Moses Pelham

Wir haben uns gegenseitig zerfleischt

Moses Pelham über Veränderungen im Rapgeschäft, „Geschwalle“ im Internet, sein neues Album „Geteiltes Leid 3“, Fleischverzicht und seine Firma, die Musikpiraten verfolgt

Moses Pelham

© Katja Kuhl

Moses, mit "Geteiltes Leid 3" legst du den letzten Teil deiner Trilogie vor. Meinst du, unsere heutige Gesellschaft ist überhaupt in der Lage, Leid zu teilen?
Pelham: Erst einmal muss ich sagen, dass ich mich gerade freue, dass du „Trilogie“ sagst, denn die meisten sagen immer „Triologie“. Aber zu deiner Frage: Das kommt, glaube ich, darauf an, was es heißt, Leid zu teilen. Bestimmt können die Menschen das, aber in welchem Maße und in welcher Qualität man Leid teilen kann, weiß ich nicht. Der Witz an so einer Platte ist ja, dass es so ein wenig ist, wie in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“: Du findest das ja nicht interessant, weil da jemand anderem etwas passiert, sondern man entdeckt sich in der Geschichte wieder. Genauso findet man sich vielleicht auch in einem Musikstück selbst wieder.

Wo du gerade Goethe erwähnst: Sind Rapper für dich heute so etwas wie damals die großen Dichter?
Pelham: Da ich mich mit den alten Dichtern und Denkern nicht in großem Stile auseinandergesetzt habe, fällt es mir schwer, diese Frage zu beantworten. Aber auch hier nehme ich gern wieder das Beispiel von Goethe und seinem „Werther“, weil ich das Buch gut kenne. Er hat im Grunde seinen Lesern aus der Seele geschrieben. Gleichzeitig hat er sich natürlich auch selbst aus der Seele geschrieben. Insofern deckt sich das mit dem, was ich von einer Platte erwarte.

8,6 Millionen verkaufte Tonträger, 9 x Gold, 3 x Platin, 2 x Dreifach-Gold, 1 x Doppel-Platin, insgesamt 689 Wochen (mehr als dreizehn Jahre) in den deutschen Charts – was bedeuten dir diese Zahlen? Haben sie überhaupt eine Bedeutung?
Pelham: Da könnte jetzt überall eine andere Zahl stehen und es wäre das Gleiche für mich. Ich freue mich natürlich schon, dass es da eine gewisse Würdigung meiner Arbeiten gibt. Ich habe früher immer gesagt, es ist mir egal ob jemand meine Platte hört oder nicht. Aber das stimmt nicht, ich brauche natürlich Leute, die das in ihr Leben lassen.

Wenn dir die Zahlen nicht so wichtig sind, spielt das Monetäre für dich dann eher eine untergeordnete Rolle?
Pelham: Nein, das Monetäre ist sehr wohl wichtig, weil das Erstellen so einer Platte mit großem finanziellen Aufwand verbunden ist. Erst Recht wenn man das in so einem Rahmen macht wie ich. Das muss alles irgendwie bezahlt werden, deswegen bin ich natürlich darauf angewiesen, dass Leute meine Platte kaufen. Ansonsten kann ich meine Arbeit in diesem Umfang nicht weitermachen.

Ist es heute für Musiker schwieriger geworden, mit Musik Geld zu verdienen?
Pelham: Es ist deutlich schwieriger geworden, auch weil es heute eine Flut an Möglichkeiten gibt, Musik zu hören und zu bekommen. Dadurch geht natürlich auch ein wenig die Wertschätzung verloren. Wir saßen früher andächtig um den Plattenspieler herum, schweigend und lauschend, erst wenn die Seite zu Ende war, haben wir wieder gesprochen. Das dokumentiert für mich eine große Wertschätzung und so etwas gibt es glaube ich nicht mehr. Wenn etwas im Überfluss vorhanden ist, wird es schwierig, den Wert zu schätzen.
Ich weiß aber beispielsweise, dass Wasser unglaublich wertvoll ist, auch wenn wir das große Glück haben und es bei uns aus jedem Hahn herausläuft. Wir haben aber Brüder und Schwestern, die nicht über dieses Glück verfügen. Vielleicht sollten wir die mal dazu befragen, wie wertvoll Wasser für sie ist.

