Ronja von Rönne

Die Wahrheit wohnt in Nebensätzen.

Dank ihres Blogs "Sudelheft" bekam sie ihren ersten Buchvertrag – und für einen "Welt"-Artikel einen Journalismus-Preis, den sie ablehnte. Ein Gespräch mit der Autorin Ronja von Rönne über ihr Studium, Berlin, Smoothie-Läden, den Roman "Wir kommen" und die 'Hunger Games' des Literaturbetriebs.

Ronja von Rönne

© Fischer Verlag

Ronja, du bist in einem oberbayerischen Dorf aufgewachsen und nach Stationen in München, Wien und Hildesheim wieder in deiner Geburtsstadt Berlin gelandet. Wie gut eignet sich die Stadt für Schriftsteller?
Ronja von Rönne: Wenn man ausgeht, trifft man in vielen Bars andere Autoren. Die Idee allerdings, dass man dann bei einem Glas Rotwein miteinander über Literatur redet, ist eine etwas verklärte und stimmt nicht so richtig. Ich bin Berlin gegenüber ziemlich emotionslos, ich mag es, dass man hier in Bars noch rauchen darf, dass hier Menschen wohnen, die mir nah sind, dass ich mich frei bewegen kann, aber danach hört die Leidenschaft schon auf. Wie die meisten Berliner bin ich in meinen drei Straßen unterwegs und komme aus meinem Kiez im Prenzlauer Berg selten raus.

Muss man nicht rausgehen, als Schriftstellerin?
von Rönne: Aber dann lieber ganz raus aus Berlin. Oder ich fahre in den Westen, da gibt es kleine Bars mit Teppichboden, wo man klopfen muss, um reinzukommen, der Barbesitzer ist 180 Jahre alt, bietet einem Pralinen aus dem KaDeWe an und sagt: Du siehst heute nach Gimlet aus. Es gibt weniger ironische Sneakersammler im Westen, dafür mehr abgetragene Pelzmäntel aus vergangenen Jahrhunderten. Man hat das Gefühl, man macht Urlaub in einer anderen Stadt. Vielleicht einer anderen Zeit. Einer schöneren.

Deine Geschichten leben ja vor allem von Beobachtungen von Gesellschaft…
von Rönne: Bei mir sind es oft Verallgemeinerungen oder verifizierte Vorurteile – dafür reicht es, einmal die Woche abends auszugehen. Ich muss nicht ständig unterwegs sein und Leute beobachten. Leute sind gar nicht so rasend interessant. Die meisten Menschen sind ja doch recht unoriginell, ich finde auch mich selbst nicht interessant. „Leute beobachten“ klingt auch etwas creepy.

Zitiert

Wenn ich eine klare Wahrheit hätte, dann muss ich kein Buch schreiben, dass sich mit Nebensätzen herumschlägt.

Ronja von Rönne

Welches Berlin-Klischee ist deiner Meinung nach unwahr?
von Rönne: Dass die Taxi-Fahrer unfreundlich sind. Als ich für längere Zeit krank war, bin ich oft mit dem Taxi gefahren – und alle Fahrer waren sehr reizend, jeder hat mir Hustenbonbons angeboten. Ich finde übrigens, dass man Berlin am besten vom Taxi aus erlebt, das ist wie als wenn man durch einen Stummfilm fährt, ein cineastisches Gefühl. Mir fallen in Taxis eigentlich immer nur schöne Sachen ein. Das Ziel ist klar, trotzdem bewegt man sich fremdbestimmt dorthin.

Hast du Lieblingsorte in Berlin?
Von Rönne: So was wie meine Lieblingsbars? Die würde ich jetzt nicht verraten, sonst kommen da viele Leute hin – und dann sind es nicht mehr meine Lieblingsbars.

Dann vielleicht deine Hass-Orte?
von Rönne: Ich habe keine große Leidenschaft für Smoothie-Läden und Saft-Manufakturen.

Warst du jemals in so einem Laden drin?
von Rönne: Ich glaube nicht. Da bin ich völlig vorurteilsbeladen, das sind für mich Läden für Menschen mit Fjällräven-Rucksack, die gerne bento-Artikel über Tinder lesen. Ich halte es auch für höchstneurotisch, sich so intensiv mit seinem Körper und seiner Ernährung auseinanderzusetzen. Neurosen sind etwas, was ich ganz schnell adaptiere, deswegen gehe ich aus Selbstschutz nicht in Saftläden. Am Ende begeistern die mich.

