Peter Sodann

Das Wort „Rentner“ ist inzwischen zum Schimpfwort geworden.

Peter Sodann über die Arbeit der "Tatort"-Kommissare, seine Stasi-Akten, West-Besuche, das Theater als weltliche Kirche, politische Visionen und den mangelnden Respekt gegenüber alten Menschen

Peter Sodann

© MDR / Hardy Spitz

Herr Sodann, Sie sind seit 15 Jahren „Tatort“-Kommissar, haben Sie sich den Beruf des Kommissars eigentlich schon mal aus der Nähe angeschaut?
Sodann: Ganz am Anfang ein bisschen, aber ich bin ein sehr praktisch veranlagter Mensch und kann mich in die Arbeit eines Kriminalkommissars sehr schnell hineindenken. Ich wurde nun auch schon von der Polizei in Sachsen und Sachsen-Anhalt zum Ehrenkommissar ernannt – daran sieht man glaube ich, dass ich zu den „Tatort“-Kommissaren gehöre, die der Polizeiarbeit noch am nächsten stehen.

Trotzdem wird sich das, was wir auf dem Bildschirm sehen, vom Alltag eines Kriminalkommissars sehr unterscheiden, oder?
Sodann: Zumindest sind richtige Kriminalkommissare nicht so idiotisch, wenn sie ein Haus betreten, sofort die Kanone rauszuholen und mit erhobener Waffe durch die Räume zu flitzen. Aber im Film werden ja sowieso die wahnsinnigsten Dinge gezeigt. Ich wundere mich zum Beispiel bis heute, dass der TÜV da noch nicht eingeschritten ist, weil fortwährend die Autos explodieren. Jedes Autowerk sorgt ja dafür, dass der Tank so gelagert ist, – wenn ein Auto mal den Hang runterfällt – nicht unbedingt explodieren muss. Und trotzdem versuchen wir Kommissare natürlich, die kriminalistische Arbeit so zu bewerkstelligen, dass es einigermaßen der Realität entspricht. Allerdings müssen wir den Mörder schon nach anderthalb Stunden gefunden haben.

Der „Tatort“ ist heute immer noch ein Quotengarant für die ARD. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Sodann: Man kann sagen, dass die „Tatort“-Krimis mehr der Realität entsprechen als die ‚Kunst’-Krimis. Und das scheint die Leute mehr zu bewegen, als dass sie sich Kino-Thriller anschauen, die nur mit großen Explosionen, Verfolgungsjagden, Schießereien usw. arbeiten. Das freut mich auch, weil sonst müsste ich mich ja über die Bevölkerung stark entsetzen.

Sind Sie persönlich von Krimis fasziniert?
Sodann: Also, man hat im Leben seine Krimi-Phase, genauso wie man als Kind zum Beispiel eine Märchenphase hat. Und irgendwann hört so eine Phase halt auf. Ich bin heute von Krimis allgemein nicht so sehr fasziniert, weil sie in unserem kulturellen Leben überhand nehmen.

Welchen Einfluss haben Sie auf das Drehbuch eines „Tatorts“?
Sodann: Ich lese vom Drehbuch meistens die erste Fassung und sage dann dazu, was mir darin fehlt, was ich gern noch drin hätte. Das kommt manchmal zum tragen und manchmal nicht.

Ein Beispiel?
Sodann: In einem der letzten „Tatort“-Filme hatten wir eine Szene, in der mein Kompagnon zu mir sagte: „Sag mal, Bruno, wie machst du das: es ist eine Sauhitze hier in diesem Zimmer, ich schwitze wie ein Schwein und du sitzt an deinem Schreibtisch, auch noch mit Krawatte – und schwitzt nicht.“ Da habe ich geantwortet: „Genosse, das ist nur eine Frage der eisernen Disziplin.“ Dieser Satz stammt aus der Nationalen Volksarmee. Und dann kam die Redaktion zu mir und meinte, dass wir das synchronisieren müssen. Weil das mit dem „Genossen“, das ginge nicht. Daraus wurde dann „Kollege“. Aber wenn man das spricht: „Kollege, das ist nur eine Frage der eisernen Disziplin“ – das passt irgendwie nicht. Aber um diese Kleinigkeit habe ich mich nicht mit der Redaktion gestritten.