Es ist für die Musiker schwieriger geworden – welche Rolle spielt die Musikindustrie bei dieser Entwicklung?
Pelham: Wir haben uns im Wettbewerb gegenseitig zerfleischt, auch mit Angeboten, die eigentlich nicht gehen, Kampfpreise aller Art, Freiware in verschiedensten Formen.
Hinzu kommt, dass oftmals Entscheider in unserer Industrie nur eine kurze Verweildauer in unserem Geschäft haben: Da wird ein Manager daran gemessen, was er die kommenden zwölf Monate einbringt. Und es ist schon etwas Anderes, wenn du als Musiker dein ganzes Leben damit Geld verdienen willst.

Du bist Mitbegründer von DigiProtect, einer Firma die auch Abmahnungen verschickt an Leute, die sich illegal Musik runtergeladen haben. Ist die juristische Verfolgung von Musikfans wirklich eine hilfreiche Methode beim Kampf gegen Musikpiraterie?
Pelham: Das größte Problem ist tatsächlich das illegale Verbreiten von Musik. Hier hat sich gerade so ein Gefühl bei einigen Menschen verfestigt, dass Musik – entgegen des Leitsatzes der GEMA – keinen Wert hat. Ich denke, dass darunter nicht nur die Industrie leidet, sondern das ist auch ein Nachteil für die Gesellschaft. Leute, die damit prahlen, dass sie 20.000 Alben digital auf der Festplatte haben, können dir doch nicht sagen, was da im Einzelnen drauf ist! Wie sollte sich denn dieser Jemand ernsthaft mit den 20.000 Alben beschäftigen können? Da geht es doch nur um den reinen Sammlertrieb, was für uns Künstler fast Hohn ist. Solche Leute schaden sich selbst und nehmen sich etwas weg. Klar ist auf jeden Fall, dass es für uns Musiker eine Katastrophe ist und etwas unternommen werden muss. DigiProtect ist eine solche Unternehmung.

Die Veröffentlichung von "Geteiltes Leid 2" ist jetzt acht Jahre her. Wie hat sich die Rap-Landschaft in der Zwischenzeit verändert und was hat dich zu dem dritten Teil motiviert?
Pelham: Was sich verändert hat, kann ich so im Allgemeinen nicht beantworten. Das Tolle an Rap ist ja, mit jedem neuen Menschen, der das betreibt und seine Ideen einbringt, passiert etwas Neues. Manchmal ist es ein kleiner Schritt und manchmal hat man das Gefühl „Oh, das habe ich ja noch nie gehört.“ Mein Antrieb für Teil 3 ist, gelebt zu haben und diese Trilogie in würdiger Form abzuschließen zu wollen. Es war auch das Gefühl, etwas sagen zu wollen, was ich bisher noch nicht losgeworden bin.

Neu im Rapgeschäft sind Album-Kooperationen wie die von Bushido mit Sido oder dass Xavier Naidoo mit Kool Savas eine CD aufgenommen hat. Was hältst du davon?
Pelham: Ich denke, dass viele Köche den Brei, wenn auch nicht verderben, ihn zumindest etwas verwässern können. Es mag für den ein oder anderen interessant sein, wenn zwei Perspektiven in einem Song zusammenkommen. Für mich ist das Rap-Schreiben aber etwas sehr Persönliches. Mir ist bei der Arbeit an einer Platte wichtig, meine Perspektive auf die verschiedenen Weisen zu formulieren. So, dass du am Ende eines Songs weißt wie ich empfinde und gleichzeitig auch dein Gefühl darin beschrieben ist.

Würdest du die Arbeit an einem Album als therapeutisch bezeichnen?
Pelham: Ja, absolut. Ich sehe es aber auch so, dass man nicht alles, was man zu Therapiezwecken getan hat, veröffentlichen muss. Man macht beispielsweise 150 Tracks, davon kommen dann aber nur zwölf auf die Platte. Das ist dann das Ergebnis, was ich mit anderen teilen möchte.

