Thomas Quasthoff und Till Brönner

Wenn wir Fußball spielen gehen, dann kennen wir die Regeln.

Thomas Quasthoff und Till Brönner über ihr gemeinsames Jazz-Album, Uniformität und Emotionalität, Philharmonie und Jazz-Club und das Musizieren auf Beerdigungen

Thomas Quasthoff und Till Brönner

© Jim Rakete

Herr Quasthoff, war Frank Sinatra ein Tenor oder Bariton?
Quasthoff: Bariton. Ganz klar. Das lässt sich feststellen. Das ist absolut meine Tessitura. Und ich bin Bariton.

Aber eine klassische Ausbildung hatte Sinatra nicht.
Quasthoff: Nein.

Braucht man die für den Jazz-Gesang?
Quasthoff: Nachweislich nicht. Aber wenn man Leute wie Sarah Vaughan hört, die hätte auch locker eine klassische Musikerin sein können. Sie hat einen Tonumfang von vier Oktaven gehabt, wer hat denn das heute noch?

Es gibt wenige Sänger, die sowohl Klassik als auch Jazz gesungen haben, bei den Instrumentalisten sieht es allerdings schon anders aus…
Brönner: Ja, da gibt es einige, Wynton Marsalis zum Beispiel hat tolle Aufnahmen gemacht. Was ich immer wichtig finde ist, dass man den Leuten den Respekt vor diesem Fach anmerkt. Weil dieser Respekt sorgt automatisch dafür, dass man sich an bestimmte Dinge nicht ranwagt, und an andere eben doch, weil sie einem gut zu Gesicht stehen. Aber da ist leider viel zu oft Geschmacklosigkeit Küchenmeister.

Hatten Sie selbst mal den Gedanken, klassisch Trompete zu spielen?
Brönner: Ich habe eine klassische Ausbildung genossen und habe auch „Jugend musiziert“ und diese ganzen Sachen gemacht. Mein Lehrer wollte damals auch, dass ich das unbedingt weitermache. Aber mir haben relativ frühzeitig einige Erlebnisse, die ich nicht besonders toll fand, die Laune vermiest. Auch diese Uniformität: jeder Trompeter rannte damals mit der gleichen Aufnahme von Maurice André oder Ludwig Güttler in der Tasche rum, es gab nur die vier, fünf verschiedenen Konzerte, die gespielt wurden – und das war’s. Individualität in irgendeiner Form schien nicht besonders gefragt zu sein. Und ich habe schnell gemerkt, dass ich das, was mir an Musik so wichtig erschien, nicht alleinig in der Klassik finden kann.

Stichwort Uniformität: Ist das etwas, was man in der Klassik mehr findet, als im Jazz? Ist der Interpretationsspielraum in der Klassik geringer?
Quasthoff: Nein, dem würde ich widersprechen. Hören Sie sich mal von zehn verschiedenen Künstlern „Die Schöne Müllerin“ an, und sie werden feststellen, dass das zehn Mal völlig unterschiedlich ist. Es hat zwar den gleichen musikalischen Rahmen und die gleichen Noten, die auf dem Papier stehen. Aber durch die Individualität der Stimmen ist die „Schöne Müllerin“ jedes Mal ein ganz anderer Zyklus. Der interpretatorische Ansatz eines Christoph Pregardien zum Beispiel ist mit meinem überhaupt nicht vergleichbar.

