Silke Böschen

Es gibt keinen großen Aufschrei mehr auf Grund eines Skandals.

Moderatorin Silke Böschen über den Stellenwert von Polit-Magazinen, die besondere Handschrift von „Kontraste“, komplizierte Sprache in der Tagesschau und eine zunehmende Personalisierung des Fernsehprogramms

Silke Böschen

© rbb / Bernd Lammel

Frau Böschen, stellen politische Talksendungen mehr Erkenntnisgewinn für den Zuschauer dar als Polit-Magazine?
Böschen: Nein, den Eindruck habe ich nicht. Höchstens kurzfristig. Zum Beispiel, wenn man sich als Hesse in diesen Wochen noch nicht ganz entschieden hat, wen man wählen möchte. Dann kann man sich durch einen Auftritt von Roland Koch in einer Talkshow noch einmal einen guten Eindruck von ihm verschaffen. Beim Talk muss alles ziemlich schnell gehen. Die Gespräche und Antworten sollten prägnant, manchmal amüsant oder aggressiv sein. Ein Schlagabtausch. Sonst wird’s langweilig. Bei „Kontraste“ hingegen haben wir die Möglichkeit, uns in jeder Sendung auf jeweils vier Themen konzentrieren zu können. Das ist der Vorteil von politischen Magazinen.

Trotzdem wurden alle ARD-Polit-Magazine von 45 Minuten auf 30 Minuten gekürzt und vom 21 Uhr-Sendeplatz auf den späteren Sendeplatz um 21.45 Uhr verschoben. Mit „Hart aber fair“ ist gleichzeitig eine weitere Talksendung hinzugekommen. Sind Talks sexier als Hintergrundberichterstattung?
Böschen: Naja, sechs Polit-Magazine gegen zwei Talkshows finde ich jetzt noch nicht beängstigend…

Aber der Trend geht schon sehr deutlich in eine Richtung…
Böschen: Man darf trotzdem nicht vergessen, dass es diese sechs Magazine gibt. Auch wenn diese Viertelstunde fehlt und sich jeder darüber beklagt.

Sie regen sich offenbar nicht allzu sehr darüber auf.
Böschen: Das liegt daran, dass „Kontraste“ schon eine 30-Minuten-Sendung war, als ich Ende 2006 angefangen habe. Ich kenne es also gar nicht anders. Aber natürlich ist es grundsätzlich ärgerlich, wenn Sendungen gekürzt werden. Doch ich glaube, dass das Festhalten der ARD an diesen sechs unterschiedlichen Formaten auch eine Aussage ist.

Petra Lidschreiber, Ihre Vorgängerin bei „Kontraste“, sagte mir, sie hätte in Hinblick darauf, dass Politiker den Magazinen in den seltensten Fällen Interviews geben und im Zweifelsfall eher in eine Talksendung gehen, eine „Arroganz der Politiker gegenüber der Demokratie“ bemerkt.
Böschen: Die Politiker machen ja auch ihre Erfahrungen. Das sieht man auch in den Talkshows. Bis es dazu kommt, dass der Moderator einem in einer Talkshow das Wort abschneidet, muss sich der Gast schon ziemlich ungeschickt anstellen. In der Regel kommt der Politiker also mit dem, was er loswerden will, durch. Bei Polit-Magazinen werden die Interviews im Gegensatz dazu nicht 1:1 ausgestrahlt, sie werden bearbeitet. Deshalb haben viele Politiker Angst, dass gerade diejenige Stelle gesendet wird, in er sie vielleicht um Worte ringen oder ihnen keine gute Antwort einfällt. Diese Gefahr besteht für ihn in einer Live-Sendung nur bedingt.

Aber die Präsentationsfläche in Talkshows wird Politikern in den öffentlich-rechtlichen Sendern gerne gegeben.
Böschen: Stimmt.

Für Ihre Sendung ist das nicht von Vorteil.
Böschen: Ja, richtig. Aber so verändern sich Medien. Nicht nur „die Medien“, sondern auch die Medienteilnehmer.

