Rufus Wainwright

Ich finde es schwer, die Grenze zwischen Kunst und Leben zu ziehen.

Rufus Wainwright über sein Album „All Days Are Nights: Songs for Lulu“, den Tod seiner Mutter und den Unterschied von Kunst und Leben

Rufus Wainwright

© Kevin Westenberg

Rufus, Sie und Ihre Familie sind bekannt dafür, dass Sie sehr persönliche Dinge in Ihrer Musik zur Sprache bringen. Nun sitzen Sie hier, wenige Monate nachdem Ihre Mutter verstorben ist und sprechen über Ihre neue Platte, die auch vom Tod Ihrer Mutter handelt. Warum machen Sie das?
Wainwright: Es ist zweierlei: Meine Mutter war eine sehr bekannte Person, nicht so sehr in Deutschland, aber in England, Skandinavien, in Holland und in den USA. Sie und ihre Schwester waren klassische Ikonen der Folk Musik. Sie bedeutete also sehr vielen Menschen etwas, hatte ihre eigenen Fans. Meine Beziehung zu ihr verstärkte sich im Laufe meiner eigenen Karriere. Ich sang oft mit ihr, holte sie auf die Bühne, nahm mit ihr Songs auf. Wir wurden ein berühmtes Paar, wenn man so will. Ich bin mir nicht sicher, wie Martha das sieht, aber ich fühle der Welt gegenüber eine Verantwortung, unserer Mutter auf dieser Weise zu danken, mit ihren Fans in Kontakt zu kommen, über ihr Vermächtnis zu sprechen und einige meiner sehr tief gehenden, wundervollen aber auch schwierigen Erinnerungen den Menschen mitzuteilen.

Wie haben Sie die letzte Zeit mit Ihrer Mutter erlebt?
Wainwright: Meine Mutter lag lange im Krankenhaus, angeschlossen an alle möglichen Schläuche und Drähte. Ich und meine Schwester begleiteten sie so über Monate. Ihr Tod war tragisch und erschütternd aber wie sie von uns ging war auf eine Art auch außergewöhnlich. Sie war in ihrem Zuhause, umgeben von Freunden und ihrer Familie, mit viel Musik. Ich war bei ihr und sah sie an, als sie starb – ihre  Augen waren weit offen. Sie starrte in meine Augen. Ich wusste, dass sie mich nicht mehr sehen konnte, aber sie hat in dem Moment sozusagen über mich hinaus geblickt. Das war ein dramatisches aber sehr tiefes Erlebnis.

Woran war sie erkrankt?
Wainwright: Sie litt unter der seltenen Krebsart Sarkmatose, die noch nicht so gut erforscht ist, wie etwas Brustkrebs. Ihre Leber war davon befallen. Das ist ein Krebs, über den man einfach reden muss, weil so wenig darüber bekannt ist. Und viele Fans fühlen sich als Teil unsere Familie, sie haben über die Jahrzehnte an dem Leben unserer Familie Anteil genommen, also erscheint es mir richtig zu sein, so an die Öffentlichkeit zu gehen. Auf der anderen Seite fühle ich natürlich Wut und Verzweiflung und natürlich bin ich auch gerade dabei, meiner Situation zu entfliehen. Jetzt raus zu gehen, Songs zu singen, das hat sicher auch einen nicht ganz gesunden Aspekt. Aber wissen Sie, ich bin auch jetzt, wenn ich mit ihnen rede nicht ganz bei mir und fühle mich leicht an der Schwelle zum Wahnsinn. Ich könnte mich auch zu Hause verkriechen, die ganze Zeit nur Fernsehen gucken und heulen. Stattdessen bin ich hier und weine gerade mal nicht. (lacht)

Es wird auf Ihren Konzerten zu diesem Album einen Film im Hintergrund geben, wo man nur Ihr Auge sieht, das weint. Auf Ihrer Platte entwerfen Sie kleine Szenen, in denen Ihre Schwester und Ihre Mutter auftauchen. Sie lieben die Oper, haben selbst bereits eine geschrieben – sehen Sie auch das Leben als einen theatralischen Vorgang, als Oper?
Wainwright: Ich finde es schwer, die Grenze zwischen Kunst und Leben zu ziehen. Wenn ich auf  die Bühne gehe und meine Show mache, bin ich dieselbe Person, die sich hinter der Bühne um ihre Frisur kümmert. Ich habe diese beiden Welten nie strikt voneinander getrennt.

