Schnipo Schranke

Ein Dreijähriger sollte schon wissen, was Sperma ist.

Das Duo Schnipo Schranke singt über Intimfrisuren, den Geschmack von Sperma und angezündete Fürze. Der Liebe wegen. Im Interview sprechen Friederike „Fritzi“ Ernst und Daniela Reis über den unberechtigten Feminismus-Verdacht, Vergleiche mit Charlotte Roche, sexistische Rapper und warum ungeschönte Texte romantisch sein können.

Schnipo Schranke

© Jenny Schäfer

Frau Ernst, Frau Reis, gleich im Intro Ihres Debütalbums Satt bekennen Sie „Wir haben das Denken eingestellt.“ Warum das?
Daniela
Reis: Alles was wir machen, machen wir sehr intuitiv und sehr ehrlich und verkopfen uns dabei nicht.

Sie singen über „volles Sackhaar“, intensiv schmeckendes Sperma und unrasierte Frauen. Gibt es dennoch so etwas wie Selbstzensur bei Ihnen?
Fritzi Ernst: Natürlich gibt es Sachen, über die wir nicht singen, aber ich würde das nicht als Selbstzensur bezeichnen. Unsere Sprache ist immer ein Bild für eine Gefühlslage. Solange es nicht einfach nur um seiner selbst Willen gesagt wird, kann man alles sagen.

Wirklich alles?
Ernst: Alles, was einen beschäftigt. Natürlich gibt es auch Dinge, die zu privat sind. Zum Beispiel beantworten wir sehr ungern die Frage, was wir privat für Musik hören. Ich glaube, wir haben die Grenzen woanders als andere Leute.

Zitiert

Wir hatten nie eine feministische Absicht.

Schnipo Schranke

Sie stellen unverblümt fest, dass „der Kopf nach Füße und der Genitalbereich nach Pisse“ schmeckt. Gibt es Zuhörer, die auf Sie zukommen und ihre privaten Geschichten erzählen?
Reis: Ja, das passiert auf jeden Fall, aber das ist mir persönlich aber immer tierisch unangenehm. Wenn du in der Öffentlichkeit bist und über private Dinge singst, dann bist du halt eine Projektionsfläche. Ich glaube, dadurch dass wir so explizit und direkt sind, wird klar, was wir sagen wollen. Deswegen wundert es mich manchmal, wenn wir falsch verstanden werden.
Ernst: Man muss sich da natürlich daran gewöhnen, dass Leute persönlich so viel in einem sehen. Man muss Distanz dazu bewahren, dass man eine Bühnenfigur ist. Obwohl wir so ehrliche Sachen schreiben, ist es ja nicht so, dass die Leute uns persönlich kennen.

Reden Sie auch jenseits der Bühne offen über alles?
Reis: Definitiv. Wir sagen das auch immer wieder, dass wir diese Band nicht benutzen, um besonders derbe oder explizit über besonders schlimme Themen zu berichten. Wir sind auch früher schon dadurch angeeckt, dass wir über Dinge wie Körperlichkeiten und so was sprechen und einfach gerne zu Themen vordringen, die sehr persönlich sind.

Stört Sie der Vergleich mit Charlotte Roche?
Reis: Es stört mich nicht, weil das voll auf der Hand liegt, aber der Vergleich ist einfach falsch, weil Charlotte Roche Feministin ist und das auch offen sagt. Wir hatten nie eine feministische Absicht, wir machen das immer aus persönlichen Gründen. Als wir anfingen, die Songs zu schreiben, dachten wir nicht an gesellschaftliche oder politische Zusammenhänge. Das kam dann später auf uns zu, dass die Leute meinten, dass man das auch feministisch deuten kann. Klar. Natürlich sehen wir das, aber wir hatten und haben nicht die Absicht, die Welt zu verbessern oder so.
Ernst: Das ist uns auch immer sehr unangenehm, wenn sich Leute ernsthaft provoziert fühlen und unsere Texte anstößig finden.

Trotzdem könnte man sagen, dass Sie – rein thematisch – die doppelte Charlotte Roche des Popbusiness sind.
Reis: Ich habe ihr Buch total gerne gelesen. Nicht, weil ich jetzt die Arschkapitel besonders cool fand, sondern weil ich das als relativ normal empfunden habe. Ich fand die ganze Geschichte drum rum ganz toll, dass dieses Mädchen ihre Eltern wieder zusammenbringen will und ihre emotionale Zerrüttung. Ich habe mich damals geärgert, dass alle so hervorheben, dass das Buch so krass sein soll. Ich dachte: Naja, ich bin privat auch so.

