Max Färberböck

Jeden Tag 20 Stunden vor der Röhre gesessen.

Regisseur Max Färberböck über seine Erfahrungen mit dem 11. September, den Film, den er darüber gemacht hat und seine Überzeugung von der 'am besten funktionierenden' Demokratie in den USA

Max Färberböck

© X-Verleih

Herr Färberböck, in Ihrem Film "September", zeigen sie unterschiedliche Geschichten, wie Menschen in Deutschland die ersten Monate nach dem 11. September erlebt haben. Der Film hat bereits sowohl positive als auch negative Kritiken hervorgerufen. Würden Sie sagen, das liegt am Film selbst oder daran, dass jeder seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem 11. September gemacht hat?
Färberböck: Ich glaube, letzteres ist der Fall. Ich wusste, wenn ich einen Film über den 11. September mache, dann wird das automatisch polarisieren. Das ist keine Thema, wo man alle zufrieden stellen kann, sondern ein Thema, wo jeder mit seiner eigenen Erinnerung und mit seinen eigenen Emotionen dranhängt. Und wann immer man mit solch einem Thema im Film anfängt hat man sich eigentlich schon alle zehn Finger verbrannt.
Ich glaube aber auch, dass es nicht richtig gewesen wäre für diesen Film, wenn er unangefochten in die Kinos kommt. Einen Film über dieses Thema zu machen hat in gewisser Weise auch etwas Provokantes, da kann man schon was auf die Nase bekommen. Aber das war uns bewusst, als wir das Projekt in Angriff genommen haben.

Es gab 2002 den amerikanischen Kurzfilm "Site", einer der ersten Filme mit Thema 11. September. Der Film zeigte acht Minuten nur die Gesichter der Menschen in New York, wie sie auf die brennenden Türme starren. Sie hingegen verzichten in Ihrem Film nicht auf die Bilder der Medien und der brennenden Türme. Ohne die hätte Sie nicht auskommen können?
Färberböck: Nein, überhaupt nicht, weil die Medien in der Zeit so eine sehr große Rolle gespielt haben. Ich kenne keine Zeit, in der die Medien so präsent und so allumfassend waren, wie in den vier, fünf Wochen nach dem 11.September. Das ging so etwa bis zum Angriff auf Afghanistan, ab da schaltete die Welt mehr oder weniger ab und die Politik übernahm. Der Afghanistan-Krieg war im Grunde weniger spannungsgeladen, die Medienabhängigkeit der Leute war geringer als noch zum 11. September. Der Einfluss der Medien auf unser persönliches Leben war von einem solchen Ausmaß, dass ich das unbedingt auch im Film haben wollte.

Sie haben also damals selbst auch viel Fernsehen geguckt?
Färberböck: Ich habe die ersten zwei Tage nach dem 11. September nur Fernsehen geguckt. Ich habe mir manchmal noch etwas zum Essen geholt, aber sonst habe ich jeden Tag 20 Stunden vor der Röhre gesessen. Dabei sehe ich mich eigentlich als völlig medienlosen Menschen.. Ich habe zwar mehrmals für das Fernsehen gearbeitet, aber darüber hinaus habe ich mich nie so sehr für das Fernsehen interessiert. Ich habe nur drei mal "Tatort" in meinem Leben gesehen, glaube ich. Aber beim 11. September ging es um etwas anderes, ich habe da sehr gebannt zugeschaut, wie die Medien und die Politik zusammen versucht haben, eine Welt, die im Grunde genommen zerborsten ist, wieder zusammenzufügen. In den ersten paar Tagen gab es ja noch Amerika-kritische Töne, da sprachen noch Professoren im Fernsehen, die eine andere Analyse brachten als CNN zum Beispiel. Aber diese kritischen Töne wurden nach einer Weile immer weniger.

Ihr Anliegen ist es nun, zu zeigen, wie der 11. September das Leben in Deutschland beeinflusst hat.
Färberböck: Ja, aber da Deutschland ja nicht im Zentrum dieser Ereignisse stand, ist dieser Film auch völlig anders gelagert, als man es vielleicht erwartet. Er erzählt nicht diese Tragödie nach, sondern er erzählt von Dramen, die hier passieren können, oder die auch tatsächlich passiert sind. Es ist interessant, dass es hierzulande wesentlich härtere Dramen um den 11. September herum gegeben hat, als wir das vielleicht wahrhaben wollen. Über die Arbeit an diesem Film habe ich eine Menge Geschichten erfahren, die wirklich drastischer waren, als das, was jetzt der Film erzählt. So viele Menschen haben Psychosen und Nervenzusammenbrüche erlitten, es war Wahnsinn, mit was die Polizei und die Sozialdienste in der Zeit fertig werden mussten.

Aber, wie erklären Sie es sich, dass die Menschen gerade nach dem 11. September so unter Schock standen, obwohl die Welt zuvor auch nicht viel rosiger ausgesehen hat?
Färberböck: Also, der Schock nach diesen Ereignissen saß einfach sehr tief. Ich kenne niemand, den das nicht umgehauen hat. Und das Bewusstsein, wie schnell dieses ganze Weltsystem zu kippen ist — innerhalb von wenigen Minuten hat ja nichts mehr auf dieser Welt gestimmt. Der gesamte Geldhandel, die gesamten Wirtschaftszusammenhänge waren völlig aus dem Häuschen. Die Verunsicherung war so total, dass man schon ziemlich abgestumpft sein muss, um nicht ermessen zu können, was das alles eigentlich bedeutet hat und nach wie vor bedeutet. Der 11. September hat auch Arbeitsmarktfragen berührt, die großen Versicherungen oder die Reiseunternehmen, die zusammen gebrochen sind. Das braucht man nur zu verfolgen und schon landen sie bei irgendeiner Familie im Haus nebenan, die das heute noch zu spüren bekommt. Der 11. September ist mitnichten abgeschlossen.
Mit dem 11. September haben wir doch im Grunde in einen Abgrund geblickt. Natürlich gab es vorher auf der Welt ähnliche Katastrophen, aber die haben uns nie wirklich berührt. Der 11. September hat uns berührt, zum einen dadurch, dass diese Bildkraft so gewaltig war, zum anderen durch diese Grausamkeit, dass mit einem Schlag so viel vernichtet wurde.

