Baiba Skride

Ich konnte Mozart nicht ausstehen.

Die Geigerin Baiba Skride über kleine und große Konzertsäle, Publikumsreaktionen, Klassik-Charts, ihre Heimat Lettland und die reinigende Kraft von Bach

Baiba Skride

© Sony

Frau Skride, Sie leben in Hamburg, wie nehmen Sie eigentlich das Konzertleben in der Hansestadt wahr, als Zuhörerin?
Skride: Ich bin so selten in Hamburg, da schaffe ich es gar nicht so oft, ins Konzert zu gehen.

Haben Sie dennoch einen Lieblingskonzertsaal?
Skride: Natürlich mag ich die Laeiszhalle sehr gerne. Obwohl ich da bisher noch nicht so oft gespielt habe. Aber das ist schon ein toller Saal. Es gibt auch einige Kirchen in Hamburg, die ich mag, eine gleich nebenan von der Musikhochschule. Und ich freue mich auf den neuen Saal, wenn der endlich mal kommt.

Sind Sie denn Fan von großen Konzertsälen? Sind die großen Säle das, wo man als Musiker hinwill?
Skride: Nein, das kann man so nicht sagen. Für Kammermusik ist mir natürlich ein kleiner intimer Raum viel lieber, wo man wirklich Kontakt mit den Zuhörern hat. Sicher ist es etwas Besonderes in einem riesigen Konzertsaal, der auch super klingt, mit großem Orchester zu spielen. Aber es hängt immer auch davon ab, was man spielt, mit wem und in welchem Zusammenhang.

Kann man denn sagen: Je größer der Saal, desto größer die Aufregung?
Skride: Nein. Es ist eher umgekehrt, weil es ja viel persönlicher ist, wenn man im kleinen Rahmen spielt. Natürlich ist man auch aufgeregt, wenn einem 3000 Leute zuhören. Aber das ist dann nicht unbedingt aufregender oder besser als so ein intimer Austausch von Musik wie in einem Kammermusikabend. Ich bin froh, dass ich sowohl das eine als auch das andere haben kann.

Dieser Austausch zwischen Musiker und Publikum, funktioniert der überall gleich? Sie haben bereits zahlreiche Auslands-Tourneen absolviert, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Skride: Musik ist ja erst mal eine Weltsprache. Und wie die Leute darauf reagieren, das ist von Land zu Land unterschiedlich. Besonders wenn man in exotische Länder fährt, wie Japan oder China, dort nehmen die Menschen die Musik anders wahr als hier, sie reagieren anders in einem Konzert.

Was genau ist da anders? Sind die Menschen anderswo euphorischer als hierzulande?
Skride: Wenn man zum Beispiel in Spanien spielt, dort sind die Leute nun mal heißblütiger, sie zeigen viel lauter und offener, wie es ihnen gefallen hat. In Japan dagegen, wo ich früher oft mit meiner Schwester gespielt habe (der Pianistin Lauma Skride; Anm. d. Red.), habe ich mich gewundert, dass die Leute nach jedem Stück auf die gleiche Art und Weise applaudiert haben. Normalerweise ist das ja unterschiedlich, am Anfang eines Konzerts oder nach langsamen Stücken applaudieren die Leute weniger als nach Publikumsstücken bzw. am Ende des Konzerts. Und wenn ich in den USA bin, da spielt man dann kaum Zugaben, weil die Leute schnell nach Hause wollen. Sie stehen zwar auf und schreien, und was auch immer – aber der Applaus geht sehr schnell vorbei.

Der Cellist Mischa Maisky sagte kürzlich gegenüber dem Magazin Concerti, dass klassische Konzerte in den USA für viele Besucher nur den Charakter eines Society-Events hätten. Sehen Sie das genauso?
Skride: Ich würde das nicht nur von den USA behaupten, sondern das ist generell ein großes Problem. Je größer die Veranstaltung, je bekannter der Künstler ist, um so mehr wird ein Konzert zum Event, wo die Leute nur hingehen, um gesehen zu werden. Das hängt auch mit dem Programm zusammen. Ich habe das Gefühl, dass viele Leute bekannte Werke wie das Elgar-Konzert oder eine Tschaikowsky-Sinfonie nicht mehr als richtige Musikstücke kennen. Sondern sie kennen die Musik zum Beispiel aus Filmen. Ich habe neulich in einem Programmheft gelesen: „Sie hören jetzt „Also sprach Zarathustra“, die Musik aus dem Film Odyssee im Weltraum“. Die Leute wollen scheinbar Stücke hören, die sie an etwas erinnern, sie identifizieren ein Stück mit etwas, was zum Beispiel aus einem Film kommt und nehmen es nicht mehr als ernste Komposition wahr.