Als Aushängeschilder ihrer politischen Sendungen setzt die ARD auf die Talks mit Anne Will und Frank Plasberg. Auch weil Personalisierung immer wichtiger wird?
Böschen: Wahrscheinlich. Im Fernsehprogramm findet man immer öfter personalisierte Sendungen. Auch im Unterhaltungsbereich steht ein Jörg Pilawa als Jörg Pilawa vor der Kamera. Bei RTL ist es dasselbe mit Günther Jauch. Der kann fast machen, was er will und hat im Zweifelsfall immer eine gute Einschaltquote. Im Vergleich dazu haben wir es natürlich schwer, denn wir senden nur alle drei Wochen.

Wäre es deshalb nicht sinnvoll, die sechs Polit-Magazine zusammen zu legen und mit zwei Sendungen regelmäßiger im Programm vertreten zu sein? Dem Zuschauer fiele es vermutlich einfacher, sich an zwei Moderatorengesichter zu gewöhnen anstatt an sechs.
Böschen: Als Moderatorin kann ich die Sendung gar nicht so sehr prägen, wie ich es vielleicht gerne würde. Denn meine Moderationen sind ja viel kürzer als unsere Einspielfilme, die zum Teil bis zu zehn Minuten lang sind. Ich glaube schlussendlich nicht, dass es ein Erfolg versprechendes Modell wäre, nur ein Magazin mit einem festen Moderator zu installieren.

Wieso nicht?
Böschen: Das ZDF macht genau das mit Frontal 21: jeden Dienstag, feste Sendezeit, fester Moderator, eine Dreiviertelstunde lang. Die ARD hat zwei Sendeplätze in der Woche. Jede Sendung hat ihre eigene Handschrift. Jedes Magazin steht für sich. Und ich finde, dass gerade diese Vielfalt, die durch die föderale Struktur der ARD zustande kommt, für Abwechslung sorgt. So wird mir als Zuschauer nicht langweilig.

Inwiefern steht Ihre Sendung denn für sich? Sind sich „Monitor“, „Panorama“ und „Kontraste“ mit der Zeit nicht vielmehr immer ähnlicher geworden?
Böschen: Wir haben schon alleine dadurch, weil wir aus Berlin senden, öfter Hauptstadtthemen. Oder auch Themen aus den neuen Ländern, an die wir zudem ein bisschen respektloser heran gehen als manch anderes Magazin aus der entsprechenden Region. Was die Themenlage angeht, kann man ansonsten relativ schwierig sagen: Das kann ich jetzt in dieser Form so nur bei „Kontraste“ sehen. Wir haben alle ein großes Themenfeld, in dem wir uns bewegen. Der Vorteil von „Kontraste“ ist aus meiner Sicht, dass wir nicht so festgelegt sind. Bei „Monitor“ weiß ich relativ sicher, was mich erwartet, bei „Panorama“ auch.

Und das ist bei „Kontraste“ anders?
Böschen: Man kann zum Beispiel nicht sagen, dass wir entweder arbeitnehmer- oder arbeitgeberfreundlich sind. Man kann uns nicht unbedingt in eine politische Ecke stellen. Bei uns wechselt das von Sendung zu Sendung. Und ehrlich gesagt: Die Einstellung „Ich habe mich einmal für etwas entschieden und jetzt bleibe ich auch dabei“, funktioniert häufig in politischen Zusammenhängen nicht. Man muss immer wieder gucken, wie sich politische Parteien zu bestimmten Themen positionieren. Und auch wir müssen uns dann immer wieder neu positionieren.

Als Sie mit „Kontraste“ angefangen haben, sagten Sie, Sie würden „eine persönliche Sichtweise“ in die Sendung einbringen wollen. Inwiefern ist Ihnen das gelungen?
Böschen: Bei jedem Beitrag, den die Autoren gemacht haben, habe ich mir überlegt, wie ich persönlich zu diesem Thema stehe, ob ich schon eine Meinung dazu habe und wie die aussieht. Anders als bei einer Nachrichtensendung kann ich bei „Kontraste“ etwas persönlicher sein, kann meine eigene Meinung mit einfließen lassen. Zum Beispiel in der Abmoderation, wo ich mal etwas nachschieben kann, wenn mir danach ist. Grundsätzlich versuche ich, mich möglichst klar auszudrücken. Um die politischen Inhalte, die in den Filmen aufgezeigt werden, verständlich zu präsentieren. Da verzichte ich lieber auf einen Wortwitz oder noch eine sprachliche Pirouette. Abgesehen davon, wirkt so etwas für mich auch oft selbstverliebt.

