Sophie Hunger

Ich habe irgendwann gemerkt, dass mich keiner versteht.

Im April hat Sophie Hunger ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht, aus dessen Anlass auch das folgende ausführliche Interview entstand. Sophie Hunger spricht über Hipster und Wohnungssuche in Berlin, überflüssige Gegenstände, Schweizer Banker, ihre Texte, das Album "Supermoon" und wie Roger Federer ihre Konzerte beeinflusst.

Sophie Hunger

© Marikel Lahana

Frau Hunger, Sie sind jüngst nach Berlin gezogen – im Gegensatz zur Band Kraftklub, die mit dem Song „Ich will nicht nach Berlin“ einen Hit landete…
Hunger: Das ist ja eine deutsche Band, die haben wahrscheinlich ein ganz kompliziertes Verhältnis mit Berlin. Ich habe das nicht, ich bin Ausländer, komme aus einem kleinen Staat, für mich ist Berlin super.

Und die Hipster, über die Kraftklub singen, stören Sie nicht?
Hunger: Ehrlich gesagt, ich finde es ein bisschen provinziell, wenn man so redet. Zu jeder großen Stadt gehören Hipster genauso wie Punks oder Banker – das war schon immer so. Kraftklub sollten froh sein, dass es in Berlin Hipster gibt, ohne so etwas wie Hipster ist eine Stadt doch bedeutungslos.

Sind Sie nach Berlin gezogen weil’s praktisch ist, oder gab es es eine Sehnsucht, die Sie stillen wollten?
Hunger: Es gibt eine biographische Sehnsucht: Mein Großvater kam etwa 1920 nach Berlin und hat hier eine Schauspiel- und Gesangsausbildung gemacht. Er wurde Schauspieler, aber nach der Machtergreifung ging er wieder zurück in die Schweiz, wo er sehr früh gestorben ist.
Er ist in meiner Familie diese Figur, über die alle sagen: Der hatte Talent.

Wo hat er in Berlin gelebt?
Hunger: Wir wissen, dass er am Landwehrkanal gewohnt hat. Ich habe deswegen auch versucht, am Maybachufer eine Wohnung zu finden – aber dann relativ schnell gemerkt, dass das die begehrtesten Wohnungen in Berlin sind.

Verdienen Sie dafür nicht genug? Sie touren ständig, bringen CDs raus, sind in Berlin immer ausverkauft…
Hunger: Also, ich glaube für den Landwehrkanal reicht es noch nicht ganz. Vielleicht nach der neuen Platte, wer weiß. Allerdings brauche ich auch keine krasse Wohnung, denn ich bin ja eh nie zuhause.

Zitiert

Die Idee vom Sesshaft-Werden kriege ich nicht hin.

Sophie Hunger

2011 waren Sie auf einer USA-Tour mit der Nomaden-Band Tinariwen. Sind Sie selbst auch Nomadin oder werden Sie jetzt sesshaft?
Hunger: Die Idee vom Sesshaft-Werden kriege ich nicht hin. Wenn ich so etwas im Film sehe, denke ich immer „ach, wie schön“, aber im echten Leben ruft so etwas eher Ängste in mir hervor.

Warum?
Hunger: Weil man auf einmal so viel Verantwortung hat. Ich muss dann im Winter die Pflanzen mit Stroh abdecken, mich darum kümmern, dass die Heizung geht… Außerdem fängt man an, Dinge anzuhäufen und wenn man stirbt müssen sich irgendwelche wildfremden Leute, oder meine Geschwister, um all diese Sachen kümmern, um all den Scheiß, den ich angesammelt habe. Dadurch verlieren sie Zeit, das finde ich unhöflich.

