Moritz Bleibtreu

Das Spiel ist das Spiel und das Leben das Leben.

Schauspieler Moritz Bleibtreu über seinen Film "Das Experiment", Method-Acting und den Klischeebedarf im deutschen Kino

Moritz Bleibtreu

© Senator

Moritz, dein neuer Film "Das Experiment" handelt von einem Gefängnis-Experiment mit ‚unschuldigen‘ Teilnehmern. Du selbst findest das Gefängnis zum Zweck der Resozialisierung relativ zwecklos, oder?
Bleibtreu: Ich habe mal gesagt, dass das Prinzip als solches, also was in Strafanstalten gemacht wird, zur Resozialisierung selten beiträgt. Natürlich gibt es Leute, die man nicht rumlaufen lassen kann und von der Gesellschaft isolieren muss. Aber die Art und Weise wie in Gefängnissen gearbeitet wird – oder auch nicht gearbeitet wird – trägt sicherlich nicht zur Resozialisierung von Menschen bei. Im Gegenteil, sie bringt die Menschen noch eher dazu noch schlimmere Sachen zu machen.

Hast du mal eine Anstalt von innen gesehen?
Bleibtreu: Zum Glück nicht, wir haben aber ein, zwei mal im Knast gedreht.

Und vorbereitend für einen Film, geht man da mal in den Knast?
Bleibtreu: Nein, das wäre ja auch im Fall von "Das Experiment" nicht angebracht gewesen, da die Leute im Film zum ersten Mal ein Gefängnis von innen sehen. Wenn ich jetzt in einem Knastfilm eine Figur spiele, die zehn Jahre im Knast war, dann ist es vielleicht ratsam mal für zwei Wochen in den Knast zu gehen, um zu sehen wie das ist. Aber selbst das halte ich persönlich für wenig sinnvoll. Ich für meinen Teil bin kein Method-Actor, obwohl ich das vielleicht so gelernt habe ist das nicht meine Art von Herangehensweise.

Warum nicht?
Bleibtreu: Weil das Spiel das Spiel ist und das Leben das Leben. Ich kann mich dreimal zwei Wochen in den Knast setzen, trotzdem weiß ich, ich mache das zur Vorbereitung auf eine Rolle. Das ist nicht vergleichbar mit der Situation, vor dem Richter zu stehen, und das Urteil lautet "15 Jahre". Insofern glaube ich nicht, dass ich mir eine Art von fiktiver Erfahrung aneignen kann, wenn ich sie nicht wirklich erfahre. Und alles andere ist nur ein Ranschnuppern, was ich mit meinem Bauchgefühl wahrscheinlich fast genauso gut kann. Dafür muss ich mich nicht zwei Wochen lang wegsperren lassen. Wenn ich jetzt aber, wie zum Beispiel Robert De Niro in "New York New York" wirklich Saxophon spielen muss – zumindest so, dass man es mir halbwegs glaubt – klar, dann muss ich Saxophon spielen lernen. Ich glaube aber nicht, dass ich mir aufs Maul hauen lassen muss, um zu wissen wie es ist aus der Nase zu bluten. Dafür bin ich ja ein Schauspieler, ich muss mir doch eine Sache vorstellen können, ohne sie wirklich gemacht zu haben. Da gibt es halt verschiedene Arbeitsansätze und es gibt viele verschiedene Arten und Weisen wie Leute spielen. Letztendlich führen die Wege alle nach Rom.