Wie unterscheidet sich der Umgang mit Gefühlen und Liebe in einem klassischen Liederzyklus verglichen mit einem Jazz-Song?
Quasthoff: Gar nicht. Kein Deut.
Brönner: Die Beweggründe sind genau dieselben.
Quasthoff: Ich glaube, Sie folgen mit der Frage einem Klischee, dass im Jazz irgendwie alles anders ist. Das ist es nicht. Es ist genau dieselbe Emotionalität. Wenn man zum Beispiel einen Song wie „In my solitude“ von Duke Ellington singt – wenn man das nicht fühlt, was man da singt, dann sollte man es sofort lassen. Was wollen wir denn, wenn wir Musik machen? Wir wollen Gefühle transportieren.
Brönner: Man muss seiner künstlerischen Ader, seinem Ventil nachgeben, nur aus solchen Beweggründen heraus können ‚Ausgeburten’ entstehen, die aus dem Holz sind, aus dem Menschen geschnitzt sind.
Quasthoff: Ich glaube, der einzige wesentliche Unterschied zum Jazz ist, dass man weniger in den Pfründen badet, die man als klassisch ausgebildeter Sänger hat. Die Stimme wird wesentlich zurückhaltender benutzt als in der klassischen Musik. Aber die Emotionalität ist absolut genau dieselbe.

Gab es Situationen im Studio, Herr Brönner, wo Sie Thomas Quasthoff bremsen mussten? Von wegen arienhaftes Singen…
Brönner: Also, es ist immer besser, mit mehr, als mit zu wenig im Studio anzukommen. Das Schönste ist eigentlich, wenn man in der Lage ist, auszuwählen. Und von welchem Künstler kann man schon so viele verschiedene Timbres nahezu auf Knopfdruck bekommen …
Quasthoff: Wenn Sie glauben, dass ich mit meiner klassischen Stimme ins Studio gegangen bin – den Zahn muss ich Ihnen ziehen. Ich habe lange vor meiner klassischen Ausbildung sehr viel Jazz gesungen und auch gehört.
Was wir beide auf keinen Fall wollten, war eine dieser sogenannten „Crossover“-Platten zu machen. Mit klassischer Stimme diese Musik zu singen, das hätte ich für sehr falsch empfunden. Das wäre auch meinem eigenen Anspruch, den ich an diese Musik habe, definitiv nicht gerecht geworden. Ich singe hier sehr viel ohne Vibrato, die Stimme wird auch ganz anders geführt, man phrasiert anders. Und das Mikrofon ist viel näher am Mund, wodurch der Klang wesentlich intimer wird. Ich habe immer gesagt: Wenn ich eine Jazz-CD mache, dann möchte ich auch, dass es nach Jazz klingt. Und nicht nach Klassik.

Was ist mit den Streichern auf Ihrem Jazz-Album?
Quasthoff: Dann hören Sie sich Frank Sinatra an, wie viele Aufnahmen der mit Streichern gemacht hat. Oder Charlie Parker, der glaube ich zwei Alben mit Streichern gemacht hat… Also, wir haben die Streicher nicht mit reingenommen, damit es nach Klassik klingt. Das ist hier ist nicht Klassik meets Jazz.
Brönner: Wir wollten uns jetzt nicht auf die Welt des anderen einlassen. Sondern wir hatten das Gefühl: Wenn wir Fußball spielen gehen, dann kennen wir die Regeln…
Quasthoff: … und dann wollen wir auch Fußball spielen.
Brönner: Und wenn Thomas aus einer anderen Sportart kommt, wie Michael Schumacher eben auch Fußball spielen geht, ist das vollkommen ok. Wir sind sehr ergebnisorientiert ins Studio gegangen und wollten am Ende mit etwas herauskommen, was wirklich Stand-Alone-Qualitäten hat und was unserem ganz persönlichen Anspruch gerecht wird.
Quasthoff: Streicher sind für mich eine Verstärkung einer Emotion. Und eine Klangfarbe, die ich generell sehr gern habe, egal ob in der Klassik oder im Jazz. In dem Moment, wo ich bei den Aufnahmen auf den Kopfhörern plötzlich diesen Streicherklang hatte, hat sich bei mir so ein Wohlgefühl eingestellt, wo plötzlich eine Phrase, die man singt, plötzlich noch weicher, noch anschmiegsamer und eleganter wird. Das ist eine zusätzliche Klangfarbe und nicht als Verbindungsstück zwischen Klassik und Jazz gedacht.