Rauchst du auch aus Selbstschutz?
Rönne: Genau, sicher ist sicher. (lacht) Das Schöne am Rauchen ist ja, die Sucht zu genießen. Das ist ein bisschen wie essen, man hat immer etwas, worauf man sich freut. Allerdings ist man vom Essen irgendwann satt – rauchen kann man ständig. Und es ist etwas Verlässliches: Wenn ich unglücklich bin kann ich mich zumindest auf eine Zigarette freuen. Aber ewig möchte ich das auch nicht machen.

In deinem Roman „Wir kommen“ schaut man vier gelangweilten Hipstern zu wie sie orientierungslos vor sich hin leben. Sind das Berliner Figuren?
von Rönne: So ein Lebensentwurf scheint hier zumindest ganz gut zu funktionieren. Ich treffe in Cafés oder Clubs sehr viele Leute, von denen ich keine Ahnung habe, wovon sie ihre Miete bezahlen, die aber immer total da sind, die auf jede Party eingeladen sind. Und wenn ich sie frage, murmeln sie etwas von Projekten, oder dass sie im Kater Blau Eis verkaufen. Ich verstehe nicht, wie das geht, es können doch nicht alle reiche Eltern haben?!

Eine Kritikerin der SZ beschrieb auch dich als „gelangweilt und minimal verantwortungsbewusst“.
von Rönne: Die Autorin schrieb auch, dass sie mich eh nicht besonders mag. Es war also zwar der härteste Verriss, aber auch der egalste.

Zum Erfolg kam es vor allem durch dein Blog „Sudelheft“. Bist du heute von Beruf Autorin?
von Rönne: Ich denke, in dem Moment, wo ich vom Schreiben lebe und das auch gedruckt wird, ist das schon die passende Bezeichnung. Sie klingt jedenfalls besser als „Literatur-It-Girl“. Wenn man zur öffentlichen Figur wird, bekommt man ja ziemlich schnell irgendwelche Adjektive aufgeklebt, die man dann jahrelang versucht wieder abzukratzen – wie die Etiketten auf Ikea-Tassen. Bei mir hieß es „jung, provozierend, schön“. Aber jung und schön, das wird sich von selbst erledigen. Und provozierend finde ich mich eigentlich auch nicht.

Erfüllt dich denn dieser Beruf?
von Rönne: Ich schreibe nicht besonders gerne. Wenn das „von“ in meinem Namen ein bisschen mehr gebracht hätte als nur ein Silberbesteck, würde ich wahrscheinlich nicht oder sehr viel weniger schreiben. Für mich ist Schreiben Arbeit – und nicht die komplette Selbsterfindung, ansonsten wäre für mich jede schlechte Rezension ja auch ein Angriff auf mich selbst. Ich sehe es als Beruf, den ich möglichst gut ausüben möchte, weil ich dafür bezahlt werde und weil ich Verantwortung gegenüber den Lesern habe. Ich muss niemandem die große Wahrheit des Lebens näher bringen, aber ich muss unterhalten und dabei nicht völlig blöde wirken. Das kann ich hoffentlich.

Seit wann weißt du, dass du das kannst?
von Rönne: Ich habe geschrieben, seit ich sechs bin, aber nur sehr wenig und nie besonders ambitioniert. Ich habe nie etwas besonders ambitioniert gemacht, außer mein Abi.
Ein Ex-Freund von mir meinte, ich könnte sicherlich gut schreiben – er hat öfter Sätze notiert, die ich gesagt habe. Er hat mit vorgeschlagen, Drehbuch an der Filmhochschule zu studieren. Ich bin dann nach Hildesheim gegangen, „Literarisches Schreiben“ hieß der Studiengang. Da hatte ich aber nicht das Gefühl, dass ich das irgendwie kann. Die anderen Studenten waren unfassbar gebildet. Das war oft unangenehm, ich habe dort kaum geschrieben, weil ich mich nur geschämt habe. Ich habe auch nicht verstanden, wie dort über Literatur gesprochen wird. Für meinen Blog wurde ich verachtet, es hieß, das sei keine Literatur… Aber auch da findet man dann seine fünf Leute, die dir sagen: Ist doch egal! Den Blog habe ich weitergemacht und irgendwann hat ihn ein  Literaturagent gefunden, der mich fragte: Wie wäre es mit einem Buch? So eine typische Arschloch-Millenial-Karriere die immer nur anderen passiert war das.

