Paul Kalkbrenner

Ich war noch nie drei Tage wach

Paul Kalkbrenner über den Film "Berlin Calling", Drogenkonsum, und was man braucht, um elektronische Musik zu produzieren

Paul Kalkbrenner

© Movienet Film

Paul, als Live-Act trittst du regelmäßig vor ein großes Publikum, braucht man da auch ein wenig schauspielerische Fähigkeiten?
Paul Kalkbrenner: Der Hauptunterschied zum Film ist: Wenn du bei einer Party auf der Bühne stehst, ist es viel direkter. Beim Film hat man ein riesiges Set, aber man macht es letztlich ja nur im kleinen Kreis und kriegt erst ein Jahr später die Reaktionen – wenn der Film halt fertig ist. Das ist ein ganz anderes Produkt, als wenn ich auf der Bühne stehe. Da sollte die Musik an erster Stelle stehen. Wobei, wenn man live spielt, ist eine gute B-Note auch nicht von Nachteil.

Wie wichtig sind die Reaktionen vom Publikum?
Kalkbrenner: Natürlich ist es toll, wenn der Laden rockt, aber für mich sind andere Sachen wichtiger. Ein gutes Monitoring zum Beispiel. Es macht für mich keinen Sinn, wenn ein 3000 Mann-Schuppen gerade Kopf steht, ich aber gar nichts höre, weil der Sound nicht richtig abgenommen ist – da bevorzuge ich lieber einen Klub, der nur halbvoll ist, wo aber das Monitoring sauber ist, wo ich sozusagen in meinem eigenen Saft stehe. Wenn ich von meiner eigenen Musik, von dem Druck richtig gekickt werde, dann wird das Set auch inhaltlich und künstlerisch besser.

Du bist heute Live-Act und kein DJ mehr. Hat dich das DJ-Dasein irgendwann nicht mehr gereizt?
Kalkbrenner: Mein Kompagnon Sascha Funke und ich haben vor 16 Jahren angefangen aufzulegen. Und wir wollten gerne große DJs werden. Aber dann mit 18, wo man dann auch daran denken muss, ein bisschen Geld zu verdienen und das nicht geklappt hat, da habe ich einen kleinen Schlenker gemacht. Ich habe 2-3 Jahre im Fernsehen als Cutter gearbeitet, in Newsrooms für ARD und ZDF, bin mitgefahren auf den Parteitag, saß im Schnittmobil… Von dem Geld, was ich dort verdient habe, habe ich mir dann Equipment gekauft und meine ersten Tracks gemacht. Und da war für mich schon relativ klar: Ich will lieber live spielen.

Der Film „Berlin Calling“ lässt in Bezug auf die Verbindung von Techno und Drogen wenig Fragen offen. Eine aber habe ich noch: Welches Interesse haben Clubchefs daran, dass Drogen in ihrem Club im Umlauf sind?
Kalkbrenner: Der Clubchef im Film ist sicher überzeichnet, so stellt man sich vielleicht einen archaischen Clubchef Anfang der 90er vor, als die ersten Drogen ins Spiel kamen. So scheinheilig, wie er sich selber da noch eine Line Koks legt…
Aber die Filmbewertungsstelle Wiesbaden hat uns das Prädikat „Wertvoll“ verliehen, weshalb der „Berlin Calling“ auch in die Bibliotheken von Schulen und Universitäten kommt. Die finden, der Film ist aufklärerisch: Man sieht den heuchlerischen Clubchef, der schlechte Drogen in seinem Club anprangert, aber selbst Drogen nimmt.
Der Film erhebt aber nicht den moralischen Zeigefinger, dass man überhaupt keine Drogen nehmen sollte. Wir sagen maximal: „Wenn man schon Drogen nimmt, dann sollte man sich wenigstens ein bisschen informieren.“ Das ist ja eine ganz andere Qualität, wenn es nicht um Drogen geht, sondern, wenn Gift im Umlauf ist, toxische Stoffe. Also, wenn du dir schon alles in den Mund steckst, was du kriegen kannst, dann pass wenigstens ein bisschen auf, informiere dich! Weil ein Haufen Zeug unterwegs ist, das gar nicht das ist, was du nehmen willst.

