Christoph Schlingensief

Die Demokratie ist ein Wäschetrockner.

Christoph Schlingensief über die DVD-Dokumentation seiner Aktion "Ausländer raus", das Thema Fundamentalismus in der Kunst und deutsche Politiker

Christoph Schlingensief

© Monitorpop Entertainment

Herr Schlingensief, während man früher unter schlingensief.net eine eher provisorisch zusammengebaute, anarchistisch wirkende Website vorfand, gibt es unter der Adresse nun auch eine professionell gestaltete Website, die ein bißchen nach Popstar aussieht.
Schlingensief: Poppig finde ich www.schlingensief.com gar nicht. Die Seite hat auch nichts von einem BRAVO-Starschnitt, sondern ist ein großes und wachsendes Archiv. Für sentimentale Anarchos gibt es aber nach wie vor die Seite schlingensief.net, auf der wir immer aktuell berichten – schnell, schonungslos und garantiert ungeordnet. Was das Internetarchiv betrifft, war es überfällig, daß in die Berge von Artikeln, Fotos und Filmchen endlich mal Ordnung reinkam. Ich habe da richtig Geld investiert und jemanden engagiert, der die Fotos scannt, alles sammelt und das Archiv betreut. Das ganze ist kein virtueller Schrein, vor dem ich mich abends niederknie, um mir selbst zu huldigen. So wie meine Arbeiten selbst das Ziel haben, ein Gedächtnis zu schaffen, so war es auch mein Bestreben, diese Arbeiten im Internetarchiv verfügbar zu machen, damit die Leute, die es interessiert oder die sich darüber ärgern, sich informieren können: Wann ich in Oberhausen Super-8-Filme gedreht habe, wann ich eine Partei gegründet habe, wann ich in Wien auf dem Container gestanden habe etc. Ich lege immer Wert darauf, daß das dokumentiert wird, weil Arbeitsprozesse viel wichtiger sind als das, was am Ende des Prozesses hinten rauskommt.
Ich kann mit vielen Leuten, die ich heute zum ersten Mal treffe, gleich ganz anders kommunizieren. Ich muß mich nicht mehr vorstellen mit: „Ich bin der Mann vom Prenzlauer Berg, drucke meine Flugblätter selbst und provoziere einmal monatlich vorm Reichstag…“ Die Homepage hat das Spektrum der Interessenten enorm erweitert, es gibt ein großes Feedback aus dem Ausland, mit dem ich so nie gerechnet habe. Ich bekomme viel mehr Arbeitsangebote, z.B. aus Brasilien und Japan, darf demnächst in Paris eine Retrospektive machen; jetzt, wo Christo wieder weg ist, bereite ich ein Projekt in New York vor – alles Sachen, die für mich ganz neu und ganz toll sind.

Wird es in Deutschland demnach in Zukunft weniger Schlingensief-Aktionen geben?
Schlingensief: Ich habe ganz einfach keine Lust mehr auf die deutsche Stimmung, keine Lust mehr, mich an dieser chronischen Depression abzuarbeiten. Das ist reine Zeitverschwendung, Deutschland in seinem gegenwärtigen Zustand ist Zeitverschwendung, jeder Hirnfurz wird gleich zur politischen Wende oder zur Schaffung einer revolutionären Kunstrichtung erklärt. Das ist alles nichts Neues und lähmend langweilig. In Deutschland habe ich schon viel zu viel Zeit gesteckt.

Die jüngst veröffentlichte DVD „Ausländer Raus“ dokumentiert eine Ihrer bekanntesten Aktionen aus dem Jahr 2000. Wie wichtig ist für Sie die Vermarktung so einer DVD?
Schlingensief: Ich weiß sehr wohl, wie wichtig Vermarktung ist, auch wenn ich ein eindeutig zwiespältiges Verhältnis dazu habe. Es wird schnell der Eindruck vermittelt, als hätte man die Menschheitsgeschichte oder in diesem Fall zumindest die Geschichte Österreichs komplett umgeschrieben. Ich bin da ganz illusionslos. Die Präsentation der „Ausländer Raus“-DVD erlebe ich selbst nur als Gast; ich bin nicht der Regisseur und kriege von den Verkäufen keinen Pfennig. Für mich ist nur wichtig, daß es überhaupt dokumentiert wird. Das Problem, das dem Projekt zugrunde liegt, ist mit Projektende nicht aus der Welt geschafft. Deshalb habe ich schon bei der Eröffnung der Wiener Festwochen angekündigt, daß es eine Dokumentation zu „Ausländer Raus“ geben wird. Zu dem Zeitpunkt hat selbst Festspielleiter Luc Bondy noch gesagt: „Die Österreicher sollen mal nicht denken, daß die Kunst nur daraus besteht, im Moment zu reagieren, sondern auch bedeutet, Methoden zu schaffen.“ Mehr noch als jeder Film dokumentiert natürlich das Internet, denn das ist dauernd verfügbar. Ich weiß von einer handvoll Leuten, die sich darüber schwarz ärgern, daß ihre Artikel und Kritiken von vor fünf Jahren heute immer noch auf meiner Website zu lesen sind. Ich selbst habe dieses Gedächtnis nicht, aber das Medium hat es. Das Internet ist schonungslos, auch mir gegenüber.