„Literarisches Schreiben“ war aber nicht dein einziger Studiengang…
von Rönne: Nein, zuerst habe ich in München Theaterwissenschaft studiert – weil man keinen NC brauchte, es gab keine Aufnahmeprüfung. Ich war immer schon sehr von Komplexen in der eigenen Leistung getrieben. Ich hatte auch überlegt, es an der Schauspielschule zu probieren, aber schon weil es da eine Aufnahmeprüfung gibt, fiel das für mich flach. Ich bin zu schüchtern.
Als Zweites habe ich Publizistik in Wien studiert, auch dort gab es keinen NC. Aber das habe ich schon während der Einführungsveranstaltung abgebrochen. Davon überzeugt dass eh nichts klappen würde.

War deine Uni-Zeit rückbetrachtet eine Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichte?
von Rönne: Hildesheim war schon ein Erfolg, weil es überraschend sehr schön wurde. Es ist eine sehr hässliche Stadt, und die wenigen interessanten Leute, die es gibt, mit denen studiert man. Es war dieses Typische, wie ich mir Studium vorgestellt habe: Man sitzt auf irgendwelchen WG-Böden, trinkt billiges Bier und diskutiert Foucault, ohne irgendetwas davon zu verstehen. Das fand ich zwei Jahre lang gut und richtig – dann reichte es aber auch. Ich bin sehr ungeduldig und verliere schnell die Lust.

Vielleicht auch eines Tages am Autorendasein?
Rönne: Ja, kann gut sein. Falls ein Buch von mir ein Bestseller wird, der mein Leben finanziert, könnte es sein, dass ich sehr lange nichts mehr schreibe. Andererseits besteht diese Gefahr nicht sehr akut.

Wie hast du 2015 die Einladung zum Bachmann-Preis empfunden?
von Rönne: Über die Einladung habe ich mich noch total gefreut, der Rest war ziemlich grauenhaft. Aber das sagt glaube ich jeder, der dort nicht als Gewinner rausgeht.
Das sind die ‚Hunger Games‘ des Literaturbetriebs, du sitzt dort, live im Fernsehen, wirst von den Kritikern zerfetzt und darfst selbst kein Wort sagen. Es war irre heiß, wir waren im Hotelzimmer zu dritt, weil ich noch zwei Kommilitonen mitgenommen hatte, nebenan sprang irgendein dicker Literaturkritiker in knapper Badehose ins Wasser – das will man alles nicht haben. Aber es gibt natürlich auch die andere Version: Man gewinnt, fährt 20.000 Euro ein und denkt, besser geht es nicht. Für die musst du aber jemand anders interviewen.

In dem Text „Welt am Sonntag“, den du beim Bachmann-Preis gelesen hast, sagt eine Protagonistin: „Ich will, dass etwas passiert, und ich will nicht mehr leiden ohne Grund, das fühlt sich bescheuert an, ich will leiden, weil ich mit meiner besten Freundin über eine Grenze flüchten muss oder weil mein Bruder von einer Handgranate getroffen wurde. Ich will wissen, dass ich für irgendetwas kämpfe oder meinetwegen gegen jemanden oder meinetwegen nur flüchte vor irgendetwas, Hauptsache etwas mit Namen, ein Regime vielleicht.“
von Rönne: Das ist ein ziemlich unorigineller Gedanke einer Anfang 20jährigen, die sich auf Sinnsuche empfindet. Ein wenig wie 16-Jährige, die zum IS überlaufen, weil sie sich so in Fremdbestimmung begeben und die Mission klar ist. Das ist diese Sehnsucht a la ‚wenn ein Krieg wäre könnte ich zumindest ein Held sein‘. Das ist eine moralisch nicht besonders schöne Idee, die man am besten und am schnellsten los wird, in dem man Kinder bekommt.

Worauf ich eigentlich hinaus wollte: Dieser Gedanke deiner Protagonistin erinnert ein bisschen an die Figuren aus deinem Roman, denen es an Zielen und Visionen fehlt. Wie ist das bei dir mit Zielen?
von Rönne: So ganz klar gibt es die leider immer noch nicht. Vielleicht bin ich noch zu jung? Ich versuche, gut zu sein, das reicht mir eigentlich schon. Daran scheitere ich so oft, dass ich es immer wieder probiere, damit bleibe ich beschäftigt.

Gut sein heißt…
Integer zu sein, nicht all zu egoistisch, freundlich zu anderen, all das langweilige, normale Zeug. Aber Ziele wie „fünf Filme schreiben“ oder „Regenwald retten“, das habe ich nicht. Wobei das sicher kein schlechter Nebeneffekt wäre, wenn ich mit irgendwas den Regenwald rette.