Geben Sie ein klassisches Konzert anders als ein Jazz-Konzert?
Quasthoff: Das ist ein anderes Genre, aber warum sollte der Ansatz ein anderer sein? Für beide Genres muss man sehr viel können. Wer sich hinstellt und sagt: Klassik muss man richtig üben und Jazz macht man eben mal so mit links – das ist bei weitem nicht so. Ich habe mit Till im Studio an vielen Stücken oder Phrasen mindestens genauso viel rumprobiert, wie ich es bei der Vorbereitung einer Klassik-CD mache. Teilweise war die Arbeit sogar noch intensiver, weil ich mir hier Dinge teilweise auch neu erarbeiten musste.
Man kann sich nicht eben mal da hinstellen und so nebenbei ein Jazz-Konzert machen – was den Qualitätsanspruch angeht ist das für mich absolut dasselbe wie in der Klassik. Ich möchte sehr authentisch und auf hohem Niveau Gefühle und Text ausdrücken.

Nun finden Jazz-Konzerte in kleinen Clubs statt, die Tickets kosten weit weniger als in der Philharmonie. Wie sehen Sie diesen Unterschied?
Brönner: Ich trete mit meinen Sachen ja mittlerweile auch in der Philharmonie auf und muss trotzdem sagen, dass das nicht die Regel ist. Genauso gibt es aber viele Kollegen von Thomas Quasthoff, die sicherlich eine gute Arbeit machen, aber die nicht besonders bekannt sind, aus Gründen, die wir hier jetzt nicht analysieren können. Da wären wir schnell bei der Frage, wie sich gesellschaftlich bestimmte Bereiche noch amortisieren in der Kultur oder nicht. Das ist ein abendfüllendes Thema.
Aber letztlich hat es für uns beide die Schnittmenge an einer Stelle, wo wir uns diese Fragen nicht mehr stellen müssen. Wir haben uns bei der Produktion nicht eine Sekunde lang entfernt voneinander gefühlt. Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass wir beide diese Grenzen und diese Trennung nicht so vornehmen.
Quasthoff: Und in Amerika ist diese Trennung auch nicht so strikt, da erleben Sie einen Liederabend von Ian Bostridge in der Carnegie Hall und am nächsten Tag spielt dort Jean Toots Thielemanns mit Herbie Hancock – und der Saal ist genauso ausverkauft. Das ist ein Punkt, der mir dieses Land sehr sympathisch macht und wo wir glaube ich auch ein bisschen von lernen können. Dass die Leute begreifen, dass da genau so ambitioniert und hochprofessionell Musik gemacht wird.
Womit wir Deutschen uns vielleicht auch ein bisschen schwerer tun, ist diese Leichtigkeit des Seins. Dass man als Zuschauer anerkennt, da stehen Leute auf der Bühne, denen macht das zuerst einmal auch Spaß, was sie da machen.
Brönner: Aber damit jetzt nicht der Eindruck entsteht, wir wüssten nicht, warum es für uns beide gerade ganz gut läuft: Da stecken natürlich auch ziemlich gewaltige Investitionen, physischer und geistiger Natur, dahinter. Sich immer wieder Gedanken zu machen, warum man auf eine Bühne geht und wie man mit dem, was man sich da hart erarbeitet hat, auch Menschen erreicht. Und was am meisten Hirngrütze und Kalorien verbraucht, ist eigentlich die Frage: Wie schaffe ich das ohne qualitative Einbußen hinnehmen zu müssen?
Uns beiden ist es auch ein großes Bedürfnis, auf einer Bühne Kontakt herzustellen, ich will mich nicht elitär vorne hinstellen und irgendwas abnudeln, was keiner versteht. Und was man zurückbekommt sind Menschen, die sich mit deiner persönlichen Biografie, mit deiner musikalischen Laufbahn auseinandersetzen, die auch zu Langzeit-Fans geworden sind. Es gibt Menschen, für die gehört es wirklich zur Tradition, auf Quasthoff-Konzerte zu gehen…
Quasthoff: …es gibt auch Leute, für die gehört es zur Tradition, niemals zu Quasthoff-Konzerten zu gehen – was ich aber auch in Ordnung finde.
Brönner: Das ist ja gerade das Spannende, auch zu spalten. Da haben wir beide glaube ich auch ähnliche Erfahrungen gemacht.

