Sarah Kuttner

Das Buch ist irgendwie passiert.

Sarah Kuttner über die Entstehung von "Mängelexemplar", den Umgang mit Psychokrisen, Erfahrungen als „Fernsehmädchen“ und ein noch nicht entdecktes Talent

Sarah Kuttner

© Florian Komer

Frau Kuttner, wie kamen Sie auf die Idee, den Roman „Mängelexemplar“ zu schreiben?
Kuttner: Viele Leute haben mir immer wieder nahegelegt, mal einen Roman zu schreiben. Mein Hauptproblem war, dass ich nicht wusste, worüber ich schreiben sollte. Dann gab es einen Zeitpunkt, an dem mir auffiel, dass viele Menschen in meinem Umfeld an psychischen Krankheiten leiden oder gelitten haben, an Depressionen oder Angstanfällen. Völlig unerwartet, denn diese Leute sind alle lustig, schlau und irgendwie ganz normal. Und dann dachte ich mir, dass das vielleicht eine schöne Geschichte wäre. Davon zu erzählen, wie so etwas jemandem passiert, von dem man es gar nicht erwartet.

Wie viel erfährt der Leser über Sarah Kuttner, wenn er die Hauptfigur Karo durch die Geschichte begleitet?
Kuttner: Die Geschichte ist nicht mir passiert, das Buch ist nicht autobiographisch. Kleine Befindlichkeiten der Hauptperson sind aber natürlich von mir, bestimmte Sachen, die Karo gerne mag, mag ich auch.. Doch das große Ganze hat nicht viel mit mir zu tun.

Aber wie schreibt man über die Einlieferung in eine psychologische Notaufnahme, Panikattacken und den Weg zur Therapeutin, ohne diese Erfahrungen selbst gemacht zu haben?
Kuttner: Ich fand es nicht so schwierig, darüber zu schreiben, weil ich viel mit Menschen aus meinem Umfeld und auch mit Psychiatern geredet habe. Das Buch beschreibt sehr subjektiv eine psychische Krise, nicht aus einem objektiven, fachlichen Blickwinkel. Karo geht in die psychologische Notaufnahme, ohne Ahnung zu haben, was da passiert. Und ich hatte ja auch erstmal keine Ahnung davon. Als eine Ärztin Karo erklärt, was eine Depression ist, beschreibe ich hauptsächlich, was bei Karo hängen bleibt: Nämlich, dass sie im Kopf verstopft ist. Aus diesem sehr subjektiven Blickwinkel hat sich das verhältnismäßig leicht geschrieben.

Sollte man „Mängelexemplar“ lesen, wenn man sich selbst in einer psychischen Krise befindet?
Kuttner: Ich tue mich schwer damit, zu sagen, wer das Buch lesen sollte und wer nicht. Ich glaube, dass es auch für Leute interessant ist, die vom Thema keine Ahnung haben. Es ist ja nicht nur ein Psychobuch, es ist auch lustig und traurig und ein bisschen eine Liebesgeschichte. Klar kann ich mir vorstellen, dass Leute, die schon mal eine psychische Krise hatten, es besonders interessant finden, weil sie darin ihre Gefühle widergespiegelt sehen. Die Frage ist, ob man das unmittelbar in so einer Situation lesen möchte? Ich weiß es nicht. Vielleicht schon, weil ich ja auch  Anstöße gebe, wie man mit der Situation umgehen kann.

Sie sagten, dass viele Leute in Ihrem Umfeld schon solche Krisen durchgemacht haben –ist Ihr Buch auch eine Bestandsaufnahme Ihrer Generation?
Kuttner: Ich bin kein Fan davon, wenn Leute etwas über eine Generation sagen wollen. Eine Generation sind doch immer hunderttausende Menschen. Die kann man nicht über einen Kamm scheren. Ich kann noch nicht mal meinen kleinen Freundeskreis über einen Kamm scheren: Einige haben schon mehrere Kinder oder Ehemänner und Ehefrauen und eigene Häuser und eigene Wohnungen und ich zahle immer noch Miete und hab keine Kinder. Ich glaube, da sind wir alle sehr unterschiedlich.

Aber betreffen psychische Krisen nicht vor allem Menschen zwischen Zwanzig und Dreißig?
Kuttner: Nein, Depressionen und Angststörungen sind total generationsübergreifend. Es gibt so viele sehr junge und sehr alte Menschen, die darunter leiden. Ich glaube nicht daran, dass das ein Generations- oder Neuzeitproblem ist.

„Mängelexemplar“ ist also kein Generationsbuch?
Kuttner: Ich weiß nicht, ob sich 60-jährige Damen dafür interessieren, was einer Karo passiert, die auf Medienveranstaltungen rumturnt. Lesen werden es wahrscheinlich schon Menschen, die irgendwie meiner Generation angehören. Aber das hat nichts mit dem Inhalt des Buchs zu tun. Der ist durchaus generationsübergreifend.

