Niki Stein

Scientology geht es letztlich um das, was auch Hitler wollte – um eine sozialdarwinistische Form von Staat.

Regisseur Niki Stein über den Scientology-Spielfilm „Bis nichts mehr bleibt“, die Bedeutung von Hollywood für die Organisation und seinen Ärger über eine verharmlosende Berichterstattung in der deutschen Presse

Niki Stein

© HR/Renate von Forster

Ein gut besuchtes Café am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Niki Stein, bekannt als Drehbuchautor und Regisseur u.a. für den „Tatort“, hat sich auf einen Fensterplatz gesetzt, auf dem wenige Minuten zuvor noch Herbert Grönemeyer saß. Wegen der Berlinale ist reichlich internationale Prominenz in der Stadt, auch diverse Hollywood-Stars flanieren in diesen Februartagen über den roten Teppich. Im folgenden Gespräch wird Hollywood dann auch schnell zum Thema – in Zusammenhang mit einer Organisation, die manche für eine harmlose Glaubensgemeinschaft halten, andere wiederum für eine gefährliche Sekte mit klaren wirtschaftlichen Interessen: Scientology. Niki Stein hat im Auftrag des SWR und Nico Hofmanns Produktionsfirma teamworx unter strikter Geheimhaltung einen Film gedreht, der die Organisation erstmals in einem Spielfilm beim Namen nennt. Stein, der „durchaus ideologische Übereinstimmungen zwischen der NPD und Scientology“ erkennen kann, versteht seinen Film dabei als klares politisches Statement. Am 31. März wird „Bis nichts mehr bleibt“ nun in der ARD ausgestrahlt. Knapp zwei Wochen vor dem Interview war der Film auf einer Pressekonferenz in Hamburg vorgestellt worden – ein Erlebnis, das Stein „zu Denken gegeben“ hat.

Herr Stein, was macht Sie so wütend?
Niki Stein: Ich war echt entsetzt, was für eine Haltung einige der anwesenden Journalisten bei der Vorstellung des Films eingenommen haben. Nach dem Motto: Alles total überzogen, diese armen Scientologen, jetzt wird schon wieder auf die draufgeknallt und die ARD tut auch noch so, als würde sie verfolgt. Ich finde das unglaublich.

Sie haben sich eineinhalb Jahre lang intensiv mit Scientology beschäftigt.
Stein: Und ich kenne nicht eine Publikation, die sagt: Man überschätzt die Gefahr. Nicht eine. Die Äußerungen von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard und auch die seiner Nachfolger sind eindeutig. Es geht um die Beseitigung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es geht um die Errichtung eines Staates, der streng selektiert in Fähige und Unfähige. Es geht letztlich um das, was auch Hitler wollte – um eine sozialdarwinistische Form von Staat. Das ist unumstritten. Dass sich bei einem solchen Hintergrund sogar angesehene, sonst seriöse Zeitungen die Opferkampagne von Scientology zu Eigen machen, macht mich wirklich fassungslos.

Woher kommt diese Haltung aus Ihrer Sicht?
Stein: Es hat sehr viel mit Naivität und schlechter Recherche zu tun. Und bei der Yellow Press mag es durchaus auch den Reflex geben: Was sagt denn Tom Cruise dazu? Lädt der uns das nächste Mal noch ein?

Die Organisation soll derzeit etwa 5000-6000 Mitglieder in Deutschland haben.
Stein: Das wird geschätzt. Offizielle Angaben werden Sie nicht bekommen. Wahrscheinlich würden sie sich noch kleiner machen als sie in Wahrheit sind. Sie tun so, als seien sie harmlos und immer die geprügelten Hunde, nach dem Motto: „Immer wenn in Deutschland ein Reifen platzt, sind wir es angeblich gewesen.“ Das ist sehr geschickt.

Jedenfalls klingt das erst einmal nach einer wenig beängstigenden Zahl.
Stein: Ja. Aber Scientology geht es um Macht. Es geht um Einfluss. Natürlich hat es einen Plan, wenn Herr Cruise nach Berlin kommt, „Operation Walküre“ dreht, und von Klaus Wowereit empfangen wird. Es gab bei diesem Film bei jedem Presstermin immer auch ein Scientology-Informationszelt. Es gab für die Mitarbeiter das sehr große Angebot, wenn auch keinen Druck, sich scientologisch behandeln zu lassen. Diese Form der Missionierung gehört dazu, gerade auch für Tom Cruise.