Der Film, bzw. das Experiment dass 1971 ablief an der Stanford-Universität zeigt, dass das menschliche Verhalten unter gewissen Umständen unberechenbar wird, und dass in so manchem Menschen – im Film vor allem beim Wärter Berus – das Ungeheuer geweckt wird. Hättest du das geglaubt, bevor du den Film gemacht hast?
Bleibtreu: Sicherlich, klar. Da brauche ich mir solche Experimente gar nicht angucken, da muss ich mir nur die Weltgeschichte betrachten, was alles passiert ist auf diesem Planeten und wie grausam Menschen bereits zueinander waren über Jahrhunderte. Das alleine erzählt mir schon genug. Außerdem hat das wohl jeder mal erlebt, dass du in bestimmten Situationen die Fassung verlierst und gemein bist zu anderen Menschen, was dir dann unheimlich Leid tut und wo du denkst, dass du nie dazu fähig gewesen wärst so etwas zu tun. Ich glaube jeder Mensch weiß wie es ist, wenn er mal die Kontrolle über sich selbst verliert, wie es ja auch im Film passiert. Nur ist die Frage, wie groß der Druck ist unter dem du stehst. Um so größer der Druck ist um so mehr verlierst du dich selbst. Das kann glaube ich jedem passieren, davor ist niemand gefeit. Wir leben nun mal in einer Welt, die in großer Masse Menschen hervorbringt, die eigentlich an ihrem eigenen Leben und am eigenen Glück nur vorbeileben. Solche Menschen sind natürlich wahnsinnig manipulierbar, vor allem wenn man ihnen Macht gibt, weil das etwas ist, was sie wohlmöglich bis dahin noch nie erfahren und gekannt haben. So ist es auch bei Berus, der wahrscheinlich ein ganz lieber Mensch ist und bestimmt ein ruhiger Gefangener gewesen wäre. Aber er ist ein Mensch, der an seinem Glück vorbei lebt und sich viele Dinge nur einredet. In dem Moment, wo er nun Macht zugespielt bekommt, Macht die er noch nie hatte in seinem Leben, fängt er an, diese Macht zu missbrauchen, weil das für ihn eine völlig neue Lebenserfahrung ist. Das geht sicherlich vielen Menschen so und ich glaube, je weniger verwurzelt ein Mensch ist in dem Sinne, dass er weiß was er will und wer er ist, desto mehr ist er manipulierbar. Nur zielt unsere Welt ja ein bisschen darauf ab, Menschen nicht zuzugestehen, dass zu tun was sie wirklich lieben in ihrem Leben. Stattdessen müssen sie einfach funktionieren, das ist Kapitalismus und hat zur Folge, dass viele Menschen nicht glücklich sind mit ihrem Leben und diese Menschen sind sehr leicht manipulierbar.

Angenommen dieses "funktionieren müssen" würde wegfallen, sämtliche Regeln wären außer Kraft gesetzt, hätten wir dann einen Zustand der Humanität, oder wäre die Welt von Gewalt geprägt?
Bleibtreu: Das ist eine gute Frage – das weiß ich nicht. Aggression, Kampf, Auseinandersetzung, solche Handlungen wird es immer geben. In Naturvölkern zum Beispiel bringen sich die Menschen auch gegenseitig um. Ich glaube einerseits abgrundtief fest an das Gute im Menschen, weil ich das irgendwie muss als Idealist und weil ich auf dieser Welt lebe. Auf der anderen Seite fragt man sich manchmal, ob der Mensch nicht vielleicht doch von Natur aus ein bisschen schlecht ist. Letztlich hat das natürlich sehr viel damit zu tun, wie ein Mensch groß geworden ist und was er erlebt hat. Ich glaube, dass kein Mensch von Natur aus böse ist, sondern im Laufe des Lebens kommt es dazu, man wird dazu.

Inwiefern ist denn "Das Experiment" eine typische Männergeschichte? Inwiefern ist das, was im Film abläuft für dich typisch männlich?
Bleibtreu: Typisch männlich insofern, dass dieses Alpha-Tier-Phänomen was es ja bei Männern gibt zum Tragen kommt. Männer definieren sich ja ganz klar und stark über ihre Physis und Kraft. Wenn ich einem Typ begegne der 2,10m groß ist dann halte ich mein Maul, das ist einfach so. Männer stellen ganz bestimmte Regeln einfach klar nur aufgrund von physischer Überlegenheit. Frauen definieren sich da anders, bei Frauen hat das mehr mit Kopf und Gedanken zu tun. Ich könnte nun fragen, was passieren würde, wenn man für dieses Experiment nur Frauen nehmen würde. Darauf habe ich keine Antwort, aber ich weiß, dass jeder Mensch nur ein Leben hat und in dem Moment, wo du diese Existenz bedrohst werden Menschen unangenehm, das ist bei Frauen genauso wie bei Männern. Aber ich glaube, dass die Einteilung in Stärkere und Schwächere bei Männern viel ausgeprägter ist als bei Frauen. Bei Frauen hat körperliche Überlegenheit erst mal nichts zu sagen, weswegen Konflikte bei Frauen in den seltensten Fällen durch Gewalt gelöst werden.

Zitiert

Ich glaube abgrundtief fest an das Gute im Menschen, weil ich das irgendwie muss als Idealist und weil ich auf dieser Welt lebe.

Moritz Bleibtreu

Die Gewaltspirale wird im Film schon ein bisschen weiter gedreht, als es in Stanford Realität gewesen ist. Käme der Film auch ohne diese Gewalt aus?
Bleibtreu: Wir haben ja das damalige Experiment vor Augen gehabt und für uns war natürlich die Überlegung interessant, was passiert, wenn man die verantwortliche, beobachtende Person wegnimmt. Der Rest ist zwar eine reine Spekulation, aber wenn man sich anguckt, was in Stanford passiert ist, waren die Versuchsteilnehmer nicht weit davon entfernt, Dinge zu tun wie sie der Film zeigt. Wenn man das damals nach 5 Tagen nicht abgebrochen hätte, wären die sich dort bestimmt ziemlich arg auf die Füße gestiegen.

