerlaubnis und die Musik ging so in Richtung Punk. Später kam allerdings heraus, dass die beiden führenden Köpfe der Band bei der Stasi waren. Ja, das war schon eine seltsame Sache mit der DDR. Mit der Wende ist sie dann ja aber auch  ziemlich schnell verschwunden.

Sie haben vor zwei Jahren Ihr Roman-Debüt „Herr Lehmann“ veröffentlicht, das zur Wendezeit in Berlin-Kreuzberg spielt. Der große Erfolg bahnte sich damals insbesondere an nach der Besprechung in der Fernsehsendung „Das literarische Quartett“. Wissen Sie, wie Ihr Buch in diese Sendung gelangt ist?
Regener: Nein, das ist auch mir und dem Verlag recht rätselhaft gewesen, das sind verschlungene Wege. Man muss ja annehmen, dass die vier Moderatoren der Sendung mit neuen Büchern regelrecht zugeschüttet werden. Aus irgendeinem Grund ist mein Buch halt da gelandet, was natürlich ein großer Glücksfall war. Das hatte etwas von einem Lottogewinn und dazu kam ja noch, dass das Buch im Quartett umstritten war, wobei es am Ende 3:1 ausging – für das Buch. Aber es gab die Gegenstimme, was sehr wichtig war, weil das Buch dadurch viel ausführlicher diskutiert wurde, als die anderen in der Sendung. Diese Gegenstimme von der Iris Radisch war sozusagen das größte Glück, was meinem Buch passieren konnte. Wirklich, so wie ein Lottogewinn.

Zitiert

Für die Konzerte in Ost-Berlin mussten wir als Touristen einreisen, ohne Instrumente, denn sonst hätten die uns wohl nicht reingelassen..

Sven Regener

Da müsste es Ihnen jetzt aber schwer fallen, ein zweites Buch zu schreiben.
Regener: Warum?

Na ja , man kann den Lottogewinn beim Lotto ja auch wieder verspielen.
Regener: Nein, so rum geht es ja nicht. Ich sage zwar, dass das Buch so etwas wie ein Lottogewinn war, aber nicht, dass Bücherschreiben so wie Lottospielen ist. Und es geht natürlich noch um ein bisschen mehr, als nur darum, wie viele Bücher man verkauft hat.
Ich denke, man kann den finanziellen Erfolg auf zwei Weisen nutzen: als Druckmittel und Wiederholungszwang, indem man versucht, den Erfolg zu wiederholen, wenn möglich sogar zu toppen. Oder man sag sicht: „Ok, die finanzielle Lage ist jetzt sowieso sehr entspannt, also kann ich auch um so freier agieren“. Man kann den Erfolg als zusätzlichen Druck nehmen oder aber als Mittel, das den Druck eher rausnimmt, das ist eine Neigungsfrage. Und ich neige eher zur letzteren Variante.

Und was macht Sven Regener so im Moment?
Regener: Ich schreibe ein Buch.

Und ich dachte, Sie wollten sich entspannen. Aber wo Sie es schon erwähnen: wie läuft das ab, wenn Sie ein Buch schreiben?
Regener: Also, über diese Lehmann-Geschichte habe ich insgesamt neun Jahre lang nachgedacht. Das erste Kapitel habe ich als eigenständige Geschichte schon 1991 geschrieben. 2000 habe ich dann angefangen, das ganze Buch zu schreiben. Und eigentlich habe ich die neun Jahre nicht nur über diese eine Geschichte nachgedacht, sondern über drei Geschichten. Das heißt, es ist wichtig, dass man sehr, sehr lange nachdenkt. Es bringt nichts, sich hinzusetzen und einfach drauf los zu tippen. Neun Jahre ist natürlich schon ziemlich lang, aber dafür fällt einem in der Zeit auch einiges ein.

Bis 2012 werden Sie mit dem nächsten Buch aber doch nicht warten, oder?
Regener: Nein, ich will es im nächsten Jahr veröffentlichen. Und ich kann mir diese Deadline setzen, weil ich heute schon weiß, was ich will. Es muss nur geschrieben werden, den Termin habe ich mir festgelegt.

Also setzt nicht der Erfolg Sie unter Druck, sondern Sie sich selbst.
Regener: Ja, ohne das, würde ich vielleicht noch drei Jahre über die Geschichte nachdenken. Ab einem bestimmten Punkt weiß man einfach, dass es nichts mehr bringen würde, noch länger darüber nachzudenken. Und dann muss man sich der Sache auch stellen und aufschreiben – was dann allerdings auch wieder neue Probleme und neue Ideen mit sich bringt. Aber das, was du dir ausgedacht hast, muss irgendwann den Test bestehen. Du musst es aufschreiben und gucken: Ist das ausreichend? Ist die Story gut genug, um sich über ein paar hundert Seiten zu halten und zu fesseln?

Geben Sie die Geschichte während der Entstehung anderen zum Lesen?
Regener: Ja, meinem Lektor und einem guten Freund. Allerdings ist das auch eine ganz große Sache des Vertrauens. Nur können mir die beiden die Entscheidung letzten Endes nicht abnehmen. Ich muss schon selbst wissen, was ich für richtig halte. Aber wenn ich selbst das Gefühl habe, die Sache ist noch nicht ganz optimal, dann trifft deren Kritik bei mir natürlich auf fruchtbaren Boden.

