Peter Sloterdijk

…als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan

Philosoph Peter Sloterdijk über sein erstes Opernlibretto „Babylon“, Übertreibungen in der Liebe und wie man mit dem Tod verhandelt

Peter Sloterdijk

© Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

Herr Prof. Sloterdijk, glauben Sie an Gott?
Peter Sloterdijk: Auf solche Fragen antworte ich nicht.

Ihr erstes Libretto stellt eine Katastrophe wie die Sintflut nicht als Strafe Gottes dar, sondern als ein externes, kosmologisches Ereignis. Zerstören Sie damit nicht den Einfluss und die Allmacht Gottes?
Sloterdijk: Im Gegenteil. Ich mache Gott unentbehrlich, weil ich zeige, dass ohne eine todesüberwindende Instanz die Kulturen nicht gelingen. Diese Instanz kann die Liebe sein, die Hartnäckigkeit, eine große Wunschmaschine oder ein Illusionssystem.

Worum geht es in „Babylon“?
Sloterdijk: Um die Frage: Was ist Liebe? Im Libretto gibt es zwei Arten von Erotik: Zum einen die geschwisterliche Liebe, die seit Kindheit besteht und zum anderen die Art von Liebe, die zu Übertreibungen neigt.

Was wäre für Sie eine solche Übertreibung?
Sloterdijk: Schon allein die Eheschließungsformel „Bis dass der Tod euch scheidet“, ist eine kategorische Übertreibung. Natürlich ist aus der Perspektive der Familie die Auflösung einer Ehe keine denkbare Option. Und ökonomisch ist es meist auch besser, zusammen zu bleiben. Da gleicht eine Ehe einem Unternehmen.

Mit einer Familienmanagerin an der Spitze…
Sloterdijk: Eben, und als Managerin wollen Sie nicht in einem Betrieb arbeiten, bei dem die Pleite bevorsteht. Letztendlich ist „Scheidung“ nur ein anderes Wort für den Bankrott eines Familienunternehmens. Daher gibt es das Interesse an Langfristigkeit. Wer wünscht sich schon einen Bankrott?

Welche Szene ist Ihrer Meinung nach der Höhepunkt in „Babylon“?
Sloterdijk: Der Höhepunkt des Stückes ist, wenn die Liebesgöttin in die Hölle hinabsteigt und vom Tod ihren Geliebten zurückfordert.

So wie Orpheus im Mythos Eurydike aus der Unterwelt retten will. Bei Ihnen ist es die Frau, die mit dem Tod verhandelt, um den Geliebten zu retten…
Sloterdijk: So muss es sein (lacht). Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Orpheus sich umdreht und Eurydike wieder verliert. Orpheus ist Sänger, und wenn man schön singen will, ist es immer gut, wenn man irgendeinen Kummer hat, den man besingen kann. Unsere Priesterin „Inanna“, die gleichzeitig für die Liebesgöttin steht, hat kein Interesse an einer rein symbolischen Kreativität. Sie will Leben schaffen. Sie fordert den Geliebten zurück. Eine ziemlich anspruchsvolle Unternehmung, die nur deshalb gelingt, weil sie mit dem Tod in der richtigen Weise verhandelt.

Warum gibt der Tod nach?
Sloterdijk: Wenn man im Leben immer bestimmten Regeln unterworfen ist, wird man müde. Sogar der Tod ist müde. Das ist die Entdeckung, die dieses Stück zeigt. Und deswegen macht er eine Ausnahme von der Regel.

Warum ist es in „Babylon“ so wichtig, dass diese Rückkehr aus der Unterwelt gelingt?
Sloterdijk: Weil „Inanna“ damit die Tradition des Menschenopfers aufhebt. Opfer wurden gebracht, weil es grausame Riten so vorsahen. Man wollte die Götter besänftigen indem man ihnen das eigene Leben oder das des Liebsten opferte. Kehrt der Geopferte aber zurück, wird damit der Ritus gebrochen. Im Neuen Testament geschieht das durch die Auferstehung Jesu Christi. In der Oper ist es „Tammu“. Er ist bereits eine Christus-Präfiguration.

Zitiert

Letztendlich ist „Scheidung“ nur ein anderes Wort für den Bankrott eines Familienunternehmens.

Peter Sloterdijk

Sehen Sie für die Menschheit eine Möglichkeit, den Tod zu überwinden?
Sloterdijk: Solange sich die Menschheit nicht komplett ausrottet, ist die Todesüberwindung schon allein durch den Generationenprozess gegeben, es geht ja immer weiter.