Um noch einmal auf den Unterschied zwischen Philharmonie und Jazzclub zu sprechen zu kommen…
Brönner: In einem Jazz-Club aufzutreten ist so, wie im Wohnzimmer Musik zu machen.

Angenehmer.
Brönner: Es ist nicht angenehmer, sondern einfach nur anders. Im Gegenteil: Sie haben ganz schlechte Luft, die Leute dürfen rauchen, überall klappern Teller und Gläser – das hat alles Vor- und Nachteile. Jedenfalls wird niemand allen Ernstes behaupten wollen, es sei kein schöner Anblick in eine vollbesetzte Philharmonie zu kommen und dort ein Jazz-Konzert zu spielen. Wo die Leute andächtig zuhören.
Quasthoff: Was ich als Musiker sehr liebe, und für ein gutes Konzert auch brauche, ist so ein gewisser Kick. Wenn man in einen großen Saal kommt und da sitzen 2400 Leute mit dem Gedanken: „Nun wollen wir mal hören, wie er das macht.“ Das finde ich ungeheuer. Dass da Leute sitzen, sich sagen „Wir haben da so eine CD gehört“ oder „Der war ein paar Mal im Fernsehen, den möchten wir gerne mal live hören.“ Dass da 2400 Menschen im Grunde genommen für einen Künstler Eintritt bezahlen. Das finde ich einfach aufregend. Und das gibt mir heute noch, nach über 30 Jahren, die ich jetzt in diesem Beruf stehe, einen ungeheuren Kick und erfüllt mich mit tiefster Freude und Befriedigung. Ich finde, etwas Schöneres kann es, auch als Anerkennung wohlgemerkt, nicht geben.
Brönner: Ich mache es ganz gezielt so, dass ich einmal im Jahr im Berliner Jazzclub A-Trane eine Woche lang auftrete, um mir ganz bewusst auch dieses Gefühl des Clubs und des Sich-Ausprobieren-Könnens, was dort sehr stark gegeben ist, wieder einzuverleiben.
Wo man Menschen, die einem fast auf dem Schoß sitzen, wirklich so pur mit Information versorgt. Letztlich geht das hin bis zum Geruch, ich kann ja dort schon den Menschen riechen, der vor mir sitzt – das hat sicherlich auch einen kleinen Einfluss auf die Musik. Allerdings nicht so nachhaltig, dass ich nicht großen Spaß daran hätte, weiter daran zu arbeiten, meine Musik möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Wenn die dann in die Philharmonie kommen ist das natürlich ein Geschenk.

Wenn Till Brönner in den kleinen Club geht, gibt es für Sie Herr Quasthoff, etwas Vergleichbares?
Quasthoff: Ich trete ja nicht immer nur in der Philharmonie auf. Ich habe gerade in Florenz in einem Raum gesungen, wo 400 Leute reingehen. Für mich muss jedes Konzert als Anspruch hochprofessionell sein. Da ist es völlig wurscht, ob 200 Leute drin sitzen oder 2400. Die Leute haben so oder so Eintritt bezahlt, a. weil sie mich hören wollen und b. einen schönen Abend verleben wollen. Also habe ich ergo die Verpflichtung, so gut wie möglich da auch zu singen – egal wie groß der Saal ist. Ich glaube nur, je näher man an den Leuten dran ist, umso schwerer ist es.
Brönner: Absolut. Die schwersten Veranstaltungen waren für mich immer Familienfeiern. Ganz komisch. Und – jetzt wird’s traurig – Beerdigungen. Auf Beerdigungen bin ich schon relativ häufig gewesen…

