Peter Maffay

Die Eitelkeit der Politiker ist oft zu groß.

Peter Maffay über sein Buch „Der neunte Ton“, seine Kindheit und warum er der Politik nicht mehr vertraut

Peter Maffay

© Olschewski

Herr Maffay, Sie haben kürzlich von einer Hamburger Initiative den Preis als „Optimist des Jahres“ bekommen. Sind Sie denn der große Optimist?
Peter Maffay: Nicht immer. (lacht) Optimist ist ein großes Wort, aber eine positive Haltung habe ich in der Regel schon. Ich stehe gerne gut gelaunt auf und gehe abends gerne gut gelaunt ins Bett. Das gelingt allerdings nicht immer.

Was tun Sie im Alltag, um Ihren Optimismus zu erhalten? Gibt es da ein Rezept?
Maffay: Ein Freund von mir, mit dem ich sehr gerne Musik gemacht habe, pflegte immer zu sagen, wenn wir mit schlotternden Knien auf die Bühne gegangen sind, weil dort 10.000 Leute standen: „We are not here to lose.“ Wir sind nicht hier, um zu verlieren. Er hat gesagt: „Wenn du diese Stiegen raufgehst, dann geh auch bis nach vorne, stell dich und rechne mit den Dingen, die passieren. Versuche, das Gute mitzunehmen und das Schlimme zu vermeiden.“ Ich fand dieses Motto irrsinnig gut. Der Satz hilft mir oft und ich benutze den auch im Spaß, wenn ich merke, dass jemand ein bisschen wackelt.
Mein kleiner Sohn ist auch ein unfassbarer Energiefaktor. Wenn ich den sehe, weiß ich, dass ich noch etwas zu tun habe. Ich möchte erleben, wie er wächst und sich entwickelt und ihm dabei zur Seite stehen. Das kann ich nicht machen, in dem ich die Schultern hängen lasse. Das geht nicht. Seine Schultern entwickeln sich und meine hängen? Was wäre das denn für ein Bild!

Was sind denn Werte, die Sie Ihrem Sohn in der Erziehung zu vermitteln versuchen?
Maffay: Es würde mich wahnsinnig freuen, wenn er in seinem Leben keine Angst vor Entscheidungen hat, auch nicht vor solchen, die ihm keinen Spaß machen. Zu Gunsten seines eigenen Selbstwertgefühls.
Wir erleben es im Augenblick ja wieder, dass sich junge Menschen, die in der Gesellschaft keinen Platz finden, radikalisieren, dass sie anfangen, Positionen zu beziehen, die schon einmal da waren und unglücklich waren, Rechtsradikalismus zum Beispiel. Um dorthin nicht abzudriften braucht man ein Gerüst für sich selber, ein Rüstzeug. Man muss auch den Mut haben, zu sagen: „Sorry, da spiele ich nicht mit. Das kann ich nicht unterstützen.“

Glauben Sie, dass es heutzutage für Kinder in Europa schwieriger ist, aufzuwachsen, als zu der Zeit, als Sie selbst Kind waren?
Maffay: Nein. Ich gehöre auch nicht zu denen, die sagen: „Früher war alles besser.“ Es gibt heute so viele fantastische Möglichkeiten, Berufe zu erlernen, die Freizeit zu gestalten, sich zu vernetzen mit Menschen am anderen Ende der Welt. Die Möglichkeiten, die Welt in ihrer Vielfalt zu sehen, ihre Schönheit und das, was die Schöpfung uns anvertraut hat, waren noch nie so groß wie heute. Wir müssen uns nur beeilen, weil immer mehr und mehr davon verschwindet.

