Horst Seehofer

Wir reagieren nicht auf Lobbydruck.

Bundesagrarminister Horst Seehofer über den Anbau von Genmais, notwendige Sicherheitsabstände, die Aktivitäten des Saatgutherstellers Monsanto und seine Kandidatur für den Parteivorsitz der CSU

Horst Seehofer

© Deutscher Bundestag / bildTeam, H. Barri

Herr Minister, würden Sie akzeptieren, dass ein Kratzer im Auto erst ab 0,9 mm Tiefe entschädigt wird?
Seehofer: Das ist, glaube ich, vernünftig geregelt.

Bei Autos?
Seehofer: Bei Autos.

Da ist jeder Schadensfall auch ein Haftungsfall, egal wie tief der Kratzer ist.
Seehofer: Ja.

Beim Gentechnikgesetz ist aber geplant, die Haftung bei 0,9% Verunreinigung zu beschränken.
Seehofer: Das ist nicht geplant, das ist geltende Rechtslage.

Das ist zu bedauern, aber Sie haben auch nicht die Absicht, diesem Umstand abzuhelfen, oder?
Seehofer: Bezüglich der Haftung bleibt es bei den bestehenden Regeln, die ich vorgefunden habe und die im Übrigen gut sind.

Was ist daran gut, dass ein Bauer erst eine Entschädigung bekommt, wenn er eine gentechnische Verunreinigung über 0,9% auf seinem Feld vorfindet?
Seehofer: Wenn Kunde und Lieferant eine Haftungsgrenze unterhalb des gesetzlichen Schwellenwertes vereinbaren, dann kann dies keinen Anspruch gegenüber Dritten begründen. Das würde dem kompletten deutschen Haftungsrecht widersprechen.

Das Problem wird doch nur dadurch geschaffen, dass der Staat überhaupt einen Schwellenwert definiert. Andernfalls müsste für jeden Schaden auch gehaftet werden. Wie beim Auto.
Seehofer: Für die Kennzeichnung haben wir einen europäischen Schwellenwert. Ich sehe keinen Sinn darin, die Haftung von der Kennzeichnung zu trennen. Eine Lösung wäre, den Schwellenwert runter setzen, das geht aber nur auf europäischer Ebene. Da gibt es derzeit keine Chance.

Wie beabsichtigen Sie die Kennzeichnung zu regeln?
Seehofer: Ich bin für eine umfassende Kennzeichnung! In Deutschland stehen auf den Äckern kaum Genpflanzen. Was allerdings gentechnische Stoffe oder mit gentechnischen Verfahren hergestellte Stoffe betrifft – Enzyme, Vitamine, Zusatzstoffe, Futtermittel – ist in Lebensmitteln weitaus mehr enthalten, als der Bevölkerung bekannt ist. Da will ich Transparenz. Im übrigen bin ich dafür, dass wir jetzt vernünftige Koexistenzregeln verabschieden…

…darf ich da gleich fragen: Warum nur 150 Meter Sicherheitsabstand für Genmais und nicht 200 Meter, wie das in vielen europäischen Ländern der Fall ist?
Seehofer: Weil wir eigene Versuche haben über drei Jahre. Bis 50 Meter gibt es einen nennenswerten Austrag, vereinzelten Austrag bis 100 Meter. Darauf habe ich noch einen Sicherheitszuschlag von 50% gesetzt. Macht 150 Meter. Das werden wir außerdem jährlich aufgrund aktueller Forschungsergebnisse überprüfen.

Sind andere Staaten dann übervorsichtig?
Seehofer: Ich habe bei Amtsantritt einen Sicherheitsabstand von 20 Meter vorgefunden. 150 Meter sind siebeneinhalb Mal mehr. Etwa die Hälfte der Länder in Europa hat überhaupt keine Abstandsregelung.

Es sind immerhin einige der großen Agrarländer dabei und teilweise mit weit größeren Abständen als 200 Meter.
Seehofer: Wenn die Notwendigkeit für größere Abstände erhärtet werden kann, kann man ja nachbessern. Wichtig ist mir der Bezug zur wissenschaftlichen Erkenntnis, nicht der zum Vorgehen anderer Staaten. 150 Meter gelten für Mais, für andere eventuell zugelassene Ackerfrüchte sollte es jeweils auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse gegebenenfalls andere Abstände mit Sicherheitsmargen geben. Wir nehmen insgesamt den Schutz von Mensch und Umwelt sehr ernst. So habe ich ja jetzt für den Genmais MON810 ein Monitoring vorgeschrieben, das gab es vorher auch nicht.

Zitiert

Ich nehme die politischen Herausforderungen ernst, aber überbewerten tu ich sie nicht.

Horst Seehofer

Andere Länder haben den Anbau gänzlich untersagt, warum nicht auch Deutschland?
Seehofer: Gänzlich untersagt haben nur die Ungarn und die Österreicher. Wenn ich das getan hätte, wäre es offenkundig rechtswidrig gewesen.

Die Gefahr, die von MON810 ausgeht, ist also nicht so groß, dass ein Verbot im Verhältnis stehen würde?
Seehofer: Ich habe vier Bundesämter, die MON810 beurteilt haben. Keines hat vom Anbau abgeraten. Nur das Bundesamt für Naturschutz, das zum Ressort von Umweltminister Gabriel gehört, hat letztes Jahr geurteilt, dass der Anbau von MON810 nur mit einem Monitoring zu verantworten sei. Das habe ich dann angeordnet. Was den Zeitpunkt betrifft, der auch kritisiert wurde: Nach geltendem Recht war kein früherer Zeitpunkt möglich, da MON810 bis April noch eine Zulassung hatte und die Verlängerung erst im April beantragt wurde. Dann habe ich sofort gehandelt.