Jazz auf Beerdigungen?
Brönner: Ja, da ist man als Trompeter beliebt. Als ich damals in die RIAS-BigBand gekommen bin, da saßen ja sozusagen meine Großväter links und rechts von mir. Ich habe schon auf mindestens fünf, sechs Beerdigungen meiner Kollegen gespielt. Und da heißt es dann immer: „Jetzt spiel doch mal „My funny Valentine““. Ey, da spielst du die erste Note und schon heult alles im Saal. Nur du darfst nicht heulen, spielst ja mit dem Hals und mit allem – fürchterlich. Bei der Beerdigung von Hildegard Knef, vor laufender Kamera in der Gedächtniskirche – ich bin gestorben. Buchstäblich. Danach war ich zehn Kilo leichter.

Singen Sie eigentlich auch?
Brönner: Ich singe gelegentlich, aus Spaß an der Freude.

Haben Sie sich während der Albumproduktion von Thomas Quasthoff etwas abgeguckt?
Brönner: Nein. Das wäre vermessen, in der kurzen Zeit irgendwie auch nur ansatzweise … Wir unterhalten uns gelegentlich über Dinge und natürlich ist es automatisch so, dass ich an bestimmten Stellen neugierig bin. Aber ich habe keine Ambitionen, sängerisch in diese Sphären zu gelangen. Mal abgesehen davon, dass ich die Energie nicht mehr zusätzlich aufbringen könnte, die mich in dieser Richtung konkurrenzfähig machen würde.Quasthoff: Ich würde jetzt auch nicht mehr mit Trompete anfangen.

Herr Brönner, Sie haben in einem Interview gesagt, zu Schulzeiten fühlten Sie sich als Jazz-Fan von den Mitschülern nicht richtig verstanden….
Brönner: Ja, ich bin ein Kind der 70er Jahre – da haben die andere Sachen gehört. Da war Jazz das Letzte, was aufs Tapet kam. Al Jarreau war der kleinste gemeinsame Nenner, bei dem man sich traf. Boogie-Down war dann sozusagen der Moment, wo ich wieder das Gefühl hatte, der Klasse angehörig zu sein.

Wie war das bei Ihnen Herr Quasthoff?
Quasthoff: Ich bin zwölf Jahre älter als Till, bei mir war das die Spät-68er-Zeit und da hat man Jazz noch gehört. Ich weiß, dass ich mit 15 das erste Mal zu einem Konzert von Alexander von Schlippenbach gefahren bin. Im ersten Moment dachte ich: Wo haben ’se denn den rausgelassen? Bis ich mich aber intensiver damit befasst habe. Und plötzlich festgestellt habe, Evan Parker ist ein verdammt großer Musiker. Fantastisch. Oder Leute wie Irène Schweizer habe ich mit großem Vergnügen mehrfach gesehen und sehr geliebt. Und mein Vater hat mir als Zwölfjähriger eine Platte von Inge Brandenburg geschenkt, die in den 60er Jahren in Deutschland eine ganz große Jazz-Sängerin war.
Ich habe mich wirklich sehr früh damit befasst. Auch weil ich auf einem musischen Gymnasium gewesen bin, wo sich eigentlich fast alle mit einem relativ breiten Spektrum von Musik befasst haben. Ich habe auch selbst in einer Schülerband Jazz gesungen. Das war natürlich auf einem schwer-dilletantischen Niveau, aber wir haben es gemacht, weil wir Spaß dran hatten. Wir haben uns nachmittags getroffen und angefangen, einfach drauf los zu improvisieren.