Würden Sie sagen, dass Scientology in den letzten Jahren in Deutschland verharmlost wurde?
Stein: Ja, definitiv. Man nimmt sie nicht ernst, auf Grund von Uninformiertheit. Deswegen habe ich es auch sehr wichtig gefunden, den Film zu machen. Es ist unglaublich mutig, dass die ARD sich so etwas traut.

Der Film ist unter ziemlicher Geheimhaltung entstanden. Es wurde eine Informationssperre verhängt und Sie taten so, als würden Sie einen x-beliebigen Krimi drehen. War die ganze Geheimniskrämerei im Rückblick notwendig?
Stein: Ja. Wenn Sie einen Film über die Verfassungsfeindlichkeit der NPD drehen, entsteht der auch unter Geheimhaltung. Kein Mensch kündigt das vorher an. Kein Journalist würde darauf kommen, Ihnen das vorzuwerfen. Bei Scientology kommen sie drauf – verstehe ich nicht. Wir hatten aber auch eine große Verantwortung für unsere Schauspieler. Schauspieler sind sehr sensible Menschen. Ich weiß nicht, wie sie reagiert hätten, wenn sie obskure Anrufe bekommen hätten.

Sie selbst haben solche Anrufe bekommen, weil Scientology durch eine Unachtsamkeit schon sehr früh Wind von der Sache bekam. Hatten Sie Angst?
Stein: Angst ist zu viel gesagt. Ich hatte manchmal ein mulmiges Gefühl. Im Grunde hatte ich aber noch mit viel mehr gerechnet. Die Einschüchterungsversuche waren eher dezent. Sie haben mich nicht bedroht nach dem Motto: „Pass auf deine Kinder auf.“ Dafür sind die viel zu klug. Sie kriegen nur Anrufe, wo Ihnen gesagt wird: „Wir wissen, was Sie machen.“ Das reicht. Es gab auch ganz offene Arbeitsangebote nach dem Motto: „Bevor ihr hier was Falsches erzählt, redet doch lieber mit uns.“

Wie funktioniert das von Manipulation und Abhängigkeit geprägte System Scientology?
Stein: Das Grundprinzip von Scientology ist das Prinzip der Umwidmung. Die reden dauernd von Freiheit. Freiheit heißt aber Unterwerfung unter deren Technologie. Freiheit heißt, die scientologische Einengung perfekt zu beherrschen. Freiheit heißt, „Clear“ zu werden. „Clear“ heißt aber, sie sind abgestumpft gegen eine Außenwelt und nur noch offen für scientologische Arbeitsanweisungen.

Sie stellen in Ihrem Film auf idealtypische Weise dar, wie eine Familie in das Scientology-System hinein gerät. Was für Überlegungen hatten Sie bei der Konstruktion Ihrer Geschichte?
Stein: Für mich war das Wichtigste und auch die größte Hürde, die ich zu nehmen hatte, dass man irgendwie Verständnis für diesen Frank entwickeln muss, ohne dass der Zuschauer sagt: Das könnte mir nicht passieren. Denn dann würde man denken: Klar, der hat ein Riesenproblem, das habe ich nicht, mir passiert das also nicht. Auf gut Deutsch: Nur Leute, die einen an der Waffel haben, geraten da rein.

Wie nah ist Ihr Film an der Wirklichkeit?
Stein: Was Sie bei uns sehen in dem Film, ist so oder in anderer Form passiert, wir haben mit verschiedenen Aussteigern gesprochen. Natürlich mussten wir mit den Persönlichkeitsrechten extrem aufpassen. Aber die Praxis, die wir zeigen – auch die Form der Einschüchterung, der Drangsalisierung, der Zerstörung von Familie, diese RPF-Lager –, die gibt es, das ist recherchiert, das findet genauso statt. Und schlimmer. Wir haben uns schon sehr zurück genommen, um jede Möglichkeit einer Klage zu vermeiden.