Ok, die Frage war aber: Welches Interesse haben Clubchefs daran, dass Drogen in ihrem Club im Umlauf sind?
Kalkbrenner: Das kann ich nicht beurteilen. Weil ich kein Clubchef bin. Manchen ist das bestimmt egal, manchen nicht. Wahrscheinlich gibt es auch nicht den Clubchef als Typus, der da immer ähnlich reagieren würde.

Gut, die Frage dahinter steht: Würden die Partys, die in „Berlin Calling“ portraitiert werden, ohne die Drogen, die im Umlauf sind, überhaupt funktionieren?
Kalkbrenner: Das ist die Frage: Funktioniert Techno ohne Drogen? Ich bin der Meinung, es funktioniert mit Drogen – es funktioniert aber auch ohne Drogen. Das ist auch von Land zu Land unterschiedlich. In Spanien zum Beispiel, da nehmen die einen Haufen Drogen, die haben beim Kokain-Konsum sogar die USA von Platz eins verdrängt – und das nicht relativ zur Bevölkerung, sondern absolut. Während ich in Japan festgestellt habe, dass es auch ohne Drogen funktioniert. Komischerweise wird die Musik überall gleich rezipiert, ob ich nun in Südamerika bin oder in Japan, die Leute feiern irgendwie gleich. Da scheint die Techno-Sozialisation stärker zu sein als die eigentliche gesellschaftliche Sozialisation, die ja, wenn man Brasilien und Japan als Beispiel nimmt – unterschiedlicher nicht sein könnte.

Funktioniert Techno für dich ohne Drogen?
Kalkbrenner: Ja, ich könnte zum Beispiel nie auf Drogen Musik machen. Das würde ich mir als Allerletztes antun.

Und die Partys in Berlin, ohne Drogen?
Kalkbrenner: So wie die gerade sind, dass die Leute nach dem Wochenende noch bis Mittwoch feiern – ja, wahrscheinlich nehmen die Leute, die das machen, einen Haufen Drogen.

Warum konsumieren Partygänger Pillen, deren Inhaltsstoffe sie nicht kennen?
Kalkbrenner: Das ist eine Leichtsinnigkeit. Man ist als junger Mensch in vielen Dingen leichtsinnig. Aber das ist eine Leichtsinnigkeit, die schnell bitter enden kann, in einer Klinik oder auf dem Friedhof.
Ich selbst bin auch kein Pillenuser. Als ich 18 war, ja, da haben wir im „E-Werk“ auch Ecstasy genommen, aber das ist heute absolut nicht meine Droge.

Zitiert

Seit er denken kann ist der Mensch auf der Suche nach irgendwelchen Stachelbeeren oder Gräsern, die er sich einpfeiffen kann, um sich einmal anders zu fühlen.

Paul Kalkbrenner

Bei welchen Drogen hast du die schlimmsten Nebenwirkungen erlebt?
Kalkbrenner: Ich denke, dass die schlimmsten Nebenwirkungen von Drogen kommen, die ich selber noch nicht genommen habe, GHB zum Beispiel. Ich habe selbst erlebt, wie auf einer Party in der „Bar 25“ zwei Mal innerhalb von zwei Stunden jemand am Eingang lag und von der Ambulanz mit einer Adrenalin-Spritze ins Herz ins Leben zurückgeholt werden musste. Da ist dann auch ein Punkt erreicht, wo ich sage: Das hat mit Techno nichts mehr zu tun.

Lützenkirchen hat vor kurzem mit seinem Techno-Song „3 Tage wach“ große Erfolge gefeiert…
Kalkbrenner: Ich war noch nie drei Tage wach. Vielleicht war ich mal fast zwei Tage wach, aber drei Tage wach, das gab es in meinem Leben definitiv noch nie.