Wirst du möglicherweise politischer?
von Rönne: Ich bin schon politischer geworden, in den letzten zwei Jahren. Wie viele Menschen hatte auch ich eine gewisse Merkel-Müdigkeit, Demokratie war selbstverständlich und man hat halt irgendwas gewählt. Auf einmal Panik. Trump. Brexit. In so einem Moment bleibt das Herz kurz stehen, es kommen einem große Zweifel, obwohl es weit weg ist und mit meinem Leben eigentlich wenig zu tun hat.

Wie äußert sich dein politisch sein?
von Rönne: Ich bin jetzt bei meinen Lesungen politischer. Bis vor einem Jahr war ich das gar nicht, aber jetzt rede ich viel über Angst. Darüber, dass eine Partei wie die AfD die Angst der Menschen nicht – wie sie behauptet – ernst nimmt, sondern nur symptomatisch behandelt. Wenn jemand Angst vor Flüchtlingen hat und man das wirklich ernst nehmen würde, dann würde man den mit einem Flüchtling in ein Zimmer sperren, ihnen einen Kaffee einschenken und sie zur Unterhaltung zwingen. Und nicht ein Pflaster draufkleben in dem man sagt: OK, dann lassen wir einfach keinen Flüchtling mehr rein.
Angst als politischer Motor ist groß im Moment. Und sie wird genauso falsch behandelt, wie jemand mit Panikattacken, der nur noch in seinem Haus bleibt und dort immer ängstlicher wird. Das Zufüttern der Angst auf globalpolitischer Ebene ist glaube ich ein großes Problem, sicher auch deshalb, weil man jeden Terroranschlag im Live-Stream verfolgen kann.

Du sagst, dass es dir wichtig ist, wahrheitsvoll zu sein. Was bedeutet das für deine Geschichten?
von Rönne: Ich weiß nicht, welcher Schriftsteller sich hinsetzt und sagt: Ich möchte jetzt die Wahrheit schreiben. Vielleicht gibt es die, aber vermutlich sind das nicht die Schriftsteller, die ihre Bücher verlegt kriegen. Wenn ich eine klare Wahrheit hätte, dann muss ich kein Buch schreiben, dass sich mit Nebensätzen herumschlägt. Dann hätte ich einen Satz, mit dem ich mich zufrieden geben könnte. Für mich ist Wahrheit etwas, was in Nebensätzen wohnt, in kleinen Pointen und in Überspitzungen. Wahrheit ist nicht schwerfällig da, sie blitzt auf. Humor ist ein gutes Werkzeug um Wahrheit zu erkennen. Wenn ich eine Lesung gebe und Leute lachen bei einer Stelle, dann weiß ich: Da ist etwas Wahres dran.
Große programmatische Romane mag ich nicht, ich mag auch keine Autoren, die so etwas schreiben. Weil ich nicht daran glaube. Ich glaube, die Wahrheit ist nicht die ganze Zeit einfach da, sondern sie flackert immer nur auf, zwischendurch, ein Feuerwerk, manchmal nur ein Funke.

5 Kommentare zu “Die Wahrheit wohnt in Nebensätzen.”

  1. Nils |

    Die Alte ist so hohl, aber unterhaltsam.

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  2. literario |

    „Ich will wissen, dass ich für irgendetwas kämpfe oder meinetwegen gegen jemanden“

    Ja, wie die jungen Expressionisten damals – nur hatten die meisten genügend Bürgertum und Ennui in sich, um sich für sowas nicht schämen zu müssen: „Das ist ein ziemlich unorigineller Gedanke einer Anfang 20jährigen, die sich auf Sinnsuche empfindet.“ Was ist an Weltabkehr und Sehnsucht nach Aktion unoriginell? Genügend Weltliteratur ist so entstanden. Aber inzwischen ist leider alles nur noch Facebook-Biografiearbeit: „Guck mal, das war ich vor fünf Jahren – ich hab mal was dazu geschrieben: #döner #alda #fremdscham #yolo“

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  3. Martin Scholz |

    Ich mag Ronja nicht. Sie hat neulich im TV eine Sendung moderiert und war sehr anstrengend. Sie sollte lernen, nicht immer dazwischenzureden. Bei der Göre ist wohl irgendwas schiefgelaufen in der Erziehung.

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    1. H.Trickler |

      Wer Ronja eine schlecht erzogene Göre nennt muss ein schlecht erzogener Rotzjunge sein!

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      1. Martin Scholz |

        Nanana. Jetzt mal nicht komisch werden. Ronja nervt einfach nur. Das ist ja wohl unbestritten.

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