Ist es nicht so, dass mittlerweile schon so viel über Scientology berichtet wurde und sich jeder ein Bild darüber hat machen können? Kann man noch „aus Versehen“ da reingeraten?
Stein: Der Film spielt 1987/88 bis 1992 – da war es sicherlich leichter, weil der Informationsgehalt nicht so groß war. Heute ist die Situation ein bisschen anders. Es gibt immer noch die Straßenaquirierung, die scheinbar auch immer noch verfängt. Am gängigsten ist es für Scientology heute jedoch, über Personalcoaching an die Leute ranzukommen. Coaching-Firmen erleben im Moment ja eine richtige Welle. Wenn Sie in einem Großunternehmen arbeiten, werden Sie ja fast von Ihrem Chef verhaftet, wenn Sie kein Coaching machen. Unter dem Deckmantel einer solchen Firma wird versucht, mit Persönlichkeitstrainings an Leute heran zu kommen. Es handelt es sich um Trainingsprogramme, die Sie wahrscheinlich zunächst gar nicht so sehr schockieren würden.

Das Scientology-System ist auf die totale Effizienz des Menschen ausgerichtet. Findet das nicht sehr viel Nährboden in unserer heutigen Leistungsgesellschaft?
Stein: Sie haben völlig Recht. Jeder muss dafür sorgen, dass er als Maschine immer noch perfekter arbeitet. Im Grunde ist die Welt heutzutage sehr viel offener für Scientology als noch vor 20 Jahren, wo wir noch stark geprägt waren von Freiheitsbegriffen, gegen Bevormundung, gegen Autoritäten. Wir leben in einer Kultur, wo jeder aufgefordert wird, noch mehr an sich zu arbeiten. Wenn Sie sich heute bei einem Großunternehmen bewerben, wird von Ihnen verlangt, dass Sie Englisch fließend in Wort und Schrift können, aber möglichst auch noch Französisch und eine dritte Fremdsprache, sonst kriegen sie den Job nicht. Die Anforderungen sind ungemein groß. Das sind alles Begünstigungen für ein System, das die Perfektion meines menschlichen Wesens von mir verlangt. Insofern finde ich den Film extrem aktuell. Ich finde eben nicht, dass man sagen kann: Das war doch 1989 so, jetzt ist es nur noch ein kleiner Haufen.

Aber was sind das für Menschen, die heute dafür ansprechbar sind?
Stein: Man kann es nicht verallgemeinern. Es sind Menschen, die sich suchen, die überfordert sind. So wie Frank. Unser Held hat ja das Problem, dass er mit dieser Überforderung nicht klar kommt – mit der Familie, der Erwartung seiner Frau, dem Studium. Er dockt bei Scientology an, weil er denkt: Die sortieren mir mein Leben. Das sind die einen, aber es gibt auch die schon Erfolgreichen, die noch erfolgreicher sein wollen. Die sagen: Ich möchte noch mehr kontrollieren, ich möchte noch mehr Macht ausüben. Viele Menschen sind ja zum Beispiel auch nicht in der Lage, jemandem in die Augen zu gucken. Die gucken weg. Nach so einem Kurs, den sie da mitmachen, können sie es. Und denken: An diesem „Clear“-Zustand,  der in Aussicht gestellt wird, ist vielleicht auch etwas dran.

Wenn man einmal drin ist, will man also immer weiter kommen?
Stein: Ja, sie wollen sozusagen das Geheimnis entdecken. Sie haben gemerkt, dass das, was am Anfang steht, gar nicht so schlecht ist, dass Ihnen das hilft. Anschließend wollen sie die große Heilsversprechung erreichen, die komplette Kontrolle über ihren Körper haben. Das erzählt Ihnen jeder Scientologe. Zumal die Erklärung des scientologischen Urwesens, des Thetan, für einen Menschen, der mit mythologischen Begriffen vertraut ist, gar nicht mal so unplausibel klingen mag.