Inwieweit hat Regisseur Oliver Hirschbiegel bei den Dreharbeiten die Versuchsanordnung nachgestellt und inwiefern standen die Schauspieler am Set bewusst unter dem Einfluss einer klaustrophobische Situation?
Bleibtreu: Ich für mich muss solche Einflüsse ganz klar verneinen, ich würde das auch gar nicht wollen. Denn wenn diese Mechanismen beim Dreh angefangen hätten zu greifen, dann hätte ich gedacht, ich hätte einen Fehler gemacht. Ich mache den Film ja aus dem Grund, dass man ihn anguckt und sich sagt "hoffentlich tappe ich nie in diese Falle". Wenn wir jetzt am Set genau in diese Falle getappt wären, nämlich dass wir untereinander anfangen, Wärter und Gefangener zu spielen, dann wäre ja genau das Schlimmste passiert, was hätte passieren können. Insofern kann ich das für mich nicht geltend machen, aber es gibt sicher Schauspieler, die in ihrer Figur viel intensiver und viel inniger leben als ich das getan habe und generell tue. Auf die färbt so eine Situation vielleicht auch mehr ab, das kann gut sein.

Inwieweit ist es denn wichtig, dass man seine eigenen Ängste ganz gut kennt, wenn man solche Ängste spielen soll?
Bleibtreu: Das läuft auf eine grundlegende Schauspielfrage hinaus und da gibt es auch grundlegende Ansichtsweisen, wo viele sagen, man muss sich mit seinen eigenen Ängsten auseinandersetzen und diese ganz genau kennen um sie abrufen und spielen zu können. Ich finde es vor allem wichtig, dass man einen Zugang zu seinen eigenen Gefühlen zu hat – wenn ich nicht weiß was Angst ist und wie sie sich anfühlt, dann werde ich sie nicht spielen können. Aber ich glaube nicht, dass ich die von mir verdrängte Angst oder das von mir aus gutem Grund verdrängte Leid wieder hoch holen muss, um damit kreativ sein zu können, ich glaube, so etwas macht die Menschen neurotisch. Ich glaube wirklich das Leben ist das Leben und das Spiel das Spiel. Wenn man es schafft sich selbst zu überraschen und es schafft auf eine Situation wirklich einzugehen, dann kommen die Gefühle auch ganz von selbst. Dass man die "künstlich" hochpumpen müsste glaube ich überhaupt nicht. Ich mag es einfach, das als Job zu sehen bei dem ich auch meinen Spaß habe. Ich möchte nicht jemanden scheiße finden müssen um das dann auch spielen zu können, das finde ich idiotisch. Ich kann meinem Partner im Spiel sagen, "Du bist das letzte Arschloch", dann behandle ich ihn auch so, aber nur so lange, bis das Spiel vorbei ist. Ich finde, da ist es wichtig eine Grenze zu ziehen, weil sonst dreht sich die ganze Welt irgendwann nur noch um dich selbst, weil du die Welt dann im Bezug auf dich wahrnimmst und das ist gefährlich.

Im Film begibst du dich als Journalist in das Experiment – wo siehst du die Grenze zu einer guten Story?
Bleibtreu: Presse sollte vor allem Bericht erstatten. In dem Moment, wo du die Story aber selbst machst – wie Tarek auch im Film – ist es mit dem Journalismus vorbei. Als Journalist ist es deine Aufgabe, die Geschichte zu erzählen wie sie stattfindet ohne deinen eigenen Einfluss auf die Geschichte. Es kann nicht der Job vom Journalisten sein, eine Sache aufzuhetzen um dann zu schreiben wie schrecklich alles war, das ist im höchsten Maße unmoralisch. Natürlich stehen Journalisten ständig unter dem Druck eine laue Geschichte ein bisschen anzureichern, man ist ständig verführt, Geschichten weiter auszureizen und Geschichten den persönlichen Fingerabdruck aufzusetzen. Aber dann verfälscht man Dinge und dann hat man seinen Job nicht richtig gemacht. Ich finde Journalismus ohnehin einen extrem schwierigen Beruf, als Journalist irgendwie bei sich selbst zu bleiben und gerade zu bleiben ist hart.

