Ben Becker

Schon Zwölfjährige machen mittlerweile Sachen, wo einem als Erwachsener schlecht wird.

Ben Becker über Kinderbücher, die Erziehung seiner Tochter und den Zustand des deutschen Films

Ben Becker

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Herr Becker, mit welchen Kinderbüchern sind Sie aufgewachsen?
Becker: Wen ich bis heute unheimlich mag, ist Maurice Sendak, der Autor von „Wo die wilden Kerle wohnen“. Von ihm hatte ich so ziemlich alles. Dann gab’s so eine französische Sache, „Serafin“ über einen Erfinder und klar, Pippi Langstrumpf.

Haben Sie die eher geschenkt bekommen oder selbst entdeckt?
Becker: Als Kind kriegt man ja viel geschenkt und das ist dann auch sehr geschmacksweisend. Was die Mama toll findet, findet man auch erstmal klasse. Ich habe meine Kinderbücher auch noch zuhause alle in der Bibliothek und mag die auch noch sehr gerne.

Womit könnte man Ihr Kinderbuch „Der kleine Bruno mit den grünen Haaren“ vergleichen?
Becker: „Der kleine Nick“ von Goscinny und Sempé ist so eine Geschichte, die ich auch immer unheimlich mochte. In der Gegend könnte man den kleinen Bruno irgendwo ansiedeln, zumal es ja auch, wie beim „Nick“ weitere Bände geben wird. Ich habe einige Geschichten in der Schublade,  bis hin zu „Bruno in Paris“ wo er in den Louvre geht und die Mona Lisa sieht. Einen kleinen Grünstich hat die ja auch.

Wie kam es zu der Geschichte vom „Kleinen Bruno“?
Becker: Letztlich ist die in meiner Kindheit entstanden. Kleine Kinder waschen sich ja die Haare so ungern und ich war auch einer von denen. Da hat mir meine Mama irgendwann mal eine Story von einem kleinen Jungen erzählt, der sich die Haare partout nicht waschen will. Diese Geschichte ist mir genauso wenig aus dem Kopf gegangen, wie die Geschichte von der chinesischen Oma, die ich angeblich habe und die immer draußen am Fenster vorbei fliegt. Irgendwann, das ist jetzt auch schon wieder zehn Jahre her, habe ich mal angefangen, das aufzuschreiben. Und dann stellt sich die Frage, ob man es nur für die Schublade geschrieben hat. Stattdessen liegt das Buch jetzt auf dem Tisch.

Bruno ist anders, geht aber souverän damit um. Soll das Buch ermutigen, anders zu sein?
Becker: Diese Geschichte wird die Kinder nicht verderben, sondern ihnen vielleicht Mut machen, zu sich selbst zu stehen. Egal ob sie rote Haare haben oder türkischer Herkunft sind, oder ob der Papa sich einen Ring durch die Nase zieht – man kann sagen: So ist das eben, so bin ich, ihr müsst mit mir umgehen und ich mit euch. Das macht Bruno auf eine ganz klasse Art und Weise. Aber ich bin nicht als Pädagoge angetreten, sondern einfach nur als Märchenonkel, der eine Geschichte erzählt.

Kinder gelten gleichzeitig als dankbares, aber auch als schwieriges und anspruchsvolles Publikum. Was kann man als Schauspieler daraus lernen?
Becker: Die naive Neugier, die Kinder zutage legen. Einfach gerade aus sein und nachfragen, sich auch ein bisschen dumm stellen. Ich fange auch immer bei jeder Rolle damit an, ganz naiv zu fragen: Wer? Wieso? Weshalb? Warum? Das sind die berühmten W-Fragen, die man in jedem Schauspielkurs beigebracht bekommt. Aber für Kinder sind die ganz selbstverständlich. Für mich als Schauspieler ist ein Kinderpublikum ansonsten in erster Linie unheimlich anstrengend. Die ziehen einen auf links, die fragen tausend Sachen, versuchen einen zu ärgern, machen alles kaputt und was weiß ich nicht alles.

