Florian Henckel von Donnersmarck

Viele Stasi-Leute sind noch immer davon überzeugt, das Richtige getan zu haben.

Der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck über seinen Film "Das Leben der Anderen", Begegnungen mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern und die Wahrheit einer fiktiven Geschichte

Florian Henckel von Donnersmarck

© Buena Vista International

Herr von Donnersmarck, im Gegensatz zu Filmen wie „Sonnenallee“ oder „Good bye Lenin“ setzt sich „Das Leben der Anderen“ sehr ernsthaft mit einem Stück DDR-Geschichte auseinander. Haben Sie Sorge, der Film könnte deshalb vor allem als Geschichtsaufarbeitung verstanden werden?
von Donnersmarck: Mir war es wichtig, einen Film zu machen, der beim Zuschauer Emotionen wachruft. Wenn ich im Kino sitze, möchte ich auch berührt und nicht belehrt werden. Wer den Film sieht, wird aber sehr schnell merken, dass ich keine Geschichtsstunde abhalten will. Letztlich ist es ein Setting, das sicherlich authentisch und einfühlsam geschildert sein muss. Hauptsächlich geht es aber um Spannung, um Angst, Liebe und die großen Gefühle und um Unterhaltung. Einen pädagogischen Anspruch hatte ich wirklich nicht.

Der Film zeichnet ein sehr genaues Bild der DDR. Was war ausschlaggebend dafür, sich dem Thema fiktiv und nicht dokumentarisch zu nähern?
von Donnersmarck: Eine fiktive Geschichte in einem wahren Kontext kann oft wahrer sein als eine dokumentarisch rekonstruierte Geschichte. Ich glaube, dass viele Menschen in der DDR innerlich einen ähnlichen Weg gegangen sind wie die Figur Wiesler, auch wenn sein Weg sicherlich extremer war. Kino hat immer mit Extremen zu tun. Viele hatten sich innerlich von dem System längst verabschiedet, sonst hätte es 1989 gar nicht zu einer friedlichen Revolution kommen können. Wenn man sich diesen Apparat in seinen gigantischen Ausmaßen vorstellt, hätte aus den Unruhen 1989 leicht ein neues Peking, ein neues Prag, ein neuer 17. Juni werden können. Die Mittel dazu waren da.

Sie haben jahrelang intensiv recherchiert und mit vielen Zeitzeugen gesprochen. Wie ist es, einem ehemaligen Oberleutnant der Staatssicherheit gegenüberzusitzen?
von Donnersmarck: Diese Erlebnisse waren eine Achterbahnfahrt. An einem Tag traf ich jemanden, der mir sehr erschütternd dargestellt hat, wie die Stasi seinen Geist gebrochen hat und am nächsten Tag jemanden, der genau das diesen Menschen angetan hat. Viele der Stasi-Leute, die ich getroffen habe, sind noch immer davon überzeugt, das Richtige getan zu haben. Die argumentieren mit Sprüchen wie „Glauben Sie denn, dass die andere Seite mit weicheren Bandagen gekämpft hat?“ oder „Es war kalter Krieg und im Krieg herrschen andere Regeln“. Eine sehr dubiose Argumentation. Trotzdem: Wenn ich einem Oberstleutnant gegenübersaß, war es mir wichtig, ihm nicht mit spürbaren Vorurteilen zu begegnen. Das gilt übrigens auch für die Schilderung der Figuren. Sobald ein Autor oder Regisseur seinen Figuren mit Vorurteilen gegenübertritt, wird ein Film zur Propaganda. Und Propaganda wollte ich nicht.

Wie muss man sich ein solches Treffen genau vorstellen?
von Donnersmarck: Da fällt mir der Ausdruck von der „Banalität des Bösen“ ein. Zum Beispiel dieser Oberstleutnant, heute Leiter des Insiderkomitees zur kritischen Aufarbeitung, was ein Zusammenschluss von 120-Prozentigen ist. Dieser Mann wohnt noch immer in der Wohnung, in der er vor der Wende gelebt hat, ganz in der Nähe von Hohenschönhausen. Seine Frau, die auch beim Ministerium für Staatssicherheit war, hat mir höflich Tee zubereitet und an der Wand hängen die Bilder von den Enkelkindern. Das ist alles so normal. Und doch sitzt dir da ein Mann gegenüber, der vor 20 Jahren Dinge getan hat, die dich gruseln.

