Moloko

Es war schon verrückt, immer wieder die eigene Geschichte vorgesungen zu bekommen.

Mark Brydon von Moloko über das Album "Statues", anstrengende Texte und Musikjournalisten

Moloko

© Roadrunner Records

[Ich lege meine Minidisc ein, drücke auf Record …]

Brydon: Läuft das Band?

Ja, ich hoffe. Bei diesen digitalen Aufzeichnungsgeräten weiß man ja nie …
Brydon: Ja, das muss furchtbar sein, du kommst nach Hause und merkst, dass das Gerät überhaupt nichts aufgenommen hat.

Tja, die Technik … Ich unterhielt mich vor kurzem mit dem holländischen Elektro-Musiker Junkie XL, der erzählte, dass er wegen eines Computerabsturzes schon mal 18 Tracks verloren hat.
Brydon: Oh ja, so was kenne ich. Gerade bei diesem Album, "Statues", hatten wir besonders Angst, Daten zu verlieren. Wir haben ohne Ende Backups gemacht, was nach einer Weile auch völlig verwirrend war, weil wir ja immer wissen mussten, welches Material jetzt auf welcher Festplatte ist. Wir haben auch schon ein mal Daten verloren, das waren Songs, an denen wir bereits vier Tage lang gearbeitet hatten. Leider passiert so was dann eben doch.

Das neue "Moloko"-Album "Statues" besteht aus zehn sehr unterschiedlichen Songs, wirkt aber trotzdem sehr gut strukturiert. Wie ist es entstanden?
Brydon: Wir haben für dieses Album das erste Mal mehr Songs geschrieben als wir am Ende benötigt haben. Wir mussten dann also sehr sorgfältig aussuchen, welche auf das Album kommen und welche nicht. Das Schwerste dabei war ganz sicher, dem Album so eine Struktur zu verleihen, weil unsere Musik ja irgendwie in alle Richtungen geht, da ist es schwer eine Ordnung zu finden. Wir haben sehr einfach angefangen, die Grundideen der Songs aufzuschreiben und irgendwann haben wir die ausgewählt, welche wir beenden und aufnehmen wollten. Von manchen angefangenen Songs konnten wir uns schwer verabschieden, aber ein paar mussten eben dran glauben, weil sie die Struktur des Albums durcheinander gebracht hätten. Wir mussten eine gute Form finden, und weniger war diesmal mehr.

Weil du jetzt die unterschiedlichen Richtungen ansprachst — vor allem Journalisten haben ja mit "Moloko" oft Probleme, weil sie nicht wissen, wo sie "Moloko" einordnen sollen.
Brydon: Ja, die Journalisten brauchen Kategorien. Das war es ja auch, was uns am Anfang das Leben schwer gemacht hat, weil man "Moloko" eben nicht einem bestimmten Genre zuordnen kann. Wir sind gegenüber den verschiedenen Richtungen sehr aufgeschlossen und wollten das immer sein. Aber gleichzeitig mussten wir auch immer ein Gefühl dafür finden, wo unsere Grenzen sind.
Wir beide lieben einfach die musikalischen Freiheiten, wir wollen beide experimentieren, wir wollen nichts wiederholen, neue Wege erforschen. Auf "Statues" zum Beispiel, sind jetzt sehr viele Orchesterklänge zu hören, Streicher, Bläser. Auch wenn wir vorher schon mit Live-Musikern gearbeitet haben, war das jetzt eine neue, aufregende Erfahrung, weil wir noch weiter gegangen sind und noch mehr Live-Musiker für die Aufnahmen engagiert haben.

Auf dem Cover von "Statues" sieht man nur Roisin, also nur die eine Hälfte von "Moloko". Warum?
Brydon: Weil das einfach ein großartiges Foto ist. Das Foto wurde auch gar nicht direkt für das Album gemacht, das hat eine Freundin von uns gemacht, kurz nachdem wir das dritte Album fertig produziert hatten, als wir angefangen haben, privat getrennte Wege zu gehen, das entstand also in einer ziemlich schwierigen, verrückten Zeit. Aber so ist das ein Bild der Freiheit, der Veränderung geworden. Ich finden, Roisin wirkt auf dem Foto wie eingefroren, wie eine Statue eben. Und da wir einen Track geschrieben hatten namens "Statues" passte das ganz gut. Aber, kleiner Trost, ich bin auf der Rückseite der CD zu sehen.

