Jan Sverak

Es ist nicht profitabel, ein Held zu sein.

Regisseur Jan Sverak über Kommunikation mit Hollywood, seinen Film "Dark Blue World", Hauptdarsteller Ondrej Vetchy und dessen Hund

Herr Sverak, vor fünf Jahren hat man Ihnen für Ihren Film "Kolya" den Oscar als besten ausländischen Film verliehen. Kam danach eine große Welle von Angeboten aus Hollywood?
Sverak: Ja, etwa 70 Drehbücher haben wir bis heute bekommen. Mein Produzent Eric Abraham und ich, wir lesen, lesen, lesen. Aber irgendwie sind bisher alle amerikanischen Geschosse am Ziel vorbeigeflogen, eine richtige Kommunikationsbasis haben wir noch nicht gefunden. Die Amerikaner bieten uns ihre Geschichten an, die wir aber ganz anders erzählen wollen als sie.

Wo liegen nun die Ursprünge zu Ihrem neusten Film "Dark Blue World", ein Film über tschechische Piloten, die während des Zweiten Weltkriegs im Dienst der britischen Royal Airforce standen?
Sverak: Im Wesentlichen begann alles mit dem Erfolg von "Kolya", denn als der Film in den USA so erfolgreich wurde, da haben wir von dort Signale bekommen, was immer wir ihnen für ein Drehbuch präsentieren, die Amerikaner würden es finanzieren – wir hätten auch die Gelben Seiten nehmen können. Da haben wir uns mit meinem Vater, der auch für "Kolya" das Drehbuch geschrieben hat, zusammengesetzt und uns überlegt, was wir schon immer mal machen wollten, uns aber bisher zu kostspielig war. Da kamen wir auf die Piloten. Unsere Kindheitsträume, unsere Helden, unsere Supermänner.

Aber letzten Endes haben Sie mit nur sieben Millionen Dollar Budget gearbeitet.
Sverak: Ja, und in der Hinsicht ist unser Film wohl auch das ambitionierteste Projekt der tschechischen Filmgeschichte. Mann muss schon ein bisschen verrückt sein, einen Film mit so vielen Flieger-Szenen mit nur 7 Millionen Dollar zu drehen. Einige der Verleihe, denen wir das Skript zugeschickt haben, fanden die Geschichte gut, aber meinten, unter 25 Millionen Dollar wäre das nicht zu realisieren, nicht einmal in der Tschechischen Republik. Für uns war das aber eine Herausforderung – und wir lieben Herausforderungen. Aber wir wussten, dass es schwierig werden würde, die Arbeit am Film hat dann insgesamt über vier Jahre gedauert. Während dieser langen Zeit wurde der Film für uns auch so etwas wie ein Glaube, dem sich jeder im Team voll und ganz verpflichtete – in Hollywood versteht man so etwas wahrscheinlich nicht.

"Dark Blue World" ist ein Film über Helden. War es Ihnen wichtig, die Helden von Grund auf anders darzustellen, als es Hollywood für gewöhnlich tut?
Sverak: Ich denke, wir Europäer sind empfindlicher und sensibler bei allen Dingen, die auf Propaganda hinauslaufen könnten und wenn eine Sache zu sehr draufgängerisch wirkt, gefällt sie uns nicht. Als mein Vater die Idee zu "Dark Blue World" entwickelte und die erste Version aufschrieb, war er so in die Charaktere verliebt, dass er alles schwarz-weiß malen wollte, gut und böse. Da habe ich ihn gebeten, die Charaktere mehr menschlich zu gestalten, eben mit ihren Macken, nicht fehlerfrei. Deshalb ist der Pilot Frantisek auch nicht so ein Schönling mit makellosem Charakter.

Sie meinen, er ist kein amerikanischer Held.
Sverak: Ja, aber er hat all die Eigenschaften, die ein Held in der Realität hat. Ich kann Ihnen ja mal ein bisschen über Ondrej Vetchy erzählen, der Frantisek spielt. Er hat den Schwarzen Gürtel in Karate und etwa 20 Jahre Kampfsport betrieben – seine Muskeln sind echt. Na ja, wir haben ihn während der gesamten Drehzeit gebeten, doch bitte nirgends eine Schlägerei anzuzetteln oder ähnliches. Er hat sich sowieso schon sieben mal die Nase gebrochen hat und von seinen Fingern war bereits jeder mal gebrochen. Etwa ein Jahr vor Beginn der Dreharbeiten zum Beispiel, hat Ondrej noch fünf Leute ins Gefängnis befördert. Das geht dann ungefähr so: wir sitzen im Restaurant und draußen klaut jemand ein Fahrrad. Dann schreit Ondrej, "lass mein Fahrrad in Ruhe", läuft hinterher, der Dieb zieht ein Messer, er bricht ihm den Arm und dann wartet er, bis die Polizei kommt. Dann muss er im Prozess als Zeuge aussagen, er bekommt auch Morddrohungen – das kostet natürlich alles Zeit, aber er kann nicht anders. Wenn jemand eine leere Zigarettenschachtel auf die Strasse schmeißt, dann geht er hin und sagt: "Diesmal hebe ich sie dir noch auf, aber das nächste Mal machst du das gefälligst selbst". Ondrej hat Moral, er weiß, was richtig und was falsch ist. Und er ist ein exzellenter Schauspieler, ich denke, die Kamera hat seine Ausstrahlung gut eingefangen und man sieht auf der Leinwand, dass das echt ist und keine Lüge.