Tobias Lützenkirchen spricht davon, dass sich die Partygänger eine „Wochenend-Identität“ zulegen. Erlebst du das auch?
Kalkbrenner: Das ist so ein Ausbrechen. Wenn man die Jugendlichen nimmt, die sich sagen „jetzt wollen wir mal die Schlosserlehre vergessen…“ – Natürlich ist das ein Ausbrechen aus der Realität in eine Fast-Traumwelt, die eigentlich nicht wirklich real ist. Das ist aber wahrscheinlich auch ganz menschlich. Es ist sogar bewiesen, dass der Mensch, seit er denken kann, auf der Suche nach irgendwelchen Stachelbeeren oder Gräsern ist, die er sich einpfeiffen kann, um sich einmal anders zu fühlen. Alkohol spielt in der europäischen Kultur ja auch eine große Rolle, um ein anderes Erleben zu haben, um einfach mal auszubrechen.
Ich kann behaupten, dass ich nach so einem Interview-Tag wie heute abends auch gerne noch einen rollen würde, einfach um ein bisschen Schmieröl zu haben. Um das Ganze mal von einer anderen Seite zu betrachten, sich anders zu fühlen.

Kleiner Themenwechsel. Du sitzt in einer Film-Szene neben deinem Vater auf der Orgelbank. Kannst du Noten lesen?
Kalkbrenner: Ja, ich war auf einer Musikschule. Ich wurde vom DDR-Scouting-System entdeckt, die sind damals durch die zweiten und dritten Schulklassen gegangen und weil ich vor meinem Stimmbruch eine schöne, helle, laute Stimme hatte, wurde ich ausgewählt. Ich habe dann Trompete gelernt, ich hatte auch Theorie-Unterricht, ich musste dreimal die Woche dorthin. Aber dann mit 12, 13 Jahren, im Sommer, als die anderen draußen Fußball gespielt haben, oder mit den Mädchen unterwegs waren, hatte ich nicht mehr den langen Atem, zu Hause vier Stunden zu üben. Das hat mich dann nicht mehr so interessiert. Trotzdem ist Einiges hängen geblieben.

Hilft dir das heute beim Produzieren elektronischer Musik?
Kalkbrenner: Seit ich angefangen habe, elektronische Musik zu machen, habe ich sozusagen absichtlich vieles von dem vergessen. Weil ich es nicht brauche. Aber bestimmte Sachen gehen halt nicht weg, der Quintenzirkel zum Beispiel. Man braucht das aber nicht. Mein Kompagnon Sascha Funke ist in der elektronischen Musik auch in der Lage, Harmonien zu finden. Er muss die halt per Gehör suchen, während ich die aus meinem musikalischen Wissen heraus kenne. Ich würde es aber bezweifeln, dass es ein musikalischer Vorteil ist, dass ich da besser ausgebildet bin.

Wenn man heute elektronische Musik produziert, braucht man also keinerlei musikalisches Vorwissen?
Kalkbrenner: Genau. Was ich auf der Musikschule gelernt habe, bringt mir bei meinem Musikmachen relativ wenig. Was mir aber was bringt, was ich auch umsetzen kann und will, ist musikalisches Gefühl. Und entweder man hat ein musikalisches Gefühl oder nicht. Man kann das natürlich auch lernen, dadurch, dass man viel Musik hört usw.
Die reine Musiktheorie, die bringt einem natürlich etwas, wenn man selbst ein Instrument spielen möchte. Aber um Musik zu Hause am Computer zu produzieren, da braucht man nur das Gefühl, nicht das Wissen.

Die technischen Mittel für Musikproduktion sind in den letzen Jahren für die breite Masse zugänglich und erschwinglich geworden.
Kalkbrenner: Das nennt man Demokratisierung der Arbeitsmittel. Jeder kann alles machen. Und die Entschuldigung, „mein Sound ist nicht so fett, weil ich kein fettes Studio habe“, die zieht nicht mehr.