Mit der Vorstellung vom „operierenden Thetan“ ist ein Zustand völliger geistiger Freiheit gemeint.
Stein: „Clear“ bedeutet, dass Ihr Thetan, der vorher irgendwo zugemüllt war mit „reaktiven  Erlebnissen“ auf Ihrer „Zeitspur“ – die im scientologischen Sinne Jahrmillionen vor Ihrer Geburt beginnt –, ohne diesen Müllballast aus Ihrem Körper aussteigen kann, so dass Sie sich quasi von oben kontrollieren. Wie ein Marionettenspieler steuern Sie dann nach diesem Verständnis Ihren Körper. Für einen Christen könnte das klingen wie: Der Körper wird zu Staub, aber die Seele ist unsterblich. Meint aber im scientologischen Sinne etwas ganz Anderes. Nämlich: Der Körper ist etwas Austauschbares. Es gibt ja dokumentierte Fälle von scientologischen Kindern, die versucht haben sich umzubringen in der Vorstellung, sie könnten sich dann einen neuen Körper holen.

Zitiert

Scientology strebt die Errichtung eines Staates an, der streng selektiert in Fähige und Unfähige.

Niki Stein

Wann ist der Punkt erreicht, wo manche merken, dass doch längst nicht alles positiv ist?
Stein: Nicht einmal die Aussteiger würden Ihnen sagen, Scientology ist schlecht. Sie sagen: Die Technik ist super – aber irgendwann haben wir gemerkt, dass sie uns verarschen, dass sie mit unseren Kindern Sauereien machen, dass es ihnen um Macht geht, dass es ihnen um Entwürdigung geht. – Die sehen gar nicht ihren eigenen Zustand. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer Befragungssituation, und es wird Ihnen suggeriert, dass gemessen werden kann, ob Sie lügen oder nicht. Das ist ja schon ein Zustand der Unfreiheit. Sie glauben der, der Ihnen gegenüber sitzt, kann erkennen, ob Sie lügen. Sie liefern sich ihm total aus. Er hat Macht über Sie. Die Aussteiger sind meist beschädigte Menschen, die aber trotzdem noch sagen würden: „Nein, das hat mir hat das in gewisser Weise geholfen.“ Einer der wichtigsten Sätze bei Scientology ist: „Scientology funktioniert.“

Sie sprachen bereits Tom Cruise an. Nun sind Hollywood-Stars unsere modernen Helden. Gibt es also im Umkehrschluss den Gedanken: Wenn solche Leute Mitglied bei Scientology sind, kann das doch alles nicht so schlimm sein?
Stein: Ein bisschen ist dieser Effekt da, natürlich. Vor allem, wenn Cruise einen deutschen Widerstandskämpfer spielt und er damit suggeriert, dass Scientology die Werte des Widerstands für sich in Anspruch nimmt. Aber es ist ja nicht nur ein Tom Cruise. Ich habe kürzlich erfahren, dass Paul Haggis, der Drehbuchautor von „L.A Crash“ – ein Film, den ich großartig finde, – 35 Jahre Mitglied bei Scientology war. Da habe ich mich gefragt: Wie geht das?

Was ist Ihre Erklärung?
Stein: Amerika ist nun einmal ein Land, in dem Sie komisch angeguckt werden, wenn Sie nicht mindestens einmal in der Woche zum Psychoanalytiker gehen. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Nehmen Sie Woody Allen. Du wirst gefragt, wie du ohne leben kannst. Amerika ist insofern sehr offen für Lebensberatung. Und wenn Sie ein Prominenter sind, der Geld hat, merken Sie das nicht. Dann gehen Sie in so ein Celebrity Centre, machen diese Trainingsroutine-Übungen, lassen sich ein bisschen befragen mit dem E-Meter – so ein paar Sex-Geständnisse tun ja vielleicht mal ganz gut – und dann fühlen sie sich gut. Wenn sie wieder raus gehen, sind sie 10.000 Dollar ärmer, aber das wären sie auch, wenn sie in New York zum Psychoanalytiker gehen würden.

Aber es entsteht ja auch eine gewisse Abhängigkeit. In Ihrem Film beschreiben Sie es als „Euphorisierungsmaschine, ohne die man nicht mehr zu leben können glaubt“.
Stein: Ja, die Frage ist natürlich, wie Sie da reingehen. Ich habe von Leuten, die in Los Angeles leben, gehört, dass Scientology durchaus eine wichtige Rolle bei der Job-Aquise spielt – es geht um Connections, man kennt sich halt. Ich glaube, wenn Sie Geld haben und nicht in der Bredouille stecken, dass Sie sich das alles erarbeiten müssen – wie das die Menschen bei uns im Film tun müssen, sie sind ja einfache Scientologen – dann können Sie sogar noch relativ unbeschadet davonkommen. Dennoch sind sie natürlich im System drin und ticken wahrscheinlich unbewusst genau so, indem sie gewisse Dinge nicht in Frage stellen.