Sie haben sich mit Ihrer DDR-Vergangenheit nach der Wende sehr intensiv auseinandergesetzt, Sie haben u.a. in „Deutschlandspiel“ den Erich Mielke gespielt, in „Nikolaikirche“ einen Stasi-Offizier und in „Der Tangospieler“ jenen Mann, der Sie Anfang der 60er ins Gefängnis brachte. Sie haben auch Ihre Stasi-Akte gelesen – war dieser Schritt eine schwierige Entscheidung?
Sodann: Nach der Wende war es mir schon wichtig, meine Stasi-Akten mal kennen zu lernen, weil in meinem Leben viel passiert ist. Ich sollte ja mehrmals eingesperrt werden. Das alles einmal nachzulesen, da war in mir selbst auch eine gewisse Neugierde, wer es denn nun war … Aber die Neugierde hat sich dann schnell gelegt weil in den Stasi-Akten auch so viel Unsinn steht.
Ich habe immer gesagt, die Stasi-Akten dürfen nicht geschlossen werden, aber man muss etwas anders mit ihnen umgehen. Weil ich den Eindruck habe, wenn es irgendwie gerade passt, zieht Frau Birthler wieder eine neue Personal-Akte heraus, obwohl diese Vergehen nun schon 15, 20 oder 25 Jahre zurückliegen. Und da frage ich mich immer: 15 Jahre danach, soll ein ehemaliger IM sein ganzes Leben lang dafür büßen? Das kann nicht stimmen, weil „lebenslänglich“ ist ja auch irgendwann mal vorbei.

Hatten Sie selbst nicht Angst, in Ihre Akte zu schauen, weil jene, die Sie bespitzelt haben, auch aus Ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis stammen konnten?
Sodann: Nein. Sicher ist man erstaunt, wer da alles… Es gibt durchaus Menschen in meinem Umfeld, die auch in Rang und Würden stehen, die dort etwas geschrieben haben.

Sie sind mit all denen wieder im Reinen?
Sodann: Ja, ich denke schon. Ich habe mal einer Dame, die sich bei mir entschuldigt hat, einen Brief geschickt und geschrieben: Na gut, es ist halt so. Wenn man seine Nase in fremde Angelegenheiten steckt, kann es passieren, dass die Nase abfällt. Und dann braucht es eine lange Zeit, bis die Nase wieder gewachsen ist, und ein paar Narben bleiben sicherlich. Aber deswegen hat dieser Mensch trotzdem das Recht, neu zu denken, neu zu fühlen und anders zu leben als vorher. Jeder Mensch kann sich ja aufgrund eines Fehlers korrigieren.

Sie waren in der DDR neun Monate in Haft, weil Sie als Mitglied einer Kabarettgruppe der Regierung ein Dorn im Auge waren. Später sind Sie zu einem der erfolgreichsten Theatermacher des Landes aufgestiegen. Man könnte annehmen, Sie hätten sich mit der Situation und auch mit dem Regime ‚arrangiert’. War dem so?
Sodann: Nein, so war das nicht. Auch dieses Regime brauchte doch ein paar Leute, die in irgendeiner Weise was konnten.
Die Zeit, nachdem ich aus dem Knast gekommen war, das war auch keine leichtere Zeit. Ich war ja von der Universität verwiesen worden … Aber ich glaube, die oberste Heeresleitung hat irgendwann entschieden: wir können ihn nicht länger quälen. Denn wenn wir ihn länger quälen, dann macht er vielleicht doch noch was schlimmes. Und deswegen lassen wir den jetzt weiter studieren.
Später hat der Staat auch noch mehrmals versucht, mir das Leben schwer zu machen, man hatte auch fortwährend mit der Staatssicherheit zu tun, aber in irgendeiner Weise bin ich da immer wieder durchgeschlüpft.