Sie sagten, dass dieser „Event“-Charakter auch mit der Popularität des Interpreten zusammenhängt. Wie ist das bei Ihren Konzerten?
Skride: Ich bin ja noch nicht so bekannt, bei mir ist das noch nicht so ein Problem. Ich bin noch eine junge Künstlerin und nicht so ein Superstar, wo die Leute nur wegen der Bekanntheit kommen. Mich hat das früher auch immer gestört, wenn Leute in Konzerte gehen, wo ganz bekannte Künstler auftreten und das alles immer super und fantastisch finden, ganz egal wie gut oder schlecht der Künstler eigentlich spielt.

Ein Gradmesser für die Popularität von Musikern scheinen die Klassik-Charts zu sein. Frau Skride, wie gelangt man eigentlich in die Klassik-Charts?
Skride: Da müssen Sie mich etwas anderes fragen, das weiß ich nun wirklich nicht.

Sie müssen doch aber in etwa eine Vorstellung haben, wie das funktioniert. Schließlich waren zwei Ihrer CDs bereits in den Klassik-Charts.
Skride: Naja, was alles gemacht wird, wenn ich eine CD fertig aufgenommen habe, was da über die Plattenfirma läuft, darüber weiß ich nur wenig. Es ist natürlich wichtig, dass man Konzerte spielt, dass man präsent ist, auch in den Medien, dass die Leute dich kennen und irgendwann mal gesehen haben. Die Plattenfirmen machen dafür viel Werbung, aber sie müssen ja auch ihre CDs verkaufen. Ich hoffe jedenfalls, wenn ein Konzert gut besucht ist, dass das auch ein bisschen mit der Qualität zu tun hat und nicht nur damit, wie eine CD aussieht und wie viel Werbung die Plattenfirma gemacht hat.

Nun wurde in den ersten Rezensionen Ihrer CDs aber auffällig oft auch die Covergestaltung erwähnt. Hat Sie das gestört?
Skride: Ich bin da realistisch, ich weiß, dass es eine Rolle spielt und man kann davor nicht wegrennen. Es ist nun mal so, dass unsere Welt heute sehr visuell orientiert ist. Wenn man CDs verkaufen will spielt es natürlich eine Rolle, wie die CD aussieht. Ja, mich hat das am Anfang sehr gestört, aber inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass es einfach so ist. Ich spiele eine CD ein, da tue ich wirklich mein Bestes – und was danach passiert, liegt nicht in meiner Hand. Ich habe auch nichts dagegen, wenn die Leute finden, dass meine CDs hübsch aussehen. Für mich selbst ist das aber nicht so wichtig, ich mache mir mehr Gedanken über den musikalischen Inhalt, der steht bei mir im Vordergrund. Deswegen versuche ich mich da auch überhaupt nicht mehr aufzuregen.

Aber sehen Sie hohe CD-Verkäufe auch als persönlichen Erfolg?
Skride: In der Klassik sind die CD-Verkäufe ja noch sehr gering, wenn man das mal mit der Popmusik vergleicht. Trotzdem hilft es natürlich, ich habe schon viel Feedback bekommen von Leuten, die meine CDs gehört haben und deswegen zu mir ins Konzert gekommen sind. So was freut mich, das ist auch ein Erfolg. Ich bin auch froh, dass ich überhaupt die Chance habe, CDs aufzunehmen, das können ja nur wenige Leute. Aber am Ende sind mir die Konzerte viel wichtiger. Weil ich weiß, wie kurz so eine CD-Karriere sein kann, da habe ich auch keine bestimmten Pläne. Ich konzentriere ich mich mehr auf mein Konzertleben, das ist langfristiger für mich.

