Nadja Uhl

Es ist eine offene Wunde.

Schauspielerin Nadja Uhl über ihre Rollen in den RAF-Filmen „Mogadischu“ und „Der Baader Meinhof Komplex“, die Kraft und Zuversicht der Landshut-Stewardess Gabriele Dillmann und weshalb es notwenig war, sich nach den Dreharbeiten von der Fiktion abzugrenzen

Nadja Uhl

© ARD Degeto/Stephan Rabold

Frau Uhl, sowohl der Fernsehfilm „Mogadischu“ als auch der Kinofilm „Der Baader Meinhof Komplex“ thematisieren die Entstehung und das Wirken der RAF. Sie haben gleich in beiden Produktionen mitgewirkt. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Belastung?
Nadja Uhl: Es war vorher nicht absehbar, dass die Dreharbeiten für beide Produktionen gleichzeitig stattfinden würden. Über ein Casting im Frühjahr 2007 habe ich die Rolle der Terroristin Brigitte Mohnhaupt in „Der Baader Meinhof Komplex“ bekommen. Später im Sommer erhielt ich das Angebot die Stewardess der „Landshut“ Gabi Dillmann zu spielen. Ich habe nicht gezögert, da diese Rolle einen guten Ausgleich zu der dunklen Seite der Thematik bot.

War das nicht auch psychisch problematisch?
Uhl: Erst erschien mir die unterschiedliche Perspektive der Rollen aus professioneller Sicht nicht problematisch. Aber als dann die Dreharbeiten in Marokko begannen, die zum Teil sehr grausame Szenen beinhalteten, wurde ich oft nachdenklich.

Worüber haben Sie nachgedacht?
Uhl: Vereinfacht gesagt über das Leben. Wir drehten  für „Mogadischu“ die grausame Erschießung des Kapitän Schumann. Draußen wartete schon ein Auto, um mich danach zu den Dreharbeiten zu „Der Baader Meinhof Komplex“ abzuholen. Ich fuhr dann durch die marokkanische Nacht, um am nächsten Morgen in meiner Rolle als Brigitte Mohnhaupt eben diese Flugzeugentführung zu organisieren. Ich habe in Interviews zur Schauspielerei immer gesagt, ich möchte mit meinem Beruf auch etwas über das Leben lernen. Ich saß dann in diesem Auto und fühlte mich wie eine Grenzgängerin zwischen extremen Welten.

Im Film „Mogadischu“ spielen Sie eine Opferrolle, im „Baader Meinhof Komplex“ eine Täterrolle. Wie war das für Sie zwischen Opfer- und Täterrolle zu unterscheiden?
Uhl: Für meine Rollen bin ich bereit, an meine Grenzen zu gehen, aber das war eine Zerreißprobe. Es hat mich körperlich und seelisch viel Kraft gekostet. Diese Umstellung erforderte bei mir extreme Kontrolle und Abgrenzung.

Welche Rolle fiel Ihnen schwerer zu spielen? Die der Terroristin Brigitte Mohnhaupt oder die der Stewardess Gabriele Dillmann?
Uhl: Eigentlich mag ich es gar nicht, beide Rollen in einem Atemzug zu nennen. Das hat etwas mit Rücksichtnahme auf die beteiligten Personen zu tun. Das Mitfühlen für die Opfer kommt mir aus dem Herzen, das ist mir wichtig. Für mich war die Rolle in dem Film „Der Baader Meinhof Komplex“ die rationale Rolle, die über den Verstand läuft. Diese Rolle steht für Krieg, für die Bereitschaft zu töten. Auf der anderen Seite steht die Rolle in dem Film „Mogadischu“. Hier wird gekämpft für Menschen und für das Leben. Gabi Dillmann sorgte nicht nur für sich selbst, sondern war für andere da, hat  Verantwortung übernommen. Für die Rolle war es erforderlich, Kraft, Zuversicht und Hoffnung zu verkörpern. Die Frau, die ich in dieser Rolle spiele, ist über sich hinausgewachsen. Das ist durch und durch positiv. Das brauchen wir.