Sie häufen also keine Dinge an.
Hunger: Nein. Ich kaufe nur Instrumente und Bücher. Ich mag es auch nicht, wenn mir Leute Sachen schenken. Bücher ist ok, aber so Gegenstände – nein. Ich denke dann immer gleich, dass sich später irgendwer um diesen Gegenstand kümmern muss. Wir haben eh viel zu viel Zeugs, jeder hat zu viele Kleider, wir essen zu viel… – mich macht das fertig. Ich will nicht viel haben. Verschwendung finde ich eklig.

© Marikel Lahana

© Marikel Lahana


Sie sind Künstlerin mit Migrationshintergrund. Was wären Sie ohne diesen Hintergrund?

Hunger: Kann ich mir nicht vorstellen. Meine Großeltern mütterlicherseits waren Bergbauern. Da geht man jeden Tag raus, macht die Sachen und geht wieder schlafen. Jeden Tag. Die Generation meiner Eltern hat dann versucht, auszubrechen, etwas Anderes zu machen. Und ich selbst bin mit vielen Einflüssen aufgewachsen, vielen Musikrichtungen, alles gleichzeitig, viele Sprachen, Medien, Internet – so aufzuwachsen ist für die heutige Generation glaube ich ganz normal.

Gibt es für Ihre Generation noch das Konzept Heimat oder hat es sich aufgelöst?
Hunger: Aufgelöst nicht, aber es hat sich verändert. Jede Generation hat ein Recht auf seine eigenen Bedeutungen und Konzepte. Für uns bedeutet Heimat nicht mehr das, was es für unsere Eltern bedeutet hat.

Sondern?
Hunger: Gegenstände können Heimat sein. Rituale. Spiele.

Gegenstände in Ihrem Fall ja offenbar weniger.
Hunger: Doch, warten Sie, hier (holt ihr Schlüsselbund heraus)

Ein Schweizer Taschenmesser.
Hunger: Und das habe ich immer dabei. Auch ein bestimmtes Kartenspiel, wenn das jemand spielt, bin ich voll dabei. Oder bestimmtes Essen, eine bestimmte Art und Weise, Dinge zu tun. Die Schweizer haben ja so eine krass gute Art, alles hat immer hohe Qualität, ist simpel und elegant.
Ich bin extrem verbunden mit der Schweiz, ich liebe die Schweiz. Wenn es Krieg geben würde, dann würde ich auch mein Land verteidigen.

Nehmen Sie dann auch an den zwölf Volksentscheiden pro Jahr teil?
Hunger: Ach, das ist ein Skandal. Viele dieser Volksinitiativen sind verfassungswidrig und jede Volksabstimmung kostet Millionen. Es wird oft über Dinge abgestimmt, die gar nicht machbar sind: das Minarettverbot, oder dass die Schweiz aus dem Schengener Abkommen austreten möchte. Sie haben es nicht so formuliert, wollen aber die Zuwanderung beschränken, sie wollen den Vertrag, den sie mit Europa gemacht haben, nicht erfüllen.
Ich nehme aber immer teil. Per Briefwahl. Manchmal veröffentliche ich auch ein Foto davon, wie ich abgestimmt habe.

Der Schweizer Autor Martin Suter machte sich unlängst Sorgen. Dem Tages-Anzeiger sagte er, es sei „brutal, wie viele Banker den Job verloren haben. Familienväter, die plötzlich keine Stelle mehr haben – und keine Aussicht auf eine neue.“
Hunger: So was sagt man nicht einfach so. Er hat sich sicher vorher zuhause überlegt: Heute bringe ich diesen Satz. Aber warum macht er das? Vielleicht weil er originell wirken will? Weil er auf diese Weise reflektiert wirkt, weil er auch den Menschen im Banker sieht? – Was er sagt ist ganz nett, aber vollkommen unangebracht.

Sehen Sie den Menschen im Banker?
Hunger: Ja, den sehe ich. Und gerade weil ich den Menschen im Banker sehe, finde ich, dass er Verantwortung übernehmen soll. Das Problem mit den Banken ist aber auch ein politisches Problem: Man muss einfach Regulierungen schaffen. Man hat die Regulierungen immer mehr aufgeweicht, und das hatte die entsprechenden Konsequenzen.

