Robert Stieglitz

Das Adrenalin unterdrückt den Schmerz.

Boxprofi Robert Stieglitz über Training und Tunnelblick, Frauen im Ring und das Boxen mit dem Kopf

Robert Stieglitz

© Sat.1

Herr Stieglitz, Anfrang April 2011 haben Sie Ihren Titel erfolgreich verteidigt, nachdem Ihr Gegner Khoren Gevor wegen Fehlverhaltens im Ring disqualifiziert wurde. Wie lautet Ihr persönliches Urteil nach dem Kampf?
Stieglitz: Khoren Gevor ist nach dem Kampf anscheinend die Sicherung durchgebrannt. Sein Verhalten hatte nichts mit Sport zu tun. Dafür gibt es keine Entschuldigung.

Nicht wenige Boxer sind als Schläger verschrien – im Ring wie außerhalb. Sie hingegen wirken überall sehr überlegt und zurückhaltend. Sind Sie als diplomierter Sportlehrer so etwas wie ein akademischer Boxer?
Stieglitz: Ich gehöre nicht zu denen, die Stress machen, weder im Ring, noch in meiner Freizeit. Boxen ist für mich ein fairer Sport: zwei Leute treffen aufeinander, kämpfen nach bestimmten Regeln, und der stärkere von beiden gewinnt.

Trotzdem ist Boxen nur was für richtige Männer, oder?
Stieglitz: Das stimmt. Aber ein richtiger Mann sollte auch wissen, wie und wo er seine Kräfte am besten einsetzt. Und das tut er besser im Ring als auf der Straße. 

Fühlen Sie sich als Boxer auch besonders männlich?
Stieglitz: Klar fühle ich mich wie ein echter Mann. Boxer sind ja keine Weicheier, die nicht wissen, wie man ‚ja’ oder ‚nein’ sagt.

Was halten sie als echter Mann vom Frauenboxen?
Stieglitz: Ich persönlich halte nicht viel davon, weil Boxen in meinen Augen einfach keine typische Frauensportart ist. Aber wenn eine Frau Lust aufs Boxen hat, sollte sie natürlich auch boxen. Bei uns trainieren ja zum Beispiel auch Ramona Kühne und Natascha Ragosina. Das sind attraktive Frauen mit viel Kraft, die sich mit anderen Frauen messen wollen. Das beeindruckt mich schon, genauso wie ich einst Regina Halmich gerne boxen gesehen habe.

Typisch Mann ist das Aufplustern von Boxern vor, während und nach einem Kampf. Dazu zählt vor allem die gegenseitige Provokation. Sie machen dabei grundsätzlich nicht mit. Müssen Sie sich manchmal zur Zurückhaltung zwingen, wenn sie mal wieder von Ihrem Gegner provoziert werden?
Stieglitz: Ich hatte schon mehrere Kämpfe, in denen unfair gegen mich geboxt wurde, zum Beispiel mit Tiefschlägen. Bei so was muss ich mich dann wirklich zurückhalten. Ich könnte genauso zurückschlagen, das wäre mein gutes Recht. Aber ich bleibe lieber fair.

Zu Ihren Vorbildern zählen die Gentleman-Boxer Vitali und Wladimir Klitschko, die ihre angeberischen Gegnern regelmäßig mit dem immergleichen Spruch ermahnen: ‚Talk is cheap!’ Ist das auch Ihr Motto?
Stieglitz: Das sind goldene Worte, sehr korrekt. Ich schätze die Einstellung der Klitschkos, ihr gutes Benehmen, ihre ganze Art. Auch im Ring sind sie sehr fair, von ihnen wird man niemals Schubsen, Tief- oder Hinterkopfschläge sehen.

Die Klitschkos betonen auch, dass Boxkämpfe im Kopf gewonnen werden und man seine Gegner mental unter Druck setzen müsse. Wie schafft man das mit fairen Mitteln?
Stieglitz: Wenn man nicht daran glaubt, seinen Gegner zu schlagen, wird man das auch nicht schaffen. Nur mit einer positiven Einstellung kann man einen Kampf gewinnen. Dazu gehört auch, dass man vor seinem Gegner niemals Schwächen zeigen darf. Wenn man zum Beispiel schon mit dem Training vor der Presse ein Problem hat, muss man dieses Problem eben wegdrücken. Das darf der Gegner auf keinen Fall mitbekommen, er würde es sofort ausnutzen.

Kämpfen Sie generell mehr mit dem Kopf oder mit den Fäusten?
Stieglitz: Ich versuche natürlich, vor allem mit dem Kopf zu boxen. Allerdings ist es so, dass sobald der Kampf begonnen hat, man in so eine Art Kämpferzustand gerät. Der Kopf wird dann ganz automatisch ausgeschaltet. Ich mache dann einfach das, was ich schon tausendmal gemacht habe, ganz maschinell. Mittlerweile habe ich aber gelernt, mich auch in diesen Phasen unter Kontrolle zu haben.