Haben Sie im September 2001 eigentlich an einem anderen Filmprojekt gearbeitet?
Färberböck: Ja, ich hatte ein Drehbuch fast fertig gehabt, es fehlten nur noch 15 Seiten. An dem Buch hatte ich schon ein halbes Jahr lang gearbeitet. Das war eine Geschichte, die handelte von Bankern und ich hatte zum Beispiel auch eine Szene drin, wo in einem Hochhaus der Fahrstuhl aufgeht und ein arabischer, vermummter Reiter herauskommt und allen Leuten auf der Etage die Köpfe abschlägt. Das war die Phantasie eines Bank-Angestellten, der eigentlich nur einen Wunsch hatte, nämlich Krieger zu sein.

Apropos Banker — Sie haben in "September" ja auch eine Episode mit einem Banker. Würden Sie sagen, dass auch die Banker mit schuld daran sind, dass sich Terroristen gegen die Weltmacht USA richten, dass sie oft nicht weniger kriminell handeln?
Färberböck: Das ist eine wichtige Frage. Ich bin allerdings überzeugt, dass in den USA etwas dagegen getan wird — im Gegensatz zu Deutschland. Da haben amerikanische Staatsanwälte, etwa anderthalb Jahre lang fast alle Großunternehmen Amerikas durchforstet, da ist wirklich eine Menge passiert, da wurde ja ein Betrug nach dem anderen aufgedeckt. Man muss sich vorstellen, dass Bush persönlich vor etwa einem Jahr gesagt hat, dass diese Wirtschaftskriminellen nicht unter 30 Jahre Gefängnis davon kommen sollen.

Wobei wir nicht wissen können, was da hinter den Kulissen alles abläuft.
Färberböck: Ich würde aber sagen, dass diese immer wieder funktionierende Demokratie in den USA nicht zu unterschätzen ist. Deswegen habe ich auch darauf bestanden, dass in einer der Episoden von "September" der Chefredakteur einer Zeitung sagt: "die USA haben die am besten funktionierende Demokratie." Diese Art von Reinigungsprozessen, die es da gab mit diesen amerikanischen Staatsanwälten, die ist bei uns nicht durchgekommen. Das sehe ich bei denen auch als eine Konsequenz des 11. September.

Wobei doch der 11. September auch die Konsequenz hat, dass wir in die USA demnächst nicht mehr ohne Fingerabdruck hineinkommen und dass sehr viele Menschen aus dem Land ausgewiesen werden, die nicht mehr als nur Verdächtige sind, vielleicht wegen etwas zu dunkler Hautfarbe. Ist das eine gut funktionierende Demokratie?
Färberböck: Nein, natürlich nicht. Aber ich bin der Meinung, dass es immer wieder diese Reinigungsprozesse gibt. Zum Beispiel hatte ich mal die New York Times in der Hand, mit einer Schlagzeile "The worst congress man ever seen", wo auf anderthalb Seiten sämtliche Schmiergelder aufgelistet wurden, die dieser Mann bekommen oder gezahlt hatte. So etwas habe ich in Deutschland noch nicht mitgekriegt.

Ich würde aber mal davon ausgehen, dass so etwas nur aufgrund bestimmter Interessen geschieht, eine bestimmte Person zu diskreditieren — und der Großteil der Schmiergelder wird aufgrund bestimmter Interessen auch im Dunkeln bleiben.
Färberböck: Ganz so skeptisch wäre ich da nicht. Es gibt immer wieder Momente, wo die amerikanische Regierung korrekt eingreift.

Hm, Sie meinen, dass eine Regierung, die offensichtlich Beweise gefälscht hat, Kriegsgründe frei erfunden hat, immer im Sinne der Demokratie handelt?
Färberböck: Nein, nicht immer. Aber sie bringen immer wieder Korrektive auf. Natürlich steht das in keinem Verhältnis zu dem Maß an Realitätsbiegung in den USA passiert, nur damit man den Irak angreifen kann, da gebe ich Ihnen Recht.

Eine letzte Frage: Wie kam es dazu, dass Sie in "September" Musik des estnischen Komponisten von Arvo Pärt benutzen — zufälligerweise tat das auch der Regisseur Jason Kliot in seinem anfangs erwähnten Kurzfilm "Site".
Färberböck: Also, Arvo Pärt ist schon seit 1992 ein steter Begleiter von mir, was Filmmusik angeht, ich habe seine Musik schon in meinen Fernsehfilmen benutzt. Hier war es so, dass ich das "Fratres" von ihm angelegt habe, weil ich wusste, dass an der Stelle im Film das Politische und das Private irgendwie zusammengezogen wird. Ich habe sehr viel CDs von ihm zu Hause und habe dieses Stück mitgenommen, meine Cutterin hat es angelegt — und das passte dann sehr genau auf diese Szene.

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