Wes Craven

Es muss diesen Point of No Return geben.

Regisseur Wes Craven über seinen Film "Red-Eye", wie man Spannung erzeugt und seinen Ruf als "Meister des Horrors"

Wes Craven

© Marcela H. Polgar / UIP

Mr. Craven, Ihr aktueller Thriller „Red-Eye“ spielt in einem Flugzeug – fliegen Sie eigentlich ungern?
Craven: Nun, sagen wir, es gibt Dinge, die keiner beim Fliegen mag: enge Sitze, die Nähe zu Leuten, die man normalerweise nicht so eng an sich heranlassen würde, die Irritation des Biorhythmus, wenn man durch verschiedene Zeitzonen fliegt, Turbulenzen – all das sind, von den üblichen Ängsten des Fliegens mal abgesehen, Faktoren, die wohl jeden Passagier nerven. Mit diesen Faktoren habe ich in „Red-Eye“ gespielt, denn jeder, der schon einmal eine längere Strecke geflogen ist, kennt das gut. Ich fliege nicht unbedingt gern, aber es ist immer noch besser, als im Stau zu stecken.

Als Zuschauer fühlt man sich etwas an die Verfilmung von Arthur Hailey’s „Airport“ erinnert.
Craven : Ja, nun, da „Airport“ einer der ersten großen Spielfilme war, der das unglückliche Geschehen auf einem Langstreckenflug innerhalb des Flugzeuges zeigt, sind die Bilder dieses Filmes natürlich immer zuerst im Kopf. Das ist in etwa so, wie jeder Haifisch, der nun in einem Spielfilm eine Rolle spielt, stets mit Steven Spielbergs „weißem Hai“ verglichen wird. Aber den Vergleich ziehe ich gerne: „Airport“ ist an Spannung kaum zu überbieten.

Bedrohliche Situationen, etwa der ‚Killer neben mir’ wirken in engen, geschlossenen Räumen ungleich massiver, als auf offenem Feld. Der Messermörder im eigenen Haus lässt Zuschauer wie Opfer immer fragen, hinter welcher Tür er sich versteckt. Kann Horror auch anders erzählt werden?
Craven: Das hängt davon ab, wie Sie Horror definieren wollen: Ein Kriegsfilm kann auf offenem Gelände, im Dschungel oder auf hoher See spielen: eine ausweglose Situation ist eine ausweglose Situation. Und ausweglos ist sie stets, wenn wir nicht Herr unserer Lage sind, egal, ob Sie auf hoher See in einen Taifun rasen oder mitten im Dschungel einem Tiger begegnen oder eben unbewaffnet vor einem Serienkiller stehen. Im Grunde sind wir selten Herr der Lage. Nur: Durch die Reduktion einer Filmszene auf das Unausweichliche wird einem dieses erst bewusst. In ihrer Frage spielen Sie eher auf das Thema Spannung an: Nun, Spannung existiert nicht nur im Horrorfilm, Spannung ist essentiell, auch im Liebesfilm: Heiratet der Prinz am Ende seine Prinzessin oder nicht? Spannung wird nicht durch das Genre oder genretypische Elemente erzeugt, sondern durch die Geschichte. Und die Darsteller, welche die Geschichte transportieren, sind, meiner Meinung nach, wahnsinnig wichtig.

Bei Ihnen sind das in den Hauptrollen Rachel McAdams als die junge Hoteldirektorin Lisa und der Auftragskiller Jackson Rippner, welcher von Cillian Murphy dargestellt wird. Es scheint, als spielten die beiden seit Jahren zusammen – ist dem so?
Craven: Nein, ganz und gar nicht und ich bin auch überglücklich, dass Rachel und Cillian so wunderbar harmoniert haben. Es sind sehr dominante Rollen in „Red-Eye“, beide sind auf engstem Raum zusammen und sie kommunizieren ständig, wobei sie genau darauf achten müssen, was der andere sagt. Der Film wäre so nicht möglich gewesen, hätten die beiden nicht ideal miteinander gespielt! Eine ideale Besetzung, wirklich!

