Moritz Bleibtreu

Wenn man jemanden leidenschaftlich liebt, dann wird das kleinste Problem zu einem Megakosmos.

Schauspieler Moritz Bleibtreu über autoritäre Regisseure, leidenschaftliche Beziehungen, den Film "Vom Suchen und Finden der Liebe" und ob man Liebe definieren kann

Moritz Bleibtreu

© Constantin Film

Herr Bleibtreu, zuerst die Frage: Wie finden Sie selbst Ihren neuen Film "Vom Suchen und Finden der Liebe"?
Bleibtreu: Ich finde es ist ein wahsinnig vielschichtiger Film, bei dem man die Möglichkeit hat, über wahnsinnig viel nachzudenken, wo man sich immer wieder erinnert fühlt an Lebenssituationen, die man selbst erlebt hat. Trotzdem steckt man in so einer Welt drin, die einem völlig fremd ist, und das mag ich. Das ist für mich die Königsklasse im Kino, wenn es einer schafft, eine Welt dahinzuzaubern, die es so gar nicht gibt, die einem aber trotzdem immer wieder an das eigene Leben erinnert. Das ist auch ein großes Wagnis, einen Film auf dem Level zu machen, mit so viel Pathos und ganz viel Ironie, das verlangt vom Zuschauer große Offenheit und Mitwirken. Aber wenn der Zuschauer dazu bereit ist, dann kriegt er auch sehr viel.

Sie spielen den Musikproduzenten Mimi Nachtigall, der sich in die Sängerin Venus Morgenstern verliebt und später die Trennung von ihr nicht verwinden kann. An welchen Stellen des Films fühlen Sie sich denn an private Lebenssituationen erinnert?
Bleibtreu: Ich glaube bei fast allem. Immer wieder, wenn sich die beiden kennen lernen, das zweite Begegnen, das Versuchen, sich zu verleugnen. Sicherlich auch der Part von Uwe Ochsenknecht und Anke Engelke, bei dem sich der eine oder andere, der sich für eine Zweckbeziehung entschieden hat, an sein eigenes Leben erinnert fühlt.

Würden Sie sich selbst auch als melancholischen Menschen beschreiben?
Bleibtreu: Nee, ich bin nicht ganz so melancholisch wie der Mimi im Film. Wo wir uns sicherlich ähneln ist diese Rastlosigkeit, dieses ständig und nie so wirklich ganz zufrieden sein, mit dem was man so hat, das kenne ich manchmal auch sehr gut. Aber ich bin kein Mensch, der solche Todessehnsüchte hat oder ein so latent deprimiertes Leben führt.

Also nicht wie der Regisseur Helmut Dietl, der in einem Interview sagte, dass er dreimal am Tag an Selbstmord denkt.
Bleibtreu: Nein, das bin ich nicht und da bin ich auch ganz froh drum, dass ich das nicht bin. Das ist ja auch unangenehm.

Und wie war die Arbeit mit Dietl?
Bleibtreu: Etwas ganz eigenes, etwas ganz eigenständiges. Dietl ist ein Regisseur, der Filme total als Konstrukt betrachtet, so wie ich mir das bei Hitchcock oder John Ford vorstelle: wo eben nicht wie heute, wo ein Film oft eine Reaktion ist auf das, was gerade so passiert oder wo sich der Regisseur inspirieren lässt von einer Location, einem Schauspieler oder einer Idee. Sondern wo ein Regisseur eine klare und feste Vorstellung von dem hat, was er machen will. Wo irgendein Regisseur zum Beispiel sagt: "Moritz spiel mal…, ja jetzt davon ein bisschen mehr und davon ein bisschen weniger…" – da ist das bei Helmut anders. Er hält dir eher eine Postkarte hin und sagt: "Guck mal, genau so spielst du das! Nicht einen Deut anders". Das ist eine sehr eigene Herangehensweise und da lernt man als Schauspieler wahnsinnig viel.

War das neu für Sie, so zu arbeiten?
Bleibtreu: Ja, das ist etwas, das ich allenfalls aus dem Theater kenne, wo jedes Komma und jeder Bindestrich eine Bedeutung hat.. Normalerweise ist man bei der Sprachwahl als Schauspieler ja relativ frei. Ich wüsste nicht, dass ich jemals einen Film gemacht habe, wo ich die Sachen so gemacht habe, wie sie im Drehbuch standen, mit Ausnahme vielleicht von "Lola rennt" , weil das Drehbuch sehr gut geschrieben. Und das war auch hier der Fall.

