Rosanne Cash

Ich bin da reingewachsen.

Rosanne Cash über Geschichte(n) in Country-Songs, wichtige Einflüsse und ihre erste Platte, die sie Ende der 70er in Deutschland aufnahm

Rosanne Cash

© EMI Music

Mrs. Cash, wenn man mit einem Kind berühmter Eltern spricht, fühlt man sich schnell etwas unbehaglich, weil die Neugier auf die Eltern oft größer scheint, als das Interesse am eigentlichen Gesprächspartner…
Rosanne Cash: Ich weiß. Das ist aber kein Problem. Fragen Sie nur.

In diesem Fall vermischen sich die Generation zum Glück, denn den Anstoß zu Ihrer neuen Platte „The List“ hatte Ihnen Ihr Vater gegeben, der 2003 verstorbene, legendäre Johnny Cash.
Cash: Ja, das stimmt. Als ich 18 Jahre alt war, bin ich als Backgroundsängerin mit ihm auf Tournee gewesen. Er stellte fest, dass ich einen Song nicht kannte, der ihm wichtig war und er sagte: „Ich werde dir ein paar Songs aufschreiben“ und er verbrachte den Rest des Nachmittags damit, diese Liste zu erstellen. Oben drüber schrieb er „100 essentielle Country Songs“. Er gab sie mir und sagte: „Lerne sie. Das ist deine Ausbildung.“

Hundert Songs sind eine ganze Menge.
Cash: Das hat mich nicht wirklich gewundert. Mein Vater hatte da ein bemerkenswertes Gedächtnis. Er muss tausende Songs auswendig gekannt haben.

Country gilt in Deutschland als eher konservative oder altmodische Musik. Welche Beziehung hatten Sie dazu als 18-jährige?
Cash: Ich war schon bereit für Country. Ich bin zwar eher in Richtung Rock und Pop unterwegs gewesen, aber sich mit diesen Liedern zu beschäftigen, war eine großartige Erfahrung für mich. Nicht zuletzt natürlich, weil sie für meine gemeinsame Zeit mit meinem Vater stand. Meine Eltern ließen sich ja scheiden, als ich ein Kind war und ich habe ihn außer an manchen Wochenenden und im Sommer kaum gesehen. Helen, eine Schwester von June Carter, der zweiten Frau meines Vaters, brachte mir  dann bei, Gitarre zu spielen und auch die Songs ihrer Familie, der berühmten Carter-Family. So befand ich mich geradezu in einem Sturm aufregender, neuer Einflüsse.

Diese Musik funktionierte also auch als Kommunikation innerhalb Ihrer Familie und mit Ihrem Vater?
Cash: Ganz genau. Das war das Wertvollste überhaupt. Was mein Vater mir mit seiner Musik gegeben hat, war er selbst.

Wenn man eine Liste „essentieller deutscher Songs“ erstellen würde, käme man auf ein paar Volksweisen und die Lieder von Franz Schubert und Heinrich Heine, die aber heutzutage kulturell  nur ein Nischendasein führen. Warum hat man in den USA so ein anderes Verhältnis zu den Songs?
Cash: Wir Amerikaner haben unsere Erfahrungen vor allem in Liedern dokumentiert. Es gibt Songs aus dem Bürgerkrieg und dem Revolutionskrieg, über die beiden Weltkriege, die Zeiten der Depression und über Naturkatastrophen. Aus den Appalachen gibt es viele Lieder, die in der keltischen Musik ihre Wurzeln haben und aus dem Delta Blues, Gospel und Folk hat sich letztlich   die moderner Country-Musik entwickelt. Das ist wirklich der Kern der amerikanischen Musik. Diese Lieder sind wir.

Also könnte man bei vielen traditionellen Country-Songs von gesungenem Geschichtsunterricht sprechen?
Cash: Ja, aber ich würde es hassen, sie nur als „Geschichte“ zu verstehen. Ich möchte, dass sie auch im Hier und Jetzt am Leben gehalten werden.

Wachsen heutzutage Kinder noch mit diesen Songs auf?
Cash: Als wir jung waren, in den 60er Jahren, haben wir in der Schule solche Songs, wie „500 Miles“ oder „This Land is your Land“ gelernt. Das macht man heute  nicht mehr so. Das ist etwas beunruhigend und spricht nicht für unser Bildungssystem, das nicht mehr viel Wert auf Musik und Kultur legt.

Andererseits sprechen erfolgreiche Filme, wie „High School High“ zumindest für die intensive Förderungen einer eher kommerziellen Musical-Jugendkultur an den Schulen.
Cash: Das kann sein, aber da kenne ich mich nicht aus. Meine Kinder gehen auf eine Privatschule. (lacht)

Für Songs, die man nicht unbedingt lernen sollte, gibt es auch einen speziellen Ort: „God’s got a heaven for country trash“ sang ihr Vater – Gott hat einen Himmel für den Country-Schund.
Cash: Ja? Ich kenne den Song gar nicht.