War denn das Theater für Sie eine Protest-Institution?
Sodann: Ich habe versucht, immer die Wahrheit, die ich in einem Stück erkannt habe, auch auf der Bühne darzustellen. Ich fand, dass ein Theater auch immer ein aufklärerisches Institut sein muss. Denn die Dummheit, die in der Welt herrscht, musste ja irgendwann mal verschwinden. Und mein Theater war immer voll, vor der Wende und auch danach. Wobei ich meinen Spielpan nicht geändert habe, sondern stur so weitergemacht habe wie bisher, im Gegensatz zu vielen anderen Theatern, die nach der Wende umgeschwenkt haben und ganz andere Sachen gespielt haben.

Wie sehr guckte Ihnen die DDR-Regierung am Theater in Halle denn über die Schulter?
Sodann: Da saß oft einer neben mir bei der Inszenierung, den habe ich auch mal eingespannt, nach dem Motto „Oh, ein guter Gedanke…“ Na ja, mit solchem Schwachsinn musste man ein bisschen kämpfen, was Theater anbelangt hatten sie keinen Dunst.

Interessant ist, dass Ihr Theater wahrscheinlich das einzige weltweit ist, das – wie eine Kirche – einen Glockenturm besitzt.
Sodann: Ja, die Glocke läutet am Tag zwei Mal, einmal wenn vormittags die Probe beginnt und abends, wenn die Gläubiger und Gläubigen ins Theater gehen. Zur Wende war das auch alles möglich, da musste man niemand fragen, ob man so einen Glockenturm bauen darf, sondern da hat man das eben gemacht. Heute müsste man wahrscheinlich sogar jeden Pfarrer und jeden Abgeordneten fragen..

Sie bezeichnen Theaterbesucher als „Gläubige“…
Sodann: Ja, ich habe unser Theater immer als eine weltliche Kirche angesehen, eine Einrichtung, die versucht, der Ungerechtigkeiten des menschlichen Zusammenlebens ein wenig Herr zu werden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, Theater zum Selbstzweck hat mir nie gereicht. Und man sollte die Dichter achten, ich sehe heute viele Theater, die sich nicht wundern sollten, wenn in so einer modernistischen Inszenierung irgendwann mal ein Zuschauer aufsteht und den Text so rezitiert, wie er bei Goethe oder Schiller wirklich steht.
Es ging mir auch immer darum, dass ein Theater offen für alle ist, man muss eine Theatereinrichtung so basteln, dass sowohl der gebildete wie auch der etwas weniger gebildete verstehen, was auf der Bühne passiert. Da haben alle ihre Freude dran. Ein elitäres Theater kam für mich nie infrage, wo die Leute dann rauskommen und sagen „das war ja wieder sehr interessant“ – weil du dann genau weißt , dass es nicht gefallen hat..

Heute betreten Sie das Theater, das Sie selbst aufgebaut und fast über 20 Jahre geleitet haben, allerdings nicht mehr.
Sodann: Nein, das kann ich nicht. Wenn jemand ein Theater, das ich 25 Jahre gebaut habe, übernimmt und dann alles vernichtet, was an mich erinnert – warum sollte ich dahingehen? Das muss nicht sein.

Wenn Sie einmal das Kulturleben in der DDR mit heute vergleichen…
Sodann: Die DDR war ja nun kein reiches Land, hatte aber sehr viele Theater, die wurden mühsam erhalten und wir konnten arbeiten. Halle hatte sogar zwei Orchester. Heute haben wir Sparmaßnahmen von einer Rigorosität, wo ich mich manchmal frage: wo bleibt das Geld? Ich will jetzt nicht behaupten, dass alle Theater immer sparsam mit ihren Mitteln umgegangen sind. Aber Bildung und Kultur sind nun mal das Einzige, was eine Möglichkeit bietet, dass die Menschen sich untereinander besser verstehen. Mit etwas anderem wird man das nicht erreichen.

Wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Politik in Deutschland?
Sodann: Zufrieden kann man da nicht sein. Weil die staatstragenden Männer und Frauen bisher nicht begriffen haben, dass man die drei Kernsätze der französischen Revolution – Liberté, Egalité, Fraternité – auch irgendwann mal in die Tat umsetzen muss. Eto vsjo, wie der Russe sagt. Das ist alles.