Haben Sie Hubbard komplett gelesen?
Stein Ich habe das Dianetik-Buch komplett gelesen. Ich musste mich wirklich anstrengen. Als Student habe ich  Adorno gelesen. Das Problem ist nur, bei Adorno verstehen Sie irgendwann, was er meint und finden den Gedanken großartig. Bei Hubbard denkt man erst, da muss was dahinter sein, es ist so wie Hegel, so verklausuliert. Und dann merken Sie aber, dass absolut nichts dahintersteckt. Ein wichtiger Vorgang nennt sich „Wortklären“. Das heißt, Sie schreiben ein Wort auf, das Sie nicht kennen. Das können ganz banale Wörter sein, wie “handhaben“. Und dann gibt es Glossarien, in denen genau definiert wird, was das im scientologischen Zusammenhang heißt. „Handhaben“ ist ein typisches Scientologenwort. Das heißt so viel wie „kontrollieren“. Oder nehmen Sie das Wort „Ethik“. Damit meinen Scientologen „Gegenabsichten aus der Umwelt entfernen“. Es ist unverständlich, aber Hubbard schreibt es scheinbar so, dass die Leute denken, dass irgendetwas dahinter sein muss. Ziel ist es ja nicht, es zu durchdringen, Ziel ist es, es nachzuplappern.

Der Mensch ist die „Maschine“, die Kirche das „Technologiezentrum“. Welche Bedeutung hat diese Art der Sprache bei Scientology?
Stein: Sprache ist ein Moment des Sich-Bewusst-Werdens. Wir benutzen Sprache zum Teil ja auch, um einen eigenen Weg zu finden. Hubbard hat eine eigene Sprache kreiert, ähnlich wie Orwell in „1984“. Denn wenn Sie sich immer in eindeutigen Sprachformulierungen bewegen, werden Sie ja gar nicht angehalten, mit der Sprache zu arbeiten. Ich kenne das noch von meinen Eltern, die teilweise noch in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen sind, der ja auch von einer bestimmten Sprache geprägt war.

In Amerika gilt Scientology als Religion.
Stein: Richtig. Das hängt aber natürlich auch mit der großen Sektentradition in Amerika zusammen. Da gibt es so viele obskure Sekten, über die sich kein Mensch aufregt, die alle paar Jahre mal wieder in den Schlagzeilen sind, weil sich 750 Leute im Busch von Guinea gemeinschaftlich umgebracht haben. Dann sagt Amerika: Ach Gott, das haben wir gar nicht gewusst. So ist es auch mit Scientology.

Nun haben zuletzt haben einige Hollywood-Schauspieler Scientology den Rücken gekehrt. Was bedeutet das für Scientology?
Stein: Wenn diese Entwicklung weitergeht, wäre das natürlich sehr erfreulich. Aber im Moment haben sie in Amerika, noch viel stärker als bei uns, die Public Relations auf ihrer Seite.

In Deutschland ist Tom Cruise 2007 für seine Darstellung des Widerstandskämpfers  Stauffenberg in „Operation Walküre“ in der Kategorie „Mut“ mit dem Bambi ausgezeichnet worden.
Stein: Ich würde nicht sagen, dass der Burda-Verlag scientologisch unterwandert ist, bestimmt nicht. Es hat mit dieser typisch deutschen Ehrfurcht vor Hollywood zu tun. Man ist so stolz, wenn dieser Cruise hier dreht.

Der ganze Saal stand auf und klatschte, als er diesen Preis bekam.
Stein: Ich wäre damals nicht aufgestanden, ich hätte gebuht. Wir wussten doch alle, welche Rolle er bei Scientology spielt. Aber genau das ist meine Hoffnung nach dem Film: Auch wenn er nur 20 Prozent des Schreckens abbilden kann, der in Scientology wirklich steckt, hoffe ich, dass er den Leuten irgendwie die Augen öffnet. Es ist keine verrückte, kleine, nette Spinnertruppe, die an Außerirdische glaubt, sondern eine Organisation, die Macht will.