Zitiert

Der Vorteil von 'Kontraste' ist, dass wir nicht so festgelegt sind. Bei 'Monitor' weiß ich relativ sicher, was mich erwartet, bei 'Panorama' auch.

Silke Böschen

Haben Sie den Eindruck, dass Sie für den normalen Zuschauer verständlich genug sind?
Böschen: Das glaube ich schon, ja.

Es gibt Umfragen, wonach zum Beispiel die Sprache der „Tagesschau“ für viele Zuschauer viel zu kompliziert ist. Was machen Sie in Hinblick auf die Sprache besser als die „Tagesschau“?
Böschen: Das Problem bei der „Tagesschau“ sehe ich auch: Viele Phrasen, teilweise werden Agenturmeldungen übernommen. Jetzt mal übertrieben formuliert: Wenn bei der „Tagesschau“ nur noch der Wetterbericht verstanden wird, ist das Ziel verfehlt. Aber es ist schwierig, etwas zu verändern, wenn eine Sendung so lange läuft und auch so erfolgreich ist wie die „Tagesschau“. Man sollte auf die Kritik jedoch eingehen. Ohne gleich bei „RTL aktuell“ zu landen. Bei „Kontraste“ versuche ich, einen normalen Ton zu finden. Der Zuschauer muss das Gefühl haben: Das hätte sie mir auch privat so erzählt.

Einmal wurde über Ihre Moderation geschrieben, man höre förmlich die Zeilen des schlecht eingestellten Teleprompters…
Böschen: Viele Geschichten, über die wir in „Kontraste“ berichten, bringen es mit sich, dass schon vor der Ausstrahlung einstweilige Verfügungen und ähnliches ins Haus flattern. Deswegen werden nicht nur die Beiträge, sondern auch meine Moderationen, juristisch geprüft. Und wenn man vor der Kamera frei spricht, kann es schon mal passieren, dass eine Formulierung einen Hauch zu weit geht. Und, schwups, steht ein Medienanwalt vor der Tür. Deswegen der Teleprompter. Übrigens: Die meisten Verfahren hat „Kontraste“ bislang gewonnen.

Aber dadurch, dass Sie auf das freie Sprechen verzichten müssen, wird Ihnen auch ein Stück Freizeit genommen.
Böschen: Ja, schon. Die Ansprache ist eine andere. Die ist natürlicher, wenn ich frei sprechen kann. Ich habe jahrelang ja auch Sportsendungen moderiert, da ist es ganz normal, ohne Teleprompter zu arbeiten. Aber unabhängig davon: Jede meiner Moderationen wird vor der Sendung genau gegengelesen. Und auch kritisch. Manchmal ändere ich oder der Chef vom Dienst in Absprache mit mir auch noch etwas, während ich im Studio stehe und die Sendung läuft.

Was hat „Kontraste“ bewirkt, seitdem Sie die Sendung moderieren? Was ist aus Ihren Themen geworden?
Böschen: Wir haben zum Beispiel über Oettingers Fehltritt bei der Trauerfeier von Filbinger berichtet. Im Zuge dessen haben die Autoren herausgefunden, dass Oettinger damals Mitglied des Weikersheimer Kreises war, der gerne auch einmal nationalistische Leute einlädt. Wir haben das erstmals in großem Rahmen publik gemacht. Daraufhin hat Oettinger seine Mitgliedschaft aufgekündigt. Weiterhin haben wir über den Drogenschmuggel in der Jugendstrafanstalt Plötzensee berichtet, woraufhin die Justizsenatorin ernsthafte Probleme bekam.

