Robert Wilson

Ich erkläre nie etwas.

Regisseur Robert Wilson über den Dokumentarfilm "Absolute Wilson", den künstlerischen Prozess, seine Zusammenarbeit mit Jessye Norman und dass auch das Stehen auf einer Bühne gelernt sein muss

Robert Wilson

© Kinowelt Filmverleih

In der Theaterwelt zählt er international zu den schillerndsten Figuren: der Regisseur, Autor, Bühnenbildner und Maler Robert Wilson. Seit über drei Jahrzehnten hat er in der ganzen Welt, vor allem aber auch in Deutschland, zahlreiche Opern, Theaterstücke und Kunstprojekte auf die Bühne gebracht. Wobei seine Handschrift stets unverkennbar ist, vor allem aufgrund seiner kunstvollen Bühnenbilder, in denen sich die Schauspieler in meist wundersamen Kostümen bewegen, wo durch das Zusammenwirken von Bühnenbild, Licht, Kostümen und Schauspielern eine ganz besondere Textur, eine faszinierende Formsprache entsteht. Nun hat die Hamburger Filmemacherin Katharina Otto-Bernstein mit „Absolute Wilson“ (Kinostart 12.10.) einen eindrucksvollen Dokumentarfilm über Robert Wilson gedreht. Fünf Jahre hat sie ihn begleitet und auch mit vielen Künstlern und Weggefährten Wilsons gesprochen. Im Film bringt sie dem Zuschauer die Biographie Wilsons und sein umfangreiches Werk nahe, zum anderen ermöglicht sie einen Blick hinter die Kulissen und portraitiert Robert Wilson aus einer Nähe, wie sie bislang wohl kaum einem Journalisten oder Filmemacher vergönnt war. Denn Wilson scheut eigentlich die Publicity, Interviews gibt er äußerst selten. Als jedoch im Februar 2006 Katharina Otto-Bernstein ihren Film auf der Berlinale erstmals vorstellte, kam auch ihr Protagonist nach Berlin. Und es ergab sich schließlich eine Interview-Möglichkeit im Rahmen des Festivals – wobei man vielleicht eher von einer ‚Begegnung’ sprechen sollte, denn zu einem Interview kam es dann nur bedingt. Im üblichen Berlinale-Trubel wurden acht Journalisten in einen kleinen Konferenzraum geführt, wo man nun auf Robert Wilson wartete. Weder war klar, ob er zum Interview überhaupt erscheinen würde, noch stand die Dauer des Pressegesprächs fest. Nach geraumer Wartezeit erschien dann Robert Wilson, der allerdings leicht erkältet und übernächtigt schien, aber man nutzte sofort die Gunst der Stunde und begann zu fragen, knapp 20 Minuten sollte die Begegnung dauern. Trotz der Kürze wollen wir euch dieses Gespräch vom Februar nicht vorenthalten, zusätzlich veröffentlichen wir eine Skizze, die Wilson während des Gesprächs angefertigt hat.

Herr Wilson, trennen Sie Ihr Privatleben und Ihre Arbeit?
Wilson: Nein, ich denke nicht.

Sie sind in Gedanken immer bei der Arbeit?
Wilson: Ob ich immer daran denke, weiß ich nicht. Aber ich sammle immerzu Erfahrungen, erlebe Dinge, vielleicht ist das eine bessere Beschreibung dafür. Ich bin nicht der Typ, der morgens aufwacht, dann zur Arbeit geht und abends zurück nach Hause kommt und Fernsehen guckt, sondern bei mir gehört alles zusammen.

Machen Sie denn Urlaub?
Wilson: Ja, ich mache Urlaub. Einmal im Jahr reise ich für etwa zehn Tage nach Fernost. Dieses Jahr war ich in Vietnam…
Ich habe vor vielen Jahren den Maler Willem de Kooning getroffen. Und ich war in seinem Studio in Long Island. Er fragte mich, ob ich sein Assistent sein wollte, ich habe es immer bereut, dass ich das nicht gemacht habe. Aber ich habe ihm eine ähnliche Frage gestellt und seine Antwort war: „Ich sehe keinen Unterschied zwischen meinem Leben und meiner Arbeit – das ist alles eins.“

Die Arbeit an „Absolute Wilson“ hat über fünf Jahre gedauert – wurde Ihnen das nicht zu viel? War es schwer für Sie, sich zu öffnen?
Wilson: Nein, ich bin über mich selbst überrascht, weil ich sonst nie über diese Dinge rede. Ich kann da auch sehr unhöflich, ausfallend sein, normalerweise vermeide ich alle persönlichen Angelegenheiten. In diesem Fall habe ich es getan – aber fragen Sie mich nicht, warum. Ich glaube, es hatte etwas mit Katharina zu tun.

