Alphaville

Mir geht jede Art von Revival auf den Keks.

Marian Gold von Alphaville über alte und neue Projekte, das 80er-Revival und die Interaktion zwischen Band und Fans

Alphaville

© Nicola Beckers

Marian, Du trittst jetzt gleich beim RT 1 Sommerfest vor 8000 Leuten auf. Bist du nach 22 Jahren im Musikgeschäft immer noch aufgeregt, bevor du auf die Bühne gehst?
Marian Gold: Ja, irgendwie schon, weil es jedes Mal eine andere Herausforderung ist. Du versuchst die ganze Zeit über, die Kontrolle zu behalten. Es entstehen immer wieder neue Situationen bei der Interaktion mit dem Publikum und wenn du mit einer Band spielst, auf musikalischer Ebene. Das ist einfach spannend und deshalb hast du schon Adrenalin in dir, wenn du auf die Bühne gehst. Es wäre fast unprofessionell, wenn das nicht so wäre – dann sollte man besser aufhören.

Wie sahen die letzten Jahre aus, es war ja recht still um Alphaville?
Gold: In den normalen Medien ist es schon seit längerer Zeit ziemlich still. Das liegt einfach daran, dass wir in den regulären Medien seit etwa 1997/1998 nicht mehr so richtig vorkommen. Wir haben in 2000 einen Live-Tonträger veröffentlicht, der auch ganz gut gelaufen ist. Aber wir hatten keine Top 20/ Top 40-Hits in den letzten sechs bis sieben Jahren und da findest du dann einfach in den Medien nicht mehr statt. Wir sind in dieser Zeit aufs Internet ausgewichen und haben unsere Sachen da weiterentwickelt. In 2001 haben wir angefangen mit dem Projekt „Crazy Show“, bei dem wir Musik, die in der Entwicklungsphase war, ins Netz gestellt haben. Man konnte sich das auf unserer Website kostenlos runterladen und mitverfolgen, wie ein Album in allen Produktionsphasen so nach und nach entsteht. Das fertige Produkt haben wir dann anschließend auch als „Crazy Show“ herausgegeben und verkauft. Das ist allerdings in den normalen Charts nicht aufgetaucht.

Mit „Dreamscapes“ habt ihr 1999 auf acht CD´s eure gesamte Arbeit zusammengefasst. Welche Alphaville Songs sind deine persönlichen Favoriten?
Gold: Das ändert sich. Was mir immer großen Spaß macht, ist „Carry your Flag“, das ist ein langsames Stück, das wir heute Abend auch spielen werden. Die anderen Nummern sind aber auch große Klasse. Es ist auch ein Unterschied, was ich gern höre und was ich gern spiele. Das muss nicht immer das Gleiche sein.

Wie entstehen deine Songs, was inspiriert dich? Hast du erst ein Thema, einen Text oder eine Melodie im Kopf?
Gold: Das ist wirklich bei jedem Song anders. Ich bin nicht so ein strukturierter Arbeiter, der mit einer bestimmten immer gleichen Strategie an die Songs herangeht. Es hängt immer davon ab, was für eine Art von Eingebung du gerade hast. Ob du etwas in der Zeitung liest, eine Melodielinie hast oder ein Textfragment. Die Muse küsst dich – und du gehst ins Studio.

Du hast einmal gesagt, das 80er Revival geht dir auf den Wecker. Da liegen aber die Wurzeln eurer Musik. Worin unterscheidet sich eure Musik heute von der, die ihr vor 22 Jahren gemacht habt?
Gold: Ich verleugne keineswegs meine Wurzeln. Es ist nur so, dass mir jede Art von Revival auf den Keks geht. Das ist ein Mumientanz bei dem die Leute noch mal auf die Bühne kommen um sich mit ihren alten Hits ein paar „Märkerchen“ zu verdienen. Ich finde das erbarmungswürdig. Ich möchte ungern in eine gleiche Kiste mit so etwas geworfen werden, weil wir über die ganzen Jahrzehnte hinweg kontinuierlich Alben veröffentlicht haben und das auch weiterhin tun werden. Wir arbeiten weiterhin kontinuierlich an unserer Musik. Was an unserer Musik heute anders ist, kann man schlecht erklären, das kann man nur hören. Aber das etwas anders ist, ist für mich sehr beruhigend, sonst wären die letzten 22 Jahre Stillstand gewesen und das fände ich ziemlich schrecklich. Jedes Album ist für mich ein neues Territorium und ich wünsche mir, dass ich immer wieder neue Dinge erfahre. Es ist ein Wechselspiel zwischen mir und der Musik, die ich mache.