Die ARD hat die Bambi-Gala damals ausgestrahlt.
Stein: Ich fand das unglaublich, aber die ARD ist ein föderativer Verband. Die Unterhaltungsredaktionen, die sich entscheiden, so eine Gala auszustrahlen, denken in dem Moment halt auch nicht daran, dass es Tom Cruise gibt. Das Schöne an dem pluralistischen System ist, dass es wiederum Leute gibt, die dezidiert sagen, dass es eine Sauerei ist. Das spricht doch für die ARD und nicht dagegen. Dass allerdings jemand wie Frank Schirrmacher von der FAZ eine solche Laudatio auf Cruise hält, ist mir unverständlich, ohne jetzt zu behaupten, dass Herr Schirrmacher ein Scientologe ist. Scheinbar spricht es nach wie vor Menschen an die das Gefühl haben, sie könnten mehr, sie seien nicht an dem Platz, an den sie hingehören oder in ihnen stecke etwas Göttliches. Es ist also nicht nur das kleine Würstchen, das Angst hat, untergebuttert zu werden, sondern auch der eigentlich an der Macht stehende Mensch hat das Gefühl: „Ich bin noch mehr.“ Scientology ist ja eine Religion ohne Gott. Eine Religion ohne Demut. Das ist ja das Schlimme. Sie selber sind der Gott.

In Deutschland wird Scientology seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein Verbotsverfahren, wie in Frankreich, wurde bisher nicht angestrengt. Sollte Scientology aus Ihrer Sicht in Deutschland verboten werden?
Stein: Ja, es ist eine verfassungsfeindliche Organisation in Wort und Schrift und Tun und Tat. Man muss das tun.

Denken Sie, das wird irgendwann passieren?
Stein: Bayern und Hamburg haben sich auf dem Gebiet engagiert, waren sich einig. Andere Länder wie Berlin haben sehr viel zögerlicher gehandelt und handeln immer noch zögerlicher. Ich habe gehört, dass es immer einen Wink aus dem Kanzleramt oder aus dem Außenministerium gab – also letztlich aus Amerika –, wenn Scientology in der Innenministerkonferenz zum Thema wurde. Sowohl unter Präsident Clinton als auch unter Bush. Obama ist auch da wieder scheinbar ein Hort der Hoffnung. denn es gibt jetzt das erste Mal in Amerika einen Prozess gegen Scientology. Den hat es all die Jahre noch nicht gegeben. Da tut sich also etwas.

Bayerns Ex-Innenminister Günther Beckstein verglich Scientology-Straflager einmal mit KZs.
Stein: In Amerika es tatsächlich irgendwo in der kalifornischen Wüste ein solches Lager geben, das dem nahe kommt. Ich hab es nicht gesehen, deswegen behaupte ich es nicht. Aber die Scientology-Einrichtungen haben in jedem Fall Gefängnischarakter. Es gibt da auch so Laufexzesse. Laufen spielt ja eine wesentlich Rolle, zusammen mit diesen Schwitzkuren. Es gibt  Fälle, wo sie als Strafen befohlen haben, zehn Stunden um eine Laterne zu laufen – die Menschen sind natürlich irgendwann mal kollabiert. Es gibt zudem eine spezielle Ernährungsform, schon bei Kleinkindern. Hubbard verbietet Frauen, Kinder zu stillen. Die Kinder müssen ein Weizenextrakt trinken, das komplette Mangelerscheinungen auslöst. Hubbard lehnt Medizin total ab, nicht nur die Psychiatrie, auch die Humanmedizin. Es gibt dort kein Kranksein – das haben wir jetzt alle an John Travolta erlebt.