Macht das den heutigen Feminismus aus? Feministisch sein, aber es nicht explizit so benennen?
Reis: Das ist eh immer ein bisschen so. Auch mit Toleranzthemen wie Homosexualität und Rassismus. Wenn man zu viel darauf herumhackt und diese Themen in den Vordergrund stellt, macht man sie wichtig und existent. Dadurch hebe ich das Problem erst hervor. Für mich existierte das nie in meinem Kopf, dass Frauen weniger wert sind oder dass Frauen nicht über ihre Genitalien reden dürfen. Also denke ich nicht darüber nach.

© Jenny Schäfer

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Viel diskutiert wird auch über sexistische Texte im HipHop. Warum hören Frauen Musik von Rappern, die Sexismus predigen?

Reis: Ich höre so ein Zeug auch oft und gerne. Da kommt dann: „Bück dich Bitch und blas mir einen!“ und ich denk mir: „Yeah, Mann!“ Für mich existiert diese Frauenunterdrückung nicht, weil ich mich nie in dieser Position gesehen habe und deshalb gehen die mich damit nicht an, wenn die so etwas sagen. Ich sehe das gar nicht so ernst. Für mich ist das ganze Rap-Zeug, was Fler und so macht, tierisch lustig und ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass die Rapper das so ernst meinen.
Ernst: Eben. Es gibt ein paar Rapper, die das einfach so machen, weil das einfach zum Business dazugehört.
Reis: Natürlich finden wir Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung ganz furchtbar, aber für uns war das nie so präsent, weil wir selbst nie in so einer Situation waren.

Sie haben sich als Frau nie diskriminiert oder benachteiligt gefühlt?
Ernst: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich als Frau Nachteile in der Gesellschaft habe. Ich weiß nicht, ob ich mich immer in einem Umfeld bewegt habe, in dem das einfach nicht so war oder ob ich das einfach nur nicht checke, wenn mich jemand schlechter behandelt. Ich kenne Leute, die sich angegriffen fühlen, wenn ihnen ein Mann die Tür aufhält, weil das eine Machtdemonstration ist. Liegt der Fehler jetzt bei mir, dass ich mich nicht unterdrückt fühle? Es geht darum, wie man sich fühlt und wenn ich mich nicht unterdrückt fühle und wenn ich glücklich bin, dann existiert das Problem nicht.

Die Wahrnehmung von Frauenfeindlichkeit ist also eine Einstellungssache?
Ernst: Ein Stückweit schon.
Reis: Wenn Frauen für den gleichen Job schlechter bezahlt werden als Männer, kann man von Diskriminierung sprechen. Dann kann man das mit Zahlen belegen. Aber dann weiß ich auch nicht, warum man das dann mitmacht und nicht einfach kündigt.

Welchen Job haben Sie mal gekündigt?
Reis: Ich hab ganz viele Jobs gekündigt. Nach zwei Wochen. Mittlerweile habe ich das aufgegeben. Ich kann mich nicht anpassen an Regeln. Mir wurde im Hotel von der Chefin gesagt, dass meine Hose auf Halbmast hängt und dass ich den Leuten morgens um fünf freundlicher gegenübertreten muss. Ich dachte mir nur: Ich bin doch trotzdem kein schlechter Service, nur weil ich nicht lächle.

schnipo coverIhr Video zum Song „Pisse“ wurde von Youtube gesperrt, weil ein Penis im Bild zu sehen ist, der auf den Frühstückstisch pinkelt. Finden Sie das prüde?
Reis: Ich find`s gar nicht so schlimm, dass die das gesperrt haben. Wir hatten da auch gar nicht so darüber nachgedacht, dass man dann gesperrt wird. Klar ist das prüde, wenn das dann rausfliegt, aber da darf man Youtube keinen Vorwurf machen. Ich will auch nicht, dass Youtube voll ist mit Pornofilmen. Weil ein nackter Penis zu sehen ist, musste das Video halt raus. Find ich voll ok.

Ihre Reime sind recht unkonventionell. Zum Beispiel singen Sie in „Schrank“: „Ich bin jung und du bist kalt, ich bin total verknallt, mir ist chronisch irgendwie komisch, dein Haus das steht im Wald“. Was ist wichtiger: Dass es sich reimt oder dass es einen Sinn ergibt?
Reis: Beides gleichermaßen. Die Kunst besteht darin, einen geilen Reim hinzukriegen, der catcht und schockt, weil man das so nicht gehört hat und das ist ein Stückweit ein Handwerk. Es ist uns voll wichtig, dass kein einziger Satz willkürlich fällt, nur damit ein Reim da ist. Die Kunst besteht darin, daraus einen geilen Reim zu bilden.