Hat das insgesamt zu einer höheren oder niedrigeren Qualität geführt?
Kalkbrenner: Insgesamt gesehen hat es zu einer niedrigeren Qualität geführt, weil es in dem Moment, wo viel mehr produziert wird, es auch viel mehr Schlechtes gibt. Wenn man sich aber die Spitze anguckt, also das, was gut ist – da gibt es jetzt viel mehr davon.
Die Arbeit eines DJs stelle ich mir heute als einen knüppelharten Job vor, dem DJ kommt wieder seine eigentliche Aufgabe zu, nämlich das selektieren. Und da braucht man schon einen langen Atem und anhaltendes Interesses, um jede Woche in einen Plattenladen zu gehen, sich durch einen Haufen Schund zu quälen, um dann eben die paar Goldstücke zu finden.

Wie wird in Zukunft die elektronische Musik an die DJs kommen und wie wird sie finanziert? Es gibt zwar Mp3s für DJs in Download-Shops, aber genauso werden neue Tracks auch kostenlos heruntergeladen…
Kalkbrenner: Das sind zwei Fragen, die eine: Wie wird das Zeug in Zukunft an den Mann gebracht? Da denke ich, dass sich Einiges auflösen wird und etwa drei Viertel der Labels als reine Internet-Labels weitermachen. Und dann wird es noch eine große Handvoll an Labels wie Bpitch oder Kompakt geben – ich nenne die immer „Premium“-Labels – die weiterhin viel Geld für Vinyl, Cover, Artwork und den ganzen Kram ausgeben. Ich denke, diese Labels werden überleben können, weil in der Musik-Szene wahrscheinlich immer noch ein Anteil an Leuten übrig bleibt, die hochwertige Produkte haben wollen und denen so ein Download eben nicht reicht.

Und die andere Frage?
Kalkbrenner: Das ist die Sache mit den kostenlosen Downloads – ein zweischneidiges Schwert. Natürlich, wenn ich da rein fiskalisch drüber nachdenke, ist es natürlich doof, wenn sich jemand meinen Song kostenlos runterlädt. Andererseits denke ich, dass in einem Land, wo es im Musikbereich kein funktionierendes Betriebswesen gibt, zum Beispiel in Indien – da kann mir als Künstler doch nichts Besseres passieren, als dass irgendjemand meine Musik gut findet, die runterlädt, auf CDs brennt, seinen Kumpels schenkt und die das dann genauso machen.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Kalkbrenner: Hoffentlich Dagobert Duck. Eines Tages. Ich hoffe mein Leben verläuft vom Donald zum Dagobert. Und nicht anders rum.

7 Kommentare zu “Ich war noch nie drei Tage wach”

  1. Insider |

    War mal wirklich gut. Bis er zum Dagobert Duck wurde und alle seine Freunde vergessen hat. Wie alle anderen die von Geld, Koks und Nutten verdorben werden. Paul hat mal in kleinen Klubs gespielt. Jam 2007 – 2008, danach hat er doch seine Gagen verzehnfacht und nur noch für die ganz grossen Festivals einen Termin rausgerückt. Die beiden Kalkbrenner Brüder sind einfach nur Gelddruck Maschinen geworden. Nicht mehr, nicht weniger. Von dem ganzen Sozialismus in der Musikbranche damals, von dem er auf jeder Afterparty auf irgendwelchen Hotelzimmern geprahlt hatte ist doch durch seine Geldgier, die sein Booker und Manager Markus Ruschmeyer so gut durchzieht kein Quäntchen übrig geblieben. Leider.

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  2. Christian |

    Find ich auch machst echt geile Beats

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  3. deine mutter mit butter |

    [Kommentar gelöscht]

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  4. egal. |

    GEIL !

    ich liebe ihn.ich liebe seine musik und ich liebe seinen film ! mach weiter so ,paul !

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  5. djthomaso |

    DIT is geil

    gutes Interview
    Spitze Film
    \“Premium\“ Sound
    alles gute fuer den Dagobert;)))

    Gesetz thomaso

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  6. Unwichtig |

    Dit Rockt!

    Richtig gut der Film und auch das Album!

    Paul hats einfach so richtig drauf ;)

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  7. David Zwadlo |

    Vielen Dank

    Schönes Interview. Danke auch an Paul Kalkbrenner für seine Offenheit und Ehrlichkeit.

    Seine Sicht der Drogen ist sehr erhellend, in positiver Weise.

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