Inwiefern sind Sie heute beeinflusst von den großen Jazz-Sängern?
Quasthoff: Ach, ich würde es jetzt schwer aufgesetzt finden, zu sagen: „Ich bin stark beeinflusst von Sarah Vaughan und Frank Sinatra“. Sagen wir so: Ich habe das sehr viel gehört und vielleicht bleibt da auch was hängen. Und wenn mich in den letzten fünf, sechs Jahren wirklich jemand beeinflusst hat, dann war es Shirley Horn. Von der ich wirklich gelernt habe, was es heißt, sich zurückzunehmen. Also nicht über das ganze Stück verteilt lange zu singen und obendrein noch Scat-Kaskaden den Leuten um die Ohren zu hauen, sondern wirklich die Stimme ganz zurückzunehmen und trotzdem extrem viel auszudrücken. Das finde ich, ist eine ganz große Kunst, die Shirley Horn wie für mich kaum eine andere Sängerin beherrscht hat. Ella Fitzgerald war sicher eine großartige Sängerin, aber sie hat in den Stücken für meinen Geschmack immer auch ein bisschen zu viel gemacht. Die anderen Instrumente hat man nicht gehört, sie sang dann stundenlange Soli drüber – ich finde das andere spannender. Wenn man auch beim Zuhören ein bisschen Zeit hat, zwischendurch mal so ein bisschen die Gedanken schweifen zu lassen und nicht permanent wie angestochen vorm Radio hängt.
Und die ganz großen Momente sind für mich die, wo auch eine Ella ganz reduziert … da gibt es wunderbare Aufnahmen mit Joe Pass, wo sie nur so Balladen singt mit Gitarre begleitet, fabelhaft.

Wie wichtig ist es für einen Jazz-Musiker, die alten Aufnahmen zu hören? Branford Marsalis zum Beispiel sagt, dass sei für ihn das A und O.
Brönner: Ich weiß nicht, ob das alle tun, aber ich kann das für mich bestätigen. Ich mache das vor allen Dingen, weil es immer wieder um die Frage geht: Was kann ich besser machen bzw. was kann ich nicht besser machen – und mache es deswegen auch nicht. Wo kann ich überhaupt ansetzen, wo bin ich bei mir? Das kann ich letztlich nur, wenn ich mir das anhöre, was Menschen getan haben, die das erfunden haben. Ich habe das nicht erfunden und ich habe mich auch nicht ein einziges Mal irgendwo hingestellt und gesagt, es sei so. Stattdessen fliegen einem immer von sogenannten „Experten“ aus der Jazzwelt immer die großen Erwartungen zu. Die warten im Jazz ja alle irgendwie auf den Messias.

Oder auf einen neuen Sinatra…
Quasthoff: Also, ich zumindest will nicht so singen wie Frank Sinatra. Für mich geht es um einen ganz eigenen Zugang. Und wenn der die Leute auch berührt und trifft, dann finde ich es wunderbar – aber das geschieht völlig ohne bewusstes Planen. Da steckt auch kein Gedanke an irgendwelchen Kommerz dahinter, ich habe diese Platte definitiv nicht gemacht, um vielleicht das erste Mal in meinem Leben eine goldene Schallplatte zu kriegen, sondern weil ich diese Musik einfach liebe.
Brönner: Es geht halt immer wieder darum, seine Geschichte zu erzählen. Und dafür muss ich mir überlegen, ob die nicht jemand anderes schon erzählt hat.
Quasthoff: Ich will es mal andersherum sagen: Ich fände es eigentlich klasse, wenn jemand das hört und sagt: „Das singt so keiner“. Jetzt nicht so a la „Das ist das Beste, was ich je gehört habe“. Aber wenn jemand sagt „Das ist individuell, das kann kein anderer so singen“ – diese Individualität, die ist mir wichtig. Und es soll natürlich auch schön sein.

Zum Schluss: Die beste Eigenschaft des musikalischen Partners?
Brönner: Ich denke, dass das so ein bisschen unser Geheimnis bleiben soll. Nicht weil wir nicht irgendwie Lust hätten, über uns beide zu reden. Aber wir haben im Studio auch eine kleine Ehe geschlossen und dass da am Ende auch wirklich etwas rausgekommen ist, was wir jetzt präsentieren – das sollte auch ein bisschen für sich sprechen.
Quasthoff: Unser Kind. Und es hat nicht mal neun Monate gedauert.

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