Inwieweit ist so eine DVD aber nicht nur Dokumentation sondern auch die Inszenierung Ihrer Person?
Schlingensief: Den Film hat der Regisseur Paul Poet gemacht, nicht ich. Ich habe nicht in einem Film mitgespielt. Ich war in meinem Projekt unterwegs und habe währenddessen keinen Gedanken daran verschwendet, wann und wo irgendeine Kamera steht – ehrlich nicht. Kurz vor Projektstart lag ich noch mit Lungen- und Zwerchfellentzündung im Krankenhaus und war heilfroh, daß ich mich überhaupt auf das Projekt konzentrieren konnte. Für die Kamera zu posieren war das Letzte, woran ich gedacht habe, zumal ich das im Hinblick auf die Thematik der Container-Aktion für hochnotpeinlich gehalten hätte. Ich war der festen Überzeugung, daß die FPÖ Scheiße ist und der Koalitionsbetrug der ÖVP den Gestank dieser Scheiße durch Europa trägt. Daran hat sich bis heute, fünf Jahre nach „Ausländer Raus“, nichts geändert. Die Artikel, die ich damals über 50 Inder las, die in einem Container erstickt waren, könnten auch von heute sein. Mit Asylanten und Asylbewerberheimen habe ich schon in den Neunzigern Bekanntschaft gemacht. Diese Menschen und diese Orte haben mich wahnsinnig beeindruckt, unser Umgang mit ihnen hat mich unglaublich angemacht, im aggressivsten Sinne des Wortes. Diese Aggression wollte ich an diejenigen weitergeben, die sie verursacht haben. Das habe ich aus totaler Überzeugung getan und nicht, um in einer Dokumentation gut weg zu kommen. Bevor ich morgens zum Container kam, habe ich mir natürlich schon mal die Haare gekämmt; ich ziehe mir auch mal Schuhe an, die etwas modischer aussehen, falls Sie das meinen.

Sie sehen in der Dokumentation sehr mitgenommen aus.
Schlingensief: Ja, das war ich auch. Es gab ja viele Diskussionen und Auseinandersetzungen, die man im Film gar nicht sieht. Ich war zum Beispiel jeden Tag mit der Staatsanwaltschaft im Café Sacher Kuchen essen. Die haben mir jedesmal davon abgeraten, auf das Container-Dach zu steigen, weil es angeblich Leute gäbe, die auf mich schießen würden. Solche Gerüchte waren aber wohl nur dazu da, um mir Angst zu machen. Außerdem gab es Krach mit den Festwochen, weil Luc Bondy, der mich eingeladen hatte, plötzlich Schiss bekam und große Plakate aufstellen ließ, auf denen stand: „Dies ist natürlich nicht die Wirklichkeit. Sie sehen eine Theaterinszenierung!“. Als ich das gesehen habe, sagte ich ihm: „Diese Schilder sind in zwei Stunden hier weg, sonst hau ich eure Festspiele kurz und klein.“

In Österreich hat sich die politische Situation inzwischen wieder ein wenig entspannt, es gibt weniger Zustimmung für den rechtsextremen Flügel – glauben Sie, Sie haben da auch etwas bewirkt?
Schlingensief: Nein, glaube ich nicht. Viele hätten das vielleicht gerne, wie im 19. Jahrhundert, als das Publikum aus der Oper „Die Stumme von Portici“ stürmte und eine Revolution anzettelte. Aber diese Impulse gibt Kunst schon lange nicht mehr. In ihren stärksten Momenten hat die Aktion zur Diskussion beigetragen.