Wie hat denn Monsanto auf Verordnung eines Monitorings für MON810 reagiert?
Seehofer: Es gab natürlich über verschiedene Kanäle Widerstand, aber ich habe da eine gewisse Erfahrung aus meiner Zeit als Gesundheitsminister. Außerdem hat Monsanto gesagt, dass sie sowieso ein Monitoring durchführen. Dann kann es nicht so schlimm sein, wenn das nun eine Bundesbehörde vorschreibt.

Monsanto hat laut der Landwirtschaftlichen Bundesbehörde der USA zwischen 1990 und 2001 öfter gegen Gesetze verstoßen als jedes andere Unternehmen. Wie stellen Sie sicher, dass sich Monsanto in Deutschland an die Gesetze hält?
Seehofer: Ich habe keine Taskforce, die in die Bundesländer ausschwärmen kann, um Monsanto zu überwachen. Aber: Erstens – wir reagieren nicht auf Lobbydruck. Zweitens – möchte ich auf keinen Fall eine Monopolstellung. Drittens: Es ist dann die Aufgabe der Landesbehörden, auf die Einhaltung von Recht und Gesetz zu achten.

Ist es denn möglich, dass Monsanto in Deutschland Bauern verklagt, die patentrechtlich geschützte Pflanzen auf ihrem Acker finden, ohne sie angebaut zu haben?
Seehofer: Um sich einen Markt zu erobern?

Auch. Aber es ist auch für sich genommen eine sprudelnde Geldquelle. Eine Farm baut Genraps an, Monsanto untersucht die Felder der Nachbarfarmen, findet ausgewanderten Genraps und verklagt die ahnungslosen Farmer wegen Patentrechtsverletzung mit hohen Schadensersatzforderungen. In USA zahlen die Bauern im Durchschnitt 400.000 $ pro Urteil.
Seehofer: Dieses Szenario halte ich bezogen auf Deutschland für völlig realitätsfern.

Werden denn durch BT-Mais überhaupt auf Dauer Pestizide gespart?
Seehofer: Die Nützlichkeit des großflächigen Anbaus von Genmais ist mir bis zu diesem Zeitpunkt noch von niemand belegt worden.

Wie sinnvoll finden Sie es, dass Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen immer wieder in der Nähe von Genbanken stattfinden, wo alte Sorten vermehrt werden?
Seehofer: Ich würde mir wünschen, dass die Forschungsleute behutsamer mit solchen Dingen umgehen, auch wenn es im Gesetz nicht vorgeschrieben ist. Vielleicht erreicht man mehr Akzeptanz für solche Forschungsvorhaben, wenn man schon aus eigenem Antrieb eine Versuchsfläche weit weg von Naturschutzgebieten oder anderen sensiblen Nachbarschaften wählt. Ansonsten haben wir ein Gentechnikrecht auf europäischer Ebene, das auch Freisetzungen regelt. Nach menschlichem Ermessen sind dabei Auskreuzungen auszuschließen. Deswegen wählt man hier beachtliche Abstände, baut notfalls selbst feinmaschige Zäune für Hamster oder andere Tiere, die schon mal Samen über weite Strecken verschleppen könnten.

Hätte denn das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz die Möglichkeit, strengere Vorgaben zu machen oder einen größeren Abstand zu sensiblen Flächen vorzuschreiben?
Seehofer: Der Präsident des BVL hat mir versichert, dass er alle Sicherheitsbedingungen angeordnet hat, die in seiner Macht stehen.

In der Gentechnik-Abteilung des BVL entscheiden Mitarbeiter, die schon mehrfach durch übergroße Nähe zur Gentechnik-Industrie aufgefallen sind.
Seehofer: Wer soll das sein?

Der Leiter der Abteilung Gentechnik und sein Stellvertreter sind bereits in PR-Filmen der Gentechnik-Industrie aufgetreten und auch sonst mit sehr Gentechnik-freundlichen Äußerungen in der Öffentlichkeit aufgefallen. Sie entscheiden nach wie vor maßgeblich über die Freisetzungsversuche. Es gibt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die beiden wegen Befangenheit…
Seehofer: … die wir Ende Mai als unbegründet zurückgewiesen haben. Außerdem kann ich ihnen versichern, dass diese Mitarbeiter solche Entscheidungen nicht alleine treffen. Die brauchen eine Schlusszeichnung durch den Präsidenten des BVL.

Sie bewerben sich um den Parteivorsitz der CSU, Ihr Privatleben ist öffentliches Thema und das eine oder andere Sachthema ist sicherlich auch anstrengend – woher nehmen Sie die Kraft, das alles durchzustehen?
Seehofer: Mir hat halt der Herrgott eine gewisse Robustheit gegeben. Außerdem habe ich schon soviel erlebt, da ordne ich die Dinge, die ich gerade erlebe, richtig ein. Es gibt halt ein paar, die meinen, das müsste jetzt so sein, dass man Parteivorsitz und Privatleben vermischt. Da muss ich sagen – das ist mir relativ egal. Man muss das Private mit denen besprechen, die es angeht und nicht mit den Medien. Und ich frage Sie mal: Was ist denn da so schlimm, wenn auf einem Parteitag zwei Menschen kandidieren?

Einem Demokraten sollte da nichts Schlimmes einfallen.
Seehofer: Eben. Einer gewinnt, einer verliert. Punkt aus. Wenn Sie mir jetzt sagen würden, Sie müssten im September auf eine schwere Tumoroperation, dann würde ich sagen: Das bewegt mich. Ansonsten gilt für mich: Ich nehme die politischen Herausforderungen ernst, aber überbewerten tu ich sie nicht.

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