Yann Tiersen

Musik und Film sind für mich zwei völlig getrennte Dinge.

Komponist und Bandleader Yann Tiersen über heitere und traurige Musik, französische Zigaretten und darüber, dass seit "Amelie" niemand mehr seine Filmmusik haben will

Yann Tiersen

© Gregoire Alexandre

Herr Tiersen, viele Berichte und Kritiken der letzten Monate rücken Sie in unmittelbare Nähe zur Strömung der Minimal Music. Sehen Sie das eigentlich genauso?
Tiersen: Nein, nicht wirklich. Das ist für mich oft zu viel Effekt. Mir gefällt die Musik von Steve Reich sehr, nur ist meine Musik auch von seiner weit entfernt.
Vielleicht ist aber auch etwas dran. Ich mag es ja nicht so sehr, einen musikalischen Gedanken unendlich weiter zu entwickeln – ich wiederhole ihn lieber. So ergibt sich auch die sehr simple Struktur meiner Kompositionen, die nicht anders als einfache Lieder aufgebaut sind.

Wie komponieren Sie?
Tiersen: Auf sehr einfache Weise, wie eine Band, nur dass ich allein bin. Zu Beginn habe ich eine Idee, die schreibe ich auf, spiele sie, nehme das auf, dann kommt eine weitere Stimme dazu … Ich schreibe nicht erst alles auf, was dann später gespielt wird.

Die Musik für "Amelie" haben Sie ja innerhalb von nur zwei Wochen komponiert.
Tiersen: Das stimmt. Man muss aber dazu sagen, dass ein Großteil der Stücke bereits komponiert war, bevor die Leute vom Film auf mich zukamen.
Ich muss auch sagen, dass ich nicht so recht daran glaube, dass Musik wie Sprache funktioniert. Man kann instrumentale Musik nicht mit einem Sinn, mit einer konkreten Bedeutung besetzen. Das ist auch der Grund dafür, dass ich manche Stücke komponiert habe, ohne zu wissen, ob die jetzt für "Amelie" sind, oder für eins meiner Alben.

Mögen Sie es, für Film zu komponieren?
Tiersen: Ich liebe Kino und gehe sehr oft ins Kino. Deshalb arbeite ich auch sehr gerne mit Filmleuten zusammen. Ich liebe es, Leute zu treffen, die einen bestimmten Standpunkt gemein haben.
Aber trotzdem, Musik und Film sind für mich zwei völlig getrennte Dinge. Und ich komponiere nicht, um die Verfilmung von etwas zu unterstützen.

Ihre Musik war bisher nur in französischen Produktionen zu hören …
Tiersen: Ja, aber wissen Sie, seit "Amelie" hat sich kein französischer Regisseur mehr mit einem Angebot bei mir gemeldet. Ich weiß nicht warum.

Auch niemand aus Hollywood?
Tiersen: Nein, wirklich niemand. Ich weiß nicht warum. Es könnte daran liegen, dass ich in verschiedenen Interviews klargestellt habe, dass ich gar nicht weiß, wie man eigentlich eine Filmmusik komponiert.
Aber, ich war jetzt sowieso die ganze Zeit auf Tour und viel beschäftigt. Im Moment sieht es nur so aus, dass ich Musik machen werde für einen deutschen Film von Wolfgang Becker.

Hören Sie sich Filmmusik anderer Komponisten an?
Tiersen: Nein, ganz wenig. Ich mag aber viel von der Musik aus alten Filmen, Komponisten wie Lalo Shifrin beispielsweise. Allerdings, mein Lieblingsfilm ist "Szenen einer Ehe", von Ingmar Bergman. Da gibt es gar keine Musik, obwohl der Film fast dreieinhalb Stunden dauert.

Noch einmal zum französischen Film. Was ist heute das Besondere am französischen Film?
Tiersen: Ich weiß nicht, das Kino in Frankreich hat natürlich Tradition. Ich selbst aber finde, dass es im Moment kaum gute französische Filme gibt. Es werden sehr oft viel zu ähnliche Geschichten erzählt, über Liebe, Beziehungen und so weiter. "Trouble Every Day" von Claire Denis – der ist sehr gut.