Zitiert

Ich sehe keinen Anlass, mich innerhalb einer Aktion einseitig gegen Fundamentalisten und Terroristen zu wenden.

Christoph Schlingensief

Sie haben schon gegen viele verschiedene politische und gesellschaftliche Strömungen agiert – könnten Sie sich auch eine Aktion gegen den islamischen Fundamentalismus vorstellen?
Schlingensief: Ich heiße ja nicht wie der berühmte holländische Maler mit Nachnamen. Und sehe auch keinen Anlass, mich innerhalb einer Aktion einseitig gegen Fundamentalisten und Terroristen zu wenden, denn die selbst ernannten Demokraten und Verteidiger des Rechtsstaates, auf deren Seite man dann unwillkürlich landet, haben ihrerseits ein enormes terroristisches Potential. Die „Church of Fear“, die ich 2003 mitgegründet und auf der Biennale in Venedig vorgestellt habe, hat das im Ansatz thematisiert. Sie hat die Politik aufgegeben und stellt eine Art schlechtes Gewissen der Kirche dar, die nicht in der Lage ist, eine Ökumene herzustellen, sondern lediglich zu einem Interessenverband unter vielen verkrüppelt ist. Auf dem Dach des Museums Ludwig nimmt die „Church of Fear“ deshalb am Kölner Weltjugendtag 2005 teil, damit es neben der andauernden Beweihräucherung des neuen Papstes auch kritische Bilder und Töne gibt. Was Terroristen und ihren Fanatismus angeht, habe ich im Moment keine Idee, wie man effektiv dagegen vorgehen soll. Deshalb werde ich auch niemandem vormachen, daß es ein sinnvolles Vorgehen dagegen gibt.

Aber wäre es nicht wichtig, daß mehr Künstler dieses Thema aufgreifen?
Schlingensief: Ja, natürlich muß man das thematisieren, allerdings nicht im naiven Gut-Böse-Schema, daß die Kunst ja so liebt. Im Hinterland unseres demokratischen Terrorismus ist ein Fanatismus inkl. Erlösungsidee entstanden, die unseren christlichen Kreuzrittern ja sehr ähnlich ist. Aber damals wie heute gibt es einen großen Fehler im System, nämlich den, daß sich einige wenige für auserkoren halten, die ganze Welt zu bekehren. Da tun sich die Bushs und Bin Ladens dieser Welt relativ wenig. Wir müssen uns doch fragen: Warum sind diese Leute so fanatisch geworden, daß sie sich anstandslos in die Luft sprengen und dafür noch Seelenheil erwarten? Nur, die Antwort, wo soll die herkommen? Armut, Afghanistan, der Prophet Bush – also, ich kann mir im Moment keine Aktion in dieser Richtung vorstellen, die sich nicht allzu schnell der Lächerlichkeit preisgibt.

Aber weil Sie gerade auf den holländischen Regisseur Theo van Gogh anspielten, der sich in seiner Arbeit gegen den Islamismus gestellt hat und deshalb einem Attentat zum Opfer fiel – wäre Ihnen eine solche Aktion zu heikel?
Schlingensief: Nein, das nicht. Die „Church of Fear“ ist ja schon so ein heikles Ding. Da singt z.B. ein Muezzin auf dem Kirchturm, buddhistische, christliche und moslemische Zeichen werden miteinander verbunden.

Ihre „Church of Fear“ steht in Köln auch noch zum „Weltjugendtag“. Würden Sie den jungen Erwachsenen in diesem Jahr eigentlich raten, wählen zu gehen?
Schlingensief: Der erste Teil meines aktuellen Projekts „Der Animatograph“ auf Island trug den Untertitel „Destroy Parliament“. Der Punkt ist: Ich glaube nicht an unser demokratisches System. Ich glaube, daß das eine große Lügengeschichte ist. Das, was wir als Demokratie ausgeben, ist eigentlich ein Täuschungsmanöver, ein Wäschetrockner, der einfach uns als Partikel aufnimmt, in den Wind der Gewalten schleudert; mal bläst der eine mit seiner Windmaschine, mal der andere. Und natürlich will jeder, daß Papa oder Mama Staat einem jede Verantwortung abnimmt, das die Regierung alles regelt, daß der jährliche Mallorca-Urlaub im Grundgesetz garantiert wird und Sorgen vom Bundespräsidenten verboten werden. Da liegt schon das Grundproblem: Wir lassen uns in Panik versetzen, weil eine Bombe explodiert, aber nicht dadurch, daß unser Staat still und heimlich implodiert.