Wie haben Sie Ihre eigene Kindheit verbracht und erlebt?
Maffay: Ich bin in Rumänien in einem sehr bescheidenen Haushalt aufgewachsen. Wir wohnten zu dritt in einem kleinen Zimmer und zur Toilette musste man über den Hof laufen, auch im kalten Winter. Aber meine Kindheit war deswegen nicht schlecht. Es gab zwar wenig, aber wenn das jeden betrifft, tut das nicht so weh. Meine Eltern haben mich auch nie hungern lassen. Und die Menschen in der Straße, in der wir wohnten, halfen sich gegenseitig so gut es ging, es gab eine Gemeinschaft, die lebte wirklich miteinander. Da war man nicht getrennt, weil jeder seinen Kühlschrank und sein Auto hat. Wenn irgendwo in der Nachbarschaft ein Schwein geschlachtet wurde, dann aß die ganze Straße davon. Diese Kohäsion, diese Bindung untereinander war unsere Überlebenschance. Auch wir Kinder hatten viel mehr miteinander zu tun. Wir lebten ja sozusagen auf der Straße, es gab nicht viele Spielsachen, also haben wir vieles draußen gemacht. Das waren Dinge, mit denen hier im Westen kein Kind gespielt hätte. Wir haben uns einen Reifen genommen, einen Draht zurechtgebogen und sind dann damit die Straße rauf und runter gelaufen.

Was haben Sie damals von den politischen Verhältnissen in Rumänien mitbekommen?
Maffay: Mit 13, 14 habe ich gemerkt, in was für einem Land man lebte und was sich da abspielte: das Denunziantentum, Leute die andere anzeigten, um besser dazustehen, die Korruption, den Rassismus. Als Angehöriger einer Minderheit, als Deutsche, wurden wir Kinder als „Hitleristen“ beschimpft. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe meine Eltern gefragt: „Hitler? Wer war das?“ Ich hatte ja keine Ahnung.

Mit 14 Jahren kamen Sie dann nach Deutschland…
Maffay: Dort waren die Verhältnisse plötzlich ganz anders, fantastisch, aber anders. Dieses verbindende Element, das tägliche Miteinander wie in Rumänien das gab es eine Zeit lang so nicht, das konnte ich in dieser sich wirtschaftlich so immens entwickelnden Gesellschaft in Deutschland nicht ausmachen. Auch weil es diese Angst nicht gab, die zusammenschweißt, die einen zusammenrücken lässt.

In Ihrem neuen Buch „Der 9. Ton“ sorgen Sie sich um das Miteinander in der heutigen Gesellschaft. Wie kam es zu diesem Buch?
Maffay: Es gab eine Anfrage von dem Verlag und meine Antwort war: „Dieses Buch braucht man eigentlich gar nicht.“ Aber dann haben die Herrschaften nicht locker gelassen. Und ich fand dieses Gleichnis mit den neun Tönen einer Tonleiter immer schon witzig. Es ist nicht meine Erfindung, aber ich habe mir immer einen Spaß daraus gemacht, Leute, die wirklich was von Musik verstehen, zu fragen: „Wie viele Töne hat die Tonleiter?“ Weil ich daran glaube, dass es einen neunten Ton gibt, der das Bindemittel in unserer Gesellschaft ist. Es gibt keine Band auf dieser Welt, die auf lange Sicht miteinander spielen kann, wenn da nicht irgendwo auch ein bisschen Harmonie zwischen den Musikern ist.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es in unserer Gesellschaft mehr „Ich“ als „Wir“ gibt. Wie kann denn die Gesellschaft den neunten Ton, das Miteinander, die Harmonie wieder erlernen?
Maffay: Ich maße mir nicht an, meinem ganzen Umfeld aufzuzeigen, wie man sich richtig und korrekt verhält. Das Buch ist eine subjektive Position, ich habe es nicht mit erhobenem Zeigefinger geschrieben.
Aber zu Ihrer Frage: Wir sind ja nicht alleine auf dieser Welt und deswegen ist das Wort „Wir“ viel wichtiger als das „Ich“. Ich kann zum Beispiel nicht so gut Gitarre spielen wie mein Gitarrist Carl Carlton. Ich kann mich in seinem Spiel verstecken, hin und wieder kann ich auch einen Impuls erzeugen, der hörbar ist, aber ich bin nicht so fingerfertig. Und dadurch, dass mein Spiel angereichert wird durch das Vermögen und Talent anderer, macht es in vielen Fällen unsere Songs erst anhörbar. Die Musik ist erst mit den anderen zusammen gut.