Aus welcher Motivation haben Sie die Rolle als Täterin in „Der Baader Meinhof Komplex“ angenommen?
Uhl: Aus Neugierde. Mich interessiert diese Seite des Lebens auch. Manchmal hat es mich sehr wütend gemacht, was damals passierte. Es hat aber auch viele Fragen aufgeworfen. Die Rolle habe ich mir rational  erarbeitet, um mich mit einer Denkstruktur vertraut zu machen, die es u.a. legitimiert Menschen für Ideale oder Ideen zu töten.

Was war das hervorstechende Merkmal der Dreharbeiten für „Mogadischu“?
Uhl: Ganz klar die Regiearbeit von Roland Suso Richter. Er trieb die Situationen während der Dreharbeiten mutig auf die Spitze. Das habe ich vorher so noch nicht erlebt.

Wie muss man sich das vorstellen?
Uhl: Konkret sieht das gewöhnlich so aus, dass man ein Zeichen zum Start und zum Ende der Szene erhält und jeder denkt, jetzt drehen wir die Szene und danach kann ich eine Zigarette rauchen. Das kommt aber nicht. Es geht immer weiter. Er lässt es laufen. Man kann das nicht unterbrechen, denn der Kameramann arbeitet mit der Schulterkamera weiter. Alle spielen ihre Rolle. Die Komparsen brechen im Spiel weinend zusammen und dann geht es nahtlos zur nächsten Szene. Ohne Unterbrechung. Man kommt selber gar nicht zum Nachdenken. Auf einmal kommt die Situation und die eigene Rolle einem sehr nahe. So etwas kann nur ein guter Regisseur machen, der die Leute auch danach auffangen kann.

Wer war der größte Held der Geschehnisse um die Entführung der „Landshut“?
Uhl: Ganz spontan fallen mir die Kinder ein. Die Kinder im Flugzeug damals während der Entführung müssen die größten Helden gewesen sein. Ich war sehr froh, dass die Kinder in unserem Flugzeug beim Dreh der grausamsten Szenen nicht mitmachen mussten. Was man in den Kinderaugen sieht, das tut mir am meisten weh. Auch wenn es nur gespielt ist.

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Wenn die Reaktionen heftig sind, dann weiß ich, dass meine Interpretation der Rollen funktioniert hat.

Nadja Uhl

Sind Sie nach den Dreharbeiten für den Film „Mogadischu“ mit anderen Gefühlen in ein Flugzeug gestiegen?
Uhl: Darüber haben wir viel gesprochen. Wir haben uns gefragt, wie es wohl wird, wenn wir wieder zurückfliegen. Und ich saß dann nach den Dreharbeiten im Flugzeug und war einfach nur froh wieder nach Hause zu kommen. Ich habe mir keine Gedanken gemacht und hatte keine Ängste. Ich fühlte mich einfach nur leer. Vielleicht ist es auch ein Schutz, die gespielten Gefahren in der Realität nicht zu sehen. Nach diesen Erfahrungen durch die Dreharbeiten beider Filme musste ich mich von der Fiktion abgrenzen.

Es heißt, Sie hätten vermieden sich vor den Dreharbeiten mit Brigitte Mohnhaupt zu treffen, um sich unabhängig auf die Rolle vorzubereiten. Wenn Sie Brigitte Mohnhaupt jetzt – nach den Dreharbeiten – treffen würden, was würden Sie ihr sagen?
Uhl: Es war nicht meine Entscheidung Brigitte Mohnhaupt nicht zu treffen. Es stand eigentlich gar nicht zur Debatte für die Vorbereitungen zu der Rolle mit ihr in Kontakt zu treten. Ich hätte Zweifel an so einer Begegnung. Die Abstraktion ist meine Rettung und mein Potential in meinem Beruf. In die Rollen arbeite ich mich durch überlieferte Verhaltensweisen und andere Aspekte ein.