Wie geht man damit um?
Becker: Ich bin in der Schule meiner Tochter gewesen und wollte denen zeigen, wie man ein Hörspiel macht. Ich habe eine Geschichte über einen Piraten geschrieben, Kapitän Bleiauge, bin damit in die Schule gegangen und habe gesagt: Ich zeig euch jetzt mal, wie das geht, wie man mit einer Tüte voller Erbsen ein Meeresgeräusch macht. Das endete natürlich im totalen Chaos, der eine wollte den Piraten spielen, der andere aber auch, dann gab’s ein blaues Auge, die Tüte ist geplatzt, dann ist der Lehrer ausgeflippt und meinte: Wer jetzt noch eine Erbse in die Hand nimmt, den schmeiß‘ ich raus! (Lacht) Das ist auch mir selber über den Kopf gewachsen. Nichtsdestotrotz ist das auch sehr komisch. Kollegen, die richtig Kindertheater machen, die sind nach zwei Vorstellungen am Tag alle. Ich mache das nur, wenn mal Schulfest ist, oder so. Dann gehe ich da gerne mal hin und mache ein bisschen Blödsinn, oder den Zauberer. Und so habe ich denen auch Bruno vorgelesen. Das hat funktioniert, die fanden den irgendwie alle witzig.

Bezeichnender Weise wird Bruno mit seinen grünen Haare von einer Seifenfirma als Werbeträger eingesetzt. Das erinnert an die Kommerzialisierung der Punk-Bewegung?
Becker: (Lacht) Das kenne ich aus anderen Geschichten. Mich hat man als kleinen Jungen auf einen Hocker gestellt, hat Fotos von mir gemacht und die wurden dann auf der Kaba-Dose abgedruckt. Da war ich fünf. Ich bin dann in den Supermarkt und hab gespannt geguckt, ob irgendjemand meine Kaba-Dose kauft. Insofern hat das auch autobiografische Züge.

Schließlich hängen überall in der Stadt Plakate mit seinem Foto. Das wird Bruno dann doch unheimlich.
Becker: Da merkt er, dass ihm der Ruhm letztlich doch nicht so recht ist, denn plötzlich kommen alle anderen Jungs und haben grüne Haare. Er wollte sich ja seine Individualität nicht nehmen lassen. Und mir geht’s natürlich manchmal auch tierisch auf den Senkel, wenn ich draußen rumrenne und irgendwelche Leute meinen, man wäre Allgemeingut, nur weil sie einen schon mal in der Glotze gesehen haben: Dat isser doch, wie heißt er noch? Wenn man zu so etwas gar keinen autobiografischen Bezug hätte, könnte man das wohl gar nicht schreiben. Ich könnte es jedenfalls nicht.

Was hat das Vatersein für Seiten an Ihnen hervorgebracht, die Sie nicht erwartet hätten?
Becker: Das kann ich so nicht, sagen. Ich hatte keine Erwartungen an mich, also konnte ich da auch nicht überrascht sein. Das ist eben eine Entwicklung. Irgendwie übernimmt man da einen großen Teil Verantwortung, das ist eben auch ganz schön. Die soll eben zum Klavierunterricht und zum Fußball gehen.

Soll sie oder will sie?
Becker: Na, das soll ihr schon aus Spaß machen. Aber irgendwann kam sie dann und sagte, ich habe keinen Bock mehr auf Klavier, jetzt will ich Chinesisch lernen. Dann sagte ich: Okay, dann geh Chinesisch lernen. Nach zwei Monaten kam sie und sagte: Ich habe keine Lust mehr auf Chinesisch. So läuft das aber auch nicht. Wenn ich das durchgehen ließe, wird die ja mal irgendwann so wie ich. Ich wollte unbedingt Gitarre spielen, aber gleich, wie die Beatles. Das hat nicht geklappt. Dann hat man mir die Freiheit gegeben: Okay, stell die Gitarre in die Ecke. Und ich kann es bis heute nicht. Das ist irgendwie schade. Aber es macht auch Spaß, sich da reinzuhängen, wie Kinder überhaupt Spaß machen. Man liebt die, auch wenn sie einem manchmal tierisch auf die Tüte gehen.

Zitiert

Es ist unheimlich wichtig für Kinder, eine Fantasiewelt behalten zu dürfen.

