Otto Pfister

Fußball ist für mich Religion.

Otto Pfister über seine Laufbahn, sein Verhältnis zu Deutschland, afrikanische Mannschaften und Fußball als Sucht

Otto Pfister

© Doro Tuch / 11-mm.de

Herr Pfister, bei einem Publikumsgespräch im Rahmen des Berliner Fußballfilmfestivals „11mm" haben Sie die Arbeit an einer Autobiografie erwähnt. Wann wird sie erscheinen?
Pfister: Ich habe hunderte von Zetteln in einer Kiste. Meine Frau versucht, das zu sortieren und wenn ich mal viel Zeit habe, mache ich da was daraus. Andererseits, heutzutage schreibt ja jeder ein Buch. Ich habe das zwar im Hinterkopf, aber ich bin da gar nicht so heiß drauf.

Wie wär’s mit einem Film über Ihr Leben?
Pfister: Da gibt es schon welche. „Black Starlets" zum Beispiel. Die „Starlets 91", das ist der Name der Mannschaft aus Ghana, die 1991 die U-17-WM in Italien gewannen, mit meiner Wenigkeit als Trainer. In dem Film ging es darum, was aus den Spieler geworden ist und um die Problematik der Sportagenten. Es gab einen Spieler, Nii Lamptey, an dem hat sich sein Agent zum Millionär verdient. Er wurde von einem Verein zum nächsten verkauft. Seine Karriere ist vorbei, er hat heute 10.000 Euro auf der Bank und ist wieder in Afrika, war aber damals als bester Jugendspieler der Welt von technischen Kommission der FIFA ausgezeichnet worden. Dann gab’s noch „Sammy" Kuffour in dieser Mannschaft…

… der mit Bayern München zum Beispiel 2001 die Champions League gewann…
Pfister: Richtig. Er war neun Jahre bei Bayern München. Der Film erzählt die verschiedenen Schicksale dieser Spieler. Er lief im Schweizer Fernsehen, auf Arte und auf verschiedenen asiatischen Sendern. Die großen deutschen Sender haben ihn nie gezeigt. Die sind mehr auf ihre Bundesliga fixiert. Hier hört der Fußball an der eigenen Grenze auf.

In Norwegen zum Beispiel, nicht gerade ein Land mit großer eigener Fußballtradition, sitzt man an den Wochenenden in den Kneipen und schaut die englische Fußball-Liga. Da gibt es jede Woche Public Viewing.
Pfister: In Afrika oder Südamerika schaut man in den Kneipen über Satellitenfernsehen alles, englische Liga, französische Liga, aber nicht Hannover gegen Vfl Bochum. Wenn Sie in Südamerika auf der Straße jemanden nach Borussia Dortmund fragen, denkt der, das wäre was zu essen.

Ich habe allerdings vor einiger Zeit ein Interview mit dem israelischen Regisseur Ari Folman gemacht und der war über den damaligen Höhenflug von TSG 1899 Hoffenheim bestens informiert. Ein wenig Bundesliga wird also schon international wahrgenommen.
Pfister. Zu Hoffenheim könnte ich Ihnen jetzt einiges sagen, aber das werde ich sicher nicht tun.

Warum nicht?
Pfister: Ach, ich habe zwar auch eine DFB-Trainer-Ausbildung gemacht, aber ich will mich hier mit keinem anlegen.

Sie wurden 1937 in Köln geboren. Wurde Ihnen der Fußball in die Wiege gelegt?
Pfister: Zunächst einmal bin ich zwar ein Deutscher, habe einen deutschen Pass, aber ich habe keine Beziehung zu Deutschland, nur zu meinem späteren Studium an der Sporthochschule Köln. Ich war ein einfacher Mensch und habe Fußball gespielt, wie man das als junger Bube so macht. Es gab da keine besondere familiäre Vorbelastung. Meine Mutter ist als Kriegerwitwe dann mit mir ausgewandert nach Norditalien. Ich habe in der Schweiz in Chiasso Fußball gespielt und hatte das Glück, dass ich den Ball etwas besser als die anderen geradeaus treten konnte. Ich habe einen Vertrag bekommen und wurde professioneller Fußballspieler.