Man könnte diese Haltung auch „unprofessionell“ nennen.
Wainwright: Nun, meine Herangehensweise weicht in der Tat von dem ab, was sonst üblich ist. Es ist definitiv mehr Punk-Rock, oder Rock’n’Roll. Mein Vater hat mir erzählt, wie er einmal eine Show von Liza Minnelli sah und da gab es diesen Moment, wo ihr eine Feder aus dem Kleid fiel. Sie hob die Feder auf und steckte sie sich wieder an. In diesem Moment war es ein spontaner, komischer Moment. Aber viele Shows sind eben so, dass man genau so eine Geste jeden Abend wiederholt. Ich finde das schon faszinierend; ich wünschte, ich wäre so organisiert, eine Sache jedes Mal genau so hin zu bekommen. Aber ich lebe eben für die Kunst und die Kunst fürs Leben. (lacht)

Wo liegt die Grenze zwischen Oper und Seifenoper?
Wainwright: Ich weiß nicht, wo da die Grenze ist. Man könnte wohl sagen, das Einzige, was eine Oper von einer Seifenoper unterscheidet ist das Orchester. Eine Oper ist eine Seifenoper, nur mit Orchester.                       

„Immerhin habe ich die Demut zuzugeben, dass mangelnde Demut eine meiner größten Schwächen ist“. Könnte dieses Zitat des französischen Komponisten Hector Berlioz auch von Ihnen kommen?
Wainwright: Wie kommen Sie darauf?

So ein pragmatischer Mangel an Demut könnte erklären, warum Sie sich zugetraut haben, selbst eine Oper zu schreiben: „Prima Donna“, die letztes Jahr in Manchester Premiere feierte.
Wainwright: Eine Oper zu machen, dafür kann man nicht üben, da hilft einem auch nicht mehr, was man sonst so aus dem Showbusiness kennt – das ist ein so großes Unternehmen, dass es jeden Aspekt des Lebens beansprucht, um es zu überhaupt hinzubekommen. Aber, ich habe ja durchaus Musik studiert…

Nicht besonders lange…
Wainwright: Stimmt. Ich war ein sehr fauler Student und in der Zeit vor allem an Jungs interessiert, also habe ich das Studium abgebrochen. Aber ich habe viele Jahre lang Musikstunden genommen, bin immer in die Oper gegangen, habe mich mit Opern beschäftigt und glaube an ihre Form. Als also die Zeit für mich kam, eine Oper zu schreiben wusste ich, was es mich kosten würde. Ich wusste, dass ich mich mit meinem ganzen Sein in dieses Projekt stürzen muss und das bezieht mein Ego, meine Eitelkeit, meinen Humor, mein Tragödie mit ein. Alles was ich bin war nötig, um das zu schaffen. Das macht „Prima Donna“ auf eine seltsame Weise wundervoll. Sie ist nicht gerade das Innovativste, was man je sehen wird. Sie ist schwer romantisch, sehr melodisch. Sie hat keine besondere intellektuelle Tiefe. Aber ich habe jeden meiner Finger und jeden Zeh dafür eingesetzt. Das ist etwas was ich immer in meine Musik gesteckt  habe, eine Art von Aufrichtigkeit und Konzentration gepaart mit Lässigkeit. Ob man es nun mag oder nicht, man muss zugeben, dass ich da ziemlich engagiert bin.

Zitiert

Wenn ich auf die Bühne gehe und meine Show mache, bin ich dieselbe Person, die sich hinter der Bühne um ihre Frisur kümmert.

Rufus Wainwright

Sie haben allerdings nicht nur eine Oper geschrieben, sondern sich auch getraut, vor einigen Wochen Hector Berliozs kompletten Liedzyklus „Nuits d’été“ in New York aufzuführen – eine Disziplin, die sonst den großen Opern-Stars, wie Jessye Norman oder Janet Baker vorbehalten ist.
Wainwright: Ja, das stimmt. Ich habe Teile daraus allerdings schon früher gesungen.