Der Roman ist in einer sehr rauen, direkten Sprache geschrieben. Passen sanfte, sensible Töne nicht zu heutigen Mittzwanzigern?
Kuttner: Also, das stimmt nicht. Es gibt eine laute „Ihr könnt mir alle nichts“- Karostimme. Aber wenn es ihr schlecht geht oder wenn sie mit jemandem im Bett ist, ist sie sehr leise und zart. Nach außen ist Karo rau und direkt, aber wie jeder hat sie einen matschigen Kern. Emotionale Momente finden statt. Vielleicht auch oft zwischen den Zeilen. Ich hoffe, dass man als Leser Karos Mauer durchschaut und sieht, was da für eine traurige arme Wurst hinter steckt.

Ist das auch Ihr Weg, mit Emotionen umzugehen?
Kuttner: Nein, nicht so sehr. Bei Karo ist das schon recht überspitzt. Man muss unterscheiden zwischen meinem beruflichem und dem privatem Leben. In Interviews rede ich nicht sehr emotional über mein Leben und meine Gefühle, privat bin ich hingegen relativ straight und verstecke meine Gefühle nicht. Ich fange auch relativ schnell an zu heulen, wenn es einen Grund gibt. Davon kriegt die Öffentlichkeit nichts mit, weil es sie eigentlich auch nichts angeht. Im Privaten kann ich durchaus ein bekennendes Weichei sein.

Zitiert

Eine Generation sind immer hunderttausende Menschen, die kann man nicht über einen Kamm scheren. Ich kann noch nicht mal meinen Freundeskreis über einen Kamm scheren.

Sarah Kuttner

Frauen stehen einer psychotherapeutischen Behandlung meist aufgeschlossener gegenüber als Männer. Warum ist das so?
Kuttner: Ich weiß nicht, ob Männer tatsächlich vor einer Psychotherapie zurückschrecken. Ich kenne welche, die mal eine Zeitlang eine Therapie gemacht oder Antidepressiva genommen haben. Natürlich kann man auf die klassischen Klischees zurückgreifen, dass Frauen generell mehr dazu bereit sind, sich mit ihren Emotionen auseinandersetzen und die zu teilen. Jungs reden untereinander schon eher weniger über Gefühle, das ist noch nicht mal ein Klischee. Vielleicht haben Männer weniger Interesse daran, sich mitzuteilen. Aber wenn der Leidensdruck hoch genug ist, geht jeder hin. Es geht ja nicht darum, beim Käffchen ein bisschen zu quatschen, sondern ein Problem herauszufinden und die Lösung anzugehen.

Der Roman ist zumindest zu Beginn sehr problembelastet. Gibt es Hoffnung auf bessere Zeiten?
Kuttner: Es gibt Hoffnung, kein klassisches Happy End, weil es im Leben auch kein Happy End gibt, aber es gibt Hoffnung.  Ich wollte kein Märchen erzählen, sondern so realistisch wie möglich bleiben. Das Buch endet so happy, wie es unter den gegebenen Umständen eben kann.

Wo haben Sie den Roman geschrieben? Zu Hause oder in einem Café?
Kuttner:  Ich habe nicht eine Seite im Café geschrieben. Ich habe bei mir zu Hause, im Büro meines Managers und bei meinem Freund gearbeitet. So mit Hinsetzen, Computeraufmachen und „Jetzt wird geschrieben egal ob du willst oder nicht“. Einmal habe ich im Häuschen meines Papas in Brandenburg geschrieben. Zwei Seiten. Ich dachte, das würde ganz romantisch werden. Wir machen da Urlaub und ich nehme meinen Computer mit und ich würde wie Carrie in „Sex and The City“ mit ’ner Zigarette da rumsitzen und total gutaussehen beim Schreiben. Und das war alles total doof. Ich saß auf der Veranda und überall waren Mücken, mir war kalt und eigentlich wollte ich mit den anderen fernsehen. Das funktionierte nicht.

Glauben Sie, in den Cafés von Berlin-Mitte sitzen viele Leute nur hinter ihrem Laptop, weil sie sich irgendwie wichtig machen wollen, und nicht, weil sie zum Arbeiten gekommen sind?
Kuttner: Ich glaube, das ist ein bösartiges Klischee. Dass diese Leute trotzdem alle häufig irgendwie unsympathisch sind, kann ich unterschreiben, aber ich glaube nicht, dass sich da nur Idioten hinsetzen, die nur so aussehen als würden sie arbeiten. Es gibt natürlich bestimmte Cafés in Berlin-Mitte wo jeder Arsch mit ’nem Mac dasitzt. Das sind alles so Werbeleute oder – keine Ahnung – Fashionpeople. Die können sich untereinander super leiden.
Natürlich ist das von außen betrachtet total unsexy, aber ich glaube nicht, dass die da ausschließlich sitzen, um gesehen zu werden. Das ist halt deren soziales Umfeld und wir haben ein anderes.