Als Spieler sind Sie nie über Köln und die Schweiz hinausgekommen, trainiert haben Sie in mehr als einem Dutzend verschiedener Länder. Wie kam das?
Pfister: Ich habe immer den Drang gehabt, die Welt zu sehen. Wenn jemand was über den Vietnam oder so erfahren wollte, wartete er bis Sonntags abends um 19 Uhr, machte den Fernseher an und sah den Weltspiegel, Man fühlte sich informiert, wenn der Gerd Ruge da sprach oder der Peter Scholl-Latour. Ich habe aber eine Ader zum Abenteurer. Das fing als Bube schon an. Ich habe immer die Bücher gelesen; Karl May, Sven Hedin, „Von Pol zu Pol" und so, oder Robert Ruarks „Uhuru" – das war Weltbestseller. Da war ich so 13, 14.

Da lebten Sie schon in Chiasso?
Pfister: Ja. Solche Bücher zu lesen, war mein Hobby. Später bin ich dann nach Köln, auf die Sportschule, habe von der Pike auf studiert und dann gab es für mich nur eins: Ich wollte die Welt sehen. Ich habe mir gedacht, wenn ich damit meinen Beruf verbinden kann, damit Geld verdienen kann, dann mache ich das auch. Ich habe auch mal in Europa trainiert, St. Gallen, drei Jahre lang, aber das hat mich nicht befriedigt.

Wie wird man eigentlich Trainer?
Pfister: Wenn es mit dem Spielen zu Ende geht, musst du dich ja fragen: was machst du jetzt? Wenn du dich, erst recht in der heutigen Zeit, zu sehr auf den Fußball versteifst und nur darin Zeit investierst, dann bist du tot, wenn du irgendwann nicht mehr spielen kannst. Das habe ich an meinem Sohn gesehen.

Ist Ihr Sohn Michael auch ein Fußballer?
Pfister: Er wollte das. Das war zu einer Zeit, als ich Spieler trainierte, die waren so groß, dass sie in Deutschland nicht finanzierbar wären, Samuel Eto’o zum Beispiel. Da war mein Sohn 12, hat gesehen, wie diese Spieler mit teuren Jeans und Rasta-Locken im Ferrari unterwegs waren. Als ich ihn dann gefragt habe: was willst Du mal werden, hat er gesagt: Papa. nur DAS! Aber das habe ich ihm ausgeredet. Ich bin kein Vater, der immer nur sagt: mein Sohn ist der Beste. Ich habe gesehen, dass er kein Talent hat. Da gab es Kampf, denn der Bube ist ja auch eine Persönlichkeit. Heute küsst er mir dafür die Füße.

Wurde er Maschinenbauer – ein Beruf, den Sie ja auch mal gelernt haben?
Pfister: Nein, den habe ich studieren lassen. Er hat den Vorteil, dass ich in 16 Ländern gearbeitet habe und Kinder lernen schnell. Mein Sohn war 12, da habe ich Saudi Arabien trainiert. Und ich habe ihn als einzigen Christen in eine islamische Schule geschickt. (lacht) Das war schließlich eine einmalige Chance, Arabisch von der Picke auf zu lernen. Nach sechs Monaten konnte er das in Wort und Schrift. Mit 17 konnte er fünf Sprachen. Davon profitiert er heute. Er hat Arabistik, Politische Wissenschaften, Internationales Recht und in den USA noch Ökonomie studiert. Der hat sich noch nie irgendwo beworben, der wird abgeworben. Jetzt ist er 29 und hat eine Direktoren-Stelle bei der OECD in Paris. Wie kommen wir jetzt darauf? Wir schweifen ab.

Zitiert

Ich habe immer den Drang gehabt, die Welt zu sehen

Otto Pfister

Wie haben Sie Ihr Talent zum Trainer entdeckt?
Pfister: Naja, jeder meint von sich, er wäre was Spezielles und hätte Talente und jeder verzweifelt, weil er die nicht ausleben kann, weil er nicht zum Handkuss kommt, weil ihn niemand versteht, während allen anderen alles mühelos zu gelingen scheint. Diesen Ehrgeiz hat wohl jeder, das ist gut. Aber ich habe immer auch viel Glück gehabt.