Als Front-Sänger von Element of Crime sind Sie es wahrscheinlich schon lange gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen, mit Ihrem erfolgreichen Debüt als Autor hat das Medieninteresse an Ihrer Person nun noch einmal zugenommen. Lesen Sie viel, was über Sie geschrieben wird?
Regener: Ja, aber nicht so gerne. Ich will jetzt nicht kokett sein, natürlich freue ich mich, wenn über mich und mein Buch geschrieben wird. Es beschleicht einen dabei aber auch ein unangenehmes Gefühl. Ich bin nicht der Typ, der den Prominenten-Status mag und mit der Zeit wird einem das auch ein bisschen unheimlich. Ich gebe zwar Interviews, aber ich mag es nicht, wenn es persönlich wird, weil ich meine eigene Person eh nicht so gern nach vorne stelle.
Dass wir mit Element of Crime bisher sehr viel Aufmerksamkeit geweckt haben, ist auch eine sehr schöne Sache. Aber ich bin nun nicht derjenige, der sich daran berauscht, Sachen über sich selbst zu lesen oder dass sein Foto in der Zeitung ist.

Gab es Zeiten, wo Sie mit der Band Existenz-Ängste hatten?
Regener: So was gibt es immer, Element of Crime ist ja keine Band, die heute schon ihre Rente eingespielt hätte. Letztendlich haben wir mit der Band aber immer das Glück gehabt, dass die Sache immer weiter gewachsen ist, wir sind noch immer in der gleichen Liga und nie abgestiegen. Das Problem haben ja eher die Bands, die sehr früh sehr erfolgreiche Platten haben, einen Single-Hit zum Beispiel. Wenn du mit der nächsten Single dann nicht wieder Erfolg hast, dann wirst du plötzlich statt mit einem großen Nightliner wieder mit einem 208er (Mercedes) durch die Gegend gefahren. Ich glaube auch, dass es nur sehr schwer zu verkraften ist, wenn du in einer Stadt wie Berlin nur noch vor 200 Leuten spielst, wenn du früher vor 1000 gespielt hast. Solche Probleme haben wir zum Glück nie gehabt.

Und Angst davor?
Regener: Nein, nach 18 Jahren hat man eigentlich vor nichts mehr Angst. Man ist dann eher nüchtern und sagt sich: wenn die Band irgendwann wirklich keiner mehr braucht, dann ist es auch Quatsch, weiter auf der Band zu beharren. Man sollte sich auch rechtzeitig darauf vorbereiten und wenn dieser Punkt kommt, an dem man weiß, es kommt musikalisch nichts neues mehr, nichts aufregendes, sollte man ganz schnell Schluss machen, alles andere wäre nur peinlich für alle Beteiligten.

Seit wann spielen Sie eigentlich Trompete?
Regener: Seit ich 15 bin. Mein erstes Instrument war aber Blockflöte und ich bekam irgendwann auch Gitarrenunterricht im Bremer Konservatorium. Aber ich wollte noch Trompete spielen, weshalb ich damals Geld gespart habe und mir mit 15 meine erste Trompete gekauft habe.

Wie teuer war so was damals?
Regener: Ich glaube, die hat ungefähr 300 Mark gekostet und das war damals schon verdammt viel Geld, bestimmt mehr als heute 300 Euro.

Haben Sie sich damals schon viele Platten gekauft?
Regener: Nein, viel zu teuer. Die kosteten damals 20 Mark, das wären heute so um die 50 Euro. Da verstehe ich es heute auch gar nicht, warum sich so viele Leute über hohe Plattenpreise beklagen. Das ist doch Quatsch, damals in den 70ern war Musik noch viel teurer.

Sie haben sich also alle zweit Monate eine Platte gekauft.
Regener: Ach, nicht mal. Aber wenn man zu Weihnachten dann Geld geschenkt bekam, hat man sich davon natürlich Schallplatten gekauft. Das war aber auch eine Zeit, wo sich niemand superteure Turnschuhe kaufen musste, das darf man ja nicht vergessen. Heute, wenn du in dem Alter bist, spielen ja noch ganz andere Dinge eine Rolle. Du brauchst ein Handy, coole  Klamotten … Die 70er, das war ja keine Zeit, wo man viel Klamotten gekauft hat, da war es  doch vielmehr die Idee, dass man angezogen so aussah, wie aus der Mülltonne. Da hat man in der Hinsicht sich nicht wirklich viel Mühe gemacht. Man hat nur versucht zu vermeiden, das die Eltern einem peinliche Klamotten gekauft haben.
Ich will nur sagen, dadurch, dass heute die Situation bei Jugendlichen völlig anders ist, hat die Musik ihren früheren Stellenwert verloren. Wenn du heute in ein Kaufhaus gehst und guckst, wie die Videospielabteilung aussieht und danach in die CD-Abteilung gehst – dann weißt du alles.

Bereitet Ihnen das Sorge für die Zukunft?
Regener: Nein, es gibt Sachen, die sterben nicht aus. Sex, Kinder kriegen – und dass sich Leute zu Hause treffen und sich gegenseitig Platten vorspielen. Das sind so Sachen, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.

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