Zitiert

Mein kleiner Sohn ist ein unfassbarer Energiefaktor. Wenn ich den sehe, weiß ich, dass ich noch etwas zu tun habe.

Peter Maffay

Im Buch fordern Sie auch ein Umdenken in der Politik. Was konkret wünschen Sie sich von Politikern?
Maffay: Dass sie nicht verlernen mit den Menschen zu reden. Politiker sind inzwischen eine gesellschaftliche Gruppe, die eine eigene Sprache, eine eigene Haltung entwickelt, die sehr oft nichts mehr mit dem Rest der Gesellschaft zu tun hat und nicht mehr verstanden wird. Wenn Politiker über Armut oder das Gefälle in der Gesellschaft sprechen, sich aber pausenlos die Diäten erhöhen, dann ist das schwer nachzuvollziehen für jemanden, der Bafög bekommt und im Studium mit ein paar Euro über die Runden kommen muss.
Leider ist ist die Politik inzwischen auch ein Probierland, eine Experimentallandschaft – wer gewählt wird, darf sich eine Legislaturperiode lang ausprobieren. Und wenn das nix ist, geht derjenige nach Hause, bekommt seine Pension und die nächsten „regieren“ das Land mit völlig anderen Vorzeichen, stellen alles auf den Kopf. Das macht die Menschen nervös, man weiß nicht mehr woran man ist.

Haben Sie das Vertrauen in die Politik verloren?
Maffay: Mir fehlt die Kontinuität, um der Politik Vertrauen zu schenken, um ihr zuzuhören. Der Grund, weswegen viele Menschen Politikern nicht mehr zuhören ist, dass sie kein Vertrauen zu ihnen haben. Wie soll das auch gehen, wenn 17 Abgeordnete in Bayern ihre Verwandten beschäftigen und auf Staatskosten honorieren. Und es kommen jeden Tag neue Sachen hinzu: Fehlentscheidungen, die Milliarden kosten, Volksvermögen, Geld welches wir gut gebrauchen können, um es für Bildung einzusetzen. Es ist ja immer davon die Rede, dass Bildung der Schlüssel ist, zur Perspektive der nächsten Generation. Aber wie soll das funktionieren, wenn das Geld, das der nächsten Generation zusteht, verzockt wird, wenn jeder, der auf die Welt kommt, schon ein Schuldner ist? Wie soll da Vertrauen entstehen?

Wie sollte Politik gestaltet werden, damit die Menschen den Politikern zuhören und vertrauen können?
Maffay: Ich wünsche mir, dass es Politiker gibt, die nicht Politik machen, um ihr Selbstbildnis zu verschönern, sondern weil sie es als Dienst an der Gesellschaft verstehen. Und ich wünsche mir eine Politik, die nicht immer parteipolitisch gefärbt ist. Nicht alle Vorschläge die aus einer Partei kommen sind schlecht und alle anderen sind gut, sondern es gibt immer auch im anderen Lager eine gute Lösung. Der wirkliche Kompromiss aus all diesen Angeboten wäre für unsere Gesellschaft wahrscheinlich viel förderlicher. Das würde aber auch bedeuten, dass man manchmal ein bisschen von seinen eigenen Positionen zurücktreten muss. Doch dafür ist die Eitelkeit der Politiker oft zu groß.

Durch die Arbeit für Ihre Stiftung verbringen Sie viel Zeit mit jungen Menschen. Was lernen Sie persönlich von dem Zusammensein mit Kindern und Jugendlichen?
Maffay: Ich lerne, dass man selbst oft viel zu kompliziert ist und Kinder wenig Kurven machen, um an ihr Ziel zu kommen. Mein Sohn sagt ziemlich deutlich, wenn er etwas nicht gut findet: „Das möchte ich nicht.“ Wenn man älter wird sagt man aber nicht mehr „Ich möchte nicht“, weil man damit vielleicht jemanden verletzen könnte. Man hat mit Freunden zu tun, dann fängt man schon an rumzueiern… – da kann man etwas von den Kindern lernen.

