Christian Brückner

Hörbar zu sein ist eine andere Popularität.

Synchronsprecher Christian Brückner über seinen Hörbuchverlag Parlando, das Hörbarsein und wie er sich einen Text erarbeitet

Christian Brückner

© Hoffmann und Campe Verlag

Herr Brückner, wenn man Artikel über Sie liest, begegnet man früher oder später dem Titel "Die Stimme" bzw. "the voice" – haben Sie sich diesen Titel selbst verpasst oder wer hat in Ihnen "die Stimme" entdeckt?
Brückner: Von "verpassen" kann nicht die Rede sein, das hat sich irgendwie so eingebürgert im Lauf der langen Zeit. Ich habe über Generationen und für verschiedene Generationen immer Geschichten hörbar gemacht, für Menschen ganz verschiedener Altersstufen. Und ich bin denen ins Ohr gekommen und geblieben. Das kann ich schon so sagen und deswegen hat diese Bezeichnung in meinen Augen bzw. Ohren eine gewisse Berechtigung.

"Hörbar" bedeutet primär die Stimme zu kennen und nicht das Gesicht, nicht die Person Christian Brückner. Sind Sie lieber hörbar als sichtbar?
Brückner: Ich denke, hörbar zu sein ist eine andere Popularität. Es ist auch gar nicht mehr in meine Entscheidung gestellt, denn ich habe diese Entwicklung genommen und bin hörbar geworden und verhältnismäßig selten sichtbar. Ich kann jetzt auch gar nicht sagen, dass ich beispielsweise das Sichtbarsein lieber gehabt hätte, denn ich glaube schon, dass das Hörbarsein etwas ganz Eindrückliches und Unverwechselbares ist. Das ist eine ganz besondere Sache.

Erst in den letzten fünf, sechs Jahren sind Hörmedien wieder richtig in das Bewusstsein der Menschen geraten. Wo sehen Sie Gründe für diese Renaissance des Hörspiels bzw. den großen Erfolg des vorgelesenen Buches?
Brückner: Also, ich bin ja schon viel länger dabei, das heißt lange vor dem Hörboom habe ich diese Geschichten erzählt, innerhalb der ARD, in den Literaturprogrammen, Features und Hörspielen. Leider muss ich sagen, haben seit geraumer Zeit die nichtkommerziellen Radiosender, hauptsächlich die ARD, große Teile ihres Kulturprogramms aus einem mir unverständlichen Kleinmut aufgegeben. Sie haben kein Vertrauen mehr gehabt, lange Geschichten erzählen zu lassen, sondern sind überwiegend zum Dudelfunk übergegangen und schlugen ihre Kulturprogramme freiwillig kaputt.

Ihr Vertrauen in die Literatur ist hingegen geblieben.
Brückner: Natürlich.

Welche Stoffe liegen Ihnen denn besonders? Oft lesen Sie kindliche oder jugendliche Protagonisten. Ist das ein besonderes Faible oder Zufall?
Brückner: Das ist natürlich ganz schön, gerade "Die Asche meiner Mutter" oder "Helena und das Meer des Sommers". Aber das ist nicht das einzige Genre, das mich interessiert. In unserem Verlag Parlando sind das vor allem Bücher, die meine Frau und mich schon lange begleiten. Bücher, die uns von früh auf wichtig waren. Deswegen veröffentlichten wir jetzt auch Andersens Märchen, obwohl das schon hundert Mal gemacht wurde – weiß ich ja. Trotzdem wollten wir das zu Andersens zweihundertstem Geburtstag auch noch einmal tun, weil der Mann einfach für uns wichtig war als unser Märchenerzähler. Wir haben ihn ja auch vielfach unseren eigenen Kindern vorgelesen.
Zudem liegt mir die US-amerikanische Literatur sehr – durch meine Verbindung, meine emotionale Nähe zu den USA, speziell zu New York City. Solche Dinge sind es, die wir editieren. Es sind Bücher und Romane, die wir selbst entdecken bzw. entdeckt haben.
Und für mich ist grundsätzlich auch Lyrik sehr wichtig, deswegen haben wir bereits eine verhältnismäßig große Anzahl von Lyriktiteln veröffentlicht.

Wie erarbeiten Sie einen Text? Die Herausforderung des Hörbuchs ist zweifelsohne, die unterschiedlichen Charaktere lesend zu interpretieren, ihnen eine unterschiedliche Farbe und Charakter zu geben.
Brückner: Ja klar, unbedingt. Aber das Erarbeiten passiert bei mir in einem Vorlauf, den kann ich zeitlich gar nicht genau bestimmen. Ich kann nicht sagen, dass dauert so und so lange. Das ist unterschiedlich, je nach dem, wie schwer ein Buch für mich ist. Ich erarbeite Bücher immer in meinem Bauch, in meinem Kopf und vor allem in meiner Phantasie. Dies tue ich nicht mit jemanden anderem gemeinsam in dem Sinne, dass es inszeniert wird. Ich rede aber mit meiner Frau darüber, die meine sorgfältigste und genaueste Regisseurin ist. Mit ihr rede ich vorher sehr oft und dann auch im Studio. Aber erst einmal passiert das alles für mich ganz stumm, ich lese ein Buch und es ist dann meine Phantasie, die dieses Buch in einer möglichen Hörversion herstellt.

Die eigentliche Arbeit liegt also komplett in Ihrem Inneren?
Brückner: Ja, erst im Studio wird zum ersten Mal etwas hörbar, vorher nicht.

Weshalb haben Sie sich eigentlich entschieden, auch politische Texte zu editieren?
Christian Brückner: Warum? Weil es ganz, ganz wichtig ist, politisch Stellung zu beziehen. Wir sind jetzt zwar kein politischer Verlag, aber wir werden das auch in Zukunft machen. Wobei es natürlich schwierig ist, Werke wie Marx‘ "Kommunistisches Manifest" zu produzieren. Aber das ist einfach so ein wunderbares Stück deutsche Literatur. Es ist nicht völlig von der Rolle (lacht), es ist nicht so unmodern, genauer gesagt ist es überhaupt nicht unmodern und es hat eine handliche Form. Das ist bei politischen Titeln leider sehr selten, die ufern oft aus und das können wir dann nicht verkaufen. Wir können nicht über irgendein theoretisches Thema eine Box mit sechs oder acht CDs machen.

Zum Schluss die Frage: welches Buch lesen Sie gerade?
Christian Brückner: Ich bereite mich gerade auf eine große Lesung im Sommer vor: "Moby Dick" – und ich habe viel Vergnügen an diesem irrsinnig schönen Buch. Ansonsten lese ich ganz viel querbeet. Heute Morgen habe ich im Hotel Gedichte von Paul Celan gelesen, obwohl ich die alle kenne, aber ich habe sie gestern in einer neuen Ausgabe im Antiquariat gefunden und da ist dann die Ästhetik anders. Man liest es, als wäre es ein neues Buch. Und ich habe angefangen, noch mal "Amerikafahrt" von Wolfgang Koeppen zu lesen, was ich mir auch im Antiquarat besorgt habe. Toll. Du schlägst das Buch auf, liest ein paar Seiten und merkst: das ist ein großer Schriftsteller.

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