Aber wie wurde aus dem Spieler Otto Pfister der Trainer?
Pfister: Ich habe diesen Weg gewählt. Ich war verheiratet, hatte eine Frau und ein Baby. Also habe ich einen Kredit aufgenommen, um zu studieren, Sportlehrer für die Bundesliga. Das geht ein Jahr. Sportlehrer… Das ist auch so ein blödes Wort.  Man kann keinem Fußballer etwas „lehren". Ich bin ein Trainer. Ich trainiere eine Mannschaft. Fertig.

Sie studierten also an der Sporthochschule in Köln.
Pfister: Ja, die Familie wohnte in der Schweiz, ich habe eine Wohnung genommen, im Kölner Severinsviertel. Ich musste diese Sporthochschule bezahlen und verdiente nichts in dieser Zeit, das kostete mich damals etwa 50 – 60.000 Mark. Meine Mutter war Kriegerwitwe. Ich habe nichts geerbt, nichts, null. Also habe ich einen Kredit aufgenommen und das gemacht. Ich kann mir nur selbst helfen. Es hilft ihnen keiner im Leben, auch heute nicht. Im Gegenteil. Jeder ist Egoist, jeder versucht, selbst zum Handkuss zu kommen. Hier, mitten in Berlin, in der deutschen Hauptstadt laufe ich rum und da kommt einer und sagt: „Ham se nicht mal nen Euro? Ne Zigarette?" Das darf doch nicht wahr sein! 

Das ist eine Situation, die europäische Touristen auch aus Afrika kennen.
Pfister: Und hier ist es das gleiche. Das ist unglaublich. 

Sie hatten also dann irgendwann den Trainerschein und wollten die Welt sehen.
Pfister: Ich hab mich ins Flugzeug gesetzt und los. Aus. Ende. Ehe ich hier versauere.

2006 waren Sie aber wieder in Deutschland – bei der Fußball-WM, als Trainer der Nationalmannschaft von Togo. Nun gibt es den Film „Togo", der zeigt, wie in Togo diese WM-Vorrunde erlebt wurde. Was halten Sie von dem Film?
Pfister: Nun, ich habe ein Problem damit, wenn Afrika in einem gewissen Licht präsentiert wird und nicht das Positive in der Berichterstattung mindestens genauso vorkommt, wie das Negative. Sie sind ein junger Mann, wenn jetzt einer diesen Film sieht und nicht viel darüber nachdenkt, denkt er doch: das ist ja alles ganz schlecht da unten, oder? 

Nunja, es wäre auf jeden Fall falsch, davon auszugehen, dass ein einziger Film einem das komplette Bild seines Themas vermitteln könnte.
Pfister: Das meine ich. Dieser Film ist eher die Geschichte eines Events. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ging es da vor allem um Korruption…

…und um Zauberer, die mit dem Töten von Katzen die Spielergebnisse beeinflussen wollen.
Pfister: Da haben nun diese jungen Buben ihren Film gedreht, der steht auf dem Index in Togo, der kann dort nirgendwo gezeigt werden, der läuft jetzt in Genf im Kino. Wie willst du das jetzt beurteilen? Wie sehen Sie das?

In dem Film kommt auf jeden Fall auch das eigenartige Verhältnis durch, was wir Europäer zu Afrika haben. Die machtpolitischen Realitäten in der Geschichte und Gegenwart, die gar nicht so weit zurückliegende Kolonialisierung und die jetzige Abschottung der Festung Europa gegen afrikanische Flüchtlinge sind einem bewusst, werden aber gleichzeitig verdrängt. Afrika fungiert vor allem als dreifache Projektionsfläche. Zum einen für unser schlechtes Gewissen als reiche Industrienation gegenüber unfassbar armen Regionen. Zum anderen gibt es eine Art Goldgräberstimmung, Afrika als Paradies für Investments. Vor allem aber dient Afrika als romantische Projektionsfläche, die zum Beispiel in am Fließband hergestellten TV-Schnulzen mündet. Da finden deprimierte Wohlständler in der sogenannten „Wiege der Menschheit" wieder zu sich. Man betreibt gewissermaßen eine esoterische Kolonisation.
Pfister: Sehen Sie, da müssen Sie gar kein Interview mit mir machen, da bringen Sie Ihre eigenen Gedanken zu Papier und das stimmt. Aber mir geht es ja nur darum, richtig hin zu schauen. Ich war im Kongo. Dort herrschte Jahrzehnte einer der größten Despoten dieser Erde, Mobutu Sese Seko, protegiert von den USA weil dort das größte Kobaltvorkommen der Welt zu finden ist. Da durften die Russen nicht ran. Wir schicken Soldaten nach Afghanistan, die erleben dort ein Attentat, kommen zurück, sind psychisch fertig, tot. Warum? Wegen der Solidarität mit den USA? Wegen der Menschlichkeit? Alles Quatsch. Es geht immer nur um Ressourcen. Aber wir kommen vom Thema ab.  