Wenn man derart intensiv recherchiert und eine Fülle von Material zusammenträgt, fällt es nicht schwer, sich zu beschränken, einen Schlusspunkt zu setzen?
von Donnersmarck: Man kann die Situation vielleicht mit einem Geschworenen bei einem Gerichtsprozess vergleichen. Man hört sich alle Seiten an – Anklage und Verteidigung. Irgendwann gab es dann den Punkt, an dem ich so viele Meinungen gehört hatte, dass ich mir ein Bild machen und für mich entscheiden konnte, wie ich das Thema im Film darstellen will. Ich habe den Stoff so lange aufgearbeitet, bis ich spielerisch damit umgehen konnte. Beim Dokumentarfilm geht das leichter und schneller. Du hältst die Kamera auf jemanden, der dir etwas erzählt, und schon ist es wahr. Beim Spielfilm verarbeitest du das zu etwas Fiktionalem, was aber trotzdem den Geist der Wahrheit enthalten muss.

Ulrich Mühe, der den Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler spielt, kennt den Überwachungsstaat aus eigener Erfahrung. Er wurde selbst bespitzelt. Auch viele andere Mitglieder des Film-Teams stammen aus der DDR. Inwiefern sind ihre persönlichen Erlebnisse in die Arbeit eingeflossen?
von Donnersmarck: Als Regisseur macht man einen Film ja nicht allein. Es gibt sehr viele kompetente Leute, die einen beraten und versuchen, gemeinsam eine Wirklichkeit nachzustellen. Die Schauspieler sind dabei natürlich ganz wichtig. Viele von ihnen wie Ulrich Mühe, Volkmar Kleinert oder Thomas Thieme haben ihre persönlichen Erfahrungen aus der DDR eingebracht. Auch die Regieassistentin, die selbst von der Stasi verhört wurde, oder der Außenrequisiteur, der zwei Jahre lang in Stasi-Haft war und den Ehrgeiz hatte, nur authentische Gegenstände zu beschaffen. Die Abhörgeräte, an denen Ulrich Mühe sitzt, sind von der Stasi und auch die Briefaufdampfmaschine, die am Ende des Films zu sehen ist.

Hat dieses hohe Maß an Authentizität bei den Beteiligten nicht große Emotionen ausgelöst?
von Donnersmarck: Ich hatte das Glück, dass zum Beispiel Ulrich Mühe jemand ist, der das Thema für sich sehr stark aufgearbeitet hat und nicht wie viele andere Menschen in den letzten 15 Jahren verdrängt hat. Er war einer der ersten, der sich seine Akten aushändigen lassen hat. Viele andere dagegen sagen: Vergangenheit ist Vergangenheit und davon will ich nichts mehr wissen. Einerseits kann ich das verstehen, andererseits glaube ich, dass man sich damit um eine Chance bringt. Im Buch zum Film gibt es ein langes Interview mit Ulrich Mühe über seine persönlichen Bezüge zu dem Thema. Es war erschreckend zu sehen, was er später erfahren musste und wie ihm von der Stasi zugesetzt wurde. Er betont zwar immer, er sei kein Opfer, aber ich sehe das etwas anders.

War Ulrich Mühe Ihre Wunschbesetzung für die Rolle des Gerd Wiesler?
von Donnersmarck: Ich versuche immer zu schreiben, ohne dabei einen bestimmtem Schauspieler im Kopf zu haben. Ich visualisiere alles bis auf die Gesichter. Erst wenn das Drehbuch steht, überlege ich mir, wer der Richtige sein könnte. Auf Ulrich Mühe kam ich dann sehr schnell.

Der Film zeigt die Mechanismen der Macht und wie Menschen dadurch gebrochen werden. Hätte jemand wie die Schauspielerin Christa-Maria Sieland überhaupt eine Chance gehabt, sich frei zu entscheiden?
von Donnersmarck: Ich glaube, dass Christa-Maria zu sensibel war für den Druck, den das System ausübte. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir in die Handlung einsteigen, ist sie schon gebrochen und hält sich nur unter großer Anstrengung und mit Tabletten aufrecht. Der Verrat ist unausweichlich. In dem Moment, in dem sie körperlich stirbt, ist sie seelisch schon längst tot. Wenn man nach einer Aussage im Film suchen will, ist es vielleicht die, dass man jeden Tag die Möglichkeit hat, sich für eine Seite zu entscheiden. Und wenn die Figur des Ministers Hempf sagt „Menschen verändern sich nicht“, vertritt der Film die gegenteilige These: „Menschen verändern sich doch – wenn sie wollen“.

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