Stört einen das als Schauspieler, wenn man gar nichts verändern darf?
Bleibtreu: Mich nicht. Aber das ist Geschmacksache. Ich kenne auch Kollegen, die das als einschränkend empfinden und sagen: Da kommt man ja selbst gar nicht mehr vor. Ich dagegen bin wahnsinnig dankbar für einen Regisseur, der eine klare Linie, eine klare Vision hat, von dem was er will. Ich sehe mich als Schauspieler in erste Linie als Glied in einer Kette. Und meine Aufgabe ist es, meinen Job so gut zu machen, wie ich es nur irgend kann. Aber den Film, den macht ein anderer. Deswegen ist für mich das Wichtigste, dass derjenige weiß, was er eigenlich insgesamt will.
Ich finde beide Extreme ok, also einerseits wenn der Regisseur dir alle Freiheiten lässt, ist es in Ordnung, und andererseits wenn jemand genau weiß, was er will und dich führt ist das auch in Ordnung. Schlimm sind aber Regisseure, die nur so tun, als wüssten sie was sie wollen.

Fühlen Sie sich aber nicht manchmal durch einen Regisseur geknechtet?
Bleibtreu: Überhaupt nicht! Im Gegenteil, es ist ein große Ehre, dass jemand wie Helmut Dietl mich fragt. Wenn man als Schauspieler die Gelegenheit nicht wahrnimmt, mit dem etwas zu machen, dann hat man was verpasst. Ich würde diese Erfahrung jedem Schauspieler wünschen. Man lernt einfach wahnsinnig viel – und du wirst nochmal zurückversetzt in dein erstes Jahr Schauspielschule. Das ist ab und zu mal ganz gut, wenn dir jede Art von Routine – bei jedem Schauspieler schleichen sich ja mit der Zeit so Nummern ein – vom Regisseur erst einmal weggenommen werden, wo du dann sozusagen bei Null anfängst, das finde ich super.

Konnten Sie von Helmut Dietl auch menschlich etwas lernen?
Bleibtreu: Auf jeden Fall. Der ist eine Autorität auf jedem Niveau. Und solche Menschen gibt es nicht so viele auf der Welt. Deutschland hat ein Problem mit Autoritäten, was ja in bestimmten Situationen auch gut ist. Man sollte nie eine Autorität akzeptieren, nur weil sie einem als Autorität verkauft wird. Wenn da aber ein Mensch vor einem steht, der wirklich was zu erzählen hat, dann ist wahnsinnig hilfreich, einfach mal die Fresse zu halten und zuzuhören. Es gibt einfach Menschen, von denen kann man was lernen und so einer ist Helmut. Ich ordne mich so einer Autorität wahnsinnig gerne unter, das ging bei Helmut auch recht schnell. Der schafft das meistens in den ersten zehn Minuten.

Der Musikproduzent Mimi, den Sie im Film spielen, ist ein Typ, der seine Freundin formen will. Sind Sie auch so jemand?
Bleibtreu: Ich glaube, es gibt keinen Menschen auf der Welt, der das nicht tut. Der eine macht’s massiver, der andere macht’s weniger. Aber ich glaube, dass das jeder tut. Das hängt mit der Vereinbarung zusammen, wenn sich zwei Menschen zueinander bekennen. Das hat aber auch wahnsinnig viel mit Leidenschaft zu tun. Dieses Formen und Verändernwollen findet ja nicht bei Zweckbeziehungen statt. Das Problem ist, wenn man jemanden leidenschaftlich liebt, dann wird das kleinste Problem zu einem Megakosmos, eben weil der eigene Kosmos nur noch so groß ist wie ein Golfball. Und dann wird natürlich jede Kleinigkeit, die einen stört, so riesengroß, das man nicht umhin kann, zu kritisieren. Wenn man jemanden wirkliche leidenschaftlich liebt, dann ist das wie eine Ohrfeige, wenn der andere sagt: "Ich habe dir doch dreimal gesagt, nimm der Mülleimer mit raus und du hast es nicht getan". Eigentlich geht es nur um den Müll, aber für denjenigen fühlt sich das an wie: Ich habe dich dreimal drum gebeten und du nimmst mich nicht ernst, du respektierst mich nicht.
Im Film schaffen es die Venus und der Mimi ja nicht, über die Kleinigkeiten des Lebens hinwegzusehen. Das ist oft so, dass man sich über so eine ganz pisselige Kleinigkeit verliert. Aber das liegt daran, dass man sich leidenschaftlich liebt.

