Valerie Koch

Ich glaube, es gibt einen Haufen Freaks da draußen.

Schauspielerin Valerie Koch über den Kinofilm „Die Anruferin“, verschiedene Ticks der Menschen, Theateranfänge in den USA und dass es für sie wahnsinnig quälend ist, sich selbst auf der Leinwand zu sehen

Valerie Koch

© NFP marketing & distribution*

Frau Koch, wieso haben Sie Ihren Fokus bislang in erster Linie auf das Theaterspielen gelegt und relativ wenige Filme gedreht?
Koch: Weil ich mir die Angebote relativ wählerisch aussuche. Bei den wenigen Filmen, die ich gemacht habe, fand ich einfach die Bücher sehr gut und habe mich deshalb für sie entschieden. Dann kommt hinzu: Wenn man am Theater fest ist, kommt man da auch nicht einfach so raus. So lange man spielt, hat man wegen der vielen Vorstellungen nur eingeschränkte Möglichkeiten, Filme zu drehen.

Aber die überragenden Angebote gab es in der Vielzahl auch nicht?
Koch: Nee, die gab es nicht.

Für die „Anruferin“ ist lange gecastet worden, bis man auf Sie kam und sofort wusste, dass Sie die Richtige für die Rolle sind. Sie spielen eine Frau Anfang 30, die mit Kinderstimme fremde Menschen anruft und immer wieder andere Identitäten annimmt. Wieso hat diese Rolle sofort so gut zu Ihnen gepasst?
Koch: Ich habe das Buch gelesen und gedacht: Endlich mal eine Rolle, wo du alles spielen kannst. Weil sie wirklich viel Futter für mich als Schauspielerin bietet. Es war möglich, sich in jede Richtung zu spreizen. Das macht Spaß. Und deshalb wusste ich sofort, dass ich die Rolle gerne spielen wollte.

Inwiefern ist es eine so vielschichtige Figur?
Koch: Erst einmal gibt es die Figur, so wie sie im Alltag erscheint. Sie arbeitet ja in einer Wäscherei. Dann mag ich diese Schroffheit, diese Ehrlichkeit, die sie an den Tag legt. Sie will aus ihrer Situation raus, und hat dabei keine Zeit und keine Muße für irgendwelche Nebentöne. Sie ist immer ganz klar. Das ist etwas, was man sicherlich sonst öfters mal vermisst: dass man dummem Zeug auch dumm entgegnen kann. So wie sie es in ihrer Schroffheit macht, ganz ohne Hintergedanken.

In was für einer Situation würden Sie denn gerne auch mal eine dumme Antwort geben?
Koch: Jetzt bei dem Film heißt es zum Beispiel ganz oft: Die ist ja so schroff, so hart. Und da denke ich: Ja, sicher. Aber warum wirkt die so? Weil sie halt so klar antwortet, so klar reagiert. Weil sie sich nicht hinter irgendeiner Floskel versteckt oder hinter irgendeiner Art, wie man halt sein muss, damit man möglichst reibungslos durch die Gesellschaft kommt. Sie ist anders. Sie reibt sich daran. Indem sie direkt auf das reagiert, was ihr entgegengeschleudert wird. Das finde ich sympathisch, aber das macht ihr Leben sicherlich nicht einfacher. Gleichzeitig ist sie aber gar nicht in der Lage, anders zu handeln, weil ihr Leben hart ist.

Es gibt auch heitere Momente mit der pflegebedürftigen Mutter.
Koch: Ja, plötzlich ist man selbst Mutter, weil man sich um seine eigene Mutter kümmert und sie pflegt. Indem ich die Kinder spiele, kann ich mich in dieser ganzen Psycho-Ecke austoben. Bis auf den leidenschaftlichen Liebesteil ist da eigentlich alles abgedeckt.

Ist es etwas, was einer Schauspielerin sowieso nahe liegt – immer wieder in verschiedene Identitäten zu schlüpfen?
Koch: Ja, das sucht man halt. Aber man bekommt selten die Chance dazu.

Ist diese Direktheit der Figur, die Sie eben ansprachen, eine Charaktereigenschaft, die Sie von sich selbst kennen?
Koch: Also, ich finde immer, dass man nachdenken sollte, bevor man spricht. Aber halt auch nicht zu lange. Man sollte Dinge, die man besser gesagt hätte, weil sie richtig gewesen wären, nicht mit sich herum schleppen und sich hinterher bis zum Geht-nicht-Mehr ärgern, dass man es nicht gesagt hat. Genauso sollte man, wenn einem Leute verletzend begegnen, das nicht auf sich sitzen lassen, sondern es zurückgeben oder gar nicht erst an sich heran lassen, indem man einfach ganz klar sagt: So ist es halt, sag doch, was du willst. Das finde ich ehrlich, das gefällt mir.