Also trifft man Sie nicht in solchen Cafés in Mitte?
Kuttner: Es ist schon eine schöne Atmosphäre, rumzusitzen, ’nen Kaffee zu trinken und dabei im Internet zu surfen. Ich sehe die Notwendigkeit aber nicht so richtig, weil eigentlich kann ich auch bei mir zu Hause sitzen. Da ist Internet auch kostenlos, der Kaffee ist billiger und ich kann rauchen. Außerdem will ich nicht die ganze Zeit beobachtet werden. Manchmal will man ja auch popeln oder nur im Schlüpfer rumsitzen – das geht da ja nicht.

Was macht Ihnen mehr Spaß: Die Arbeit fürs Fernsehen oder das Schreiben?
Kuttner: Das sind zwei komplett unterschiedliche Sachen. Ich empfinde mich mehr als Fernsehmädchen. Das ist mein Beruf, den mache ich schon länger und da kenne ich mich genau aus. Das Buch ist irgendwie passiert. Ich habe das gerne gemacht, aber jetzt, da das Projekt abgeschlossen ist, wundere ich mich schon : „Mein Gott, wie habe ich es geschafft ein ganzes Buch zu schreiben?“

Ist das Fernsehgeschäft aber nicht mitunter frustrierend? Sie haben ja auch  Sendungen (z.B. „Frag die Kuttner“) für die Schublade produziert.
Kuttner: Das macht man so. Das ist der Sinn von Pilotsendungen. Man testet, ob eine Sendung funktioniert. Jeder Moderator macht vermutlich mindestens zwei Pilotsendungen im Jahr. Und ganz selten wird was draus. Insofern setze ich selber keine großen Hoffnungen hinein und bin auch nicht frustriert, wenn es nicht klappt. Unangenehm ist es, wenn ein Idiot das nach draußen schreit, bevor man selbst irgendetwas unterschrieben hat, so wie es bei MTV passiert ist. Wenn der Sender protzen will und sagt: „Hier, neue Show mit Sarah Kuttner. Wird richtig geil“ dann denken alle, eine neue Show kommt. Und dann läuft sie doch nicht, weil die keine Kohle haben. Aber das ist halt immer das Risiko.

Wenn man Ihr Buch verfilmen würde: würden Sie selbst die Hauptrolle übernehmen?
Kuttner: Nein, ich kann ziemlich sicher nicht schauspielern. Außerdem bin ich ja nicht die Hauptfigur. Das wär auch merkwürdig, würde ich mitspielen. Benjamin von Stuckrad-Barre hat ja auch nicht bei „Soloalbum“ mitgemacht.

Wer wäre Ihre Wunschbesetzung?
Kuttner: Vielleicht fände ich Julia Hummer als Hauptfigur gut, obwohl sie ein bisschen zu abgerockt ist. Aber eine adrette Julia Hummer, das könnte passen. Normalerweise spielt sie ja eher kaputte Rollen und so kaputt ist Karo nicht. Aber ich würde auch nicht so jemand Bezauberndes wie Nora Tschirner wollen, es muss schon jemand sein, der ein bisschen mehr Kaputtness ausstrahlt.

Und welche Musik wäre der passende Soundtrack zu „Mängelexemplar“?
Kuttner: Das weiß ich nicht. Es gibt ja ganz verschiedene Stimmungen im Roman. Manchmal wird Liebe gemacht, manchmal wird gefickt, manchmal ist es laut und lustig, manchmal hysterisch, manchmal furchtbar und manchmal kitschig. Da gibt es nicht einen Song, der alle Stimmungen gut treffen würde. Vielleicht könnte man die tolle, holperige „My Way“-Version der „Sex Pistols“ nehmen – aber die passt auch nicht auf alles.

TV-Shows, jetzt ein Buch – von welchen verborgenen Talenten der Sarah Kuttner weiß die Öffentlichkeit noch nichts?
Kuttner: Wahrscheinlich weiß die Öffentlichkeit zu Recht nichts von ihnen. (kurze Denkpause) Ich kann gut Senfeier kochen. Und ich kann sehr gut Geschenke einpacken. Ich mache das sehr hübsch und dann fragen mich die Leute immer, ob ich das habe einpacken lassen und ich antworte dann ganz stolz: „Nein, das habe ich alles ganz allein gemacht.“

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