Und wie finden Sie den Film? Sind Sie glücklich mit dem Resultat?
Wilson: Ja, es ist komisch…
Manchmal zeichne ich etwas und sage: das ist die beste Zeichnung, die ich in meinem Leben gemacht habe. Und am nächsten Morgen gucke ich es an und denke: wie schrecklich. Und dann gucke ich es zwanzig Jahre später wieder an und denke: irgendwie hat es doch etwas Interessantes, was ich früher nicht gesehen habe. Also, wenn man mit etwas lebt, bekommt man ein andere Perspektive. Und für mich ist bei dem Film interessant, ältere Arbeiten zu sehen, auch Entscheidungen, die ich früher getroffen habe und Dinge, die ich gemacht habe – ich habe jetzt eine andere Perspektive darauf, weil so viel Zeit vergangen ist.

Der Film zeigt uns, wie Sie arbeiten, zeichnen, entwerfen – haben Sie am Anfang einer Konzeption immer auch schon das Resultat im Kopf, oder ist es mehr ein Prozess?
Wilson: Hm, kann ich mal ein Blatt Papier bekommen? (Eine Journalistin reicht Wilson ein Stück Papier und nun beginnt der Regisseur zu zeichnen.) Ich arbeite auf unterschiedliche Weise, aber fast alle meine Werke kann ich grafisch darstellen. Ich habe zum Beispiel 1988 in Berlin mit David Byrne ein Stück gemacht mit dem Titel „The Forest“ und das sah ungefähr so aus … oder bei „Einstein on the Beach“ hatte es diese Struktur… Bevor ich „Einstein on the Beach“ anfing, war das alles, was ich hatte. Ich hatte keine Ahnung, was daraus werden würde, wie es aussehen würde… Dann habe ich mich gefragt, wie lang das Stück sein sollte: Eine Stunde, zwei Stunden? Wagner-Länge? – Oh, ja. Gute Idee. Also dachte ich mir, Teil A wird 24 Minuten lang, B wird 23 Minuten lang, Teil C 22 Minuten… (Es wäre nun äußerst schwierig, Wilsons etwa 5-minütigen Vortrag an dieser Stelle verständlich wiederzugeben. In einem hohen Tempo bringt er ganz verschiedene Dinge zu Papier, erklärt sie teilweise, doch es ist nicht gerade einfach, seinen Gedankengängen zu folgen und die Zahlen, Striche und Formen auf dem Papier zu interpretieren. Zumindest wird einigermaßen klar (auch anhand der Skizze, welche im oberen Teil ein Ablaufschema zu "The Forest" darstellt, im unteren Teil zu "Einstein on the Beach"; siehe Bildergalerie), dass Wilson seine Konzeptionen mit einer zeitlich orientierten Struktur beginnt, in der auch Verbindungen zwischen den verschiedenen Werkteilen hergestellt werden. Vieles scheint dabei auch einer großen Spontaneität zu entspringen.Was könnte Teil A sein? fragt Wilson in Bezug auf „Einstein on the Beach“, Einstein hat über Züge geredet, also kommt ein Zug auf die Bühne. … Teil B: Ein Gerichtssaal, und in die Mitte stellen wir ein Bett – Einstein war ja ein Träumer, also stellen wir das Bett da hin. …
Irgendwann weiß ich, wie die Dinge aussehen werden und dann fange ich an, es auf der Bühne zu realisieren. Und zuerst bringe ich ein Stück immer stumm auf die Bühne, ich habe vor kurzem den „Ring“ von Wagner inszeniert und ich habe erst mal alles stumm auf die Bühne gebracht, ohne Musik, ohne Text, nichts. Nur die Positionen, Bewegungen der Schauspieler werden festgelegt, ich gebe den Bewegungen auch manchmal bestimmte Nummern, um sie zu ordnen, sozusagen musikalisch. Dann höre ich mir die Musik von Wagner an, und dazu rufe ich die Nummern – und dann schauen wir, was passiert.
Ich fange immer erst mit dem „Visual Book“ an, wohingegen das im Theater ja normalerweise anders läuft. Die Leute setzen sich zuerst hin, lesen das Buch, und gucken dann, was sie aus dem Text machen. Ich sage: Mach das Buch zu, leg es weg, nimm die Musik weg und lege zuerst das Bühnengeschehen fest.
Ich habe mit Philip Glass mal eine Oper geschrieben, „The White Raven“. Da haben wir erst alles stumm auf die Bühne gebracht, haben es auf Video aufgenommen, haben das Video einer portugiesischen Dichterin gegeben, sie hat einen Text dazu geschrieben und, Phil nahm das Video, unsere Zeit-Struktur und den Text der Dichterin und schrieb die Musik. Also, wir haben mit der Bewegung und dem „Visual Book“ angefangen – und dann kam erst die Musik.