Einige Stücke der „Crazyshow“-Box wurden per Internet von euren Fans mitgestaltet. Wie darf man sich das vorstellen?
Gold: Wir bekamen ein wahnsinnig starkes Feedback darauf, als wir unsere Musik ins Netz stellten. Die Leute fanden das ganz toll und es kam in den Mailinglisten die Diskussion auf, dass es noch keinen Titel von Alphaville gäbe, der mit dem Buchstaben Z beginnt. Daraufhin fingen die Leute an, Texte zu schreiben. Dabei war ein Text, den ich wahnsinnig gut fand. Ich habe mich sofort hingesetzt und eine Musik dazu gemacht. Der Song war innerhalb von 10 Stunden fertig und drei Tage später stand er im Netz. Das war echte Interaktion zwischen Fans und Band. Der Song heißt „Zoo“ und ist dann auch auf der „Crazy Show“ gelandet. Das ist bei zwei oder drei anderen Stücken auch so gewesen, z. B. bei „Those wonderful Things“, dass die Leute die Texte dafür geschrieben haben. Wir haben diese Texte dann benutzt. Natürlich haben wir die Rechte daran bei den Leuten gelassen. Das sind nach wie vor deren Texte.

Du hast sehr viel Fankontakt übers Internet. Wer sind eure Fans oder eure Zielgruppe? Sind das die Fans von früher oder versucht ihr auch die jetzige Generation anzusprechen?
Gold: Das ist ganz gemischt. Auf unsere Konzerte kommen Leute im Alter von 16 bis 50 Jahren. Als Musiker versuchst du natürlich, jeden zu erreichen. Aber ich glaube, ich war auf meinen Konzerten bisher immer der Älteste.

Du hast selbst vier Kinder. Spielen sie auch Instrumente oder wollen sogar in deine Fußstapfen treten?
Gold: Sie sollen beruflich tun, was sie möchten. Wenn sie sich für etwas Künstlerisches entscheiden, z. B. Musiker oder Bildhauer zu werden, ist das völlig in Ordnung. Ich finde, dass man als Eltern die Aufgabe hat, die Anlagen der Kinder zu fördern und sich möglichst von eigenen Wunschvorstellungen zu entfernen. Das ist glaube ich immer ein schwieriger Prozess.

Wie ich gelesen habe, soll bald ein neues Album veröffentlich werden und ihr seid auf der Suche nach einer passenden Plattenfirma. Es ist ja manchmal schwierig, einen Kompromiss zwischen Kunst und Kommerz zu finden. Wie viel Kunst würdest du opfern, um die Platte zu veröffentlichen?
Gold: Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Wir haben eine Plattenfirma – es ist nicht so, dass wir eine suchen. Wir sind momentan in Verhandlung darüber, wann das Album kommen soll und wann die Arbeit dazu beginnen soll. Das Songmaterial ist da und den Produktionsprozess überlege ich mir jetzt nicht. Es gibt einerseits die Studioarbeit, da arbeite ich nur für mich und versuche, die Musik so zu machen, wie ich sie mir vorstelle. Etwas anderes ist es, wenn ich auf der Bühne bin bzw. wenn wir für die Bühne proben, dann überlege ich mir schon, wie ich die Musik ans Publikum heranbringen kann. Deshalb ist es unheimlich wichtig für einen Musiker, beide Seiten zu kennen – die Live-Seite und die Studio-Seite. Vieles kann man dann bei der Studioproduktion anwenden. Du willst als Künstler einfach an die Leute rankommen. Und wenn du Glück hast, ist das eben auch kommerziell günstig.

Könntest Du dir vorstellen, auch ein neues Musikvideo zu machen?
Gold: Ja, sicher. Für eine Single-Veröffentlichung brauchst du einfach ein Video.

Was würdest Du rückblickend auf deine Karriere heute anders machen?
Gold: Ich würde heute Vieles anders machen. Es gibt eine Menge Dinge, die dann vielleicht besser gelaufen wären. Ich möchte da keine konkreten Beispiele nennen. Das klingt so, als ob meine Karriere ein Haufen von Irrtümern gewesen wäre. Das ist nicht der Fall. Aber ich gehöre nicht zu den Menschen, die sagen, sie würden nichts ändern. Das Leben ist nicht so. Wenn man ein bisschen älter ist, kann man so gewisse Erfahrungen eben auch günstig einsetzen. Das einzige, was zählt im Leben, ist das was man tut, nicht das was man sagt.

Gibt es etwas, was du jungen Bands von heute raten würdest?
Gold: Junge Bands sollten an das glauben, was sie machen und sie sollten nie etwas machen, woran sie nicht glauben. Sie sollten sich nicht von anderen bequatschen lassen.

2 Kommentare zu “Mir geht jede Art von Revival auf den Keks.”

  1. Anonymous |

    Я люблю Alphaville с детства! Они в моем сердце! Саша из РОССИИ ))

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  2. Miriam |

    Danke!

    Ein Interview das mir die Persönlichkeit dieses tollen Künstlers ein ganzes Stück näher bringt.

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