Der Schweizer Autor Jean Ziegler kritisiert die Banken seit Jahren scharf und spricht vom „Blutgeld“, das in Schweizer Bankkellern lagert, Fluchtkapital aus der Dritten Welt. Ist in der Schweiz schon ein schlechtes Gewissen diesbezüglich entstanden?
Hunger: Ganz sicher nicht. Die Steuerparadiese sind für Drittweltländer eine Katastrophe, das ist klar. Aber es braucht eine globale Lösung für dieses Problem, weil es ja auch ein globales Problem ist. Man kann nicht allein die Schweiz dafür verantwortlich machen.

Auf Ihrem neuen Album „Supermoon“ findet sich auch ein Stück mit dem Titel „The Capitalist“ – doch in dem geht es nicht um Geld sondern um Liebe…
Hunger: Also, wenn man lange genug in einem System lebt – egal welches – dann nimmt es Einfluss auf die eigene Persönlichkeit. Irgendwann ist das System nicht mehr etwas Äußerliches, sonder etwas, was auch in die eigenen Mechanismen hineinspielt.

Wo zum Beispiel?
Hunger: Wenn Menschen über Liebe sprechen, wenn sie diese Vorstellung haben: Liebe ist wie eine Batterie, die zu Beginn ganz voll ist, sich im Laufe der Zeit leert bis man sie am Ende auswechseln muss. Dass Liebe so eine materielle Größe hat, eine Masse, die nach einer bestimmten Zeit abnimmt – ich finde, das ist eine kapitalistische Vorstellung. „I spent you“ heißt es in meinem Song. Ich habe dich ‚ausgegeben‘, verbraucht, jetzt bist du leer, jetzt kannst du gehen.

Ich habe hier noch ein paar Zeilen aus einem anderen Song über die Liebe:
Love’s the only thing that’s real
I won’t tell you what to do
Just believe that love – the only thing we have that’s true
‘Cause love is the answer
It’s the answer to the questions in your mind

Hunger: Das ist aber nicht von mir.

Nein, von Aloe Blacc aus dem Song „Love Is The Answer“. Sie dagegen singen auf Ihrem Album „Love Is Not The Answer“.
Hunger: Ja, im Vergleich dazu ist meins das totale Anti-Stück. Ich finde, Liebe kann nicht die Antwort sein, weil man sie nicht wirklich fassen kann, nicht beschreiben kann, es ist etwas Hochkomplexes, was alle möglichen Formen annehmen kann. Liebe kann nicht die Antwort auf alles sein. Unmöglich. Liebe ist wahrscheinlich der Begriff mit dem am meisten gelogen wird. Weil alle so tun, als wäre klar, was es ist. Als wüssten wir schon von Geburt an, was Liebe ist. Aber das stimmt nicht, Liebe ist genauso komplex wie Hass, oder wie… wie die moderne Marktwirtschaft. Das braucht Zeit, selbst am Ende des Lebens weiß man noch nicht besonders viel darüber.

hunger coverDas heißt, der romantischen Vorstellung eines Aloe Blacc können Sie wenig abgewinnen?
Hunger: Was da drin steht, bedeutet nichts. Ich mag Aloe Blacc sehr, aber die zitierten Zeilen – das ist so Blabla.

Würden Sie mir zustimmen, dass Sie sich heute in Ihren Texten klarer ausdrücken als früher?
Hunger: Ich glaube schon. Ich glaube, ich bin inzwischen ein bisschen klarer im Kopf.

Wodurch?
Hunger: Training. Ich habe irgendwann gemerkt, dass mich gar keiner versteht. Ich habe geübt, an Kommunikation. Und ich weiß jetzt: Ein guter Text ist ein offener Text, wo die Türen offen sind. Früher habe ich extra ein bisschen so geschrieben, dass die Türen noch geschlossen sind, dass man nicht alles sieht, ich habe mich auch ein bisschen versteckt. Oder ich war einfach noch nicht gut genug.