Venus folgt im Film ihrem geliebten Mimi in das Reich der Toten – glauben Sie selbst, Liebe könnte etwas sein, wofür man auch den Freitod wählen könnte? Würden Sie für Ihre größte Liebe sterben?
Bleibtreu: Also, für mich ist Selbstmord generell eine völlig unnachvollziehbare Sache. Das hängt eben damit zusammen, wie todessehnsüchtig ein Mensch ist. Da ist es letztendlich auch wurscht, ob man sich wegen einer Frau, einem Kerl oder irgendetwas anderem umbringt. Ich kann das aber gar nicht nachvollziehen, in meinem Kopf ist dafür kein Platz, ich will mir so etwas auch gar nicht vorstellen. Schon alleine aus Angstgründen: ich könnte das nie, niemals … also weder würde ich mich trauen, von einer Brücke zu springen, noch würde ich, wenn ich mir die Knarre an den Kopf setze – ich würde ich mir höchstwahrscheinlich ins Knie schießen, wenn ich es überhaupt schaffe, abzudrücken. Selbstmord ist auch auf keinen Fall ein Liebesbeweis. Darf es nicht sein, auch wenn Leute damit drohen, das darf man nicht machen. Das ist ganz gemein.

An ein Leben nach dem Tod glauben Sie demzufolge auch nicht?
Bleibtreu: Ach doch, dass es da irgendwie weiter geht, das glaube ich auf jeden Fall. Nur, die Frage ist: wie sieht es da aus und ist es da so viel besser? Das ist ja auch, wie ich finde, das Wunderschöne an dem Film, dass er eben erzählt: Jetzt hast du dich zwar umgebracht, aber es geht trotzdem weiter. Das ist eine sehr, sehr schöne Betrachtungsweise, dieses Irgendwas-ist-immer-Prinzip.

Glauben Sie persönlich an die große Liebe?
Bleibtreu: Wenn man große Liebe sagt, dann ist man immer auch geprägt durch viele Filme und Romane, von dieser Vorstellung vom ewig währenden Glücksgefühl. Aber daran glaube ich nicht. Ich denke aber, dass es Menschen gibt, die für dich bestimmt sind, vielleicht nicht mehr als zwei, drei Menschen in deinem Leben. Und dass es etwas gibt, was zwei Menschen auf ewig zusammenschweißt, das glaube ich auch.

Frage: Kann man Liebe definieren?
Bleibtreu: Wenn ich das könnte, hätte ich schon das eine oder andere Buch geschrieben und wäre jetzt schon ganz weit vorne. Aber das kann man nicht. Das ist der Grund, weswegen so viele Filme, Bücher und Lieder über die Liebe gemacht werden – weil wir eben nicht wissen, was das ist. Weil es eine der wenigen Sachen auf der Erde ist, die man nicht praktisch erklären kann, für die man auch keine Defintion findet. Ich wüsste nicht wie, das ist ein Gefühl, was die abstraktesten Formen annimmt, sich wandelt und ändert, was man aber nicht in Worte fassen kann.