Inwieweit ist "Das Experiment" ein Film für die Masse?
Bleibtreu: Beim "Experiment" ist das eine kleine Gradwanderung. Wenn man einen Film macht für nicht wenig Geld, dann ist man darauf angewiesen, das ganz bestimmte Leute in diesen Film gehen, damit man das Geld zurück bekommt und weiter Filme machen kann. Deswegen muss man natürlich, egal wie kompliziert eine Geschichte ist, versuchen eine Universalität herzustellen, mit der die Menschen etwas anfangen können. Da gibt es dann aber einige Kritiker, die sagen, man würde auf die Quote schielen. Natürlich schielen wir auf Zuschauer, ist doch klar, wenn wir einen Film machen, der einiges gekostet hat. Du willst deine Geschichte ja auch verkaufen, jeder der ein Buch schreibt will sein Buch verkaufen, das ist doch logisch. Und ich muss einfach bis zu einem bestimmten Grad auf die Leute achten, was einem in Deutschland aber total übel genommen wird. In Amerika ist das das Normalste von der Welt, aber sobald so etwas in Deutschland passiert wird einem nachgesagt, das man kommerziell und nur der Kohle hinterher ist. Man muss halt manchmal Klischees benutzen, damit Leute ganz bestimmte Dinge, die Allgemeinheit am Menschen verstehen. Man muss versuchen, der Aufnahmefähigkeit der Menschen gerecht zu werden und die Dinge so erzählen, dass sie die Menschen auch verstehen können. Und es gibt bestimmte Konflikte, wo – ohne jetzt Leute unterschätzen zu wollen – bestimmte "gewöhnliche Menschen" nicht mehr mitkommen und sagen "das ist mir jetzt zu viel Psychologie, da steige ich aus". Und das war halt die Gradwanderung bei dem Film, dass wir gefragt haben, wie schaffen wir es, dass der Film auf der einen Seite intelligent ist und wirklich schlau aber auf der anderen Seite auch nachvollziehbar, ohne dass bestimmte Leute nach einer halben Stunde sagen "das ist mir zu verworren, dass versteh ich alles nicht".

Findest du das Ende des Films klischeehaft?
Bleibtreu: Ich glaube das Ende tut dem Zuschauer gut. Ich finde es bei Filmen immer extrem wichtig, dass sie mir eine Hoffnung vermitteln. In dem Moment wo mir ein Film zeigt, wie schlimm die Welt ist brauche ich eine Hoffnung, weil sonst brauche ich mir den Film nicht angucken. Dann kann ich mir auch den ganzen Tag Nachrichten angucken, da habe ich keine Hoffnungen und weiß, wie schlimm die Welt ist. Das Ende unseres Films vermittelt dir Hoffnung, es ist irgendwo auch ein Klischee, aber es entlässt die Leute mit der Möglichkeit wenigstens einmal durchzuatmen und zu sagen, "ok das Leben geht weiter". Das finde ich eigentlich ganz richtig so. Sonst wäre "Das Experiment" ein Film geworden, den man nur für einen ganz kleinen Teil von Leuten gemacht hätte, der hätte dann etwas sehr hartes, was sich wirklich nur bestimmte Leute angucken können. Man hätte dann das harte europäische Prinzip gewählt, das Ende in der Tiefgarage und alle wären tot gewesen.

"Lola rennt", "Im Juli", "Luna Papa" und jetzt "Das Experiment" – sehr unterschiedliche Filme. Spielt bei deiner Film -bzw. Rollenwahl ein bisschen der Abenteuergehalt mit rein?
Bleibtreu: Klar, da spielt viel mit rein und auch das Abenteuer, was man selbst erlebt. Mit was für Leuten arbeitet man zusammen – das ist für mich mit das Allerwichtigste, weil ich mit diesen Menschen acht Wochen oder mehr verbringe. Manchmal ist dann die Rolle besser als die Geschichte und man spielt es um der Rolle Willen, manchmal ist es umgekehrt. Da kommen ganz viele Sachen zusammen, warum man letztendlich sagt, "ja ich mach den Film". Am ehestem geknüpft sind solche Entscheidungen an Menschen, das man sagt, " mit dem Menschen hätte ich Lust, etwas zu machen".

Das Leben ist ein Comic – welche Comicfigur bist du?
Bleibtreu: Alter Schwede, das ist eine Frage. Keine Ahnung. Obelix vielleicht. Nein, ich bin "The Spirit" von Will Eisner, die beste Comic-Zeichnung der Welt, by the way. Der ist cool der ist ein Anti-Held, der ist geil, dem passiert immer Scheiße – aber er ist echt.

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