Und wie schützen Sie sich?
Uhl: Durch Abstand. Ich konnte den Zugang zu der Rolle Brigitte Mohnhaupt über die Rationalität finden, da es um eine Art Kriegsführung geht. Die Rolle muss authentisch und facettenreich gestaltet werden, egal ob ihr Verhalten mit meinen eigenen Überzeugungen vereinbar ist. Wenn ich eine Rolle annehme, muss ich bereit sein, die Figur zu verteidigen.

Wie wollten Sie denn Brigitte Mohnhaupt spielen?
Uhl: Ich habe ganz bewusst eine Rolle aufgebaut mit einem menschlichen Antlitz und auch mit einer gewissen Weiblichkeit. Nicht frustriert. Nicht verhärmt. Eine normale Frau. Darin liegt für die meisten das Unbegreifliche.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie an Schicksal glauben. Bezogen auf die beiden Filmprojekte „Mogadischu“ und „Der Baader Meinhof Komplex“: War es das Schicksal dieser Menschen diese Taten zu begehen?
Uhl: Ich hoffe, dass es so etwas wie eine höhere Ordnung gibt. Aber ich verstehe nicht, warum so etwas passiert. Ich verstehe nicht, wie solche Geschehnisse ein Teil solcher höheren Ordnung sein können. Schicksal. Zufall. Ich kann das nicht einordnen.

Es wurde kritisiert, dass in dem Film „Der Baader Meinhof Komplex“ die Täter zu sympathisch dargestellt wurden. In „Mogadischu“ wirken die Täter unsympathisch. In welchem Film ist die Darstellung der Täter nach Ihrer Meinung besser gelungen?
Uhl: Ich stehe zu beiden Filmen. Ich sehe dort nichts Romantisches, auch nicht in der Umsetzung von „Der Baader Meinhof Komplex“. Es ist grausam dargestellt, weil die Ereignisse grausam waren, nicht um die Grausamkeit als Mittel zum Zweck zu nutzen. Meine Ziele zur Umsetzung der Rollen habe ich erreicht.

Wie konnten Sie nach den Dreharbeiten entspannen?
Uhl: Da bin ich leicht zufrieden zu stellen. Mal eine Zigarette nach Feierabend rauchen. Mal ein Bier trinken. Mit allen zusammen sitzen, albern sein. Diese Momente sind der Grund, warum wir später alle von den Dreharbeiten schwärmen. Als Gegenpol kommt in den Pausen oder nach Drehschluss eine große Fröhlichkeit auf. Es werden dann nicht die schweren Fragen oder die gespielten Szenen diskutiert.

Was ist von der Arbeit für „Mogadischu“ und „Der Baader Meinhof Komplex“ geblieben?
Uhl: Die Müdigkeit. Aber auch Dankbarkeit und Wertschätzung meiner Situation hier und jetzt.

Wie waren die Reaktionen aus ihrem Umfeld auf ihre Arbeit?
Uhl: Die Geister, die ich rief, die hatte ich erwartet. Was mich nur ein wenig überraschte, ist manchmal die fehlende Unterscheidung zwischen der Rolle, die ich gespielt habe und meiner Person . Aber wenn die Reaktionen heftig sind, dann weiß ich, dass meine Interpretation der Rollen funktioniert hat. Es soll weh tun. In beiden Rollen.

Warum sind die Ereignisse von damals noch heute so aktuell, dass gleich zwei Filmproduktionen dazu entstanden ?
Uhl: Erst hieß es, wir brauchen diese Filme nicht. Das Thema ist schon oft verarbeitet. Und jetzt, wo die Filme gezeigt werden, spricht Deutschland nur noch davon. Es wird wieder alles verarbeitet mit alten Gräben und Emotionen. Es ist eine offene Wunde.

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