Haben Sie als Musikerin bisher bestimmte Ziele verfolgt?
Skride: Nein, eigentlich nicht. Das hat sich immer alles irgendwie so ergeben. Sicher habe ich dafür gearbeitet, aber ich habe das nie geplant. Manchmal werde ich gefragt, wie man Solo-Geigerin wird. Aber so etwas kann man nicht planen. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle, dass man das nicht voraussagen kann, wie man sich entwickeln wird. Bei mir hat es einfach toll funktioniert. Und wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich es selbst kaum glauben, was ich in dem letzten Jahr alles gemacht habe. Aber wie gesagt, ich mache mir keine ganz konkreten Pläne, ich will ja auch nicht enttäuscht werden. Natürlich will ich mich verbessern, mein Repertoire vergrößern, Neues lernen und mit anderen Leuten zusammen arbeiten.

Sie spielen Geige seit dem dritten Lebensjahr.
Skride: Ja, ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Für meine beiden Schwestern und mich war es nie langweilig, wir haben immer zusammen Musik gemacht und es hat sich ganz automatisch ergeben, dass wir auf eine Musikschule gegangen sind. Wir haben dann auch bald in ganz Lettland Konzerte gespielt, um Geld zu verdienen.

Und den Gedanken „du musst jeden Tag üben, um später erfolgreich zu sein“, den gab es nie?
Skride: Nein, nicht wirklich. Unsere Eltern haben uns beigebracht, dass der Erfolg nicht das Wichtigste ist. Sie haben uns auch nicht unter Druck gesetzt. Natürlich haben sie manchmal gesagt, dass wir üben müssen. Aber zu meinem ersten Wettbewerb bin ich dann gefahren, weil ich mal aus Lettland raus und ein anderes Land sehen wollte, nicht weil ich etwas gewinnen oder etwas bestimmtes erreichen wollte.

Sie haben dann in Rostock studiert, das wie Ihre Heimatstadt Riga auch am Wasser liegt.
Skride: Ja, ohne Wasser geht gar nichts.

Spielt das eine so große Rolle?
Skride: Ich mag es einfach, wenn ich Wasser in meiner Nähe habe, gerade jetzt, wo ich in Hamburg wohne. Ich gehe zwar nicht jeden Tag zum Wasser und fahre nicht ans Meer. Aber man merkt irgendwie, dass es da ist. Ich brauche das.

Beeinflusst Sie das musikalisch?
Skride: Kann sein. Ich glaube, es spielt auf jeden Fall eine Rolle, wo man aufgewachsen ist, das beeinflusst deine Person, deine Gefühle. Und solche Dinge wie Wasser oder Wald, da gibt es Einflüsse, die man nicht wirklich beschreiben kann, die irgendwo im Unterbewusstsein drin sind.

Ihre lettische Heimat prägt also auch ein Stück weit Ihr Spiel?
Skride: Ich denke schon, das ist Teil meiner Identität und ich bin froh darüber, dass ich in so einem Land aufgewachsen bin. Das ist etwas ganze Besonderes, die ganzen Umstände zu Hause, die Natur, auch, dass wir so ein kleines Land sind und unseren Stolz haben – ich glaube, das spielt alles eine Rolle.

Wie würden Sie denn die Mentalität der Letten beschreiben?
Skride: Ich habe vor kurzem hier in Australien Letten getroffen, die emigriert sind. Mich hat das sehr beeindruckt, die waren 50 Jahre nicht mehr in Lettland, aber sie sind so stolz auf ihre Heimat und sie wollen alles aufrecht erhalten, was Lettland ausmacht, das ganze Gefühl, die Musik, die Tradition. Und ich kenne kein Land, das seit Jahrhunderten so für sich kämpft. Und dann ist es diese Warmherzigkeit. Auch wenn wir auf den ersten Eindruck etwas kühl wirken, wir sind wirklich sehr warmherzige Menschen.