Es gibt Filmaufnahmen von einem Konzert, da wirken Sie nach dem letzten Takt sehr zufrieden mit sich, noch bevor der Applaus beginnt. Ist es Ihnen wichtiger, Ihre eigenen Erwartungen zu erfüllen, als die des Publikums?
Wainwright: Nun, bei diesen Liedern ist es schon schwer genug, sie überhaupt zu bewältigen. Ich halte mich selbst nicht für einen großen Opernsänger oder klassischen Musiker. Aber ich fühle, je  öfter ich das mache und je tiefer ich in dieses Material eintauche, desto besser werde ich. Das passiert nicht über Nacht und wird auch morgen noch nicht soweit sein.

Ist es Ihr Ziel, ein guter Opernsänger zu werden?
Wainwright: Nein, es geht mir nur um diesen speziellen Songzyklus. Den wollte ich schon immer singen und darin möchte ich besser werden. 

Das ist eigentlich eine bemerkenswerte Revolte gegen die gängige Aufführungspraxis eines solchen klassischen Werkes.
Wainwright: Ich verstehe schon, dass darauf unterschiedlich reagiert wird. Als ich „L’Abscence“ in Verbier sang, haben es einige geliebt, andere haben es gehasst. Aber auf dem gleichen Festival waren auch so etablierte Künstler wie die Pianistin Martha Argerich. Meinen Auftritt haben im Internet fünf Mal so viele angesehen, wie ihren. Klar, viele waren eher empört: „Was denkt sich dieser Junge eigentlich? Er hat nicht studiert, ist nicht professionell aber singt seinen Berlioz? Da gehen doch nur alle hin, weil er ein Popstar ist…“ Diese leicht frustrierte Haltung ist mir auch entgegen geschlagen. Aber was soll’s? Mehr Menschen hören jetzt Berlioz und lernen mehr über seine Musik, so wie ich mehr über sie lerne, in dem ich sie tatsächlich mache.

Wohin wird diese Leidenschaft noch führen?
Wainwright: Ich will Opern und klassische Singzyklen schreiben. Ich war zwar ein fauler Student und so weiter, aber ich habe einen Vorteil, um weiter in die Musik einzudringen, als viele andere klassische Komponisten der Musikgeschichte: Ich bin ein Sänger. Es gab nie einen großen Komponisten, der zugleich ein toller Sänger war. Das ist jetzt sozusagen meine Eintrittskarte.

So wie Franz Liszt einen besonderen kompositorischen Zugang zur Klaviermusik hatte…
Wainwright: … weil er auch als Pianist ein Virtuose war, genau. Deshalb sollte ein großer Opernkomponist auch gut singen können. Ich bezweifle, dass Wagner ein guter Sänger war. Der einzige, der gut singen konnte, war Schubert, aber er tat das auch nicht professionell.

Auf dem Cover Ihrer letzten Platte haben Sie Ihrer Mutter gedankt, dafür dass sie Ihnen immer ins Ohr geflüstert habe: „Du bist großartig.“ Brauchte es das, um der Künstler zu werden, der Sie sind?
Wainwright: Ich denke, man braucht einen gewissen blinden Ehrgeiz und den Glauben an sich selbst: Was auch immer passiert, du wirst überleben. Man muss wohl ein bisschen von sich  besessen sein – wie man das an all den großen Komponisten sieht (lacht), nicht zuletzt an Berlioz. Ich lese gerade seine Biografie. Er war auch ein toller Autor und schrieb großartige Briefe.

Wenn das Selbstbewusstsein etwas ist, was Sie auch Ihrer Mutter verdanken, was haben Sie von Ihrem Vater?
Wainwright: Disziplin. Mein Vater ist sehr diszipliniert. Er arbeitet die ganze Zeit.

„I believe in freedom“ singen Sie auf Ihrem neuen Album. Hat dieser Glaube an die Freiheit auch etwas mit Ihrem Vater zu tun?
Wainwright: Nein, überhaupt nicht. Wenn ich von Freiheit singe, dann nur in dem Sinne, das Freiheit nicht wirklich möglich ist. „Fuck Freedom!“ würde der Punk in mir jetzt sagen. (lacht) 

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.