Welche Pläne gibt es im Moment für die Peter Maffay Stiftung?
Maffay: Viele. Wir haben vor kurzem die Rechte an unserer kleinen Figur „Tabaluga“ zurückerworben. Das ist für uns ein Meilenstein. Damals hatten wir diese Rechte verkauft, um die Stiftungseinrichtungen in Spanien, Deutschland und in Rumänien zu bauen.
Unsere Vision ist es, Tabaluga als Figur auszuwerten und mit den Einkünften die Stiftung zu finanzieren, damit sie weiter existiert, auch wenn ich nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Es gibt ja Stiftungen mit 400, 500 Millionen Kapital, was selbst bei schlechten Zinsen so viel Kleingeld erzeugt, dass man davon locker 1000 Kinder in die Ferien schicken kann. Doch das haben wir nicht. Deshalb ist wahrscheinlich unsere einzige Chance, den Beruf der Vermarktung einigermaßen zu erlernen. Und wenn das viel erzeugt, könnte man die Kette der Einrichtungen auch nochmal ein bisschen erweitern. Denn der Bedarf ist größer als wir uns vorstellen können. 100.000 Häuser der Art, wie wir sie haben, würden nicht reichen, um alle Kinder, die kommen möchten, zu beherbergen.

Wenn Sie zurückblicken, gibt es Dinge, die Sie in Ihrem Leben gerne anders gemacht hätten?
Maffay: (lacht) Das wäre jetzt das dickere Buch. Ich bin 63, da hat sich schon einiges angesammelt, was man nicht zwei Mal machen muss.

Zum Beispiel?
Maffay: Ich sage das mal ein bisschen allgemeiner: Wir alle leben in einem Beruf, der einen dazu verdammt, anderen zu gefallen. Wenn man nicht gefällt, dann kommt man keine Runde weiter. Das ist das eigentlich Perfide. Denn dieses Diktat bringt manchen dazu, Dinge zu machen, die er eigentlich nicht machen will, aber er tut es, einfach nur um vermeintlich weiterzukommen. Das ist ziemlich fies. Man wird käuflich, man verbiegt sich. Mir ist das auch schon einige Mal passiert – aber dafür gibt es dann auch immer ordentlich Senge. Irgendwann erzeugt das einen Boomerang und wenn der dann auf den Hinterkopf prallt, denkst du: „Oh, jetzt fange ich an, zu kapieren!“

Der „Bild“-Zeitung erzählten Sie kürzlich, Sie seien mitunter jähzornig, ungerecht und unentspannt. Welche Vorzüge haben Sie denn?
Maffay: Ich kann ziemlich stur sein.

Das ist ja ein super Vorzug.
Maffay: Das ist wirklich einer. Wenn es nicht zu Lasten von jemand anderem geht, dann ist Sturheit nichts Schlimmes. Sturheit kann man in diesem Sinn auch übertragen auf Attribute wie zum Beispiel Ehrgeiz. Das ist ganz leicht zu erklären: Ein Zweimeter-Mann überspringt eine Hürde relativ leicht. Wenn man aber nur 1,68 groß ist schlägt man sich pausenlos die Schienenbeine oder die Knie an. Also muss man mehr trainieren und es entwickelt sich von Haus aus so eine Tiger-Mentalität. Das können Sie bei jedem kleineren Menschen oder kleineren Lebewesen feststellen. Die aufmerksamsten Hunde bei uns auf der Finka sind die kleinen. Vor denen haben auch die meisten Menschen, die zu uns kommen, Respekt. Die großen sitzen nur da und lecken bestenfalls jemanden tot.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.