Wo sehen Sie denn grundlegende Probleme in der deutschen Politik?
Sodann: Zum Beispiel bei der Frage nach der Zukunft der Arbeit. Die Arbeit ist ja heute zu so einer Glorie geworden, dass derjenige, der nicht arbeitet, schon ein schlechter Mensch ist. Dabei wissen die Politiker doch ganz genau, dass die Arbeit immer mehr abnehmen wird. Das muss man ja nicht erst bei Marx nachlesen, da gibt es schon von Aristoteles ein wunderbares Beispiel. Der hat gesagt, wenn das Weberschiffchen im Webstuhl von alleine von links nach rechts flitzen könnte, dann bräuchten wir keine Sklaven mehr. Die Zeit haben wir nun und darüber muss man doch nachdenken. Alle sagen immer, „wir schaffen neue Arbeitsplätze“. Aber es wird nie gesagt, dass die alten Arbeitsplätze dafür wegfallen.

Sie meinen, Politiker klären die Bevölkerung zu wenig auf?
Sodann: Ja, so ist es. Das wäre dann auch die Geschichte der drei Stufen der Wahrheit. Erst erscheint die Wahrheit lächerlich, dann wird sie bekämpft, schließlich ist sie selbstverständlich. Das ist jetzt nicht von mir, sondern von Schopenhauer.

Sie selbst hegen aber offenbar auch viele politische Gedanken …
Sodann: Ja, ich habe da so ein paar Visionen, was man bei der Lenkung und Leitung eines Staates beachten sollte. Für mich gab es zum Beispiel diesen einen Satz von Diderot, der mich immer interessiert hat: das Land gehört niemandem, die Früchte allen. Wenn die Grundlage unseres Denkens nicht in diese Richtung geht, sondern dahin, dass wir sagen: wer mehr hat, lebt länger und wer arm ist, muss früher sterben – das kann es doch nicht sein! Karl Marx hat vielleicht den Fehler gemacht, dass er zu früh angefangen hat mit seinen Visionen, die Bevölkerung war noch gar nicht so weit. Vielleicht kam auch die Entwicklung durch Lenin zu früh. Weil für solch eine Lösung braucht es eine gebildete Bevölkerung, welche die Zusammenhänge erkennt. Wer hat in der DDR eigentlich begriffen, dass es Volkseigentum gibt. Sie haben sich mehr an den alten Walter-Ulbricht-Satz „aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen“ …. gehalten..

Im Juli 2005 sah es so aus, als würden Sie Ihre politischen Gedanken auch in die Tat umsetzen wollen, als Sie kurzzeitig als Kandidat der Linkspartei für den Bundestag im Gespräch waren.
Sodann: Das war eine ungeheure Blitzgeschichte. Ich habe mich erst mal darüber gefreut, dass sich eine Linke bilden will. Und die haben mich dann gefragt. Ich bin aber nicht in die Linke eingetreten, ich werde auch nie wieder in eine Partei eintreten, auch wenn ich mir vorstellen kann, eine linke Partei zu unterstützen.

Spielt da auch Resignation gegenüber den Politikern in Deutschland eine Rolle?
Sodann: Also, die Form der politischen Auseinandersetzung in Deutschland – wo man auch eine Regierung bilden würde, wenn gar keiner mehr zur Wahl geht – damit weiß ich nichts anzufangen. Ich werde lieber weiterhin auf meiner kleinen Bühne, die ja nicht so groß ist, wie die der Politiker, das machen und tun, was ich persönlich für vernünftig halte. Und die Kultur ist ja eben das, was das menschliche Zusammenleben heutzutage noch fördern kann.