Ich frage eigentlich nur, weil doch viele Leute gedacht hätten, seitdem ihr eure Beziehung beendet habt, dass ihr auch nicht mehr zusammen ins Studio gehen würdet. Insofern ist "Statues" ja eine Erfolgsgeschichte von euch beiden. Da wäre doch ein Coverfoto mit euch beiden passend gewesen.
Brydon: Naja, heute sind wir eben getrennte Leute. Früher waren wir wie Jing und Jang — aber die Zeiten haben sich geändert, jetzt kommen wir auch als getrennte Personen ins Studio, um ein Album zu produzieren. Insofern muss ich sagen, habe ich mit dem Cover kein Problem.

Nun klingen Song-Zeilen wie "Do you remember the way we danced" oder "We’ll never say it, never say goodbye" sehr nach eurer eigenen Geschichte.
Brydon: Ja, zum Teil beziehen sich die Texte auf uns, zum Teil aber auch auf andere Leute, da bin ich mir ziemlich sicher.
Ich muss allerdings zugeben, dass ich einige der Texte psychisch nicht so gut verkraftet habe. Denn wenn man an einem Album arbeitet, dann muss man sich die Songs ja auch immer und immer wieder anhören. Da war es schon verrückt, immer wieder die eigene Geschichte vorgesungen zu bekommen. Manchmal habe ich mich wirklich auch gefragt: was soll das eigentlich alles? Wir haben uns getrennt, uns verändert, das Leben geht weiter — und in den Songs wirst du aber immer wieder mit der alten Geschichte konfrontiert.

Das klingt verdammt hart — aber ihr habt weiter Musik gemacht.
Brydon: Ja, wir haben ja die ganzen Jahre immer sehr hart an "Moloko" gearbeitet, da wäre es schon sehr tragisch gewesen, wenn wir neben unserer Beziehung auch noch die Arbeit an "Moloko" beendet hätten. Wir waren auch beide sehr entschlossen, diese Platte zu machen. Klar, das war sehr schwer für uns beide. Aber um so mehr bin ich heute darauf stolz, dass wir diese Platte gemacht haben.

Zitiert

Roisin und ich, wir waren früher wie Jing und Jang -- aber die Zeiten haben sich geändert, jetzt kommen wir als getrennte Personen ins Studio.

Moloko

Die Tragik des Ganzen, ist die vielleicht auch der Grund, wieso ihr bei "Statues" viel mit Streicherklängen gearbeitet habt?
Brydon: Ja, das könnte man vermuten, es hat aber auch mit diesem Live-Sound-Level zu tun, das wir gesucht haben, wo wir wollten, dass es so ähnlich klingt wie ein Filmsoundtrack. Wir haben mit Orchestermusikern gearbeitet, weil wir auch etwas ganz großes wollten. Wir wussten ja nicht, ob dies nicht vielleicht unser letztes Album ist. Wir haben da sehr viel Zeit reininvestiert, vor allem in die Streicherparts. Und als wir am Ende mit den dreißig Musikern die Aufnahmen gemacht haben, da war das wie ein Privatkonzert für uns.

Wer von euch beiden kann eigentlich mehr über die Musik von "Moloko" erzählen?
Brydon: Sicher hat Roisin da auch interessante Sachen zu erzählen. Ich würde erzählen, dass "Moloko" vor allem die Art ist, wie ich mich persönlich ausdrücke. Aber letzten Endes müssen wir beide es mögen und wir müssen es beide unterstützen können. Und da wir beide einen unterschiedlichen Backround haben, stehen wir vielen Dingen sehr offen gegenüber.

Was war denn dein Backround?
Brydon: Ich habe angefangen mit experimenteller elektronischer Musik. Ich habe Musik gemacht, bei uns in Sheffield, mit Bands wie "Cabaret Voltaire", "Clock DVA" und "Chakk". Also, das waren so eine Art von kunstverliebten, elektronischen Bands die mit Tape-Loops und alten Drumcomputern gearbeitet haben. Das war anfangs alles ein wenig düster, aber so kam ich zur Musik.