Es ist „Country Trash“ vom 2000er Album „Solitary Man“, er stammt aber aus dem Jahr, als Sie Ihre Liste mit den „essentiellen Countrysongs“ bekamen.
Cash: (Lacht) Den habe ich wohl übersehen. (lacht)

Die Selbstironie dieses Songs gehörte nicht zu den bekannten Seiten Ihres Vaters.
Cash: Oh doch. Mein Vater hat aus der Musik keine Religion gemacht. Er hat ja mit „Hurt“ auch einen Song der Industrial-Rocker Nine Inch Nail Song gecovert, er war sehr offen. Auch die Liste   war viel bunter,  als ihr Name andeutet. Sie hätte eher „100 American Songs“ heißen müssen.

Bob Dylan hat vor einiger Zeit in einem Interview die letzten, sehr erfolgreichen Platten, die Ihr Vater mit dem Produzenten Rick Rubin aufgenommen hat, stark kritisiert. Den „wahren“ Johnny Cash würde man nur in seinen frühen Aufnahmen aus den 50ern und 60ern hören. Hat er recht?
Cash: Naja, es gab eine Menge Output in den Rick Rubin-Jahren. Und nicht alles davon konnte großartig sein. Aber zur gleichen Zeit hat Rubin meinem Vater damals das Leben gerettet. Er kam zu meinem Vater. als er sehr depressiv und entmutigt darüber war, was er mit seinem Leben und seiner Musik noch anfangen könnte. Rick hat ihm eine Perspektive und ein Format gegeben, er hat ihn in gewisser Weise wiedererschaffen und ihm bestimmt einige zusätzliche Lebensjahre geschenkt. Als Tochter werde ich ihm daher ewig dankbar sein. Nicht alles, was dabei herauskam, war große Kunst. Aber es war sehr wichtig für meinen Vater. Das war wohl ein bisschen, wie bei Henri Matisse, der in seinen letzten Jahren noch denn Jazz und die Jazz-Tänzer als Sujets für sich entdeckt hatte. (lacht)

Zitiert

In den 60ern haben wir in der Schule Songs, wie „500 Miles“ oder „This Land is your Land“ gelernt. Das macht man heute nicht mehr, das ist beunruhigend und spricht nicht für unser Bildungssystem.

Rosanne Cash

Hat die europäische Kunst einen starken Einfluss auf Sie?
Cash: Ich habe lange in Europa gelebt und mich sozusagen als Auswanderer gesehen. Nun lebe ich auf einer kleinen Insel in den USA, genannt Manhattan (lacht), auch da bekommt man fast automatisch ein weiteres kulturelles Verständnis, viel eher als jemand, der im Herzen der USA auf dem Land lebt.

Was wäre eigentlich auf Ihrer eigenen Liste wichtiger Songs?
Cash: Ich bin in einer anderen Generation in einer anderen Gegend aufgewachsen, in Südkalifornien. Das würde meine Liste prägen. Neil Young, Bruce Springsteen, die sogenannte britische Invasion mit den Beatles, aber auch Steve Earle wären auf meiner Liste. Ein paar Überschneidungen mit der Liste meines Vaters gäbe es aber schon.

Werden Sie auch von jüngeren Künstlern beeinflusst, die auch auf Ihrer neuen Platte zu hören sind?
Cash: Sie meinen wohl Rufus Wainwright. Jeff Tweedy, der Sänger von Wilco, ist auch eher meine Generation. Rufus ist eher aus der Generation meiner Kinder. Auf ihn bin ich gekommen, weil ich seinen Vater Loudon schon lange kenne. So hat es sich eben einfach ergeben, die Älteren laden die Jungen ein, mit ihnen zu spielen. Meine Tochter Chelsea Crowell, die auf „500 Miles“ mitsingt hat gerade ihre erste Platte herausgebracht. Unsere Linie reißt also nicht ab. Das ist ein gutes Gefühl.

Was macht sie für Musik?
Cash: Sie ist eine sehr gute Songwriterin mit starken Bildern in ihren Texten. Die Musik ist eher dreckiger Southern Folk Rock.

Haben Sie Ihre Tochter bei ihrer Platte beraten?
Cash: Nein, sie will keinen Ratschläge von mir, so wie ich auch von ihr keine haben wollen würde. (lacht) Sie will alles selbst machen.

Sie selbst haben Musik nicht so ambitioniert angefangen, wollten auch Schauspielerin werden. Was hat Sie letztlich sicher gemacht, dass die Musik Ihr Weg ist?
Cash: Ich wusste, dass ich ein Songwriterin werden wollte, auch als ich auf der Schauspielschule war. Nach sechs Monaten dort war mir klar: ich will kein Schauspielerin sein. Ich habe damals schon Songs geschrieben, mich aber zunächst dagegen gesträubt, Musiker, Performer zu werden, weil ich den Lebensstil nicht mochte. Den habe ich bei meinem Vater ja mitbekommen. Aber der Wunsch Songwriter zu sein, war wohl letzten Endes zu stark.