Ist die WM 2010 in Südafrika tatsächlich eine Chance für den Kontinent?
Pfister: Es ist ein punktuelles Event, ob es eine Chance ist, weiß ich nicht, kann ich nicht beurteilen. Die haben die WM auch verdient – obwohl, was heißt verdient? „Verdient", das gibt es ja im Sport nicht. Man gewinnt oder verliert. Fertig. Aber das ist eine politische Sache, das ist auch eine Geste der FIFA an die Spieler Afrikas. In Deutschland spielen ja die wenigsten von denen, die meisten gehen nach Frankreich, Italien, England, Südamerika, Russland. In Südafrika wird jetzt eine Infrastruktur zurückbleiben. Aber ob ein Mann 2000 Kilometer von Kapstadt im Busch irgendwie davon profitiert, das bezweifle ich.

Was bedeutete Ihnen Fußball als Sie angefangen haben, was bedeutet Ihnen der Fußball heute?
Pfister: Das ist eine Leidenschaft, wie… Ich habe einen guten Freund, der ist Großmeister im Schach. Der befasst sich stundenlang mit bestimmten Zügen oder der spanischen Eröffnung. Der lebt in dieser Welt. Für mich ist das auch so, Fußball ist für mich Religion. Ich denke mal, dass ich so schlau bin, das sich auch anders Geld verdienen könnte. Das Geld liegt auf der Straße, egal was du machst, du musst dich ja nur bewegen. Es geht aber nicht ums Geld. Einem Außenstehenden ist das auch schwer zu erklären.

Wie bei einer Sucht?
Pfister: Das Handling einer Mannschaft, das kann auch zur Sucht werden. Das ist eine eigenartige Welt. Wenn du mit solchen Spielern wochenlang zusammen bist, das hat mit einem normalen Beruf ja überhaupt nichts zu tun. Wenn du einmal, gerade in exotischen Ländern damit konfrontiert warst und das dann nicht mehr hast, das ist nicht gut. Das ist wie eine Sucht, wie eine Droge. Wenn meine Buben auf dem Platz kommen und spielen und dann setzt sich einer hin und jongliert im Sitzen mit zwei Bällen und lacht sich kaputt, das kann kein deutscher Spieler. Das kann man nicht erklären, aber nur in dieser Welt bin ich glücklich. Meine Schweizer Kollegen schalten Freitags ab bei ihrem Kegelabend oder Skatabend, das kann ich gar nicht verstehen.

Geht es ums Gewinnen oder um das gute Spiel?
Pfister: Es geht nur ums Gewinnen. Fürs gut spielen zahlt dir keiner was.            

Hatten Sie als Spieler noch Spaß, wenn Ihre Mannschaft ein paar Mal gewonnen hatte, aber Sie mit Ihrer eigenen Leistung unzufrieden waren?
Pfister: Als Spieler bist Du egoistisch. Wenn die Mannschaft dreimal verliert, ist es ja auch der Trainer, der der zum Teufel geschickt wird. Wenn du selbst gut gespielt hast, ist das das wichtigste. Wenn du erstmal Stammspieler bist, ist dir alles andere mehr oder weniger egal. Wenn deine Mannschaft absteigt, wechselst du halt den Klub. Das ist eben ein seltsames Geschäft. Aber vielleicht ist es deshalb auch so populär.

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