In Lettland gab es zur Zeit der Perestroika die so genannte „singende Revolution“, als Tausende Menschen auf friedlichen Demonstrationen gegen die Sowjetmacht Volkslieder sangen. Und es gibt heute in Lettland sehr viele Musikschulen, etwa 90 kommen auf zwei Millionen Einwohner. Sind die Letten besonders musikalisch?
Skride: Ja, wir haben schon immer gesungen und ich glaube, jeder Zweite ist in irgendeinem Chor. Die Chortradition ist bei uns sehr groß, wir sind wirklich ein singendes Volk. Selbst die Letten, die ich in Australien getroffen habe, die haben hier ihre Singfeste, Chöre und Tanzgruppen, wo auch die zweite Generation schon mitmacht. Das Singen und Tanzen, die Folklore, das behält man als Lette einfach.

Welche Verbindung sehen Sie zwischen dem Singen und dem Geigenspiel?
Skride: Ich denke, wenn man ein Instrument spielt, ist es überhaupt wichtig, dass man singen kann. Man muss das Gefühl haben, wie man richtig atmet, wie man vom Körper her einen Klang erzeugt. Und da hilft es, wenn man mit Singen angefangen hat, weil man kann nicht singen, ohne richtig zu atmen. Es macht sehr viel aus, wenn ein Kind singt, in einer Gruppe oder einfach nur zu Hause. Viele Instrumentallehrer sagen auch, dass man etwas singen soll, bevor man es spielt. Das hilft sehr, man merkt gleich, wo es hingeht und was man mit einer Melodie machen kann.

Ist das Singen für Kinder vielleicht der einfachste Weg zur Beschäftigung mit klassischer Musik?
Skride: Ja, das könnte sein. Es ist überhaupt sehr wichtig, früh mit klassischer Musik anzufangen. Dass man mit einem kleinen Kind ein paar mal ins Konzert geht, damit es überhaupt weiß, was das ist. Es ist unglaublich, wie Kinder das mögen, man muss ihnen nur die Chance geben, das zu hören und kennen zu lernen. Ich habe selbst schon in Schulen vor Teenagern gespielt, die nichts mit klassischer Musik zu tun hatten – aber die danach total begeistert waren, die wissen wollten, wie das geht und mehr über diese Musik wissen wollten.

Wie war das denn bei Ihnen persönlich, gab es Komponisten, die Sie als junge Geigerin nicht mochten aber heute für sich entdeckt haben?
Skride: Ja, Mozart konnte ich überhaupt nicht leiden, als ich klein war. (lacht) Ich konnte den nicht ausstehen, das klang für mich alles gleich und alles langweilig. Heute denke ich: Mein Gott, da gibt es so viel zu entdecken. Ich hatte damals aber auch noch nicht die C-Moll-Messe gehört, die ist heute mein absolutes Lieblingsstück. Also, Mozart habe ich wirklich völlig neu für mich entdeckt; wie tiefsinnig das ist, wie viel da zu sagen ist. Aber als Kind dachte ich bei Mozart immer: Alles in Dur, wie langweilig!

Haben Sie damals vor allem die russischen Komponisten gespielt?
Skride: Ja, wir haben in der Schule ziemlich viel Prokofjew, Schostakowitsch und Tschaikowsky gelernt und ich mochte diese Musik. Aber dann vor allem Bach. Bach mochte ich immer.

Warum?
Skride: Mich hat das immer sehr berührt, wenn ich Bach gehört habe. Gerade wenn man aufwächst, man diese ganzen Teenager-Gefühle hat und es im Leben die ersten Enttäuschungen gibt. Bach ist so was von ergreifend, dass es mich immer angesprochen hat. Bach zu spielen hat für mich auch so etwas Reinigendes. Wenn man Bach spielt, reinigt man seinen ganzen Kopf. Da kann man alles andere vergessen, alle Gefühle wieder in Ordnung bringen und danach hat man Ruhe.

Ein Kommentar zu “Ich konnte Mozart nicht ausstehen.”

  1. Sigrid Grove Waghäusel |

    Kompliment

    …ein sehr interessantes Interview,danke Baiba!Gern hörten wir noch mehr über die Schwester LAUMA,die eine sehr beachtenswerte junge Pianistin ist.Wir wünschen beiden Künstlerinnen weiterhin viel Erfolg!

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