Als erste Maßnahme wurden in der Strafanstalt neue Fenster mit engen Maschen eingebaut. Ein Erfolg für „Kontraste“?
Böschen: Schon. Auch wenn ich nicht weiß, ob das die richtige, endgültige Lösung ist. – Ein anderes Thema war auch der Stoff Cumarin, der zum Beispiel in Zimt enthalten ist. Vor einem Jahr gab es einen Skandal, da hieß es: Zimtsterne können Krebs auslösen. Daraufhin sagten die meisten Hersteller, dass sie den Stoff reduzieren werden. Bis auf einige wenige. Meine Kollegen haben herausgefunden, wer diese wenigen sind. Unter anderem war es Nestlé, der weltgrößte Hersteller. Auf Grund unserer Berichterstattung wurde der Stoff schließlich auch dort reduziert. Ein bisschen was haben wir durchaus bewirkt.

Polit-Magazine haben also nach wie vor eine Wirksamkeit?
Böschen: Ja, ich glaube schon.

Genauso wie früher?
Böschen: Es kommt kaum noch vor, dass die ganze Republik wegen einer Enthüllung den Atem anhält. Es gibt keinen großen Aufschrei mehr auf Grund eines Skandals. Dafür werden die Mediennutzer inzwischen mit zu vielen Dingen beschallt. Außerdem ist alles schnelllebiger geworden, nicht zuletzt durch das Internet.

Alle Beiträge von „Kontraste“ werden ins Netz gestellt – inwiefern findet eine Ausrichtung auf das Internet statt?
Böschen: Was die Stücke angeht, wird vorher nicht darüber nachgedacht, dass sie später auch im Internet zu sehen sein werden. Wir haben zur letzten Sendung zum ersten Mal einen Zuschauer-Blog eingerichtet und ich muss sagen: Ich war angenehm überrascht, was wir für niveauvolle Zuschauer haben. Die haben sich sehr engagiert beteiligt. Das hat mir richtig gefallen.

Inwiefern spüren Sie bei „Kontraste“ einen Quotendruck?
Böschen: Auch bei „Kontraste“ wird natürlich sehr genau auf die Quote geachtet. Man muss dazu sagen: Wir sind sehr abhängig von unserem Vorprogramm. Wenn Pilawa vorher läuft, ist das immer eine feine Sache. Ein Großteil der Zuschauer bleibt in dem Fall dran und sieht sich auch „Kontraste“ an. Wird allerdings eine Wiederholung von einem älteren Fernsehfilm gezeigt, leidet unsere Quote darunter. Das spüren wir ganz deutlich.

„Kontraste“ feiert in diesen Tagen seinen 40. Geburtstag. Wird es nochmals viele Jahre auf ähnliche Weise weitergehen?
Böschen: Man muss schon aufpassen. Ich bin nicht sicher, ob wir noch genauso unbeschwert den 50. Geburtstag feiern können. Es wird sich zeigen, wie die Strömungen innerhalb der ARD sind. Heute weiß keiner, welche Rolle das öffentlich-rechtliche Fernsehen bzw. das Fernsehen insgesamt in zehn Jahren noch spielen wird. Die Konkurrenz wird auf Grund der vielen Kanäle, die man – auch im Internet – empfangen kann, immer größer. Da muss man sich erst einmal behaupten.

Was sind Ihre inhaltlichen Erwartungen an ein Polit-Magazin der Zukunft?
Böschen: Was mir gefallen würde, wäre eine etwas flexiblere Sendegestaltung. Es müssen bei „Kontraste“ nicht immer vier gleich lange Beiträge sein, sondern ich fände es gut, wenn auch mal ein richtig langes Stück seinen Platz in der Sendung finden könnte und manche Geschichte dafür dann auch mal etwas kürzer ausfällt.

Durch die Kürzung der Sendezeit ist eine solche Flexibilität noch schwieriger geworden.
Böschen: Das kann man als Herausforderung sehen. Ich würde mich da noch nicht geschlagen geben.

Sind die Polit-Magazine noch ein Markenzeichen der ARD?
Böschen: Ja. Auf jeden Fall.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Böschen: Struppi!

Warum?
Böschen: Ich mag Terrier. Mutige Hunde, aber verschmitzt. Und bei „Tim und Struppi“ ist Struppi immer im richtigen Moment zur Stelle, so dass der Fall schließlich doch noch gelöst wird.

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