Welche Funktion nehmen die Kinder im scientologischen System ein?
Stein: Im Grunde haben Sie das Phänomen, das Sie in jedem totalitären System haben, wo immer ein Hauptaugenmerk auf die Jugend gelegt wird, siehe Hitler-Jugend. Kinder werden konditioniert, indem sie damit aufwachsen, dass es nur diese Befehlsstrukturen gibt. Natürlich beginnt die Perfektion der Indoktrination natürlich erst, wenn sie eine Jugend haben, die sie in dem Sinne ausbilden. Scientology ist entstanden Ende der 50er Jahre, da gab es dann auch die ersten Gemeinden in Amerika. Die, die jetzt Scientology regieren, David Miscavige und andere, sind selbst Kinder von Scientologen. Die erste Ehefrau von Tom Cruise, die ihn ins System reingeholt hat, ist Kind von Scientologen. Sie glauben daran, was sie tun. Und darin liegt die Gefahr. Es ist eben nicht ein Guru Maharatschi, der den Hippies irgendwelche Sextherapien  à la Tantra verspricht und sich von den Kursgebühren einen goldenen Rolls Royce kauft. Sie sind fest verwurzelt in diesem System, per Ausbildung. Sie überführen ihre Kinder vom ersten Moment an in eine Ideologie der Unfreiheit.

In Berlin beispielsweise versucht Scientology über die Schulen an die Jugendlichen heran zu kommen.
Stein: Ja, und hoffe, dass sie da nicht an einen naiven Direktor geraten, oder einen, der selber drin ist. Oder sie gehen jetzt nach Haiti, um Erdbebentraumata zu heilen.

Scientology hat sich auch die Verbreitung der Menschenrechtscharta auf die Fahnen geschrieben.
Stein: Aber nur soweit es für Scientology gilt. Nämlich in Bezug auf Religionsfreiheit. Nur sind sie keine Religion.

Was glauben Sie, wird der Film bewirken für en Umgang mit Scientology in der Gesellschaft?
Stein: Ich glaube, dass darüber geredet wird. Scientology denkt sich vielleicht auch: Schlechte Propaganda ist besser als gar keine. Ich glaube, sie täuschen sich da. Viele Menschen, die das sehen, werden dadurch die Augen geöffnet.

Verstehen Sie sich selbst als politischen Filmemacher?
Stein: Ja, absolut. In dem Moment, wo Sie sich äußern, haben Sie Macht. Und wenn Sie Macht haben, tun sie etwas Politisches. Wenn Sie einen Film erzählen, wo suggeriert wird, dass die Welt so aussieht wie das „Traumschiff“, wir gleichzeitig aber eine Familienarmut haben, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat, ist das politisch.

In Folge Ihres WDR-Tatorts „Manila“, der sich mit sexuellem Missbrauch von Kindern befasste, wurde 1997 ein Verein gegründet, der sich für Kinderrechte einsetzt und bis heute existiert. Sie haben eine unmittelbare gesellschaftliche Wirkung erzielt. Werden Sie auch das Thema Scientology über diesen Film hinaus verfolgen?
Stein: Also, ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich bin froh, wenn ich irgendwann mal Ruhe habe. Es ist etwas anderes, ob sie einen faktischen Unrechtszustand verfolgen, der in der Dritten Welt in dieser Form immer existent sein wird, oder ob Sie sich in eine derart krude Ideologie eindenken. Daher habe ich all die Bücher über Scientology erstmal zur Seite geräumt.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf einen Bambi ein?
Stein: Wer weiß, vielleicht bekommen wir ihn ja. – Aber Spaß bei Seite: Meine Preise sind, wenn mir zehn Jahre später jemand sagt: Ich habe deinen Film gesehen, und er hat mich tief beeindruckt. Es freut mich, wenn man etwas gemacht hat, das kleinen Nachhall hat. Ich will ja nicht nur unterhalten.

Aber wenn Sie den Bambi tatsächlich bekommen würden, etwa in der Kategorie „Mut“ für die Realisierung Ihres Films – würden Sie den Preis annehmen?
Stein: Ja, natürlich. Weil es in dem Moment ein Bekenntnis wäre. Fehler macht jeder.

Ein Kommentar zu “Scientology geht es letztlich um das, was auch Hitler wollte – um eine sozialdarwinistische Form von Staat.”

  1. Moser |

    Stein hat offenbar noch nie mit einem Scientologen gesprochen, sich aus erster Hand informiert…kein Wunder dass derart viel Stuss herauskommt.
    Dass sein Film Tonnen von Fehlinfos enthält kann man z.B. auf einem Video auf dem Scientology Kanal auf Youtube und auf Scientology-fakten.de sehen…schade dass er sich in diese Kampagne einspannen liess.

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