Sie sind vor und nach der Wende stets in Ost-Deutschland geblieben. Gab es Momente, wo Sie in den Westen gehen wollten?
Sodann: Es gab zur DDR-Zeit eine einzige Situation, wo ich ahnte, dass ich ein zweites Mal eingesperrt werden sollte. Da habe ich darüber nachgedacht, in den Westen abzuhauen, doch hat sich das am Ende in Wohlgefallen aufgelöst. Und danach hatte ich diesen Gedanken nicht mehr. Da bin ich lieber ein Michael Kohlhaas, der in seinem eigenen Land seine Gerechtigkeit haben will. Ist doch auch in Ordnung. Warum sollte ich nach drüben gehen? Um dann von außen die Landesregierung zu beschimpfen und irgendwann als „großer Revolutionär“ wiederzukommen? Nein.

Aber hatten Sie als Theaterleiter mehr Möglichkeiten, in den Westen zu gelangen, als ein Normalbürger in der DDR?
Sodann: Nein, ich hatte ein absolutes Verbot, nach dem Westen zu fahren. Das durfte ich nur, wenn ich einen Film gedreht habe. Da war ich in Schweden, Norwegen, Dänemark und auch in der BRD.

Und haben Sie sich über diese West-Besuche gefreut?
Sodann: Das war immer schwierig. Zuhause habe ich mich nie gefreut, wenn ich nach dem Westen fahren durfte, da habe ich jegliche Freude unterdrückt. Ich habe mich immer erst gefreut, wenn ich über der Grenze war. Und dann war es natürlich schön, dass ich den Kindern was kaufen konnte, der West-Kaugummi zum Beispiel spielte zu dieser Zeit eine große Rolle.

Wann waren Sie nach der Wende das erste Mal im Westen?
Sodann: Wann genau, das weiß ich nicht mehr. Aber ich habe mir damals einen Mitsubishi-Bus genommen und meine Kinder gebeten, sich reinzusetzen. Ich hatte nämlich zu DDR-Zeiten in meinem Arbeitszimmer ein Bild vom Matterhorn hängen. Und den Funktionären der sozialistischen Einheitspartei habe ich immer gesagt: da will ich irgendwann mal hin. Dann kam die Wende und einfach, um mir treu zu bleiben, bin ich mit meinen Kindern zum Matterhorn gefahren. Von Halle bis zum Matterhorn ist es ja ein weiter Weg, wir haben unterwegs übernachtet, haben uns dann von Zermatt aus das Matterhorn angesehen, sind noch ein Stück den Berg hochgelaufen – und wieder rein in den Bus nach Hause, weil ich zwei Tage später wieder in Halle sein musste.

Sind Sie eigentlich schon mal in die USA gefahren?
Sodann: Nein. Und ehrlich gesagt: wenn ich das nicht mehr sehe, dann werde ich mich auf dem Sterbebett auch nicht darüber beklagen. Ich muss das nicht unbedingt sehen.

Aber was haben Sie sich bisher angeschaut, von der Welt?
Sodann: Zu DDR-Zeiten war ich mal in der Mongolei, dann habe ich in Moskau als Regisseur gearbeitet, nach der Wende in Ägypten, auf Kreta, in Sri Lanka. Ich bin aber immer mit dem Film dorthin gefahren, nie aus freien Stücken. Und wissen Sie, ich bin auch kein großer Experte für Reisen. Weil ich der Ansicht bin: in irgendeiner Weise ist es doch überall gleich. Ich sehe zwar exotische Gegenden, aber ich sehe nie, dass dort andere Menschen leben. Die haben vielleicht eine andere Religion, aber immer geht es oben rein und unten raus – das ist so. Ich kann mir in meiner Phantasie die ganze Welt auf einer kleinen Straße vorstellen. Es geht doch überall um die gleichen Dinge.

Sie haben kein Traumland, wo Sie gerne noch hinfahren würden?
Sodann: Wenn ich noch ein Traumland habe, dann würde ich sehr gerne in die Tundra fahren. Und zwar im Frühling. Wenn dort die Landschaft noch vereist ist und dann auf einmal Frühling, Sommer und Herbst in einem ganz kurzen Zeitraum passieren. Da geht es dann auf einmal los, die Gräser und die Blumen sprießen … – das würde ich schon gerne sehen wollen.