In dem Song wartet eine Frau im Schrank auf ihren Gebieter. Geht’s da um das Stockholm-Syndrom?
Reis: Nein, das ist aber daraus geworden, das muss ich zugeben. Das ist die wahre Geschichte, dass ich mich einem Kerl total unterworfen habe, obwohl der mir nicht gut getan hat und ich das auch merkte und ich das jederzeit hätte abbrechen können, aber ich wollte das nicht, weil ich ihn so angehimmelt hatte. Das ist in „Schrank“ sehr bildhaft und überspitzt dargestellt.
Ernst: Der Schrank ist ein Bild dafür, dass man sich manchmal selbst irgendwie gefangen hält in Beziehungen, die nicht gut für einen sind. Das ist auch im Lied so, dass die Tür offen ist und man eigentlich auch rausgehen kann.

Sind Schnipo Schranke-Texte romantisch?
Ernst: Finde ich schon. Das ist eben so, wie Daniela das gerade über „Feuchtgebiete“ gesagt hat: Wenn man die Sprache weglässt, ist das einfach eine wahnsinnig schöne emotionale Geschichte. Ich hoffe, dass die Leute bei uns irgendwann darüber hinwegsehen können und einfach hören, dass das echt schöne Liebeslieder sind.
Reis: Gerade dadurch, dass man sein Liebesgeständnis oder seinen Sachverhalt nicht verschönt darstellt mit besonders schönen Worten ist man besonders romantisch. Romantik beschreibt immer etwas sehr Ehrliches und was sehr Spontanes. Das finde ich viel romantischer, als wenn ich mir fünf Stunden lang einen Kopf mache, wie ich das besonders schön ausdrücken kann. Und ein bisschen Humor spielt auch immer mit. Das finde ich persönlich auch immer sehr romantisch.

Könnte man es „Untenrum-Romantik“ nennen?
Reis lacht.
Ernst: Ich weiß nicht. Das ist ein ganz normaler Bestandteil in einer Beziehung, dass man körperlich ist. Für mich ist dieses Körperliche Ausdruck von dem, was man fühlt. Man will sich halt nahe sein. Deswegen fickt man dann. So. Das gehört einfach dazu.

Auch einen Tampon besingen Sie – weil Frauen sich so ein Tampon-Lied schon immer gewünscht haben?
Reis: Mir ist einfach auf
gefallen, dass das was von Abschied hat, wenn man den Tampon ins Klo wirft. Ich finde die Idee einfach lustig, wie so ein Tampon durch den Abwasserkanal wackelt und man sich den zurückwünscht. Ich habe da eine zweite Ebene reingebaut, indem ich versucht habe, die Strophen so zu gestalten, als würde ich meinen Freund vermissen.

Ihr Sound mit Blockflöte, Keyboard, Schlagzeug plus Gesang erinnert mitunter an Kinderschallplatten. Könnten Sie sich vorstellen, auch Lieder für Kinder aufzunehmen?
Reis: Ich wüsste nicht, was in unserem Album vorkommt, was Kinder nicht hören dürfen. Sperma wusste ich mit drei schon, was das ist – sollte man seinen Kindern auch schon früh genug erklären – und „Pisse“ sagt man auch schon als Kind.
Ernst: Wir hatten tatsächlich auch in letzter Zeit öfter mal Kinder im Publikum, die nach dem Konzert zu uns kamen und uns ganz cool fanden. Das Ding ist auch: Das, was sie nicht kennen, verstehen Kinder nicht und denken nicht darüber nach. Und wenn sie es kennen, dann schockt es sie auch nicht. Es ist nicht so, dass wir denen schlimme Wörter beibringen. Entweder sie kennen die Wörter oder sie kennen sie nicht. Wahrscheinlich hören die auch gar nicht so auf den Text, denke ich immer.
Reis: Ich bin da auch für mehr Offenheit in der Erziehung. Ich wurde so erzogen und ich finde nicht, dass mir das geschadet hat. Ein Dreijähriger sollte schon wissen, was Sperma ist.

Der Titel Ihres Debütalbums lautet „Satt“. Haben Sie irgendetwas satt?
Reis: Das Leben. Mir geht’s total auf den Senkel, dass ich nicht 365 Tage im Jahr in der Sonne liegen kann und Urlaub haben kann, dass mein Konto sich nicht von alleine auffüllt und dass ich nicht zehn Babykätzchen in einer Wohnung halten kann.

Friederike „Fritzi“ Ernst, Jahrgang 1989, und Daniela Reis, Jahrgang 1988, lernten sich an der Musikhochschule Frankfurt kennen. Ernst studierte Flöte, Reis Cello. Die beiden schmissen ihr Studium und zogen 2013 nach Hamburg. Ernst lernte Schlagzeug mehr

Ein Kommentar zu “Ein Dreijähriger sollte schon wissen, was Sperma ist.”

  1. Christian Alexander Tietgen |

    Wunderschönes Interview :)

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