Kann man während eines Kampfes überhaupt noch irgendwelche Taktikanweisungen im Kopf zusammenkriegen?
Stieglitz: Das ist mehr oder weniger Trainingssache. Ich bin jetzt seit 10 Jahren Profi-Boxer und kriege es ganz gut hin, mich in den Ringpausen ausschließlich auf das zu konzentrieren, was mir mein Trainer sagt.

Tun Ihnen Schläge im Ring weh – oder merkt man den Schmerz durch das viele Adrenalin kaum?
Stieglitz: Die Schläge tun nicht wirklich weh. Klar merke ich, wenn ich etwas einstecken musste, aber durch das Adrenalin werden die Schmerzen unterdrückt. Die kommen dann später, wenn ich im Bett liege. Im Kämpferzustand merke ich die Schläge erst dann richtig, wenn die Lichter langsam ausgehen.

Zitiert

Ich versuche natürlich, vor allem mit dem Kopf zu boxen.

Robert Stieglitz

Es klingt fast romantisch, wenn Boxer nach einem Kampf sagen: Der mit dem größeren Boxerherz hat gewonnen. Können Sie mal erklären, was ein Boxerherz ist?
Stieglitz: Das ist eine Frage des Charakters. Ein Boxerherz hat der, der nie aufgibt, immer weiterkämpft und alles versucht, um seinen Gegner zu besiegen. Auch wenn er merkt, dass der andere stärker ist.

Ist ein Boxerherz etwas Angeborenes, oder kann man sich das auch antrainieren?
Stieglitz: Ich glaube nicht, dass man sich so etwas antrainieren kann. Ein Boxerherz ist eher ein Charakterzug, den man mitbringt oder nicht.

Boxer schneiden in den Vorbereitungswochen auf einen Kampf oft den Rest ihres Lebens ab. Wann beginnt der berühmte Tunnelblick des Boxers?
Stieglitz: Etwa zwei bis drei Wochen vor dem Kampf. Ab da konzentriert man sich auf jede Kleinigkeit, die damit zu tun hat. Wenn ich allerdings nur noch an den Kampf denke, wird mir irgendwann schwindelig. Ein Kartenspiel und Teetrinken mit Freunden sind da nette Abwechslungen und auch wichtig. Oder ich höre einfach mal ein bisschen Musik.

Welche Musik hören Sie dann?
Stieglitz: Eigentlich alles, was gerade im Radio läuft. Aber nichts Hartes, eher Popmusik.

Das wochenlange Training, der Erfolgsdruck, dann der anstrengende Kampf – wie viel Qual ist Ihr Beruf?
Stieglitz: Als Qual würde ich das Boxen gar nicht bezeichnen. Ich sehe es eher als normale Arbeit. Andere stehen auch um sieben Uhr auf und machen bis zum Abend ihren Job. Ich trainiere eben zweimal am Tag, und sicherlich quäle ich mich dabei auch teilweise. Aber daran habe ich mich gewöhnt und stecke es locker weg.

Und wann haben Sie als Boxer richtig Spaß?
Stieglitz: Wenn ich Erfolg habe und mich verbessere. Wenn ich zum Beispiel merke, dass ich schneller und kräftiger werde, bekomme ich schon gute Laune.

Was ist der größte Anreiz vor einem Kampf?
Stieglitz: Am meisten reizt mich das Gefühl, ein würdiger Weltmeister zu sein. Das Gefühl, dass ich es Wert bin, diesen Titel zu tragen.

Also das Gefühl, der Beste zu sein?
Stieglitz: Ja, das macht mich stolz.

Kennen Sie Angst vor einem Kampf?
Stieglitz: Weniger. Ein Boxer sollte schon auch Angst haben – aber er sollte auch wissen, wie er sie kontrollieren kann. Und das weiß ich.

Wie kontrollieren Sie Ihre Angst denn?
Stieglitz: In dem ich mir vor einem Kampf sage: Du hast viel trainiert und alles getan, es kann eigentlich nichts schief gehen!

Führen Sie vor Kämpfen häufiger innere Monologe?
Stieglitz: Nein, das nun nicht. Ich weiß ja, dass ich mental stark genug bin.

Und wie war es nach Ihren bisher zwei Niederlagen? Gab es Selbstzweifel und den Gedanken, dass man vielleicht doch nicht stark genug ist?
Stieglitz: Die gab es schon. Aber ich wusste nach diesen zwei Kämpfen genau, warum ich sie verloren habe. So lange ich Erklärungen für Misserfolge habe, weiß ich, dass ich noch nicht am Ende angekommen bin. Und dann kann ich auch weiter boxen.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.