Ben Becker

Im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über Jugendgewalt konnte man auch über Emotionsunterricht in den USA lesen. Wo man die Erfahrung gemacht hat, dass man schon ganz kleinen Kindern beibringen kann, was es heißt, wenn jemand zum Beispiel ein trauriges Gesicht macht.
Becker: Emotionsunterricht? Das höre ich zum ersten Mal. Das finde ich eine gute Sache.

Aber es klingt, als müsste die Menschheit wieder von vorne anfangen, sich Instinkte neu aneignen.
Becker: Das ist tragisch, aber dieses Rad dreht sich eben. Es passiert viel Scheiß, das ist klar. Und irgendwo muss man ansetzen, diese Probleme zu bekämpfen. Schon Zwölfjährige machen mittlerweile Sachen, wo einem als erwachsener Mann schlecht wird. Man muss dagegen an arbeiten und Emotionsunterricht hört sich nicht schlecht an.

Können in Sachen Emotionsschulung Künstler eventuell mehr ausrichten als Pädagogen und Politiker?
Becker: Ich weiß nicht. Man hat mich auch gefragt, ob ich irgendwelche Parteien unterstützen  würde und da habe ich gesagt: Nein, das mache ich nicht. Ich bin durchaus politisch erzogen worden. Aber ich habe mich entschlossen, meine Politik auf der Bühne zu betreiben, in meine Kunst einfließen zu lassen. Ich nehme mir die Welt, wie ich sie sehe, verarbeite sie und stelle sie dann mit meiner Kunst wieder hin. Ob ich nun die Friedensbotschaft Jesu Christi versuche zu verbreiten, ein Kinderbuch schreibe, oder einen Hardcore-Fremdenlegionär-Mörder in irgendeinem Streifen spiele, ich habe mich entschieden, das so zu machen. Deswegen werde ich auch keine Emotionskurse für Kinder anbieten.

Nach dem Motto: grüne Haare, statt grüner Politik?
Becker: Das eine schließt das andere ja nicht aus.

Einige Bilder in Ihrem Buch, auf denen die Plakate mit dem grünen Bruno zu sehen sind, erinnern an Berlin zu Wahlkampfzeiten. Das könnte auch eine subtile Imagekampagne für die Grünen sein.
Becker: Um Gottes Willen. (lacht) Das wäre schrecklich, wenn man mir jetzt damit kommen würde. Die Kanzlerin hat auch ein grünes Jackett an, ist mir aufgefallen. Aber mir fällt momentan alles auf, was grün ist, wenn ich durch die Straßen gehe, ob es mir gefällt, oder nicht.

Was hat Ihre Tochter mit dem Bruno-Buch zu tun?
Becker: Die war sozusagen beim Entwicklungsprozess dabei. Da ging es dann immer durch mit ihrer Fantasie, bis ich sagen musste: Na, ich weiß nicht so genau. Vielleicht im nächste Buch. Aber sie saß oft daneben, wenn ich geschrieben habe. Und ich fragte sie:  Was hältst du davon,wie könnte man das machen? So ist zum Beispiel die Idee zur Geschichte „Bruno im Zirkus“ entstanden.

Warum gibt es in dem Buch keinen Vater?
Becker: So ein klassischer Papa ist ja eher eine Autoritätsperson und die wollte ich irgendwie nicht. Das hat tatsächlich auch autobiografische Züge, denn mein Papa war sehr viel weg, so wie ich auch sehr viel weg bin. Und wenn Dad nach Hause kam, dann hat er den Papa raushängen lassen. Das fand ich damals nicht so toll, und das finde ich auch heute nicht so toll. Da habe ich mich auch viel mit meinem alten Herrn drüber unterhalten. Ich fand es einfach gut, dass der kleine Bruno der Herr im Hause ist. Was der Vater macht und wo er ist, das weiß ich noch nicht so genau. Es gibt immerhin eine Geschichte, wo die Schwester seines Vaters auftaucht. Ich pirsche mich da ran. 

Es gibt auch keine Handys in der Geschichte. Die Figuren wirken modern, ihr Umfeld könnte auch aus den 50er Jahren kommen.
Becker: Ja, das könnte sein. Aber auch das war nicht beabsichtigt. Es gibt auch keine Computer und so. Das sind wohl Sachen, die mich nicht so interessieren. Es ist ein bisschen „heile Welt“ in dem Buch und das gefällt mir. Das wird auch so bleiben.