Sie müssen ja nicht auf Tour gehen.
Cash: Es hat sich rausgestellt, dass ich doch gerne auf der Bühne stehe und singe. Ich bin da reingewachsen. Ich mag den Theater-Aspekt daran. Es zählt immer nur die eine Nacht, die unwiederbringlich ist.

Welche Beziehung haben Sie eigentlich zu Deutschland? Immerhin haben Sie hier Ihre erste Platte aufgenommmen.
Cash: Oh je. (Lacht) Das war 1978. Ich habe eine Freundin in München besucht, die für die PR der Plattenfirma Ariola arbeitete und vor allem Jazz-Musiker betreute. Ich schrieb Songs, sie stellte mir die Leute dort vor. Und die haben mir einen Plattenvertrag angeboten. Ich dachte: Okay, das ist ein sicherer Weg, eine erste Platte zu machen – in Europa, weit weg von den USA wo der Vergleich mit meinem Vater geradezu übermächtig gewesen wäre.

Auf dem Cover sehen Sie aus, wie ein 80er Jahre-Popstar.
Cash: Das stimmt. (lacht) Aber ich war wer ich war, ich habe mich für das Cover nicht umgestylt.  Ich saß in Kalifornien und schrieb Songs. Ich war keine Countrysängerin.  

Warum gibt es die Platte  nicht auf CD? Gibt es Probleme mit den Rechten?
Cash: Oh nein, sie ist einfach schrecklich (lacht). Es war der erste Versuch einer sehr sehr ungeformten Künstlerin.

Man kann sie für 19 Euro bei ebay kaufen.
Cash: Wirklich? (lacht) Das sollte man lieber lassen. Ich war sehr jung,

Ihr Vater war als Soldat in Deutschland stationiert…
Cash: Deswegen kam ich damals nicht her. Aber mittlerweile fühle ich mich schon mit diesem Land  verbunden, denn mein Eltern hatten sich gerade ineinander verliebt, als mein Vater hierher kam. Sie schrieben sich Briefe, er hat seine erste Gitarre hier gekauft.

Sie reden nicht gerne über den Film „Walk the Line“, in dem Joaquin Phoenix Johnny Cash spielte, aber gerade diese Szene in einem Laden voller Gitarren und Kuckucksuhren wirkt in Deutschland eigenartig berührend.
Cash: Das verstehe ich. Aber der Film wurde eben für Leute gemacht, die nicht dabei waren. Es war schmerzhaft für mich, diese Hollywood-Version eines schwierigen Teils meiner Kindheit zu sehen.

Sie werden irgendwann Ihre eigene Version der Geschichte erzählen?
Cash: Das habe ich schon. Meine Autobiografie kommt in diesem Jahr heraus.

Ein anderes filmisches Image stammt von ihrem Vater selbst. In dem Musikvideo zur bereits erwähnten Cover-Version von „Hurt“ erscheint Ihr Vater selbst wie eine tragische biblische Figur, wie eine Mischung aus Hiob und Jesus. Die Wirkung ist überwältigend, aber ich habe mich gefragt, inwiefern das auch einfach eine bewusste Marketing-Kalkulation war?
Cash: Oh nein. Das war es sicher nicht. Das Video war sehr schmerzhaft. Meine Schwester hat mich damals angerufen: „Hast Du das Video schon gesehen?“ Ich sagte: Nein. Sie meinte nur: „Sei vorsichtig“. Also habe ich gewartet, bis es mir mein Vater selbst zeigen konnte und es war schockierend. Aber es hat auch recht gut wiedergegeben, wie er war, wie er auf die schmerzhaften Dingen in seinem Leben zurückblickte und wie er mit seiner eigenen Sterblichkeit umging. So war er.

Eine letzte Frage: Welche Macht hat die Musik?
Cash: Die Macht der Musik ist die Macht, zu heilen, Dinge zu ändern, zu inspirieren und zu befreien. Ich möchte nicht auf einem Planeten leben, auf dem es keine Musik gibt.

Was würden Sie dorthin mitnehmen? Eine Platte, oder vor allem eine Gitarre, Blätter und Bleistift?
Cash: Das ist eine schwierige Frage. Eine Platte müsste auf jeden Fall dabei sein und zwar eine Aufnahme von Samuel Barbers „Adagio for Strings“.

Als die 1955 in Memphis, Tennessee geborene Rosanne Cash ein Jahr alt war, hatte ihr Vater Johnny Cash mit „I Walk the Line“ seinen ersten Nummer 1-Hit in den amerikanischen Country-Charts. Nach der Scheidung ihrer Eltern wuchs Rosanne bei ihrer mehr

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