Und du hast damals sofort gewusst, dass die elektronische Musik dein Ding ist?
Brydon: Das kam so mit den Jahren, weil sich die Technik ja auch weiter entwickelt hat. Ich habe angefangen als Gitarrist, der den Bass in irgendwelchen komischen Bands gespielt hat. Aber dann kamen die Sequencer auf, mit denen konntest du schon eine Menge machen. So wurde ich Produzent und habe angefangen im Studio zu arbeiten.

Wenn du heute die Geschichte von "Moloko", betrachtest welche Schwierigkeiten hattet Ihr, euch in Großbritannien dauerhaft zu behaupten?
Brydon: Ganz am Anfang hatten wir schon große Probleme, weil wir nicht wirklich ernst genommen wurden und missverstanden wurden. Wir sind eine Band, die von Anfang an viel Sinn für Humor hatte — aber irgendwie hat uns das am Anfang nicht so sehr als Künstler erscheinen lassen.
Heute werden wir natürlich viel mehr akzeptiert, wir kommen gerade von unserer bisher besten Großbritannien-Tour. Ich denke, es waren vor allem auch unsere Chart-Hits, die sehr viel ausgemacht haben. Und vorher, da hatten wir die besseren Gigs noch in Deutschland und nicht bei uns zuhause.

Um noch mal auf die Musikjournalisten zu sprechen zu kommen, welche Rolle haben die bei eurer Entwicklung gespielt?
Brydon: Also, manche Zeitungen wie zum Beispiel der NME (New Musical Express), die hassen uns. Die werden uns immer hassen. Aber mittlerweile denke ich, das macht nichts.

Aber woher kommt das?
Brydon: Ich weiß es nicht. Da gibt es viele Vorurteile und die stammen meistens noch von 1995, als die Journalisten meinten, wir wären so etwas wie eine "Portishead"-Kopie — was wir natürlich nicht waren. Aber ich glaube, die wollen ihre Meinung einfach nicht ändern. Nie.

Glaubst du denn, dass solche Journalistenmeinungen Einfluss haben auf die Leute, die eure Musik hören und kaufen?
Brydon: Ja, ein bisschen glaube ich das schon. Und wenn dir die Journalisten manche Urteile immer wieder einhämmern wollen, dann finde ich das einfach schlecht.
Aber zum Glück akzeptieren uns die meisten heute so, wie wir sind. Normalerweise hat uns die Kritik immer sehr aufgeregt, aber heute tut es das nicht mehr. Bei diesem Album hat es sich auch die Waage gehalten zwischen guten und schlechten Kritiken. Das ist ok. Obwohl, ein Journalist hat in einer großen englischen Tageszeitung geschrieben, "Statues" wäre so der "gewöhnliche, elektronische Mist". Da habe ich mich schon gefragt, ob der überhaupt mal die Platte angehört hat.

Liest du viel Kritiken?
Brydon: Ein paar, aber längst nicht alle. Ich warte eigentlich nur darauf, dass einer dieser Journalisten mal ein Buch schreibt — dann schreibe ich mal eine Kritik darüber.

Würdest du denn sagen, dass mancher guter Kritiker eure Musik beeinflusst hat?
Brydon: Nein, da denke ich, spielen die Kritiker keine große Rolle. Viel wichtiger ist es, wenn wir live spielen, zu sehen, wie das Publikum auf unsere Musik reagiert, wie unsere Musik die Leute happy macht, wie viel Spaß die mit uns haben — das beeinflusst dich mehr als jeder Journalist, da realisierst du, was du bei den Leuten auslösen kannst, wie du die Leute begeistern kannst. Ich meine, deswegen macht man ja Musik. Das Leben besser machen, das ist doch der Sinn der Musik!

Das Leben ist ein Comic — welche Figur bist du?
Brydon: Ich wäre wohl Mutley aus den "Wacky Races"-Comics. Und Roisin wäre dann wohl Penelope Pitstop.

Was ist das für ein Typ, dieser Mutley?
Brydon: Das ist ein kleiner Hund, der ein Flugzeug fliegt. Das Besondere an ihm ist, dass er eigentlich gar nichts sagt. Er lacht immer nur die ganze Zeit.

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