Ist es wichtiger, Kindern ihre Fantasiewelten zu lassen, statt sie mit der Realität zu konfrontieren?
Becker: Es ist unheimlich wichtig für Kinder, eine Fantasiewelt behalten zu dürfen. Bestimmte Realitäten kann man ihnen zwar auf der einen Seite nicht vorenthalten. Die gucken im falschen Moment auf den Fernseher, irgendwelche Zeitungen stellen Schlagzeilen auf die Straße, da ist es sicher besser, Kinder auf vorsichtige Art an die Realität heranzuführen, als dass sie heimlich alles selbst rauskriegen und dann vielleicht Scheiße bauen. Auf der anderen Seite ist meine Tochter wahnsinnig verträumt. Ich war genauso und möchte das nicht missen. Es wäre doch scheiße, wenn man sofort in eine Realität hineingeworfen wird, in der alles nur doof ist und hart. Dann braucht man gar nicht erst anzutreten. Träume, Fantasie, Reisen, das sind halt die schönen Dinge des Lebens.

In dem Bruno-Buch werden mehrmals Konflikte nicht wirklich geklärt, sondern man wartet „bis Gras drüber gewachsen ist.“ Ist das ein Plädoyer für buddhistische Geduld oder eine softe Form der Verdrängung?
Becker: (Lacht) Da kann man so viel rein interpretieren. Das ist ein reines Wortspiel. Und ich habe gemerkt, dass das ganz kleine Kinder auch noch nicht verstehen. Da muss man ein bisschen  nachhelfen.

„Gras über eine Sache wachsen zu lassen“ hat für Sie nichts Negatives?
Becker: Nö, hat es nicht. Es geht eben einfach vorbei, das ist schon alles nicht so tragisch. Ich kann aber und möchte auch nicht für alles eine Erklärung finden. Wenn ich Maler wäre, möchte ich auch nicht erklären müssen, warum ich das freundliche Blau gewählt habe und kein herzliches Pink.

A propos Farben. Wie lief die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Annette Swoboda?
Becker: Hervorragend. Und ich habe jetzt erst gelernt, dass es oft so ist, das sich Autor und Illustrator gar nicht begegnen. Da habe ich gesagt, das funktioniert nicht. Ich mach’ hier einen Zirkus auf und wer da mit in die Manege will, mit dem muss ich mich auch austauschen. So haben wir sehr viel telefoniert und gemacht und getan. Das hat beiden großen Spaß gemacht.

Annette Swoboda ist auch Mutter, Sie sind Vater. Gab es da unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschichte?
Becker: Da sind wir uns eigentlich nie in die Quere gekommen. Aber Annette hat mehrere Kinder, auch einen kleinen Jungen. Vielleicht war ihr Bruno auch deshalb recht nah. Komischerweise gibt es mehr Kinderliteratur für Mädchen, als für Jungs. Insofern finde ich es ganz gut, das da jetzt so ein kleiner Rabauke dazwischenfunkt. 

Letzte Frage: In den letzten Jahren waren Sie nur selten in Filmen zu sehen. Was ist los? Sind die Drehbücher zu schlecht?
Becker: Teilweise ja. Aber das hängt auch damit zusammen, dass ich viele eigene Projekte mache und viel Theater. Rückblickend auf die letzten vier Jahre muss ich sagen, das wenige, was ich gedreht habe, hatte Hand und Fuß. Ich habe jetzt gerade in Tschechien „Habermanns Mühle“ mit dem großartigen tschechischen Regisseur Juraj Herz gedreht. Was momentan in Deutschland so im Kino läuft, ist allerdings auch nicht meine Tasse Tee und deren Tasse Tee bin ich auch nicht. Ich sehe mich ehrlich gesagt nicht in „Keinohrhasen“. Zudem gehen viele Filmprojekte gerade baden, die platzen wegen der Krise, was weiß ich. Es wird auch wieder andere Zeiten geben. Aber bevor ich in einer TV-Serie zwei Jahre lang einen Richter im Amtsgericht Tiergarten spiele, schreibe ich doch lieber Kinderbücher.

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