Ihrer Ansicht nach gibt es also auch keine ernst zunehmenden Politiker mehr?
Schlingensief: Wer sollte das sein? Herr Fischer? Herr Westerwelle? Nein, ganz im Gegenteil, verachtenswert. Wie soll es ernst zunehmende Politiker geben, wenn ihre Politik die Menschen nicht Ernst nimmt? Lafontaine macht aus seiner 2-Millionen-Villa vor Saarbrücken heraus gegen Armut mobil; wenn Fischer vor seinen Junggrünen spricht, dann kramt er vorher seinen 68er-Pulli aus der Altkleidersammlung, weil er mit seinem maßgeschneiderten Außenministeranzug nicht landen kann? Das sind so billige, durchschaubare Nummern. Mir fehlt im Moment ganz extrem die Motivation, mich diesen Leuten noch auszusetzen, geschweige denn mich ihnen zu nähern. Wenn ich sie dann kennenlernen kann, wie vor einiger Zeit einmal Wolfgang Schäuble, dann ist das interessant, keine Frage. Diese Leute haben ihre Leiden und Schäden, die kein Fernseher überträgt – die Enttäuschung Kohl, das Attentat, das Mobbing durch Kanzlerin Merkel… Schäuble hatte etwas Melancholisches und das hat mich sehr mit ihm verbunden. Ich bin im Moment eher auf der melancholischen Bahn, ich brauche kein Megafon mehr. Ich brülle nicht mehr durch die Gegend, wie die Sache zu laufen hat. Ich mag Leute lieber, die sich in den Arm nehmen und zusammen mal ein Glas Tränen trinken. Das finde ich im Moment naheliegender.

2 Kommentare zu “Die Demokratie ist ein Wäschetrockner.”

  1. Jana Krauß |

    In der Mitte der Gesellschaft

    Die Provokationen von Schlingensief haben leider keine Substanz mehr. Sie sind zum Selbstzweck geworden. Das ist deutlich zu spüren. Schlingensief spricht nur noch das aus, was er darf und seine Position nicht gefährdet. Deshalb wird er auch von Medien wie BILD und BZ als „Skandalregisseur“ bezeichnet und geliebt. Würde er wirklich Klartext sprechen, wie zb. E. Henschel in seinem „Gossenreport“ oder deren Verlogenheit, Bigotterie amüsant offenlegen, dann käme er in diesen Medien nämlich gar nicht mehr vor. Schlingensief schafft mit seinem „Chaos“ das Fundament für den konservativen Backlash.

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  2. Jens |

    der schwache Mann

    Es scheint eher Ausdruck einer tiefen Identitäts- und Schaffenskrise von Schlingensief zu sein, dass er so auf (populistische) Widersprüche im Stil „La Fontaine predigt aus einer 2 Millionen Villa gegen Armut“, „Fischer zieht sich vor Junggrünen seine alten Strickpullover an“ usw. konzentriert. Schlingensief hat in Bayreuth Wagner inszeniert, das ist nichts anderes als eine 2 Millionen Villa – Angela Merkel war begeistert – und so hat das System den Provokateur problemlos integriert.

    Dass er aber nun Schäuble irgendwie menschlich findet, den CDU-Politiker, der in seinem Machtwahn heftig auf die Nase fiel, sagt eine ganze Menge über Schlingensief aus. Ich habe kein Mitleid mit Schäuble, er hat gegen Ausländer und gegen vernünftige Einbürgerungsgesetze übelst gehetzt, verbreitet ständig Angst (islamischer Terrorismus!), will die Bundeswehr für Polizeiaufgaben einsetzen usw. Dieser Mann ist ultrareaktionär. Kein Schlingensief hat je gefragt, wie teuer Schäubles Villa ist oder ob er bei der Jungen Union seine Lederjacken von früher präsentiert.
    Die Melancholie, die Schlingensief bei sich feststellt, zeigt das Bild eines sich schwach stellenden Mann, eine Möglichkeit, um die eigenen Widersprüche nicht spüren und austragen zu müssen.

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