Menschenopfer gibt es schon lange nicht mehr. Haben wir uns im religiösen Bereich noch auf andere Weise weiterentwickelt?
Sloterdijk: Es ist eine Errungenschaft der neueren Zeit, dass wir eine theologisch neutrale Kosmologie betreiben können. 1908 schlug der Tunguska-Asteroid in Sibirien ein, man sieht heute noch die Baumstämme, die alle in die gleiche Richtung umgeworfen wurden. Tausende von Augenzeugen haben den Blitz gesehen. Aber niemand hat mehr den Vorgang mystifiziert oder ihn für eine Strafe Gottes gehalten.

Eigentlich kann sich die Religion bei der Naturwissenschaft für die Erklärung dieser Phänomene bedanken…
Sloterdijk: Die Entzauberung der Natur hat schon im antiken Judentum stattgefunden und dann langsam Fortschritte in den griechischen Naturwissenschaften gemacht. Die ersten Metaphysiker versuchten die Elemente wie Feuer, Wasser, Luft und Erde zu verstehen, sie haben die Natur säkularisiert. Und wenn man Ereignisse als kosmische Ereignisse sieht, entfällt die Notwendigkeit immer zu denken, dass Gott mit den Menschen unzufrieden ist.

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem antiken Babylon und Deutschland im Jahr 2012?
Sloterdijk: Babylon ist ein Symbol für eine Antike, die viel älter ist, als unsere griechisch-römische „Hausantike“. Uns ist gar nicht bewusst, dass wir, wie alle modernen Kulturvölker, ein „Wochenvolk“ sind. Die sieben – Tage – Woche wurden von den Babyloniern „erfunden“.

Warum halten Sie die Woche für eine besondere Erfindung?
Sloterdijk: Das Außergewöhnliche ist, dass es für die 7-Tage Woche keinerlei Anhaltspunkte in der Natur gibt. Ein Tag, ein Monat, ein Jahr – das alles wird durch den Kreislauf der Natur bestimmt. Übrigens ist die Schöpfungsgeschichte ein großartiges Plagiat. In der Bibel hat Gott die babylonischen Heptaden, die 7er Ordnung, einfach übernommen: Er hat die Welt in sechs Tagen erschaffen und sich dann am Sonntag eine temporale Wellnessecke eingerichtet (lacht).

Gibt es Völker, die eine andere Zeitordnung haben?
Sloterdijk: Alle Versuche der westlichen Welt, die Heptade zu überwinden, sind gescheitert. In der russischen Revolution hat man versucht, die Zehn-Tage-Woche einzuführen um die Arbeiterklasse etwas besser ausbeuten zu können. Das ist nicht gelungen. Wir sind wochengläubig. Auch wenn wir immer wieder versuchen dem zu entfliehen und in den Urlaub fahren. Und was fragen wir dann? „Was für ein Tag ist eigentlich heute?“ (lacht)

Sie schreiben, die Babylonier hätten ein ungeheures Talent gehabt, sich schuldig zu fühlen. Ist das nicht eine weitere Gemeinsamkeit mit den Deutschen?
Sloterdijk: Es lässt sich keine Bundesrepublik denken, die nicht die Schuld der NS-Zeit in sich trägt, insofern gehört das Gefühl der „Schuld“ zu den Gründungsmerkmalen der BRD. Was unsere „Schulden“ angeht wissen wir, dass die monetäre Moral und die zivile Moral eng zusammen hängen. Was Inflation betrifft, sind wir sehr sensibel, weil noch nie ein Volk so von seiner Regierung betrogen worden ist, wie die Deutschen von 1922-1924. Die anderen Völker nehmen ein gewisses Maß an Inflationsschwindel als natürlichen Tribut an die Vergänglichkeit aller Werte in Kauf.

Und niemand übernimmt die Verantwortung.
Sloterdijk: Nein, wenn Dinge in der Welt schief gehen, sucht heute fast keiner mehr den Grund dafür bei sich selbst.

In „Zorn und Zeit“ schreiben Sie: „Schuld und Schulden weisen ein entscheidendes verbindendes Merkmal auf: Beide sorgen dafür, dass das Leben des Belasteten an einen in der Vergangenheit geknüpften Knoten gebunden bleibt.“
Sloterdijk: Die eigentliche Demoralisierung geht immer von der Spitze der Staaten aus, Finanzbetrug entsteht immer durch die höchste Instanz. Eine moralgeschichtliche Sensation ist aber, dass sich die großen Kreditnehmer von ihren eigenen Krediten überhaupt nicht belastet fühlen. Der Typus des fröhlichen Bankrotteurs wird zur Leitfigur der Gesellschaft.

Mit „Babylon“ haben Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben ein Opernlibretto verfasst. Was haben Sie dadurch Neues gelernt?
Sloterdijk: Das kann ich nicht sagen. Ich habe das Ganze geschrieben, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.