Auch wenn sich in "Dark Blue World" alles um die Piloten dreht, bleibt einem auf jeden Fall ein Wesen im Gedächtnis: der Hund von Frantisek.
Sverak: Ja, ein sehr verrückter Hund, er ist übrigens auch in Wirklichkeit der Hund von Ondrej Vetchy. Und Ondrej behandelt seinen Hund wie einen Menschen, er erzählt ihm alles, was er macht, wo er hingeht, wer seine Freunde sind und so weiter. Und egal wie viele Leute am Set oder bei den Castings dabei waren, der Hund hat mich erkannt und mich sozusagen gegrüßt. Als der Hund dann allerdings merkte, dass ich derjenige war, der die ein oder andere Szene immer wieder wiederholen ließ, da hat er aufgehört mich zu grüßen. Ondrejs Hund ist ein ganz eigenartiges Tier, das haben wir schnell gemerkt. Und wir wussten, dass es ein Verbrechen gewesen wäre, den Hund nicht mit in den Film zu nehmen. Nur mussten wir einige Szenen noch mal drehen, weil uns der Hund ins Bild gelaufen ist. Das geschah eigentlich immer dann, wenn irgendjemand seinem Herrchen vor laufender Kamera zu nahe kam.

Wie kam es zum Titel "Dark Blue World"?
Sverak: "Dark Blue World" ist ein Song des tschechischen Jazz-Komponisten Jaroslav Jezek, der von Geburt an fast blind war, er hat zu Zeiten von George Gershwin gelebt. Es ist ein sehr trauriger Song, der in etwa beschreibt, was Jezek gesehen hat. Da, wo wir ein Fenster sehen hat er nur einen weißblauen Schein gesehen, der Rest war für ihn dunkelblau. Für mich reflektiert dass sehr gut dieses Gefühl, nicht zu wissen was im nächsten Augenblick passiert, wenn man völlig verlassen ist, in der Dunkelheit. Und in gewisser Weise meint das auch die Dunkelheit des vergangenen Jahrhunderts.

Tatsächlich wird die Hauptfigur Frantisek gleich von mehreren Schicksalsschlägen heimgesucht, er wird auch nach seiner Heimkehr nicht als Held gefeiert, sondern landet am Ende in einem Arbeitslager. Trotzdem ist die Atmosphäre des Films und die Art, wie Sie den Menschen und ihren Gefühlen begegnen, so positiv. Wie erklären Sie diesen Gegensatz?
Sverak: Das kommt vielleicht daher, dass wir zur Vorbereitung des Films die wirklichen Veteranen von damals getroffen haben, etwa 80 von ihnen leben noch. Und wenn man sich mit denen unterhält, dann merkt man, dass sie gar nicht verbittert sind. Im Gegenteil, es macht ihnen sehr viel Spaß, von den Erlebnissen im Krieg und danach zu erzählen. Da war ich sehr überrascht, weil ich erwartet hatte, ich begegne alten Männern, die mir nur sagen, "alles war schrecklich und wir wünschen niemanden, was wir erlebt haben". Aber davon war keine Spur, was ich mir nur so erklären kann, dass diese Menschen nie Kompromisse eingegangen sind und immer das getan haben, was sie für richtig hielten. Den Preis dafür haben sie akzeptiert. Sie sind ihrem Gewissen gefolgt, ohne zu erwarten, später dafür belohnt zu werden. Sie haben sich in Gefahren begeben, ohne damit zu rechnen, bei ihrem Überleben als Helden gefeiert zu werden. Denn wenn das so eine profitable Angelegenheit wäre, hätte sich damals jeder in einen Flieger gesetzt. Aber es ist nicht profitabel, ein Held zu sein.

Haben die Veteranen von damals Ihren Film schon gesehen?
Sverak: Ja, haben sie, und ich glaube sie haben ihn sehr gemocht. Einer kam zum Beispiel aus dem Film und meinte ganz gerührt, er fühlte sich wie damals im Cockpit seiner "Spitfire".

"Kolya" ist der bisher in der Welt weitverbreitetste tschechische Film – fühlen Sie sich insofern auch verantwortlich für den tschechischen Film an sich?
Sverak: Nein, für mich ist die einzige Verantwortung als Filmemacher, dass ich bei diesem Medium, welches so viele Menschen anspricht, vorsichtig sein muss, was für Ideen ich in einen Film stecke, für mich spielt Moral eine sehr große Rolle. Ich glaube, Steven Spielberg zum Beispiel hat eine ähnliche Einstellung, auch wenn er in letzter Zeit viele schlechte Filme gemacht hat. Denn alle seine Filme, "E.T." zum Beispiel, sind voll von moralischen Botschaften, wie früher die alten Märchen – das finde ich sehr gut.

Angenommen das Leben ist ein Film, in welche Filmrolle würden Sie schlüpfen?
Sverak: Ich denke, für lange Zeit war ich Joe Gideon in "All That Jazz". Aber seit "Kolya" habe ich verstanden, dass mir Familie mehr bedeutet, als Show-Business. Ich habe mich also nicht geschieden, wie Joe Gideon es im Film tut – das hat mir wohl auch das Leben gerettet.

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