Die beiden sind sich im Film erst sehr nah, bevor Lisa bewusst wird, dass ein Killer neben ihr sitzt und dass das Leben ihres Vaters in Gefahr ist. Hätten Sie sich nicht gewünscht, dass die unterschwellige Erotik, die in diesem sehr ähnlichen wie ungleichen Paar mitschwingt, weiter hätte entwickelt werden müssen?
Craven: Ja und Nein: Es muss diesen Point of No Return geben, ansonsten wäre es wahrscheinlich wirklich ein ganz anderer Film geworden, eine Love Story zum Beispiel. Aber wie soll das in diesem Fall gehen? Lisa erfährt, dass ihr Vater in Gefahr ist, dass ihr Verhalten entweder sein Leben auslöscht oder das eines anderen Menschen und dass auch ihr Leben in Gefahr ist! Wie soll sie da reagieren? Der höfliche junge Mann ist nun ein Monster. Sie muss handeln. Sie muss in ihm ihren Feind sehen, Sorry, aber ich fürchte, da ist wenig Platz für Alternativen…

Doch zeigen Sie zu Beginn des Films zwei sehr tiefgründige Menschen, für einen Action– Thriller lassen Sie den Zuschauer sehr nah an die Seele Ihrer Figuren heran: Lohnt es sich da nicht, an dieser Stelle weiter zu machen, als – pardon – all diese Substanz in einem Showdown zu verpulvern?
Craven: Nein, sehen Sie, da unterschätzen Sie das Genre des Thrillers: Je tiefer ich die Charaktere zeichne, um so mehr nehmen Sie als Zuschauer doch Anteil an der Geschichte. Das, die Anteilnahme an einer Person, befördert doch die Spannung. Und wie ich an Ihrer Frage sehe, ist mir das doch gelungen. Es ist doch gut, wenn ein Zuschauer denkt: „Oh, shit, ich will nicht, dass der oder die gerade stirbt!“ Aber ich weiß, worauf Sie hinaus wollen: Vielleicht werde ich in Zukunft tatsächlich dieses Beziehungstiefe in andere Genres einbauen, wer weiß.

Finden Sie es eigentlich bedenklich, dass Sie als „Meister des Horrors" gelten und in Ihren Filmen stets viele Menschen auf grauenhafte Weise umkommen?
Craven: Also, erstens sind die meisten Arten des Umkommens leider grauenhaft und zweitens sterben täglich Millionen Menschen auf diesem Planeten, auch ohne Kriege und Katastrophen, ohne dass jemand davon Notiz nimmt. Der Tod gehört zum Leben und in meinen Geschichten wie auch in den Geschichten anderer Autoren verwebe ich Elemente des Lebens und Sterbens. Wenn ich auf alles verzichten würde, was gefährlich, anrüchig oder brutal wäre, dann müsste ich Gute Nacht–Geschichten erzählen – wobei auch die proportional zur Altersklasse ein dramatisches Element besitzen. Darum dreht sich doch das Erzählen: Konflikte, Situationen des Lebens mit Witz oder Horror darzustellen.

Zum Schluss noch die Frage: was bedeutet der Filmtitel „Red-Eye“?
Craven: Oh, gut , dass Sie das fragen, denn ich befürchtete schon, dass dieser Begriff in Europa nicht so schnell verstanden wird: mit „Red-Eye“ bezeichnet man die Flüge von der West– an die Ostküste der USA, wo sie mit der Nacht losfliegen und in den Morgen hineinfliegen, also auf jeden Fall eine sehr kurze Nacht haben und kaum schlafen können. Dann, wenn sie aussteigen, beginnt im Osten der Tag und Sie müssen wach bleiben, daher haben sie sicherlich rote Augen und somit bezeichnen wir in den USA diese Flüge als „Red Eye–Flights“.

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