Welcher Song auf deinem neuen Album liegt dir besonders am Herzen?
Pelham: Das ist echt phasenabhängig und hat mit meiner Stimmung zu tun. Gestern im Flieger nach Berlin haben mich "Himmelfahrtskommando" und "Wenn der Schmerz nachlässt" besonders berührt.

Zitiert

Wir saßen früher andächtig um den Plattenspieler herum, schweigend und lauschend, erst wenn die Seite zu Ende war, haben wir wieder gesprochen.

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Bist du ein Fan deiner eigenen Musik?
Pelham: Ja, total. Ich stelle es mir auch fürchterlich vor, wenn man auf der Bühne auftritt und die eigene Musik nicht mag. Die Trennung zwischen beruflich und privat, die verstehe ich in Sachen Musik sowieso nicht. Musik zu machen, die man selbst nicht geil findet, ist ja schon fast die Höchststrafe, aus meiner Sicht.

Auf "Geteiltes Leid 3" hören wir auf "Halt aus" einen alten Weggefährten von dir. Wie war die Zusammenarbeit mit Xavier Naidoo nach all den Jahren und nach der Funkstille?
Pelham: Wie es für ihn war, kann ich natürlich nicht beantworten. Die Arbeit im Studio war der Wahnsinn für mich, weil es Momente gab, in denen ich gemerkt habe, dass Xavier genau wusste, was ich gerade wollte – ohne es von mir gesagt zu bekommen. Ich muss aber dazu sagen, dass wir uns nicht getroffen haben, um zusammen ein Lied zu machen. Das gemeinsame Lied ist eigentlich eher ein Manifest unseres Treffens gewesen. Der romantische Gedanke, den ich dabei habe, ist, dass jemand mit diesem Stück erreicht wird, der von uns einzeln nicht erreicht worden wäre.

Das Internet bietet für die Musikindustrie bekanntlich Vor- und Nachteile. Für Fans und Kritiker bietet es aber vor allem die Möglichkeit, sich in Foren und Blogs auszutauschen. Da kann es auch Kritik hageln, wie gehst du persönlich mit Kritik an deiner Musik um?
Pelham: Klar geht mir Kritik nahe, aber früher war ich extremer und habe es persönlich genommen. Heute finde ich es interessant zu hören, was die Leute darüber denken. Es gibt aber auch Kommentare, bei denen weiß ich, das ist jetzt Geschwalle, das nur aufgrund der Anonymität des Internets stattfindet. Ich denke, einige Äußerungen haben nichts mit der wahren Empfindung des Menschen zu tun. Eigentlich ist es aber etwas Schönes, dass ich sehen kann, wer meine Musik hört. Früher musste man als Musiker immer auf die Tour warten, erst dann wusste man, wer die Platte gekauft hat und die Musik in sein Leben gelassen hat.

Was passiert, wenn die Leute nicht mehr deine Platten kaufen würden und du als Musiker von der Bildfläche verschwinden würdest? Wärst du der Typ, der in ein tiefes Loch fiele?
Pelham: Nein, ich glaube, dass das Leben mehr ist als das. Ich liebe es, Musik zu machen und finde das toll, aber wenn mir jetzt jemand sagt „das war jetzt deine letzte Platte“, dann kann ich damit leben. Ich bin so dankbar, das gemacht haben zu können und ich hatte schon so viele Gelegenheiten, zu sagen, was ich empfinde. Gerade nach "Geteiltes Leid 3" wäre ich damit zufrieden, wenn das meine letzten Worte gewesen wären.

Du hast in der TV-Casting-Show "X Factor" das erste Mal einen Juroren-Job gemacht. Es hieß, die Show hätte „die weichste Jury der Welt“. Weißt du, wie es zu der Bezeichnung kam?
Pelham: Ich glaube diese Formulierung kommt sogar von mir (lacht). Ich habe einfach gemerkt, wie wir vier Juroren soviel Respekt davor haben, dass jemand vor uns Deppen auf die Bühne geht und da alles gibt. Für mich war von Anfang an klar, dass ich in der Show niemanden vorführen möchte und auch mal zwei Augen zudrücke.