Was wollen Sie den Leuten mit Ihrer Musik erzählen?
Tiersen: Ich versuche aufrichtig zu sein, ehrlich. Das ist alles. Und manchmal merke ich dabei, dass es einfacher ist, traurige oder melancholische Musik zu komponieren.

Entscheiden Sie sich, bevor Sie etwas schreiben, ob es nun traurig oder heiter werden soll?
Tiersen: Nein, niemals. Das kommt einfach, es kann sein, man ist fröhlich und schreibt aber einen melancholischen Song und man kann sehr traurig sein und dabei aber einen sehr heiteren Song schreiben.

Zitiert

Seit "Amelie" hat sich kein französischer Regisseur mehr mit einem Angebot bei mir gemeldet.

Yann Tiersen

Ich denke da jetzt aber zum Beispiel an Chopin, der ein sehr hartes Leben hatte und dessen Musik auch sehr melancholisch war.
Tiersen: Aber er hat genauso auch Walzer und Polkas komponiert. Wenn man traurig ist, will man dann nicht auch mal fröhliche Musik hören?

Wenn Sie mich fragen – nein.
Tiersen: Hm, vielleicht haben Sie Recht.

Welche Komponisten mögen Sie?
Tiersen: Oh, ich höre sehr viel unterschiedliche Musik, im Moment den französischen Sänger Alain Bashung, und auch Sonic Youth.

Ein Journalist beschrieb Ihre Musik einmal als Mischung aus Sonic Youth und Erik Satie.
Tiersen: Keine Ahnung. Satie hat ja auch viel mit Wiederholungen gearbeitet. Er war seiner Zeit auch ein ganzes Stück voraus. Er hat zum Beispiel dieses Klavierstück geschrieben, dass fast einen ganzen Tag dauert.
Satie war auch ein völlig verrückter Mensch, er hat eigentlich nur in einem Zimmer gewohnt, völlig isoliert von der Außenwelt, und dort geschrieben.

Was ist mit Ihnen, gehen Sie in Clubs?
Tiersen: Nicht sehr oft. Ich bin jetzt schon etwa anderthalb Jahre mit meiner Band auf Tour – wenn ich mal wieder zu Hause in Paris bin, dann will ich gar nicht mehr aus dem Haus raus.

Und was machen Sie zu Hause?
Tiersen: Schlafen. Sehr viel schlafen.

Sie rauchen sehr viel, auch auf der Bühne. Französische Zigaretten?
Tiersen: Nein, Französische Zigaretten sind sehr stark. Und wenn du eine davon geraucht hast, stinkst du bereits enorm (lacht). Ich habe meistens amerikanische dabei.

Brauchen Sie die Zigaretten zum Entspannen? Weil Sie sich beim Musik machen konzentrieren müssen?
Tiersen: Wenn ich zu Hause arbeite, komponiere, dann sitze ich da und überlege. 10 Minuten vergehen – nichts. 15 Minuten – immer noch kein Einfall. Nach 20 unproduktiven Minuten rauche ich erst mal eine Zigarette. Dann sitze ich wieder da …

… und auf einmal ist der Einfall da?
Tiersen: Nein, also nicht immer. Manchmal dauert es schon mehrere Packungen. Und, ich finde in letzter Zeit viele meiner Aschenbecher einfach nicht wieder. Ich habe davon sehr viele, aber irgendwie werden es immer weniger.

Sie spielen selbst viele verschiedene Instrumente. Welches ist Ihr liebstes?
Tiersen: Der Bass, würde ich sagen. Aber ich entdecke immer auch gerne neue Instrumente, die ich noch nicht kenne. Vor kurzem waren wir in Lissabon, dort habe ich mir eine portugiesische Gitarre gekauft. Die hat eine ganz sonderbare Stimmung, so was gefällt mir.

Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Tiersen: Schwierig … Ich bin HP Bergman. Das ist eine Figur aus den Comics von Milo Manara, der ja sehr berühmt ist für seine erotischen Comics. Aber – nichts für Kinder.

Nicht jeder kennt den Namen Yann Tiersen, doch fast jeder kennt seine wunderschöne Musik aus dem Film "Die fabelhafte Welt der Amélie". Komponiert hatte sie der 1970 in Brest geborene französische Komponist allerdings schon bevor der Film entstand. mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.