Was passiert mit Ihnen, wenn Sie sich einer Rolle annähern?
Koch: Ich versuche zuerst immer, sie von allen Ecken zu umzingeln. Dafür habe ich mir über die Jahre verschiedene Fragenkataloge erstellt. In Hinblick auf die Biographie der Figur, Alltagssachen, tägliche Aktivitäten. Zum Beispiel auch, wie sich ein Zähneputzen morgens verändert bei der Figur, wenn ihr am Tag das und das bevorsteht. Ich mache das, damit ich eine Figur immer mehr ins Mark bekomme. Dann klopfe ich das Umfeld der Figur ab, weil man daraus sehr stark ablesen kann, wie die Figur ist. Bei der „Anruferin“ merkt man ja, dass sie mir ihrer Schroffheit bei ihrem Umfeld nicht gerade gut ankommt. Man fragt sich aber warum das so ist. Der Tick des Telefonierens ist einfach ihr Ventil für ihr scheiß Leben, das sie hat. Ich habe mir zudem viele Kinder angehört und mir eingeprägt, wie sie erzählen, was für eine Erzählstruktur sie haben. Mir war wichtig, in die Psychologie einer Achtjährigen zu kommen, die alleine zu Hause ist und für die niemand da ist. Ein Mädchen, das Angst hat.

Wie würden Sie den Film „Die Anruferin“ im Vergleich zu anderen neueren deutschen Produktionen einordnen?
Koch: Es ist sicherlich eine besondere Geschichte. Man könnte bestimmt auch einen guten Film über eine Person drehen, die einen Waschzwang hat oder über jemanden mit einem Kontrollzwang und der nur raus kann, wenn er einen rosa und einen blauen Socken anhat. Das wäre bestimmt auch ein interessanter Film. Aber eine Geschichte über eine Frau, die solche Anrufe macht, gab es vorher noch nicht. Da es auch noch auf einem realen Fall beruht, gibt es dieses Schicksal also tatsächlich. Und das ist so interessant daran: der nächste Typ in der U-Bahn könnte derjenige sein, der genau das vielleicht zu Hause tut. Das ist etwas Beängstigendes an dem Film.

Glauben Sie, dass es in der Welt draußen viele solcher Menschen wie Irm, die Anruferin, gibt?
Koch: Wahrscheinlich nicht so viele, die mit Kinderstimme Leute anrufen. Aber ich glaube, dass wir uns überhaupt kein Bild davon machen können, wie viele Ticks es gibt und wie die sich gestalten können. Wenn man Psychologie-Zeitschriften liest, was ich manchmal ganz gerne tue, wird schnell klar: Der menschliche Kopf, das Gehirn und die Krankheiten, die sich da drin ansammeln, sind so vielfältig, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Ich glaube, es gibt einen Haufen Freaks da draußen.

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Ich glaube, dass wir uns überhaupt kein Bild davon machen können, wie viele Ticks es gibt und wie die sich gestalten können.

Valerie Koch

Der Tick der „Anruferin“ ist also ein Beispiel dafür, was sich alles hinter einer menschlichen Fassade verbergen kann?
Koch: Genau.

Ist „Die Anruferin“ ein Frauenfilm?
Koch: Wenn ich höre, dass sich Menschen bis zum Tod um ihre Mutter gekümmert haben, waren es meistens Frauen. Ich höre das wirklich selten von Männern. Das ist also sicherlich ein Frauenthema. Und die Hauptfigur ist eine Frau. Es geht um eine Frauenfreundschaft. Das ungeliebte Kind hingegen ist ein Thema aller Geschlechter, aber hier wird halt detailliert eine Frau behandelt. Und ich kann mir bei einem Mann noch weniger vorstellen, dass er es schafft, seine Stimme so zu verstellen, dass der Beteiligte am Telefon glaubt, es sei ein Kind. Dass sind sicherlich alles Dinge, die dafür sprechen, dass es ein Frauenfilm ist.

Es werden sich also mehr Frauen den Film anschauen?
Koch: Ja, wahrscheinlich schon. Es sind sowieso oft Frauen, die sich Problemfilme angucken.

Sie haben für „Die Anruferin“ beim Filmfest München den Förderpreis Deutscher Film als beste Nachwuchsschauspielerin bekommen und wurden in dem Zusammenhang als „Schauspieltalent“ bezeichnet. Wollen Sie mit 30 und nach vielen Jahren auf der Bühne noch ein Talent sein?
Koch: Och, immer (lacht). Lob ist Lob. Es ist mir vollkommen wurscht, unter welchem Titel das dann läuft. Ich wünsche mir nur, dass ich weiter gute Sachen spielen kann. In welche Kategorie man mich packt, ist mir nicht so wichtig.