Sie gehören heute zu den bekanntesten deutschen Schauspielern – haben Sie sich inzwischen auch mal den ein oder anderen Luxus geleistet?
Sodann: Ich habe mir ein Haus gekauft. Das habe ich zwar immer noch nicht abbezahlt, aber das könnte irgendwann mal werden. Und dann habe ich mir ein Auto gekauft. Einen Mercedes, der hatte meiner Frau gefallen. Dann habe ich ihn wieder verkauft. Jetzt fahre ich einen Skoda, der gefällt meiner Frau auch.

Sie sind mit 70 Jahren nach wie vor als Schauspieler aktiv – wird es Ihnen schwer fallen, eines Tages mit der Schauspielerei aufzuhören?
Sodann: Nein, das sind immer die anderen, die behaupten, das sei so schwer. Wobei es zwei Richtungen gibt: entweder man ist nur Theaterschauspieler, oder man macht Film, Fernsehen und Theater zusammen. Derjenige, der nur Theaterschauspieler ist, hat es mit dem Abschied glaube ich schwerer, weil sein einziger Erfolg ist der Applaus, wenn er auf der Bühne steht. Und wenn er aufhört, bekommt er den nicht mehr. Wenn Sie aber in einer anderen Kunstwolke leben, im Fernsehen oder im Film, dann haben Sie eigentlich immer den Erfolg, dass die Leute Sie auf der Straße erkennen, da spielt ja auch Eitelkeit ein Rolle.

Per Definitionem sind Sie ja eigentlich schon Rentner.
Sodann: Ja, aber ich kann diese Definition nicht anerkennen. Das Wort „Rentner“ ist doch inzwischen schon zum Schimpfwort geworden und das kann einfach nicht sein. Das sind Menschen, die ihr Leben lang in irgendeiner Weise gearbeitet haben, ordentlich ihr Geld eingezahlt haben, damit sie später ihre Rente kriegen – und jetzt kommt man mit sozialpolitischen Grundmaßnahmen und sagt: „Die fressen zu viel Rente“. Man hetzt die Alten gegen die Jungen – das kann nicht wahr sein.

In einer Leistungsgesellschaft wie der heutigen haben alte Menschen nicht mehr so viel Platz wie früher.
Sodann: Ja, es muss immer schneller, höher und weiter gehen. Aber warum eigentlich? Wenn Sie mit älteren Herrschaften reden, die wissen gar nicht, warum. Am Ende ist es eben immer nur das Profitdenken.
Ich habe neulich in Weimar auf dem Herderplatz eine Frau getroffen, die war 86 und ich habe mich mit ihr ein bisschen unterhalten. Und dann sagte die: „Eigentlich lebe ich schon viel zu lange.“ Wenn jemand so etwas sagt: das ist sehr traurig!
Man sollte glaube ich den Respekt vor den alten Menschen nicht verlieren. Es gibt zum Beispiel ein Gedicht von Majakowski „An die Jugend“, da heißt die letzte Strophe: „Lasst uns mit der Weisheit der Alten das Leben neu gestalten.“

Wo Sie nun schon verschiedene Dichter und Denker zitiert haben, zum Schluss die Frage: haben Sie ein Lieblingsgedicht?
Sodann: Also, wo jetzt mein 70. Geburtstag ansteht, da gibt es ein wunderbares Gedicht von Bertolt Brecht, „Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“. Da heißt es am Anfang: „Als er siebzig war und war gebrechlich, drängte es den Lehrer doch nach Ruh. Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich und die Bosheit nahm an Kräften wiede zu. Und er gürtete den Schuh usw.“ Dieser weise Mensch will dann über die Landesgrenze, wo dann der Zöllner kommt und ihn fragt, was er denn im Leben so gemacht habe. Und dann steigt der Weise ab und schreibt sieben Tage lang Sprüche auf, was er alles gelehrt hat. Die gibt er dann dem Zöllner und am Schluss schreibt Brecht: „Darum sei dem Zöllner auch gedankt: Denn er hat sie ihm abverlangt.“ Ein so schönes Gedicht.

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