Zu Beginn Ihrer Karriere waren Sie in mehreren Fernsehfilmen zu sehen, in letzter Zeit drehen Sie aber nur noch Kinofilme? Lehnen Sie das Medium Fernsehen inzwischen ab?
Bleibtreu: Das war eine bewusste Entscheidung von mir damals. Das lag mit an dem glücklichen Umstand, dass ich irgendwann meine Rechnungen auch bezahlen konnte, ohne Fernsehfilme zu drehen. Da habe ich mir gesagt: jetzt versuche ich es ohne Fernsehen. Nicht weil ich sage, das Fernsehen ist als Medium uninteressant. Sondern weil die Aufmerksamkeit, die ein Zuschauer dem fertigen Film entgegenbringt, im Kino einfach eine ganz andere ist – das finde ich sehr schön. Zu wissen, dass Leute, denen dein Film nicht gefällt, aufstehen und rausgehen, aber auch, dass man seinen Arsch hochkriegen muss um überhaupt ins Kino zu gehen. Wenn ich zuhause vor dem Fernseher sitze, mit einem Pils in der Hand herumzappe, da gefällt mir nichts, da ist nach 15 Werbeunterbrechungen die Aufmerksamkeit, die der Zuschauer dem Ganzen entgegenbringt, einfach wahnsinnig gering. Da erinnert mich das Kino eben mehr an das Theater, wo Leute wirklich aufstehen müssen, rausgehen müssen, durch den Schnee, Karten kaufen, Popcorn…
Solange ich also mit Kinofilmen überleben kann, mache ich das. Wenn aber irgendwann der Punkt kommt, wo ich meine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, werde ich wieder Fernsehfilme machen.

Was ist das Besondere am deutschen Film?
Bleibtreu: Das wir inzwischen an zwei völlig gegensätzlichen Polen der Filmgeschichte stehen. Die Amerikaner sind langsam an einem Punkt angelangt, wo alles gemacht ist, was gemacht werden kann. Aber wir sind endlich an einem Punkt, wo wir uns das trauen, was wir Jahrzehnte nicht gemacht haben. Und das ist eine besondere Situation, wir leben in einem Land, das einen Umbruch durchgemacht hat, wie kaum ein anderes auf der Welt, wo deswegen Geschichten auf der Straße liegen und erzählt werden wollen, wie in kaum einem anderen Land der Welt. Ich finde, es gibt zur Zeit kaum einen spannenderen Ort auf der Welt, um Filme zu machen, als Deutschland. Wenn es ein Problem gibt, dann, dass man sich noch zu wenig an die Geschichten herantraut, die direkt hier unten auf der Straße beginnen. Aber wir sind alle auf einem wahsinnig guten Weg.
Natürlich sind in Deutschland immer Kinofilme gemacht worden, beispielsweise was zur Zeit des Autorenkinos gemacht wurde, war eine ganz notwendige Asuseinandersetzungen zwischen zwei Generationen: da wurden ganz bestimmte Dinge klargestellt, mit politischem und sozialen Hintergrund. Das ist heute nicht mehr so. Wir leben in einem Land, in dem unser Bundeskanzler Nein zum Krieg sagt, wir leben mit einem Außenminister, der früher Steine auf Polizisten geworfen hat. Das rebellieren ist heute gar nicht mehr drin, wogegen soll man denn rebellieren? Deswegen muss man sich eine neu Kinosprache einfallen lassen, und das ist wahnsinnig spannend zu sehen, wie sich das so formt im Laufe der Zeit, wie das anfing, mit Filmen wie "Der bewegte Mann", vom Oberschenkelhumor weg, diese vielen Experimente. Ich kenne kaum andere Länder, wo es so spannend ist, vielleicht noch Südamerika. Und das gilt eben auch für den Dietl-Film, ich bin fest davon überzeugt, dass sich Franzosen diesen Filme angucken und denken: Was ist nur mit den Deutschen los? Was machen die auf einmal? Ich bin groß gworden in einem Land, das ich scheiße fand, aber heute merke ich langsam, dass es immer mehr Leute gibt, die man bewundern kann, die geile Sachen machen.

Aber ist das ist doch noch sicher nicht die Mehrheit der Filmemacher, oder?
Bleibtreu: Also, wir in Deutschland machen uns immer viel zu klein, weil wir verlernt haben, auf die Kacke zu hauen. Der erfolgreichste europäische Film im letzten Jahr war "Goodbye Lenin", dann hat Fatih Akin die Berlinale, den europäischen Filmpreis- Du kannst hingucken, wo du willts, in Hollywood wirst du feststellen, dass dort die Wahrnehmung dessen, was wir machen, viel, viel größer ist, als wir das hier selbst wahrnehmen. Das hätte doch niemand gedacht, dass wir mal Filme machen, die sich 12 Millionen Menschen anschauen. Ich sehe das wahnsinnig positiv, was wir lernen müssen ist, uns selbst zu feiern ohne dumm zu sein. Es gibt genug, was wir feiern können. Hier geht einiges und ich sehe wenig Länder, wo es eine solche Vielfalt gibt.

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