Bei so einem Prozess überrascht es nicht, dass Ihre Stücke am Ende nicht naturalistisch sind. Ist das Ihre Intention?
Wilson: Also, ich dachte immer, Naturalismus basiert auf einer Lüge. Du siehst einen Schauspieler auf der Bühne, der versucht, naturalistisch zu spielen – aber dabei ist es so unnatürlich. So, dass es besser wäre zu sagen: auf der Bühne zu sein ist etwas Künstliches. Weil dann kann man auch ehrlicher sein mit dem, was man macht.
Aber mein Theater ist ein formalistisches Theater, ein Theater, wo du lernst, wie du auf der Bühne stehst, wie du dich auf der Bühne bewegst – es gibt 100 verschiedene Arten, wie man auf der Bühne gehen kann. Und vielleicht ist es überhaupt das Schwierigste, auf einer Bühne zu stehen.
Ich habe neulich eine junge Schauspielerin gesehen, Fritzi, die bezaubernde Fritzi (gemeint ist Fritzi Haberlandt, Anm. d. Red). Ich war ihr Lehrer an der Ernst-Busch-Schule, im ersten Jahr. Und ich habe den Schülern gesagt: ich werde heute mit euch den ganzen Tag lernen, und die erste Übung ist: zu lernen, wie man auf einer Bühne steht. Weil ihr das alle machen müsst. Und das haben wir dann gemacht.
Es ist seltsam, aber darüber wird an der Schule nie nachgedacht. Ich habe vor ein paar Jahren mal eine Masterclass an der Juilliard-School gegeben und ich habe die Schüler der Musiktheater-Klasse gefragt: Könnt ihr auf der Bühne stehen? „Klar“ haben die gesagt (Wilson steht auf und stellt sich betont unbeholfen, ja langweilig hin). – Du lernst Stehen durch Stehen – das muss man lernen.
Ich habe die „Winterreise“ in Paris mit Jessye Norman gemacht, kurze Zeit nach dem 11. September. Sie wissen, Jessye ist riesig, eine afrikanische Königin. Und während des dritten Liedes hat sie angefangen zu weinen. Und der Pianist hörte auf zu spielen und nach ein paar Minuten sagte sie: „Lasst uns alle beten“. Und dann stand sie zehn Minuten still da. Und alle die im Saal waren, jeder hat angefangen zu weinen. Diese Nubische Königin, wie sie da stand – Wow! Sie kann auf einer Bühne stehen. Aber nicht viele können das. Nicht viele, Sänger können auf einer Bühne stehen. Du guckst sie an in den Konzerten und Recitals… Ich habe Jessye in den frühen 70ern gesehen, in einem Konzert, wo fünf Sänger waren. Vier von ihnen sahen so aus, als würden sie auf einen Bus warten. Und die andere stand da, still, genauso schön, wie in den Momenten, als sie gesungen hat. Sie konnte stehen – und das war Jessye.

Wenn wir zurück kommen zu dem Film: Wenn Sie so einen Film machen würden…
Wilson: Ich hätte keinen gemacht. Ich kenne mich gut genug. Und ich will nicht über meine Arbeit reden, ich erkläre nie etwas. Das macht die Schauspieler verrückt. Ich erkläre nie etwas – und sie wollen wissen, warum… ich habe aber keine Ahnung. Insofern hätte ich so einen Film nicht machen können.
Aber was ich interessant finde an dem, was Katarina gemacht hat: sie gibt uns nicht wirklich Antworten. Sondern sie gibt uns Ideen und Informationen – aber sie zieht keine Schlüsse, sie sagt uns nicht, was was bedeutet.

Wie war es, unter ihrer Regie zu arbeiten?
Wilson: Oh, großartig. Es war wunderbar, gesagt zu bekommen, was ich zu machen habe – weil so musste ich mich um nichts kümmern.

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