Kann man bessere Liebeslieder schreiben, wenn man es nicht autobiografisch denkt?
Hunger: Ja, ich denke es nie autobiografisch. Ich habe noch nie ein Liebeslied geschrieben, das autobiografisch ist. Das stelle ich mir absolut unmöglich vor. Damit es atmen kann, muss es etwas Größeres sein, etwas Allgemeines, was in jeder anderen Beziehung auch passiert. Um ein gutes Lied zu machen braucht man eine größere Tragweite. Das kleine, Autobiografische ist dafür zu trivial, es ist nicht groß genug.

Schreiben Sie Ihre Songs an der Gitarre?
Hunger: Ja, oder am Klavier. Ich habe eine Aufnahmesoftware, und ich habe meine Soundkarte mit Mikrofoneingängen überall dabei. Was ich aufnehme zeige ich meiner Band, und dann spielen wir es im Studio ein.

Kennen Sie die Tonarten?
Hunger: Könnte ich rausfinden, wenn ich will, aber meistens ist es gar nicht wichtig, die Tonart zu kennen.

Wird Ihre Musik also gar nicht notiert?
Hunger: Nein, nur aufgenommen. Allerdings, wenn ich Streicher schreibe oder Bläser, dann mache ich das mit Midi, das heißt, der Computer wandelt das Gespielte in Noten um, in eine richtige Partitur. Und das gebe ich den Musikern.
Manchmal ist der Computer aber nicht so gut, dann zeige ich meinem Pianisten und Trompeter Alexis Anerilles, was ich geschrieben habe und spiele es ihm auch nochmal vor. Er muss mir dann sagen, ob das, was ich gespielt habe, auch wirklich in den Noten steht. Weil ab und zu checkt der Computer die Synkopen nicht.

Mitunter staunt man über die ausgefeilten Musikarrangement in Ihren Songs…
Hunger: Aber das ist nun mal mein Job. Ich muss das können. Wenn ich das nicht kann, müsste ich einen anderen Job machen.

Dabei sagten Sie mal in einem TV-Gespräch mit Anke Engelke über Ihren Beruf: „Ich muss nichts können“.
Hunger: Ich sage mir immer: Übertreib mal nicht die ganze Zeit. Wenn man sich klassische Musik anschaut, die Komplexität von Bach zum Beispiel – da werde ich jetzt nicht ernsthaft behaupten, dass ich eine besonders gute Musikerin bin. Das kann ich nicht machen.

Aber es steckt viel Arbeit in den Songs.
Hunger: Natürlich. Doch die Konkurrenz ist so groß, alle anderen, die Alben machen, sind alle sehr gut.

Musik ist ein Wettbewerb?
Hunger: Natürlich gibt es Konkurrenz. Wenn du auf ein Festival willst, wo der Chef nur zehn Bands einladen kann…. Und der Hörer hat auch nur begrenzt Zeit zur Verfügung, er kann nicht alles hören, sondern er muss eine Entscheidung treffen.

Man hört auf Ihrem neuen Album auch den Ex-Fußballprofi Eric Cantona. Ist Sport eine Inspiration für Sie?
Hunger: Ja. Wenn Roger Federer ein Spiel gewinnt und ich habe am selben Tag ein Konzert, dann ist die Setlist anders als wenn er verliert.

Ernsthaft?
Hunger: Ja, es gibt gewisse Songs, die ich nicht spielen kann, wenn er verliert. Das hat immer einen sehr großen Einfluss auf mich.

Ein Kommentar zu “Ich habe irgendwann gemerkt, dass mich keiner versteht.”

  1. Hans werner Noll |

    Suche den Text über die Salzburger Festspiele 2010

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