Du hast als Juror die Möglichkeit, über Talent und Talentfreiheit zu urteilen und die Möglichkeit, einem Menschen den Weg ins Musikbusiness zu ebnen. Wie groß ist diese Verantwortung für dich?
Pelham: Ich urteile ja nicht über Talent und Talentfreiheit. Ich glaube, das Wort „Talentfreiheit“ ist ohnehin von einem anderen Juroren geprägt worden. Ich sitze da wirklich nur um zu sagen, wie ich etwas finde – und nicht wie es ist. Ich kann beurteilen, ob sauber gesungen wurde, aber auch das ist nur meine persönliche Meinung und kein über jeden Zweifel erhabenes Urteil.

Wobei man von einem Rapper wie dir schon den ein oder anderen harten Spruch erwartet hätte. Wie wichtig ist für einen Rapper überhaupt ein hartes Image?
Pelham: Ein hartes Image war mir schon mal deutlich wichtiger als heute, aber das Rödelheim Hartreim Projekt gibt es ja nicht mehr (lacht).

Die Zeitungen haben dich früher mitunter als „Rap-Rambo“ und „Rüpel-Rapper“ bezeichnet. Was sagst du zu der Beschreibung?
Pelham: Ich fand, dass das damals schon nicht auf mich zutraf und eher verletzend. Ich will jetzt kein Medium nennen, aber es sind ja auch immer die gleichen Leute, die auf solche Formulierungen kommen.

Du hast immer mal wieder einen Satz von deinem Vater zitiert: „The life you save may be your own“. Was bedeutet dieser Satz für dich?
Pelham: Ich hatte viele Gelegenheiten, darüber nachzudenken und habe es auf viele unterschiedliche Arten für mich verstanden: Es ist für mich eine Ermahnung, sich selbst vernünftig aufzuführen.

Du bist bekanntlich ein gläubiger Mensch: Wie würdest du Körper, Geist und Seele beschreiben? In welchem Verhältnis stehen diese zueinander?
Pelham: Das ist wirklich sehr komplex und ich kann das eigentlich nicht auf die Schnelle hier beantworten, aber ich versuche es: Der Körper ist glaube ich wirklich einfach nur die Hülle, die Trennung zwischen Geist und Seele halte ich für schwieriger. Ich denke, dass der Körper das ist, was trägt, der Geist ist das, was versucht, es zu steuern und was es wirklich ist und was übrig bleibt, das ist die Seele.

Du setzt Dich neuerdings für "PETA Deutschland" ein. Unter dem Slogan „Niemand will ein Opfer sein. Auch Tiere nicht“ engagierst du dich gegen Tierquälerei in der Lebensmittelindustrie. Was hat bei dir den Ausschlag gegeben, auf Fleisch zu verzichten und ist es dir schwergefallen?
Pelham: Als ich noch ein Kind war, gab es mal Hasenbraten bei meiner Oma. Da habe ich mich das erste Mal damit auseinander gesetzt. Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass ich damit nichts zu tun haben will. Dann habe ich mit Mitte zwanzig jemanden kennengelernt, der komplett fleischlos lebt und gesehen, dass der Verzicht gar nicht so schwierig ist. Ich versuche aber, meinen Freunden damit nicht übermäßig auf den Keks zu gehen. Wenn mich jemand fragt, warum ich das tue, dann erkläre ich gern, aus welchem Grund ich es für vernünftig halte.

Eine Schlussfrage: Angenommen, du könntest die Charts manipulieren, welche Titel und Interpreten würdest du gerne hochmanipulieren und welche runter?
Pelham: Natürlich immer die Songs, an denen ich beteiligt bin. Das ist doch klar oder? (lacht)

Der Rapper Moses Pelham wude am 24. Februar 1971 in Frankfurt am Main geboren. Mit zwölf kam er während eines USA-Aufenthalts mit HipHop in Berührung, mit 14 nahm er seine ersten Mixtapes auf. Nach Beteiligung an mehreren HipHop-Formationen gründete mehr

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