Andere Schauspielerinnen haben mit Anfang 30 zwar gar nicht oder kaum Theater gespielt, aber schon viele Filme gemacht. Es würde niemand auf die Idee kommen, sie als „Talente“ zu bezeichnen.
Koch: Ich mache den Vergleich dann, wenn ich jemanden sehe, der was spielt und ich denke: Oh, ist das grottig. Das kann immer passieren. Das kann auch jemand über mich bei dem Film sagen, denn das ist viel zu subjektiv. Oder ich könnte sagen: Hätte ich auch gern gespielt oder hätte ich anders gemacht. Aber ansonsten kann ich den Maßstab nicht anlegen, weil die vielleicht ein ganz anderes Leben führen als ich oder sich anders hochgearbeitet haben. Ich bin eigentlich froh, dass ich meine Schauspielschule so gemacht habe. Ich möchte auch gerne wieder Theater spielen. Für mich ist das Wichtigste, dass ich Rollen spielen kann, die mich befriedigen, die mich ausfüllen.

Es geht Ihnen also nur darum, für sich selbst mit der Rolle zufrieden zu sein? Ob es Rollen sind, die eine große Außenwirkung haben, ist egal?
Koch: Ja, mir geht es darum, dass ich mich da drin verlieren kann.

Mit Filmrollen ist automatisch ein höherer Bekanntheitsgrad verbunden.
Koch: Wenn das gute Projekte nach sich zieht, habe ich auch nichts dagegen, mal in einem fetten Film mitzumachen, sofern er eine tolle Rolle bietet und man auch noch kräftig dabei verdient. Ich habe auch nichts gegen Geld verdienen. Aber ich gehe wahnsinnig gerne schwimmen. Ganz normal im Hallenbad. Ich gehe da auch ganz normal unter die Dusche und ziehe mir dort meinen Badeanzug an. Ich hätte gar keinen Bock darauf, dass mich da alle erkennen und anfangen zu tuscheln. Von daher ist mir der augenblickliche Status aus privater Sicht ganz recht.

Inwiefern ist das Eintauchen in eine Rolle beim Film anders als beim Theater?
Koch: Eine Rolle entwickelt sich einfach noch mal anders, wenn man sie ganz oft spielt. Beim Theater verändert sie sich vom ersten Abend bis zur letzten Vorführung. Manchmal hat man auch Erlebnisse auf der Bühne, wo man etwas Neues an der Rolle entdeckt oder man etwas plötzlich ganz anders sieht. Ab da hat man das dann immer dabei. Beim Film ist eine Szene, nachdem man sie gedreht hat, nicht mehr zu verändern. Ich genieße es beim Theater auch, dass ich mich nicht angucken kann. Natürlich gucke ich mir einen Film an, wenn er fertig ist. Für mich ist das aber wahnsinnig quälend, das macht mir keinen Spaß. Ich sehe mich selber überhaupt nicht gerne, ich finde es furchtbar. Am Theater kann ich es gar nicht. Ich kann einfach nur spielen.

Wird nicht in der Probe auch mal mit Videoaufzeichnungen gearbeitet?
Koch: Man könnte das machen. Aber ich glaube, man müsste es verlangen, damit es wirklich einmal gemacht würde. Mich hat das nie interessiert und es ist bislang auch nicht an mich herangetragen worden.

Wann wussten Sie, dass Sie die Schauspielschule besuchen wollten?
Koch: Mit 12, 13 Jahren. Ich bin dann in eine Theater-AG gegangen. Aber das hat mich nicht besonders ausgefüllt. Schließlich habe ich angefangen, in den Sommerferien immer Unis in den USA zu besuchen. Jedes Jahr drei Monate. Da habe ich viel Theater spielen dürfen. Es gibt in den USA übrigens eine ganz tolle Theaterszene, die kennt hier nur niemand. Eigentlich wollte ich auch dort bleiben, aber ich habe es dann doch nicht gemacht, bin zurück und habe mich an der Ernst-Busch in Berlin beworben.

Gab es kritische Phasen auf dem Weg, Schauspielerin zu werden?
Koch: Meine Zeit an der Schauspielschule war sehr gut, ich finde die Schule ganz toll. Der Beruf insgesamt ist nicht einfach, weil man sich nicht immer aussuchen kann, was man machen kann. Man ist immer ein bisschen der Tatsache ausgeliefert, dass tolle Angebote kommen.

Mögen Sie eigentlich Comics?
Koch: Ich liebe Comics und lese immer noch viel. Ich sammle jetzt alle Sachen von Marini.

Welche Figur wären Sie, wenn das Leben ein Comic wäre?
Koch: Lucky Luke! Weil er so locker ist und mit seiner Fluppe im Mund erstmal immer an das Gute glaubt.

Und das tun Sie auch?
Koch: Ja, ich glaube an das Gute – aber so locker wie Lucky Luke kann ich leider nicht die ganze Zeit sein. Das wäre ich gerne, aber das kriege ich dann doch nicht hin.

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